Protocol of the Session on March 20, 2014

den. Gerade auch die SPD Thüringen ist es gewesen, die in einem modernen Richter- und Staatsanwältegesetz gern die Mitbestimmung auch der Staatsanwälte und damit ihren Freiraum stärken wollte. Leider haben wir da bisher keine Einigung mit der Koalition herstellen können.

Wer aber von einer völligen oder noch größeren Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft redet, verkennt die bestehende Rechtslage, die Geschichte der Staatsanwaltschaft seit 1877 und die dringende Notwendigkeit demokratischer Kontrolle auch einer Behörde, auch wenn sie Staatsanwaltschaft heißt. In der Reichsstrafprozessordnung von 1877 war die Machtstellung der von der Regierung abhängigen Staatsanwaltschaft gegenüber den unabhängigen Gerichten auf Betreiben der liberalen Kräfte im Reichstag, man höre und staune, in rechtlich engen Grenzen gehalten worden. Nicht die Staatsanwaltschaft war Herrin des Vorverfahrens, sondern der Untersuchungsrichter sollte das sein. Alle Eingriffe in die Freiheitsrechte des Bürgers in diesem Verfahrensstadium bedurften richterlicher Zustimmung, das haben wir teilweise auch heute noch, und bei der Bestimmung des für das Hauptverfahren zuständigen Gerichts bestand für die Staatsanwaltschaft eine ganz enge Bindung.

Frau Abgeordnete Marx, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bergner?

Vielen Dank, Frau Kollegin. Ich mache ja selten Gebrauch von diesem Instrument, aber das wirft doch eine Frage auf, wenn Sie jetzt auf das Kaiserreich abstellen. Würden Sie mir zustimmen, dass die gesellschaftlichen Bedingungen im Kaiserreich und damit auch der Vergleich, was liberaler ist als die bestehenden Bedingungen, deutlich andere waren als heute?

Klar waren die anders, aber trotzdem hören Sie sich vielleicht doch einmal die historische Entwicklung bis zum Ende an und auch die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft immer als eine Behörde angesehen wurde, auch von Ihren Vorgängern, oder meinen Sie, das waren keine Liberalen im Kaiserreich? Aber gut, ich muss jetzt nicht die Frage mit einer Gegenfrage beantworten.

Ja, seither ist die Machtstellung der Staatsanwaltschaft deutlich ausgeweitet worden, weil wir uns nicht mehr im Kaiserreich befinden. Bis zum Dritten

(Abg. Bergner)

Reich war der Staatsanwaltschaft bereits eingeräumt worden, auf die Bestimmungen des für die Hauptverhandlung zuständigen Gerichts wesentlichen Einfluss zu nehmen. 1924 wurde die Opportunitätsvorschrift des heutigen § 153 in die Strafprozessordnung eingefügt, wobei die Staatsanwaltschaft allerdings ausnahmslos der Zustimmung des Gerichts zur Einstellung bedurfte. Das heißt, die Staatsanwaltschaft kann eigenständig entscheiden, ohne ein Gericht, ob ein Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt wird, allerdings nicht mehr nach Erhebung der Anklage. Es war gerade die Zeit der NS-Diktatur, als die Rechte der Staatsanwaltschaft gegenüber den Gerichten dann erheblich ausgeweitet worden sind, weil die abhängige, traditionell hierarchisch gegliederte Staatsanwaltschaft besser als unabhängige Gerichte in den nationalsozialistischen Führerstaat passte. Man hat also die Stellung der Staatsanwaltschaft gegenüber Gerichten verstärkt. Gleichwohl enttäuschten die Staatsanwaltschaften die NS-Machthaber, so dass diese zur Durchsetzung ihrer Ziele zunehmend auf Polizei und SS zugegriffen haben. 1950 wurde die Ausweitung der staatsanwaltschaftlichen Befugnisse zwar wieder zurückgenommen, doch seit der Strafprozessreform 1975, die unter anderem die Abschaffung des Untersuchungsrichters und die Einführung der Opportunitätsvorschrift des § 153 a StPO brachte - das ist die Einstellung gegen Auflagen -, ist die Stellung der Staatsanwaltschaft wieder erheblich gestärkt worden. Die Machtstellung der Staatsanwaltschaft gegenüber den Gerichten hat durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 noch eine weitere Steigerung erfahren. Die Staatsanwaltschaft ist danach nicht nur gehalten, ihre Zustimmung zu einer gesetzwidrigen Verständigung im Strafverfahren zu versagen, also Deals, die nicht gesetzeskonforme Ergebnisse haben, sondern auch gegen Urteile, die auf derartigen Verständigungen beruhen, Rechtsmittel einzulegen. Zur Begründung dieser herausgehobenen Kontrollfunktion der Staatsanwaltschaft greift das Bundesverfassungsgericht auf ihre seit dem 19. Jahrhundert tradierte Rolle als Wächter des Gesetzes zurück.

Auch eine in den letzten Jahren immer mächtiger gewordene Polizei bedarf bei ihrer repressiven Tätigkeit einer nicht nur auf dem Papier stehenden, sondern auch faktisch wirksamen Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft, die ihrerseits durch die Gerichte kontrolliert wird und die sich wiederum durch den gerichtlichen Instanzenweg zu kontrollieren lassen hat, woran die Staatsanwaltschaft durch Einlegung von Rechtsmitteln mitwirkt. Das ist jetzt sozusagen das Ergebnis dieses ganzen historischen Diskurses. Diesem Kontrollbedürfnis liegt die Erkenntnis zugrunde - und da schließt sich jetzt der Kreis -, dass jeder Mensch, der Macht ausübt, Gefahr laufen kann, diese zu missbrauchen. Diese ewige Erfahrung hat Montesquieu 1741 zur Lehre

von der Teilung der Staatsgewalt geführt, die allen demokratischen Rechtsstaaten zugrunde liegt.

Und jetzt sozusagen unser Denkunterschied zu dem der FDP: Auch die Thüringer Staatsanwaltschaft bedarf demokratischer Kontrolle. Diese wird zunächst in staatsanwaltlicher Selbstkontrolle durch interne Aufsichts- und Weisungsrechte des Leitenden Oberstaatsanwalts als Behördenleiter und dem Generalstaatsanwalt als vorgesetzte Behörde ausgeübt. Demokratie bedeutet aber vor allem auch die Herrschaft des Volkes. Das demokratische Prinzip der Bundesrepublik Deutschland ist in Artikel 20 Abs. 1 des Grundgesetzes verankert: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Es ist also eine demokratische Legitimation der Staatsgewalt notwendig. Der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde hat dazu gesagt, staatliche Gewalt muss durch eine ununterbrochene demokratische Legitimationskette auf das Volk zurückgeführt werden können. Deshalb erfolgt die demokratische Kontrolle der Behörde Staatsanwaltschaft durch den Thüringer Justizminister und dieser leitet sein Handeln wiederum vom Thüringer Landtag ab und muss das dann auch hier rechtfertigen. Was haben Sie dagegen für ein Politikverständnis, dass Sie sagen, der juristisch oder auch durch Wahlen legitimierte Minister, das durch einen Landtag legitimierte Regierungsmitglied wäre sozusagen per se der Gefahr ausgesetzt, missbräuchlich seine Kontroll- oder Weisungsbefugnisse auszuüben? Der Justizminister kann sein Weisungsrecht gar nicht beliebig ausüben. Eine unüberschreitbare Grenze für das externe Weisungsrecht bildet stets das in § 192 Abs. 2 der Strafprozessordnung geregelte Legalitätsprinzip. Auch der Justizminister kann selbstverständlich nur das machen, was sich an Recht und Gesetz orientiert. Würde er sozusagen Anweisungen geben, die zu einer willkürlichen Verfolgung oder zu einer Verschleppung von Verfahren führten, würde er selbst Gesetze brechen. Bestünde kein externes Weisungsrecht, was Sie abgeschafft sehen wollen, kann der Justizminister gegenüber dem vom Volk gewählten Parlament keinerlei Verantwortung für eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft mehr übernehmen. Das wäre sozusagen die negative Kehrseite und das Ergebnis wäre ein Weniger an demokratischer Kontrolle von staatsanwaltschaftlichem Handeln. Das kann kein Abgeordneter einer Volksvertretung ernsthaft wollen, der sich mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unsers Landes verbunden fühlt. Deswegen hat auch die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister von Bund und Ländern sich im November 2013 ebenfalls mit großer Mehrheit für die Beibehaltung des Weisungsrechts gegenüber Staatsanwaltschaften ausgesprochen.

Ich möchte Ihnen mal ein Beispiel nennen, wo dieses Weisungsrecht sehr positiv ausgeübt worden ist, auch in der Meinung der Öffentlichkeit, und

zwar den Fall von Gustl Mollath in Bayern. Der Fall ist erst wiederaufgenommen worden, als die damalige bayerische Justizministerin dieses angewiesen hat, also sämtliche Rechts…

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Wie lange hat es bis dahin gedauert? Das ist das schlechteste Beispiel, das Sie wählen konn- ten.)

Na gut, aber die Staatsanwaltschaft selbst hätte das Verfahren nicht wiederaufgenommen. Dann wäre es heute noch offen und Herr Mollath säße heute immer noch in einer psychiatrischen Einrichtung. Das ist ein Beispiel dafür, dass eine Justizministerin eine demokratische Kontrolle ausgeübt und gesagt hat, jetzt müsst ihr hier noch einmal an die Sache ran und das hat zur Freilassung dieses Menschen geführt.

Auch Diskussionen um die Handhabung der Fälle jüngst von dem ehemaligen Bundespräsidenten Wulff, Herrn Edathy oder auch Uli Hoeneß zeigen, dass die Staatsanwaltschaft gerade im Fall Prominenter auch nicht frei ist von den Einflüssen Effekt haschender Kraft der Medien. So müssen sich Staatsanwälte in Niedersachsen und Bayern Fragen gefallen lassen, wie Informationen aus Ermittlungsakten an die Öffentlichkeit gelangen konnten.

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Wollen Sie damit sagen, dass beim Bundespräsidenten die Staatsanwaltschaft Einfluss genommen hätte?)

Nein, eben nicht. Ich will damit nur sagen, dass die Staatsanwaltschaften einer Kontrolle bedürfen und die eben auch offensichtlich fehlbar sein können und man ihnen deswegen keine vollkommen von demokratischer Kontrolle losgelöste Unabhängigkeit gewähren sollte. Das ist die Begründung. Ich denke, die leuchtet auch ein. Wir sitzen jetzt gerade hier in Thüringen im Untersuchungsausschuss 5/1 „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“ zusammen und untersuchen seit 2012 zu Recht auch ein mögliches Fehlverhalten der Staatsanwaltschaft in Gera und wir befragen und befragten hierzu auch die damals weisungsgebenden Justizminister, was habt ihr euch berichten lassen, was habt ihr nachgefragt, wie habt ihr auch selbst dafür gesorgt, dass in diesem wichtigen Bereich die Staatsanwaltschaften ordentlich gearbeitet haben. Wäre das denn nun aus Ihrer Sicht auch falsch?

Wir dürfen uns natürlich neuen reformerischen Bewegungen nicht einfach entgegenstellen und natürlich können wir auch in den kommenden Jahren immer wieder gern darüber diskutieren, wann und weshalb das Weisungsrecht vielleicht im Einzelfall noch mal irgendwie neu gefasst werden sollte. Aber es gibt bei der derzeitigen Sachlage für uns keinerlei Veranlassung, dem Antrag der FDP zuzustimmen. Deswegen werden wir ihn ablehnen und bit

ten, dass es die anderen Fraktionen auch so handhaben. Danke schön.

(Beifall SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Marx. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sabine Berninger für die Fraktion DIE LINKE.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Linksfraktion fordert seit Langem einen konsequenten Ausbau der Unabhängigkeit und Selbstverwaltung der Justiz, auch hier in Thüringen. Ich erinnere nur beispielhaft an unseren sehr umfassenden Antrag zur Thematik im März 2010 und an die sich daran anschließende lebhafte Debatte hier im Plenum. Seit September 2011 wartet ein Gesetzentwurf meiner Fraktion zur Stärkung der Rechte des Richterwahlausschusses vor allem bei Personalentscheidungen in der Justiz auf seine Beratung im Ausschuss. Nach Vorstellung unserer Fraktion soll in Zukunft auch bei Beförderungen und der Besetzung von Leitungsfunktionen bei Gerichten und in den Staatsanwaltschaften der mit vor allem Abgeordneten besetzte Richterwahlausschuss das letzte Wort haben. Nach unserer Ansicht gehört zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz weit mehr als nur die Eindämmung bzw. Abschaffung des Weisungsrechts des Justizministers an die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Anzufügen wären außerdem die Punkte Reform des Personalvertretungsrechts für mehr Beschäftigtenmitbestimmung, die Schaffung einer größeren organisatorischen Eigenständigkeit der Gerichte unter dem Stichwort „eigene Budgets“. Doch der vorliegende Antrag der FDP beschränkt sich auf den Punkt „Ministerielles Weisungsrecht“. In der Begründung des Antrags wird ein allgemein sachlicher Anknüpfungspunkt gewählt, nämlich die Forderung und das konzeptionelle Herangehen der europäischen Ebene an diese Frage. Doch die Diskrepanz zu den internationalen Anforderungen an die Unabhängigkeit der Justiz, von Gerichten und Staatsanwaltschaften ist nicht wirklich neu, Herr Bergner. Vor einigen Jahren hat schon beispielsweise der Thüringer Richterbund in einer Presseerklärung erläutert, dass mit Blick auf die nicht ausreichend vorhandene Unabhängigkeit der Justiz Deutschland Probleme hätte, in die EU zu kommen, wenn es heute einen formalen Aufnahmeantrag stellen müsste. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Nummer 543 der Resolution 1685 der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 30.09.2009 zu verweisen, die die Aufforderung an die Bundesrepublik Deutschland festschreibt, das Weisungsrecht der Justizministerinnen und Justiz

(Abg. Marx)

minister die Behandlung von Einzelfällen betreffend abzuschaffen.

Bei Inhalt und Zeitpunkt Ihres Antrags, sehr geehrter Herr Bergner, und mit Blick auf vorausgehende Initiativen Ihrer Fraktion wird man aber den Verdacht nicht los, dass hier das Sachthema ein Stück weit instrumentalisiert werden soll, um in einer bestimmten Sache ein Sprungbrett für eine Polemik gegen einen bestimmten Minister zu haben.

(Beifall DIE LINKE)

Das ist nach meiner, nach unserer Ansicht ein sehr unguter Missbrauch einer Sachdiskussion zu einem wirklich wichtigen rechtsstaatlichen und justiziellen Problem.

Doch zurück zur Sachdiskussion: Meine Fraktion lehnt ab, dass Justizminister oder Justizministerinnen und weitere Vorgesetzte in der Weisungskette einfach so per Einzelweisungsrecht Einfluss auf die Ermittlungstätigkeit der zuständigen Staatsanwaltschaften und Staatsanwältinnen in konkreten Einzelfällen nehmen können. Oder wie es der Herr OLG-Richter Dr. Winfried Maier in einem Aufsatz in der Zeitschrift für Rechtspolitik schon 2003 formuliert hat - ich zitiere -: „In so grundrechtsintensiven Verfahren, wie sie ein Staatsanwalt führt, ist kein Platz für Geheimnistuerei, für nichttransparente Einflussnahmen, die vor dem Bürger qua Gesetz geheim gehalten werden dürfen.“ Weiter schreibt er: „Die Transparenz des Handelns führt den Inquisitionsprozess nicht wieder ein, sondern gewährleistet eine rechtsstaatliche Prüfung der gesamten Ermittlungstätigkeit. Sie steht der parlamentarischen Kontrolle nicht entgegen, sondern ermöglicht sie.“ Der Autor wünscht sich - das macht er in seinem Beitrag auch deutlich -, eigentlich eine weisungsunabhängige Staatsanwaltschaft, wie sie in anderen europäischen Staaten schon besteht, aber er ist leider skeptisch, dass diese weitgehende Unabhängigkeit sich in Deutschland politisch durchsetzen lassen würde. Daher plädiert Maier dafür, dass, wenn der Widerstand gegen die Abschaffung der Weisungsrechte zu groß ist, das Weisungsrecht zumindest durch umfassende Transparenz des Verfahrens sozusagen gezähmt werden soll. Die Linksfraktion ist aber optimistischer. Wir gehen davon aus, dass auch wegen der Vorgaben von europäischer Ebene letztlich die Abschaffung kommen wird. Als Schritt in die richtige Richtung und Vorstufe zur Abschaffung ist ein solches umfassendes Transparenzverfahren, wie von Herrn Maier skizziert, unseres Erachtens zu befürworten. Meine Fraktion könnte sich mit Blick auf umfassende Transparenz im Ermittlungsverfahren noch eine andere und im Vergleich zu Herrn Maier weitergehende Lösung vorstellen, nämlich, sollten ein Justizminister, eine Justizministerin oder ein anderer, eine andere Vorgesetzte der Ermittlerinnen feststellen, dass bei einem konkreten Ermittlungsfall rechts

staatlich etwas schiefläuft, sollte nach Ansicht unserer Fraktion in Zukunft anstelle des Weisungsrechts und als transparente Alternative ein Überprüfungsverfahren bei Gericht stattfinden, in dem die Justizministerin oder der Justizminister bzw. Vorgesetzte dann die jeweiligen Antragstellerinnen wären. Es wäre aber, das ist dann eine Frage der Ausgestaltung des Bundesrechts, vor allem des Gerichtsverfassungsgesetzes, angezeigt, ein solch entsprechendes Verfahrensinstrument zu schaffen, mit dem die oben genannte Antragstellerin oder der Antragsteller in einem solchen Gerichtsverfahren von ihm oder ihr etwaig festgestellte oder angenommene Verstöße, Pflichtverletzungen von Staatsanwältinnen - mit großem I - öffentlich transparent und entsprechend der Gewaltenteilung klären lassen kann. Natürlich müssten die Richterinnen und Richter in einem solchen speziellen Überprüfungsverfahren dann solche sein, die nach Geschäftsverteilung des Gerichts später nicht mit der gerichtlichen Aufarbeitung des eigentlichen Ermittlungsverfahrens befasst sein dürfen. Andernfalls würden möglicherweise heikle Probleme unzulässiger Befangenheit entstehen. Bisher lautet § 146 des Gerichtsverfassungsgesetzes, ich zitiere: „Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen.“ Ein solches Überprüfungsverfahren wie von mir beschrieben könnte daher zur Modernisierung des § 146 beitragen, der bisher eine weitgehende Weisungsgebundenheit der Staatsanwältinnen in der Justizhierarchie zur Folge hat. Klar ist in dem Zusammenhang daher auch, dass es bei der Stärkung der Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der jeweiligen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungstätigkeiten nicht nur um die Abschaffung des Weisungsrechts des Justizministers oder der -ministerin gehen darf, sondern auch um die Eindämmung bzw. Beseitigung des Vorgesetzteneinflusses und der Hierarchie in der Justiz selbst. Eine intensive Problem- und Reformdiskussion wäre dafür notwendig. Beim Punkt Vorgesetztenweisungsrecht in der Justizhierarchie ist zum Beispiel das besonders umstrittene Weisungsrecht von Vorgesetzten mit Blick auf das Agieren der eigentlich Verantwortlichen und die konkrete Sache bearbeitenden Staatsanwältinnen zu nennen. Die Auskunft von Praktikerinnen, dass dieses spezielle Weisungsrecht im Arbeitsalltag der Staatsanwaltschaften keine so große Bedeutung habe, ändert meines Erachtens am Grundproblem nichts. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, dass das Justizministerium beziehungsweise der Minister nach Ansicht der Fraktion DIE LINKE auch nach Lösung des Weisungsrechtsproblems ein Informationsrecht bzw. eine Informationspflicht zu Vorgängen in seinem politischen Zuständigkeitsbereich behalten muss. Für den Bereich der Gerichte wird dies bei bestehender richterlicher, wenn auch unseres Erachtens dringend nachbesserungsbe

dürftiger, Unabhängigkeit schon praktiziert. Es ist also möglich, für den notwendigen und sinnvollen Informationsfluss zwischen Justiz und politischer Ebene zu sorgen und die Unabhängigkeit der inhaltlichen Arbeit in der Justiz dennoch zu gewährleisten. Denn es kann und darf auch nicht Ziel sein, die politische Ebene, damit sind zum Beispiel auch die Parlamente gemeint, völlig ohne Einblick und Wissen darüber zu lassen, was im Bereich der Justiz gerade geschieht. Frau Marx hat gerade kurz skizziert, was das im negativen Fall zur Folge hätte.

Wir sagen daher, Informationsrecht der politischen Ebene: Ja, im Sinne der Kontrolle, der parlamentarischen Kontrolle von Exekutive und Justiz, sogar nicht nur das Recht auf Information, sondern sogar die Verpflichtung, informiert zu werden. Hineinregieren aber, also die Beeinflussung von Ermittlungen und Verfahren durch das verpflichtende Weisungsrecht: da sagen wir Nein. Dabei muss berücksichtigt werden, die Informationsrechte müssen so ausgestaltet sein, dass sie der politischen Ebene bzw. informationsberechtigten Personen keine Möglichkeiten geben, schon durch die bloße, gegebenenfalls auch illegale Weitergabe von Informationen zu Ermittlungsverfahren auf diese Ermittlungen Einfluss nehmen zu können. Zu nennen wäre hier als Beispiel die Warnung an Betroffene vor bevorstehenden Ermittlungsmaßnahmen, was ein ganz aktuelles Beispiel wäre. Mit Blick auf wirksame Arbeitsabläufe und Arbeitsbeziehungen zwischen den unterschiedlichen Bereichen staatlichen Handelns ist beim Thema „Weisungsrecht“ dann auch die Anwendung und Ausgestaltung des Weisungsrechts bezogen auf die Überarbeitung von Fallgruppen zu diskutieren. Als durchaus brisantes Stichwort und auch mit Blick auf die Praxis in der Vergangenheit in Thüringen möchte ich hier die Frage einheitlicher Leitlinien für Staatsanwaltschaften bei Ermittlungstätigkeiten in Bezug auf Straftaten mit rechtsextremem, antisemitischem oder ausländerfeindlichem Hintergrund nennen.

Unseres Erachtens sollte sich die Konferenz der Justizministerinnen und -minister dringend mit dem Problemfeld „Weisungsrecht in der Justiz“ und mit den Fragen des Ausbaus der Unabhängigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften, auch entsprechend europäischer bzw. internationaler Vorgaben, beschäftigten. Aber auch hier im Landtag sowie im Justiz- und Verfassungsausschuss sollte das Thema „Weisungsrecht“ in der Justiz, aber eben auch das von mir angesprochene weite Themenfeld der Unabhängigkeit der Justiz intensiver und auf konkrete notwendige Veränderungsschritte hin diskutiert werden. Dabei sollte, so ist unsere Meinung, mit Verbänden und im Bereich der Rechtspflege tätigen Menschen zu diesen Themen auch eine kritische Situationsanalyse bezogen auf Thüringen stattfinden. Wir würden uns deshalb einer Debatte im zuständigen Ausschuss nicht verweigern. Wenn

aber heute abgestimmt würde, dann können wir dem Antrag nicht zustimmen, weil er einerseits nur diesen einen Punkt „Weisungsrecht“ behandelt, wir das Thema aber weiter gefasst sehen, und weil wir andererseits auch nicht wollen, dass so ein wichtiges Thema instrumentalisiert wird. Ich danke Ihnen.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Berninger. Als Nächster hat jetzt der Abgeordnete Scherer für die CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, dem letzten Satz würde ich zustimmen, Frau Berninger. Es ist hier ein Einzelfall, der wirklich nicht dazu geeignet ist, das ganze Thema zu bestreiten. Wenn wir allerdings das Thema so weit fassen würden, wie Sie es heute fassen, dann kann man dann noch nicht einmal im Ausschuss darüber diskutieren, da muss man ein Symposium darüber machen, das drei Tage dauert. Dann kommt man vielleicht zu einem vernünftigen Ergebnis, aber nicht hier an diesem Pult.

(Zwischenruf Abg. Berninger, DIE LINKE: Den Vorschlag können wir aufgreifen.)

Dazu ist dieses Pult wirklich ungeeignet und das Thema nämlich auch. Das Thema ist weder, lieber Herr Kollege, für Schaufensterreden geeignet noch für gesetzgeberische Schnellschüsse, die Sie da anmahnen, weil dies angesichts der Stellung der Staatsanwaltschaft im Gefüge von Justiz und zugleich auch Exekutive mit vielschichtigen Problemen verbunden ist. Es sind jetzt einige angesprochen worden, auch wenn es in einem Sinn angesprochen wurde, den ich nicht teilen kann. Es gibt einen wirklich guten „Spiegel“-Artikel im Heft 9 dieses Jahres 2014, den ich normalerweise - „Spiegel“-Artikel kann man mit Vorbehalt lesen -, aber den ich durchaus einmal zum Lesen empfehlen würde. Da steht einiges drin und wenn man den gelesen hat, merkt man, wie kompliziert das Verhältnis Staatsanwaltschaft zur Bevölkerung, zur Exekutive, zur Richterschaft ist und welche Macht auch ein Staatsanwalt ausüben kann, völlig unabhängig von Fragen des Weisungsrechts usw. Da sind also wirklich gute Beispiele drin, die zeigen, in welche verschiedenen Richtungen man so etwas überhaupt diskutieren muss und nicht nur mit der Richtung oder mit der Zielsetzung, einseitig ein Weisungsrecht abzuschaffen. Wenn ich kurz darauf eingehe, schon die Tatsache, dass ein Anfangsverdacht für Ermittlungen vom Staatsanwalt bejaht wird, das ist noch ganz am Anfang, führt, wenn es zum Beispiel - und das waren die Beispiele -, um eine Person des öffentlichen Interesses geht, sofort

(Abg. Berninger)

zu einer Prangerstellung, die vielfach zu einem enormen Imageschaden und auch wirtschaftlichen Schaden führt. Die aktuellen Beispiele kennen Sie alle und es ist noch lange nicht gesagt, dass hinten dran auch etwas herauskommt. Dafür gibt es im Moment genügend Beispiele, dass der Imageschaden enorm hoch ist und hinterher, was ist dann, da kommt keine Reaktion mehr. Da wird auch dieser Imageschaden, der wahrscheinlich sowieso nicht reparabel ist, aber auch gar nicht versucht, zu reparieren. Natürlich gibt es auch Einzelfälle, bei denen sich zeigt, dass Einzelweisungen des Justizministers sinnvoll zum Tragen kommen. Er trägt schließlich auch die politische Verantwortung für das, was die Staatsanwaltschaft macht, und wenn sie daneben haut, dann sind Sie auf dieser Seite hier die Ersten, die laut schreien, der Justizminister hat etwas falsch gemacht. Dann muss er auch, wenn er die Verantwortung dafür trägt, eingreifen können, wenn er es für notwendig hält. Dieses Eingreifen ist sowieso in der Regel ein Ausnahmefall, weil es sich jeder Justizminister sehr lange überlegt, bevor er tatsächlich eingreift, wobei ich sogar meine, wenn er offiziell mit einer Einzelweisung eingreift, ist es immer noch besser, die Einzelweisung liegt dann auf der Hand - die gibt es im Zweifel auch noch schriftlich -, als wenn hintenherum über Berichtspflichten usw. indirekt auf Verfahren Einfluss genommen werden kann. Das finde ich viel gefährlicher, als wenn ein Einzelweisungsrecht eines Justizministers gegeben ist, das jederzeit dann auch nachprüfbar ist, das in den Akten steht. Da kann man sagen, die und die Weisung hat er gegeben und darauf kann ich zugreifen. Das ist dann entweder richtig gewesen oder es war falsch.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kommt auch darauf an, Beschuldigte zu schützen. Es kommt auf der anderen Seite allerdings darauf an, auch die Staatsanwaltschaft in ihrer Unabhängigkeit zu schützen. Die Unschuldsvermutung spielt da auch eine Rolle und die darf nicht so eine Art hohles Transparent sein, nur immer von Unschuldsvermutung zu reden, das die Presse zum Teil auch vor sich her trägt und deshalb in der Regel, wenn sie nichts Genaues weiß, im Konjunktiv berichtet, aber im Konjunktiv genauso viel Schaden anrichtet, wie wenn sie das im Indikativ machen würde, denn in der heutigen Zeit, in der Sekunde nach einer öffentlich gewordenen Untersuchungshandlung einer Staatsanwaltschaft, zum Beispiel einer Hausdurchsuchung, die Presse den Beschuldigten bereits als Täter präsentiert und sich auch noch damit brüstet, hier würden schon längst die behördeninternen Unterlagen vorliegen. Da muss man sehr grundsätzlich über dieses Thema Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft diskutieren, am besten von wissenschaftlicher Seite. Da muss eine Diskussion in Gang kommen, und zwar eine Diskussion über drei Punkte: Erstens, wie die Interessen des Staates an einer wirksamen Strafverfolgung gewahrt werden

können, zweitens, wie die Interessen der Opfer gewahrt werden können, und drittens, wie die Interessen des Beschuldigten gewahrt werden können. Das gehört nämlich auch dazu. Diese drei Dinge müssen unter einen rechtsstaatlichen Hut gebracht werden. Das kann man nicht hier an diesem Pult innerhalb von einer halben oder viertel Stunde. Dazu braucht es wissenschaftliche Untersuchungen. Da gibt es zum Teil schon etwas, aber da ist noch eine lange Entwicklung vor uns, wenn man tatsächlich über „Unabhängigkeit“ der Staatsanwaltschaft reden will.

In dem Zusammenhang sollten wir noch mal über ein anderes Thema nachdenken, das passt aber da hinein, wenn ich über staatsanwaltschaftliche Ermittlungen rede, nämlich die Immunität der Abgeordneten neu zu regeln, so dass nicht schon bei einer anfänglichen Ermittlung gegen einen Abgeordneten eine Menge von am Immunitätsverfahren Beteiligten darüber informiert ist, mit der zwangsläufigen Folge des Öffentlichwerdens in einem Stadium, in dem noch keiner genau weiß, ob an den Verdächtigungen überhaupt irgendetwas dran ist. Das könnte eine Aufgabe gleich am Anfang der nächsten Legislaturperiode sein,

(Beifall CDU)

zum Beispiel eine ausdrückliche Immunitätsaufhebung erst dann, wenn Anklage erhoben werden soll, also unmittelbar vor der Anklage, oder was ich für wichtig halten würde, wenn man Richtung Osten schaut oder wenn zum Beispiel freiheitsentziehende Maßnahmen gegen einen Abgeordneten ergriffen werden sollen, nicht durch Urteil, sondern vorher, Untersuchungshaft zum Beispiel. Da würde ich es noch für angebracht halten. Aber ansonsten sollte man wirklich über diese Immunitätsgeschichte grundlegend diskutieren.

Abschließend zum FDP-Antrag: Das ist in einem Einzelfall mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Man müsste eigentlich sagen, mit Kanonen auf einen Spatzen geschossen, obwohl es in dem Bereich mehrere Spatzen gibt und da es deshalb zu kurz gesprungen ist, lehnen wir diesen Antrag auch ab.

(Zwischenruf Abg. Bergner, FDP: Wissen Sie nicht, dass ich bei den Raketentruppen war?)

Vielen herzlichen Dank, Herr Scherer. Als Nächster hat jetzt der Abgeordnete Carsten Meyer für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen im ausgedünnten Auditorium,