Meine Damen und Herren, all unser Wissen basiert auf Daten. Daten - und das darf ich als Techniker sagen - sind logisch gruppierte Informationseinheiten, die zwischen Systemen übertragen werden und auf Systemen gespeichert sind. Daten sind überall in der Natur und unserer Alltagswelt anzutreffen. Die größte Datenmenge steckt in unserem Gehirn, in unseren Bibliotheken, Büchern, Filmen, Bildern, Computern, dem Erbgut oder der Molekularstruktur der belebten Natur. Sie stecken in Gesetzen der unbelebten und der belebten Natur. Wir, der Mensch und die Natur, speichern auf Vorrat.
Heute, meine Damen und Herren, wird der Begriff „Vorratsdatenspeicher“ speziell im Sicherheitsbereich verwendet, dennoch ist die Datenfülle schier unendlich und wächst ständig weiter ins Unermessliche. Über den Mobilfunk wurden 2009 über 33 Mio. Gigabyte Daten übertragen. Das waren fast dreimal mehr als 2008 und annähernd zehnmal so viel wie 2007. Die Realität zeigt nicht Datensparsamkeit, sondern Datenfülle. Jeder kann in unserer Informationsgesellschaft selbst Daten erfassen und jeder von uns hinterlässt tagtäglich Daten und Informationen, das heißt Spuren von sich auf vielfältige Weise. Das geschieht beim Einkauf, indem ich jemandem begegne oder beim Bezahlen mit der Kreditkarte, bei der Benutzung des Telefons oder des PCs, das geschieht beim Lkw-Fahren, beim Benutzen der Autobahn oder beim Geldgeschäft auf der
Bank. Selbst beim Bezahlen des Parktickets mit dem Handy oder der Kreditkarte oder auch mit der in Vorbereitung befindlichen Patientenkarte hinterlässt man künftig Daten.
Die Telekommunikation ermöglicht heute all das, was Orwell in seinem Buch 1984 negativ als Bedrohungskulisse beschrieben hat, die nahezu allumfassende Informationsmöglichkeit, was Gott sei Dank uns heute unterscheidet, denn der Datengebrauch wird heute kontrolliert - im Gegensatz zu der Welt von Orwells Buch - durch Kontrolle und Korrekturmechanismen.
Meine Damen und Herren, der Staat hat den Auftrag, seine Bürger zu schützen einerseits vor einer ungewollten Datensammelwut - ich erinnere an Street View - oder auch vor Kriminalität im Datennetz oder beim Bankgeschäft den unberechtigten Zugriff meinetwegen eines Fremden auf das eigene Konto. Die Internet-Kriminalität hat in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen. Dazu gehört leider auch die Kinderpornografie. Ich hoffe, wir sind uns einig, diese muss verhindert werden. Im Jahr 2009 hat die IuK-Kriminalität in Deutschland um 33 Prozent zugenommen - da muss gehandelt werden. Der Nachweis, wer, was, wo getan hat, ist aber nur im Nachhinein möglich, speziell das Telekommunikationsnetz wird heute immer stärker für Straftaten genutzt.
Also, was darf der Staat, um die negativen Auswüchse, die das Datennetz bietet, zu verhindern? Wir erwarten Schutz; dazu muss ein Zugriff auf spezielle Daten möglich sein, ohne die Privatsphäre zu verletzen. Das trifft besonders auf das Fernmeldegeheimnis zu. Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses gemäß Artikel 10 des Grundgesetzes gilt gleichermaßen sowohl für Inhalte von Telekommunikation als auch für die Verkehrsdaten. Mit dem Telekommunikationsgesetz von 2007 hat der Gesetzgeber die Anbieter von Telekommunikationsleistungen verpflichtet, die Daten über elektronische Kommunikationsvorgänge auf Vorrat zu speichern. Es handelt sich hierbei - und wir haben es gehört um die Umsetzung der Europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Die Standortdaten unserer Mobilfunktelefone spielen bei der Auswertung eine besondere Rolle.
Die Verkehrsdatenanalyse ist eine traditionell im Geheimdienst und Militärbereich verwendete Methode, um ohne Kenntnis des Inhalts einer Kommunikation Rückschlüsse auf Absichten und Verhalten des Gegners zu ziehen. Die EU hat die Mitgliedstaaten mit der Richtlinie Nummer 24 aus dem Jahr 2006 zur Umsetzung verpflichtet. Das Bundesverfassungsgericht hat nun wiederum eine konkrete Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicher für verfassungswidrig erklärt hier für uns in Deutschland. Es geht ihm um klarere Regelungen für einen Zugriff auf die Daten.
Der Staat, meine Damen und Herren, kann seinen Auftrag zur Gewährleistung der Sicherheit nur erfüllen, wenn er die Instrumente dazu erhält. Der Bundesgesetzgeber hat dazu den Auftrag, nicht wir. Die Sicherheitsbehörden haben den Bedarf angemahnt. Natürlich muss bei einer künftigen Regelung speziell der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Der Zugriff auf vorhandene Daten muss nach meiner Auffassung zu einer konkreten Gefahrenabwehr möglich sein. In gleicher Weise ist künftig ein kleiner Kreis von besonderer Vertraulichkeit, wie Ärzte oder Pfarrer besonders zu berücksichtigen. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Peter Schaar, hat nun eine Alternative zur Vorratsdatenspeicherung ins Spiel gebracht. Er nennt das Quick-Freeze-Verfahren. Das Schockfrosten von Daten kann eine Alternative zur Vorratsdatenspeicherung sein, das Quick-FreezeVerfahren hat sich in den USA besonders in den letzten Jahren bewährt.
Die Fraktion DIE LINKE hat nun einen Änderungsantrag kurzfristig vorgelegt, der über das Berichtsersuchen hinausgeht - einen Antrag, der erstens eine Bundesratsinitiative fordert, die über das Urteil weit hinausgeht, zweitens einen Antrag, der ein eigenes Landesdatenschutzgesetz fordert, das Vorratsdatenspeicherung beinhaltet, drittens einen Antrag, der dazu auffordert, auf EU-Ebene tätig zu werden und viertens zu einer Selbstständigkeit, die zum Zusammenwirken zwischen Landesbehörden und Datenschutzbeauftragten auffordert - ich denke eine Selbstverständlichkeit.
Meine Damen und Herren, selbst aus Verbraucherschutzsicht kann ich Ihrem Antrag nicht folgen. Ein unwissender Staat ist ein unnützer Staat, den keiner braucht. Alleinige Beratung des Bürgers nützt nichts, wenn den Bürger keiner schützt. Ein rechtlich gesichertes Zusammenwirken ist beim Datenschutz zwischen dem Recht auf Selbstbestimmung über die Daten, auch über mich selbst, und den Sicherheitsinteressen notwendig. Das gewährleistet Ihr Antrag nicht. Darum wird ihn meine Fraktion ablehnen. Vielen Dank.
Danke, Herr Abgeordneter Gumprecht. Es hat jetzt das Wort Abgeordneter Adams von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Herr Gumprecht, Ihren Beitrag fand ich sehr nett. Ich hatte den Eindruck in dem Augenblick, als Sie die Natürlichkeit von Datenspeicherung, die Natür
lichkeit von Vorratsdatenspeicherung dargelegt haben, dass Sie hier beruhigend wirken wollten. Mich beruhigt dieses Beruhigen gar nicht und, ich glaube, Sie haben - das ist mir zum Ende Ihres Vortrags aufgefallen - hier eine Sache nicht wahrgenommen. Sie haben selbst dargestellt, wie wichtig es ist, dass wir Unterschiede machen, zum Beispiel das besondere Recht, wenn man sich an einen Seelsorger wendet, dass diese Gespräche eben nicht abgehört sein dürfen. Aber wenn wir über die Vorratsdatenspeicherung sprechen, dann ist es zunächst einmal vollkommen egal, mit wem man gerade telefoniert. Die einfache Tatsache, dass die eine Nummer mit der anderen Nummer telefoniert hat und von wo aus sie das getan hat, wird hier aufgezeichnet und sie steht dem Innenministerium, der Polizei zur Ermittlung zur Verfügung. Da fängt es an, nicht mehr verfassungsgemäß zu sein, wie das Bundesverfassungsgericht richtig festgestellt hat. Ihre Beruhigungsstrategie erinnert mich an die Atomdebatten der 50er-Jahre. Da hat man auch gesagt, Atome, das ist doch ganz natürlich. Alles besteht aus Atomen und warum soll das ein Problem sein? 35 Jahre später kommt dann aber Tschernobyl. Ich hoffe, wir werden kein Datentschernobyl erleben, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Frau Kollegin Marx, Sie sind, finde ich, in beeindruckender Weise ohne Abstriche ins Detail gegangen. Aber in einem wesentlichen Teil Ihrer Rede haben Sie ein ganz anderes Regelungsgebiet behandelt. Sie haben nämlich über die Frage gesprochen, was machen Private mit unseren Daten? Wir sind jetzt hier aber in der Diskussion, was macht der Staat mit unseren Daten? Das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge und das hat auch ganz unterschiedliche Auswirkungen, weil die Privaten gerade keine Zwangsbefugnisse haben. Die Privaten können nicht eines Tages vor Ihrer Tür stehen und Sie auf ein Polizeipräsidium mitnehmen. Ich glaube auch, dass Sie irren an der Stelle, wenn Sie hier darlegen, wir haben in Deutschland den höchsten Datenschutzstandard. Ich frage mich, warum immer wieder das Bundesverfassungsgericht in die datenrechtlichen Gesetze der Bundesrepublik Deutschland eingreifen und sagen muss, hier musst Du, lieber Gesetzgeber, nachbessern, nachdem vorher alle in Regierungsverantwortung gesagt haben, das ist Superdatenrecht, was wir hier vorlegen. Ich glaube, wir müssen sehr aufmerksam bleiben und der gesellschaftliche Disput, den wir hier führen, ist überhaupt das Einzige, was uns Datenschutz sichert. Deshalb sollten wir diese Debatte nicht diskreditieren.
Vielleicht noch einmal einen kurzen Schlag zurück an den Anfang Ihrer Rede. Hier hatten Sie versucht darzustellen, dass unser Antrag lautet, die Landesregierung möge einen Standpunkt gegen die Vorratsdatenspeicherung einnehmen. Das ist falsch.
Bitte lesen Sie da noch einmal nach. Wir haben lediglich gefordert, dass uns die Landesregierung ihren Standpunkt darlegt. Möglicherweise haben Sie meinen Wunsch imaginiert, so wie ich die Meinung des Herrn Innenministers imaginiert habe, und wir haben uns beide nicht geirrt. Insofern ist es vielleicht auch ganz gut gewesen.
Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, als Vorbemerkung ist eine Sache noch ganz wesentlich: In einem Interview mit Frau Leutheusser-Schnarrenberger aus dem März habe ich gelesen und erfahren, dass die USA, die sicherlich intensiv in der Terrorabwehr ist, intensiv hier tätig ist und weiß, was sie zu verlieren hat, wenn sie das nicht ordentlich macht, gerade nach dem sich morgen wieder jährenden Anschlag auf die beiden Türme in New York. Aber die USA hat eine solche Vorratsdatenspeicherung nicht. Jetzt erklären Sie mir mal, wie das zusammenpasst, wenn man sagt, Vorratsdatenspeicherung ist unglaublich wichtig oder eines der wichtigsten Mittel, um Sicherheit zu schaffen, andererseits haben wir eine Nation, die um ihre Sicherheit sehr bedacht ist, über potente Fähigkeiten verfügt, die das aber nicht macht. Ich glaube, hier muss man noch einmal genau nachdenken.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger habe ich schon einmal hier erwähnt. Sie als Bundesjustizministerin sagt, möglicherweise ist Vorratsdatenspeicherung gar verzichtbar. Ihr Kollege, der Bundesinnenminister sagt, wir brauchen ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung möglichst bald - das gleiche Bild in Thüringen. Herr Minister, Sie haben versucht darzulegen, dass es keinen Dissens gibt, aber ich kann zumindest darstellen, dass Ende August es einen Dissens gab. Sie haben da in einer Pressemitteilung, einer Medieninformation gesagt, gleich in der zweiten Zeile: „Die Vorratsspeicherung ist in vielen Fällen unverzichtbar“, worauf die Antwort aus dem Justizministerium kam: Justizstaatssekretär Prof. Dr. Herz - weil Herr Fiedler ja auch den Namen haben wollte - warnt vor Vorratsdatenspeicherung und Schnellschüssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, an dieser Stelle ist es allzu redlich, dass das Parlament einmal darum bittet, nun den Standpunkt der Landesregierung zu hören. Ich habe aus Ihrer Stellungnahme, Ihrem Sofortbericht entnommen, dass sich die Landesregierung noch nicht entschieden hat. Wenn ich das so verstanden habe, ist es ja gut. Ich persönlich glaube, dass nämlich beide Innenminister, der Bundesminister und unser Thüringer Innenminister, den Veränderungswillen auf der europäischen Ebene zunächst einmal nicht hinreichend beachtet haben. Ich finde, wir sollten die Novellierung der EU-Richtlinie, die ja aufgrund der Proteste aus Deutschland zustande gekommen ist, sehr ernst nehmen und hier auch einen Beitrag leisten, Datenschutzrecht europaweit fortzuentwickeln
und sich auch fortentwickeln zu lassen, bevor wir wieder selber neue Regelungen eröffnen. Insofern begrüße ich die Debatte heute hier im Parlament zu Ihrem Sofortbericht und würde mir wünschen, dass wir im Innenausschuss darüber weiterdebattieren können. Das ist im Übrigen außerordentlich wichtig, weil wir ja in der letzten Plenarsitzung einen Antrag der LINKEN hatten mit mehreren Punkten. Da gab es auch die Bitte zu einem Bericht. Es gab einen Bericht, aber die Vorratsdatenspeicherung als ein Punkt dieses Berichts war vollkommen ausgeklammert gewesen.
Bitte lassen Sie uns im Sinne einer qualifizierten Debatte zum Thema Vorratsdatenspeicherung, was bringt sie uns und wo ist ihre Gefahr, diese im Innenausschuss des Thüringer Landtags weiterführen. Das wird uns alle weiterbringen. Insofern mein Appell und Antrag auf Überweisung des Änderungsantrags der LINKEN an den Innenausschuss. Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Adams. Ich habe jetzt zwei Wortmeldungen. Zuerst hat sich Frau Abgeordnete Renner von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Mohring - er ist jetzt leider nicht da - hat ja heute sein Holzspielzeug zu Hause gelassen. Einige werden es gestern gesehen haben. Das war eine Figurengruppe, eine rote und eine schwarze Ameise und die knickten dann so wechselweise ein. Mal sehen, wer sich bei diesem Thema Vorratsdatenspeicherung durchsetzen wird, mal sehen, wer hier am Ende einknickt. Es gibt und es gab in Thüringen durchaus gegenläufige Auffassungen über Notwendigkeit und Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung. Vorhin wurde gefragt, ob wir die einmal zitieren könnten, ich würde mir gern an dieser Stelle die Mühe machen. Die SPD im Bund hatte ja nach ihrer Zustimmung zu dieser Regelung in 2006 doch noch die bürgerrechtliche Kurve genommen und gehörte zu den Kritikern der Vorratsdatenspeicherung und das war auch in Thüringen so. Der Landesverband der SPD hat in 2007 einen entsprechenden Beschluss gefasst und Herr Dr. Poppenhäger hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im März dieses Jahres sehr euphorisch begrüßt. Ich darf zitieren: „Heute ist nicht nur für die 35.000 Klägerinnen und Kläger“, ich war übrigens auch eine dieser Klägerinnen, „ein guter Tag. Die Entscheidung ist ein weiterer Meilenstein beim Datenschutz und für Bürger- und Freiheitsrechte.“, so der Justizminister.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Es ist schon Sache des Gesetzgebers, die Erwartung zu formulieren, dass wir jetzt erfahren, wie die Haltung der Landesregierung zu diesem Thema ist. Wir als Gesetzgeber erwarten vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts auch nicht nur eine Positionierung, sondern eine eingehende Analyse der landesrechtlichen Regelung in Bezug auf dieses Urteil.
Da war mir die Äußerung heute Morgen von Ihnen, Herr Prof. Huber, ein bisschen zu dürftig, vielleicht können wir das im Ausschuss noch einmal ausführlich erörtern. Aber Sie waren gerade im Gespräch vertieft, Sie haben jetzt gar nicht mitbekommen, was ich gesagt habe. Deswegen auch von mir der Wunsch, dass wir die beiden Anträge im Ausschuss, also den Bericht des Innenministers und dann unseren Änderungsantrag im Ausschuss weiterberaten können.
Die Bürger interessiert übrigens diese Debatte. Die Demonstrationen diesen Samstag in Berlin unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ ist Ausdruck dieser breiten gesellschaftlichen Debatte und auch diese Debatte im außerparlamentarischen Raum müssen wir hier reflektieren. Unsere Ablehnung des Instruments Vorratsdatenspeicherung ist Ihnen bekannt. Mein Kollege hat es ausführlich dargelegt und wir haben es auch in vielen Debatten hier zur Sicherheitsgesetzgebung in Thüringen formuliert. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich folgerichtig, dass wir von der Landesregierung nicht nur eine rechtliche Analyse fordern, sondern einen umfassenden Verzicht auf das Instrument der Vorratsdatenspeicherung und ähnlich zu bewertender Befugnisse zur präventiven Sammlung und Zusammenführung personenbezogener und personifizierbarer Daten.
Deshalb unser Änderungsantrag oder ich will es verstanden wissen als Ergänzungsantrag zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Aber unsere Forderungen beziehen sich ausdrücklich nicht nur auf die Regelung der Vorratsdatenspeicherung im engeren Sinne. Eine vergleichbare Bewertung in Anwendung der rechtspolitischen Folgen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts trifft unseres Erachtens auch auf andere neue Verfahren zu, die wie das ELENA-Verfahren in Bereiche der Arbeitnehmerdaten dazu geeignet sind, personenbezogene und personifizierbare Daten in bislang unbekanntem Ausmaß zusammenzufassen und zu speichern. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass nach dem Urteil aus dem März dieses Jahres der Arbeitskreis „Vorratsdatenspeicherung“ sofort die Folgekampagne für die Massenverfassungsbeschwerde gegen ELENA auf den Weg gebracht hat.
Es geht also nicht nur um die Umsetzung des Urteils im streng juristischen Sinne. Es ist auch notwendig, dieses Grundsatzurteil, so wollen wir es verstanden wissen, weitergehend rechtspolitisch anzuwenden. Außerdem zeigt sich hinter dem Urteil auch eine Grundsatzfrage. Welche Gesellschaft wollen wir in Zukunft? Soll der Sicherheitsstaat dominieren, der seine Bürgerinnen und Bürger als potenzielle Gefahrenquellen unter Generalverdacht und permanentes Rundumdatenscreening stellt oder wollen wir die selbstbestimmte demokratische und auch soziale Zivilgesellschaft? Verteidiger der Vorratsdatenspeicherung sagen, wie auch zu allen anderen grundrechtseinschränkenden Befugnissen der Sicherheitsbehörden, dass diese gebraucht würden. Das Übermaßverbot zwingt eigentlich den Staat, alle seine Maßnahmen zu hinterfragen nach deren Erforderlichkeit, Geeignetheit und Zweckmäßigkeit. Die Frage ist immer zu stellen, ob nicht andere, weniger grundrechtseinschränkende Maßnahmen nicht denselben Zweck erreichen würden. Wir sind der Auffassung, dass bei allen Kriterien die Vorratsdatenspeicherung dieser Prüfung nicht standhalten wird. Wir sollten daher, und das würde ich dann gern auch im Ausschuss tun, diese von Ihnen genannten Einzelfälle danach befragen, ob andere, niedrigschwelligere Ermittlungsmethoden auch zum Erfolg geführt hätten. Denn der polizeiliche Mehraufwand, den diese niedrigschwelligeren Ermittlungsmethoden mit sich gebracht hätten, darf eigentlich nicht rechtfertigen, dass wir eine massiv grundrechtseinschränkende Methode anwenden.
Wir möchten, so ist unser Änderungsantrag formuliert, bewusst aber nicht nur über die Erfassung von Kommunikationsdaten sprechen. Am Beispiel der Datenzusammenfassung ELENA wird noch ein anderer Aspekt unserer Kritik deutlich. Dieser Datenpool birgt nämlich die Gefahr, zur sozialen Disziplinierung einer Gesellschaft beizutragen, die gekennzeichnet ist von Verwerfungen und Ungleichverteilung bei Arbeit, Einkommen und Ressourcen. Das ist auch eine gesellschaftspolitische Dimension, die wir bei dieser Frage mit beachten müssen. Also kurz gesagt, keine Vorratsdatenspeicherung, keine präventiven Sammlungen von personenbezogenen personifizierbaren Daten, nicht auf Bundesebene und das muss nach unserer Meinung auch für die Ebene der Bundesländer gelten. Einerseits hoffen wir natürlich auf die zukünftigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, andererseits ist es auch eine bedenkliche Entwicklung, wenn Politik ungeachtet der Grenzen der Schutz- und Abwehrrechte Befugnisse zum Grundrechtseingriff beschließt und es auf klagende Bürger und Bürgerinnen letztendlich ankommt, nicht auf gesetzgebende Parlamente, über ein Gericht einen verfassungskonformen Rechtszustand herzustellen.
Vor diesem Hintergrund fordern wir die Landesregierung auf, in diesem Sinne aktiv zu werden und Anknüpfungspunkte für die grundrechtswidrige Speicherung von Daten zu Bevorratungszwecken auch im Landesrecht - soweit vorhanden - zu beseitigen. Die Landesregierung soll auch alle ihre Möglichkeiten nutzen, um die Löschung etwaiger Daten durchzusetzen, soweit dies nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht schon geschehen ist. Die Landesregierung soll im Bundestag aktiv werden, um gegen alle Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung auf Bundesebene aktiv zu werden, und natürlich auch auf europäischer Ebene ihre Möglichkeiten nutzen, um auf eine Novellierung der TKÜ-Richtlinie hinzuwirken.
Es ist nun eine Sache der Landesregierung, sich in der Sache zu positionieren. Eine Äußerung des stellvertretenden Ministerpräsidenten lässt mich hoffen. Christoph Matschie, im März dieses Jahres, Zitat: „Die Freiheit des Einzelnen, informationelle Selbstbestimmung und der Datenschutz sind hohe Güter, welche wir nicht leichtfertig auf dem Altar der Täterbekämpfung opfern dürfen.“
Stimmt. Dann weiter so! „Die Grund- und Bürgerrechte, die demokratische Zivilgesellschaft und die Menschen, die vom Generalverdacht und ständigen Zugriff des Staates auch privat und in der Intimsphäre betroffen oder bedroht sind, werden zufrieden zur Kenntnis nehmen, wenn sich das auch in Praxis in Landesrecht umsetzen wird.“
Bei dieser Äußerung will ich dem etwas entgegenstellen, was der Kollege Gumprecht eben gerade gesagt hat. Er hat formuliert: Ein unwissender Staat ist ein unnützer Staat. Ich will ihm entgegnen: Ein allwissender Staat ist ein gefährlicher Staat.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, lassen Sie mich zu den Anmerkungen von Herrn Adams und Frau Renner noch kurz Stellung nehmen.
Die Landesregierung, Herr Adams, hat, anders als es durch eine disparate Presseberichterstattung möglicherweise bei Ihnen den Eindruck erweckt hat, durchaus eine einheitliche Auffassung. Das ergibt sich schon aus den Wortmeldungen, die Frau Abgeordnete Marx und ich heute hier getätigt ha