Protocol of the Session on September 10, 2010

So weit, meine Damen und Herren, ein kurzer Überblick über die wichtigsten Hürden. Dennoch sagt DIE LINKE Nein zur Vorratsdatenspeicherung. Die Gefahr, dass diese dann auf dem Papier vorhandenen Schutzmechanismen in der Alltagspraxis mehr oder weniger schleichend ausgehöhlt werden, ist aus unserer Sicht viel zu groß. Außerdem ist für uns nicht geklärt, ist das Instrument der Vorratsdatenspeicherung zur Erreichung der angegebenen Ziele überhaupt generell notwendig und tauglich. Hier sei an einen anderen vormodernen Datenstaubsauger erinnert. Um bei der Begrifflichkeit einmal zu bleiben, die Rasterfandung hat sich in der Praxis aus unserer Sicht als untauglich erwiesen und auch für die Vorratsdatenspeicherung gilt, entscheidend ist nicht - ich wiederhole es gern noch einmal - die Datenmenge, sondern der analytisch richtige Umgang mit den Daten.

Ein Staat, der in einem solchen Umfang so umfassend wie bei der Vorratsdatenspeicherung die Verfügungsmacht und staatliches Herrschaftswissen über private Informationen der Bürger erlangt, nimmt aus unserer Sicht durchaus schon totalitäre Züge an. Die demokratische Zivilgesellschaft dagegen lebt von der Achtung der Privat- und Intimsphäre der Bürgerinnen und Bürger. Die Vorratsdatenspeicherung stellt hier nach Ansicht meiner Fraktion einen politisch wie rechtlich unzulässigen Tabubruch dar. Das bedeutet für das weitere politische Agieren, auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Anwendung der Vorratsdatenspeicherung unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, sollte der Gesetzgeber mit Blick auf den Schutz und die Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft von diesen Möglichkeiten nicht Gebrauch machen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zwingt den Gesetzgeber nicht, diese anzuwenden. Wir brauchen, meine Damen und Herren, diese untaugliche Vorratsdatenspeicherung nicht.

(Beifall DIE LINKE)

Die Diskussion darüber, den demokratisch nicht unkontrollierbaren Nachrichtendiensten zum Beispiel dieses Instrument der Vorratsdatenspeicherung in die Hand zu geben, verbietet sich aus unserer Sicht sowieso. Nicht zuletzt, weil damit erneut das im Grundgesetz verankerte Trennungsgebot zwischen

Polizei und Geheimdiensten noch mehr als schon geschehen, beschädigt wird. Mit dieser Entscheidung würde der Gesetzgeber, so nach unserer Ansicht, auch die Meinung der Mehrheit der Bürger treffen. Ich darf daran erinnern, dass dem Urteil vom März dieses Jahres Verfassungsbeschwerden von mehreren Tausend Bürgerinnen und Bürgern zugrunde liegen. Damit ist dieses Verfahren das bislang größte Massenverfahren allein in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts.

Ein weiteres Verfahren zu einer Form der Vorratsdatenspeicherung, wenn diese Form auch formalrechtlich nicht so genannt wird, ist derweil schon im Gange. Auch das wird ein Massenverfahren von mehreren Tausend Bürgerinnen und Bürgern vor dem Bundesverfassungsgericht werden. Es geht um ELENA. Die Monsterdatenspeicherung in Sachen Arbeitnehmerdaten, auch ELENA ist ein solcher überflüssiger und in Sachen Grund- und Menschenrechte hochaggressiver Datenstaubsauger. Es wird niemanden, meine Damen und Herren, überraschen, dass wir als LINKE ELENA ablehnen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 macht deutlich, dass im Verhältnis von EU-Recht und innerstaatlichem Verfassungsrecht noch zahlreiche Fragen hinsichtlich eines wirksamen und umfassenden Grundrechtsschutzes für Bürgerinnen und Bürger zu klären sind, das Verhältnis von EU-Ebene und nationaler Ebene in Sachen Grund- und Menschenrechtsschutz noch nicht völlig reibungsfrei gestaltet ist. Deutlich wird das letztendlich auch, dass die Demokratisierung der EU dringend weiter vorangetrieben werden muss. Die EU ist immer noch eine Union der Wirtschaft und der Regierungen, aber noch nicht wirklich eine Union der Bürgerinnen und Bürger, der Menschen. Frau Kollegin Marx, Sie haben sich hier durchaus noch einmal auf die Frage der EU-Richtlinie zur Telekommunikation geäußert und dazu Ihren Einwand geltend gemacht. EU-Richtlinie zur Telekommunikation verpflichtet sozusagen Ihre Aussage zur Vorratsdatenspeicherung. Dem muss ich entgegenhalten, dass die EU-Richtlinie nicht dazu führen darf, dass das Schutzniveau für Grund- und Menschenrechte auf nationaler Ebene unterlaufen werden darf, das zeigt auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es enthält in seinen Feststellungen direkt auch die Kritik an den EU-Regelungen. Die zuständige EU-Kommissarin hat übrigens nicht umsonst die Richtlinie nach dem Karlsruher Urteil auf den Prüfstand geschickt. In diesem Zusammenhang sei auch noch mal darauf zu verweisen, hinsichtlich der demokratischen Legitimation von EURegelungen bestehen nach Ansicht meiner Fraktion immer noch Mängel. Hier raten wir, auch die strukturellen Demokratiedefizite auf den Rechtsstand zu überprüfen bzw. die Rechtsetzung durchzusetzen. Zwar hat das EU-Parlament im Verfahren der Rechtsetzung schon mehr Mitwirkungsmöglich

keiten bekommen und der EU-Grundrechtekatalog ist verbessert worden, aber es bestehen immer noch massive Unterschiede zur nationalen Ebene.

Meine Damen und Herren, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts löst unseres Erachtens Handlungspflichten aus für die Thüringer Landesregierung. Welche das nach Ansicht meiner Fraktion sind, werden Sie noch im Detail zu den einzelnen Änderungsanträgen erfahren. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)

Danke, Herr Abgeordneter Hauboldt. Es hat jetzt das Wort der Abgeordnete Bergner von der FDPFraktion.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte, bevor ich zur Vorratsdatenspeicherung komme, doch eine allgemeine Bemerkung noch loswerden. Es sollte, wenn wir an den Beginn dieses Tagesordnungspunkts denken, keine Gewohnheit werden, dass der zuständige Minister nicht anwesend ist.

(Beifall DIE LINKE, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, namens meiner Fraktion nehme ich selbstverständlich die Entschuldigung an, die vermutlich nur ich nicht gehört habe.

Herr Kollege Hauboldt, Sie haben gerade gesagt, Vorratsdatenspeicherung muss ein Thema bleiben und das ist gut so. Ich füge an dieser Stelle an, besser wäre es, wenn sie kein Thema sein müsste.

(Beifall DIE LINKE, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Hauboldt, DIE LINKE: Ich wollte nur, dass Sie sich politisch damit aus- einandersetzen.)

Völlig klar, aber Sie erlauben mir dieses kleine Bonmot, das ich einfach dort einflechten darf. Es ist die Vokabel gefallen von konservativen Kontrollfanatikern. Ich bin ehrlich gesagt froh, dass die linken Kontrollfanatiker vor 20 Jahren diese technischen Möglichkeiten nicht hatten, denn da wäre es noch dramatischer zugegangen.

(Beifall CDU, FDP)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da gab es ja noch keine Compu- ter.)

Eben. Doch, es gab schon welche - den AC 7100, aber der war noch nicht so weit.

(Abg. Hauboldt)

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und den KC 85.)

(Zwischenruf Abg. Hauboldt, DIE LINKE: Sie haben aber gute Computerkenntnisse.)

Wir hatten ja auch ein gutes Computerkabinett. Ich glaube, wir können jetzt den Erfahrungsaustausch an dieser Stelle begrenzen.

Wir begrüßen ausdrücklich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März 2010. Es hat der blinden Datensammelwut einmal mehr Schranken aufgezeigt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung hat die datenschutzrechtlichen Einwände der Liberalen bestätigt. Die Richter sahen das bisherige Gesetz als verfassungswidrig an, da das anlasslose Speichern umfangreicher Daten von Nutzern elektronischer Kommunikationsdienste gegen Artikel 10 des Grundgesetzes verstoße. Errungen wurde der Erfolg, meine Damen und Herren, nicht zuletzt durch das Engagement der Gelben. Das liberale Trio Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Burkhard Hirsch und Gerhart Baum klagte neben anderen Beschwerdestellern vor dem Verfassungsgericht. Ich darf das an dieser Stelle ganz ausdrücklich sagen: Ich bin gerade diesen drei Personen persönlich sehr dankbar, denn es gibt wenig Menschen, die authentischer für das Thema stehen.

(Beifall FDP)

Das Justizministerium erarbeitet derzeit eine neue Regelung zur Speicherung von Telekommunikationsdaten. Die FDP plädiert dabei für einen transparenten, prüfbaren, nachvollziehbaren Umgang mit den Daten der Bürger und schiebt der unkontrollierten Datensammelwut einen rechtlichen Riegel vor. Ganz im Gegensatz zu den Vorgängerregierungen, welche in den vergangenen 11 Jahren etliche Gesetze beschlossen haben, die einer verfassungsgerichtlichen Prüfung nicht standhielten. Liberale Innenpolitik bedeutet, die innere Sicherheit, Datenschutz sowie die Rechte und Freiheiten der Bürger in Einklang zu bringen. Deswegen machen wir uns dafür stark, die Datensammelwut des Staates einzugrenzen, um somit E-Government und Datenschutz wieder in die richtige Balance zu bringen.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Daten- schutzprobleme …)

Ich sage dazu noch etwas, Kollege Fiedler.

Die Sicherheitspolitik darf nicht nur zulasten der Freiheitsrechte gehen. Herr Minister, dass Sie derzeit für die Vorratsdatenspeicherung werben, obwohl sie durch das Verfassungsgericht für nichtig erklärt wurde und sogar auf der europäischen Ebene an einer Überarbeitung der Richtlinie gearbeitet wird, findet ausdrücklich unsere Missbilligung.

(Beifall FDP)

Auch Sie sollten hinnehmen, dass man die Überprüfung auf europäischer Ebene abwarten sollte, bevor man wieder Schnellschüsse abgibt. Auch die Argumente, die Sie vorbringen für die Vorratsdatenspeicherung, die können wir so nicht nachvollziehen.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Nein, nein, das stimmt so nicht.)

Nach der am 01.09.2010 vom Bundeskriminalamt veröffentlichten polizeilichen Kriminalstatistik hat die sechsmonatige Protokollierung aller Internetverbindungen im Jahr 2009 weder von Straftaten abgeschreckt noch den Anteil der aufgeklärten Straftaten erhöht.

(Beifall FDP)

Das zeigt, meine Damen und Herren, dass die Panikmache vor Sicherheitslücken durch den Stopp der verfassungswidrigen Vorratsdatenspeicherung nicht fachlich, sondern allein politisch motiviert ist.

(Beifall FDP)

Frau Kollegin Marx, ich habe das vorhin schon für eine etwas abenteuerliche Begründung gehalten, wenn Sie die Vorratsdatenspeicherung damit legitimieren, dass von Unternehmen Schindluder mit Daten getrieben wird. Also, man kann etwas Schlechtes nicht mit etwas noch Schlechterem begründen, das halte ich für sehr daneben.

(Beifall FDP)

Ich denke, meine Damen und Herren, dass wir allen Grund haben, gemeinsam uns Gedanken zu machen, dass die Datensammelwut, dass der bedenkliche Umgang mit Daten nicht noch weiter ausufert. Wenn ich an die Diskussion etwa um das Polizeiaufgabengesetz denke, wenn ich daran denke, dass dann solche Gedanken kommen wie etwa zu sagen, Überwachung ist legitim, solange vermutet wird, dass private Kernbereiche nicht erreicht werden, dann sind das Gedanken, denen müssen wir uns einfach querstellen und diesen Appell richte ich an alle Mitglieder dieses Hauses, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Deswegen bin ich sehr offen für den Inhalt des Änderungsantrags, stelle namens meiner Fraktion den Antrag auf Überweisung an den Innenausschuss, weil ich es für notwendig halte, auch im Detail darüber zu diskutieren und vielleicht auch noch fachlich etwas Feinschliff daran zu üben. Ich werbe an dieser Stelle noch einmal ganz ausdrücklich, meine Damen und Herren: Wer Freiheit zugunsten der Sicherheit einschränkt, wird am Ende beides verlieren.

(Beifall DIE LINKE, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Danke, Herr Abgeordneter Bergner. Es hat jetzt das Wort der Abgeordnete Gumprecht von der CDUFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, vielen Dank für Ihren Bericht. Und Ihnen, Frau Marx, auch herzlichen Dank für die sehr fachlich klare Darlegung. Und eben diese Äußerung, Herr Bergner, das war eine Unterstellung. Frau Marx hat Bereiche genannt, die besonders zu beachten sind und wo wir drauf achten sollen.

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Das war ei- ne Wiedergabe, keine Unterstellung.)

Ich halte diese Verknüpfung - ich meine, Sie haben eben gesagt - für falsch.

Meine Damen und Herren, all unser Wissen basiert auf Daten. Daten - und das darf ich als Techniker sagen - sind logisch gruppierte Informationseinheiten, die zwischen Systemen übertragen werden und auf Systemen gespeichert sind. Daten sind überall in der Natur und unserer Alltagswelt anzutreffen. Die größte Datenmenge steckt in unserem Gehirn, in unseren Bibliotheken, Büchern, Filmen, Bildern, Computern, dem Erbgut oder der Molekularstruktur der belebten Natur. Sie stecken in Gesetzen der unbelebten und der belebten Natur. Wir, der Mensch und die Natur, speichern auf Vorrat.