Protocol of the Session on September 10, 2010

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, nach der Beratung im Innenausschuss und den eingegangenen Stellungnahmen im Anhörungsverfahren beschäftigen wir uns heute erneut mit dem Thema der Einschränkung der Bewegungsfreiheit für Asylbewerber. Die Stellungnah

(Abg. Bergner)

men zeigen deutlich die Nachteile dieser Einschränkungen, denn wir sind der Meinung, ja, es gibt die soziale Ausgrenzung und Isolation durch die strikte Grenzsetzung. Ja, es gibt Kriminalisierung und Stigmatisierung durch sehr häufige polizeiliche Kontrollen von allen Menschen, die anders aussehen, und die Einhaltung der Regelung zur Überwachung. Ja, es gibt auch den hohen Bürokratieaufwand. Durch das Antragsverfahren und zum Teil willkürliche Entscheidungen der Ausländerbehörden haben wir Probleme in den einzelnen Landratsämtern, die nach Gesprächen sehr unterschiedlich bewertet werden. Es ist auch eine Tatsache, dass es eine Erschwernis der Suche nach Ausbildung und Arbeit ist, da viele Verfahren eben mehr als nur ein Jahr dauern.

Einige Stellungnahmen weisen auf Vorteile für diese Regelung hin, z.B. keine Häufung von ausländischen Mitbürgern in den Ballungszentren. Wenn man auf den Erfurter Anger geht, kann man schon sehen, dass dort deutlich mehr Ausländer sichtbar vorhanden sind,

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und ist das schlimm?)

als wenn ich in meinem Saale-Orla-Kreis unterwegs bin.

Es wäre schön, wenn Sie mich erst ausreden lassen, ich mache das in der Regel mit Ihnen auch so.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja, ja, ich lasse Sie auch ausreden. Ich habe nur gefragt, ob das schlimm ist.)

Ein Vorteil: In den Stellungnahmen wird dargestellt, dass die Asylbewerber leichter erreichbar wären im Laufe ihres Verfahrens, wenn diese Residenzpflicht so in diesem Rahmen beibehalten wird. Dieses zeigt sich nach unserer Auffassung als nicht gravierend, aber wir nehmen es zur Kenntnis.

Deutlich wurde allerdings die Einschränkung durch das Bundesgesetz selbst, welches eine Abschaffung der Residenzpflicht und eine Ausweitung auf ganz Thüringen nach Ansicht der Juristen nicht zulässt. Heute gehen wir davon aus, dass durch die Verordnung der Landesregierung über den vorübergehenden Aufenthalt von Asylbewerbern außerhalb des Bereichs der Aufenthaltsgestattung das Problem nicht gelöst, aber durch die vorgesehene Erleichterung ein Schritt in die richtige Richtung erfolgt. Somit sehen wir die wichtige Forderung der SPD nach einer Abschaffung der Residenzpflicht noch nicht erfüllt. Aber wir sind auf dem Weg, diesen Menschen das Ankommen in der deutschen Gesellschaft zu erleichtern und setzen somit auch die Vereinbarung des Koalitionsvertrags um. Die mehrheitliche Ablehnung des Antrags im Innenausschuss macht deutlich, wie wir als Koalition stim

men werden, auch wenn wir es gern anders getan hätten. Danke.

(Beifall CDU, SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Zu uns spricht Herr Abgeordneter Bergner von der FDP-Fraktion.

Danke, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass ich jetzt ein zweites Mal ans Pult trete, tue ich ganz bewusst, Herr Kollege Fiedler, weil ich zwischen dem Vortrag und meiner eigenen Meinung trenne.

(Beifall DIE LINKE, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass Sie ein Problem damit haben, dass die Mehrzahl der eingegangenen Stellungnahmen eindeutig für unseren Antrag war, das ist mir völlig klar und mir ist auch klar, warum Sie ein Problem haben, denn überwiegend waren es ausgerechnet die Stellungnahmen der Kirchen und kirchennahen Verbände. Das sage ich ausdrücklich an dieser Stelle auch als Christ, meine Damen und Herren.

Es ist eben so, dass die Einschränkung der Residenzpflicht mit einem modernen und auch liberalen Menschenbild nicht vereinbar ist.

(Beifall DIE LINKE, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist so, dass ich an dieser Stelle, Frau Kanis, zwar für Ihre Disziplin Verständnis habe, aber nicht für die inhaltliche Position. Wenn Sie für die Abschaffung der Residenzpflicht sind, hätten Sie an dem Tag zustimmen können, und, ich glaube, es wäre ein gutes Ergebnis für Thüringen gewesen.

(Beifall DIE LINKE, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist in der Debatte mir auch vorgehalten worden, wir würden hier einen Schaufensterantrag machen und wir könnten uns doch auf Bundesebene dafür einsetzen. Ich sage Ihnen, ich mache dort Politik, wo ich das Mandat dafür habe, und das ist hier im Thüringer Landtag, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Doht, SPD: Setzen Sie es doch auf Bundesebene um.)

Ja, da steht es im Koalitionsvertrag und daran wird auch gearbeitet. Manchmal braucht man, wie Sie gelegentlich hier auch vorführen, etwas länger, um den einen oder anderen Punkt aus einem Koalitionsvertrag umzusetzen. Auf jeden Fall ist es so, dass die Mehrheit hier offensichtlich anders aus

(Abg. Kanis)

sieht. Ich möchte an dieser Stelle ganz ausdrücklich sagen, dass ich das sehr bedaure. Auf jeden Fall ist es aber auch so, dass durch unsere Initiative offensichtlich ein Stein ins Rollen gebracht worden ist. Auch wenn das, was die Landesregierung vorhat, weit hinter dem zurückbleibt, was wir wollen, ist es zumindest ein Stück weit ein Schritt in Richtung mehr Freiheit und insofern auch ein Stück weit ein Teilerfolg, über den wir uns dann doch freuen. Dennoch, meine Damen und Herren, werbe ich noch einmal an dieser Stelle: Nehmen Sie auch den Appell der Kirchen wahr, nehmen Sie den Appell der Betroffenen wahr und stimmen Sie heute für unseren Antrag! Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall FDP)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bergner. Als Nächste spricht Frau Abgeordnete Holbe von der CDUFraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine werten Kolleginnen und Kollegen, der Berichterstatter, Herr Bergner, hat ausführlich vorgetragen, wie die Stellungnahmen in unserem Ausschuss eingegangen, behandelt worden sind. Ich möchte vielleicht eines dazu anmerken: Wir haben Stellungnahmen der Spitzenverbände, der Kirchenverbände, Flüchtlingsverbände, Wohlfahrtsverbände, aber auch die Innenministerien einzelner Länder abgefragt. Wenn Sie sagen, die Mehrheit hat sich Ihrem Antrag, einer Lockerung der Residenzpflicht, angeschlossen, muss man vielleicht auch einmal hinschauen, ist es die Stellungnahme vom Flüchtlingsrat in Brandenburg oder in Thüringen oder steckt dahinter vielleicht die Stellungnahme des Gemeinde- und Städtebundes, der mehrere Kommunen vertritt, oder die Stellungnahme des Landkreistages, denn Letztere haben sich nicht in Ihrem Sinne ausgesprochen.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Die waren aber in der Minderheit.)

Zu Punkt 1 Ihres Antrags: Der Prüfantrag an die Landesregierung wurde erfüllt. Er ist durch die Landesregierung sowohl im Parlament als auch im Ausschuss ausführlich vorgetragen worden, die Möglichkeiten, die hier die Landesregierung sieht bei der Lockerung der Residenzpflicht. Ausgehend von § 58 Abs. 6 Asylverfahrensgesetz - ich betone es noch einmal -, ein Bundesgesetz, ist eine Erweiterung des räumlichen Bezugs der Residenzpflicht für Asylbewerber und Geduldete auf das ganze Land nicht zulässig und, wir sagen, auch nicht sinnvoll.

Zu Punkt 2 Ihres Antrags, den Antrag bis zum 31.08. über die Prüfergebnisse in Kenntnis zu set

zen: Ich denke, Ersteres ist erfüllt bzw. wird heute noch mal ergänzt und - zweitens - die Rechtsverordnung, die wir hier schon mehrfach angekündigt haben, ist in ihrer Ressortabstimmung weitgehend erledigt, sie wird heute im Ministerium zusammengetragen. Herr Bergner, ich widerspreche Ihnen ausdrücklich an der Stelle, dass Sie hier meinen, mit Ihrem Antrag doch in Richtung Lockerung der Residenzpflicht bzw. Abschaffung einen wichtigen Schritt und Impuls gegeben zu haben. Ich denke, das haben wir im Koalitionsvertrag gemacht. Ich darf vielleicht mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, zitieren: „Die geltende Residenzpflicht für Asylbewerber wird im räumlichen Bezug erweitert.“ Also dann sieht man, wessen Kind das ist. Ich denke, wir haben einige Zeit gebraucht, um das ordentlich anzuarbeiten. Diese Rechtsverordnung liegt nun vor. So, wie unser Innenminister im Ausschuss vorgetragen hat, sind jetzt die Kreise nicht nur im Sinne des Kreises der Ausländerbehörde, sondern auch benachbarte Kreise eingeschlossen und eine kreisfreie Stadt ist ebenfalls integriert, so dass die Forderung, dass zusätzlich Angebote im Bereich der medizinischen Versorgung wahrgenommen werden können, Besuche aktiver Ausländervereine, aber auch Ausländerberatungsstellen, religiöse Angebote, aber auch verbesserte Versorgungsangebote und Dienstleistungen in Anspruch genommen werden können. Mit dieser Erweiterung wird auch den in Thüringen lebenden Geduldeten, die nach § 55 Abs. 3 Asylverfahrensgesetz behandelt werden, entsprechend ausgedehnt und findet ebenfalls Anwendung.

Nach Aussage des Innenministeriums wird diese Rechtsverordnung voraussichtlich im Oktober veröffentlicht werden. Im Vergleich mit anderen Bundesländern zur Lockerung der Residenzpflicht bzw. deren Erweiterung, denke ich, haben auch die Stellungnahmen, die uns vorgelegt wurden, gezeigt, dass wir durchaus im bundesweiten Trend liegen. Mecklenburg-Vorpommern hat vier Residenzbezirke aus jeweils vier bis fünf Landkreisen gebildet. Sachsen-Anhalt hat drei Residenzbezirke aus jeweils mehreren Landkreisen, Bayern hat sieben Regierungsbezirke, die gemeinsame Residenzbezirke der Nachbarkreise bilden.

Ich muss sagen, es gibt auch andere Rechtsauffassungen, die wir nicht tragen und meinen, dass sie mit dem Bundesgesetz nicht rechtskonform sind in den Ländern Reinland-Pfalz, Hessen und Brandenburg, in denen die Residenzpflicht auf das gesamte Land ausgedehnt ist.

Das Saarland muss man hier herausnehmen. Im Saarland ist das Landesverwaltungsamt die zuständige Ausländerbehörde und da es Regelungen für das gesamte Land trifft, logischerweise die Residenzpflicht dann auch landesweit regelt. Aber, ich denke, es ist eine Besonderheit, die man auch so hinterfragen muss.

(Abg. Bergner)

Im Ausschuss haben wir sehr intensiv über die Auslegung des Gesetzestextes diskutiert, ob „mehr als ein“ mehrere Landkreise heißt, jedoch nicht alle beinhaltet. Wir haben hier unterschiedliche Auffassungen in den einzelnen Fraktionen gehabt, die nicht abschließend in eine gemeinsame Auslegung mündeten. Insofern, denke ich, ist die Auslegung der Rechtsstandpunkte auch entsprechend der einzelnen Fraktionen so zu akzeptieren.

Interessant für mich ist die Stellungnahme des Thüringer Landkreistages. Deswegen möchte ich hier noch einmal darauf eingehen. Sie haben den Grundgedanken des Asylrechts vorangestellt, der folgender ist: „Demjenigen, der in seinem eigenen Land nicht mehr leben kann, weil durch das politische System seine Freiheit, sein Leben und seine Güter bedroht sind, ist Zuflucht zu bieten. Grundsätzlich betrifft dies nicht eingereiste Ausländer aus dem EG-Staat und einem sicheren Drittstaat.“ Ich denke, deshalb steht der zeitweilige Aufenthalt von Flüchtlingen in unserem Land, nicht schwerpunktmäßig die Frage der Integration im Vordergrund. Denn jede Integration erschwert auch die Rückführung. Bei geduldeten Flüchtlingen, die über eine Aufenthaltserlaubnis verfügen, kann sich diese Situation durchaus anders darstellen. Die Landkreise lehnen eine Ausweitung der Residenzpflicht ab, da ihrer Meinung nach nur durch eine Beschränkung des Aufenthalts eine Erreichbarkeit der Asylbewerber und damit auch eine zügige Durchführung der Verfahren erzielt werden kann. Befürchtet wird, dass Asylbewerber nicht zeitnah für die Klageverfahren bei den zuständigen Behörden zur Verfügung stehen, insbesondere beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den Gerichten.

Ich verweise ausdrücklich auf diese Stellungnahme, die ich als eine sehr ernst zu nehmende halte, denn schließlich ist die Behörde angesprochen, die hier in Thüringen Verantwortung trägt, die die Asylbewerber betreut und ihre Erfahrungen im Umgang mit den Asylbewerbern/Geduldeten in diese Stellungnahme hat einfließen lassen. Sie sind zuständig für Geduldete, die vollziehbar ausreisepflichtig sind und hier haben sie auch geschrieben, die Aufenthaltsbeschränkung dient in erster Linie dazu, die Ausreisepflicht zu überwachen und entsprechend durchführen zu können.

Ich denke, die Erweiterung der Residenzpflicht, wie sie uns vorangekündigt wurde, in Beispielen auch vorgetragen, wird das Problem, was immer wieder angeführt worden ist, ein wenig entspannen. Die Asylbewerber/Geduldeten haben dann die Möglichkeit, in mehreren Landkreisen sich aufzuhalten, um, wie ich eingangs sagte, auch die entsprechenden Angebote wahrnehmen zu können, die sie möchten. Auch bei der Ausstellung von Verlassenserlaubnisbescheinigungen will ich noch einmal ausdrücklich sagen, Frau Kanis, ich glaube nicht, dass man hier willkürlich entscheiden kann, ob man

einen Besuch gestattet oder nicht. Es sind in jedem Fall triftige Gründe mit anzugeben und die Notwendigkeit dieses Besuches, also wenn das begründet ist, dann wird dem auch nichts entgegenstehen und ich bin mir ziemlich sicher, dass es hier entsprechende Verfahrensgrundsätze gibt, die für alle Ausländerbehörden in unserem Land Grundlage für diese Entscheidung sind.

Zum FDP-Antrag zurück: Punkt 3 Ihres Antrags wird ebenfalls vonseiten der CDU-Fraktion abgelehnt. Wir sehen derzeit keinen Handlungsbedarf und insgesamt werden wir den Antrag der FDP in Gänze ablehnen. Danke schön.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. Als Nächste spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Frau Abgeordnete Rothe-Beinlich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte meine Rede mit einem Dank beginnen, und zwar mit einem ausdrücklichen Dank an die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, die Anfang dieser Woche einen Aufruf gestartet hat für die Abschaffung der Residenzpflicht. Dieser Aufruf ist auch schon binnen weniger Tage von 613 Menschen unterzeichnet worden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Unruhe CDU)

Ich möchte davon einige benennen und weil die Worte aus der CDU gerade so laut sind, beginne ich mit Ihrem Kollegen, dem ich ganz besonders danken möchte, das ist Hendrik Knopp, CDU-Kreisrat im Landkreis Gotha. Auch er hat sich diesem Aufruf angeschlossen. Es sind aber noch viele, viele andere. Es ist Stephan Märki, der Intendant des Weimarer Nationaltheaters, es ist Diana Lehmann, die Vorsitzende der Jusos, es ist Denny Möller, Stadtrat der SPD in Erfurt, es ist aber auch die Bischöfin Ilse Junkermann, die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt und viele, viele mehr. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch an eine Online-Petition erinnern, die auf Bundesebene eingereicht wurde und 11.000 Unterzeichnerinnen hatte,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die ebenfalls die Abschaffung der Residenzpflicht forderte.