Protocol of the Session on October 12, 2007

Deshalb verstehen es die Menschen nicht, warum wir im Rentenwert West einen Betrag von 26,27 € stehen haben und es im Osten für einen Entgeltpunkt nur 23,9 € für die gleiche Arbeit gibt. Nun hatten wir natürlich den großen Schritt in diesem Jahr erstmals seit 2003, dass wir zum 01.07. dieses Jahres eine Rentenerhöhung hatten von sage und schreibe 0,54 Prozent. Das bedeutete bei dem Rentenwert Ost eine Erhöhung um 12 Cent und bei dem Rentenwert West eine Erhöhung um 14 Cent. Aber auch gerade an diesen Zahlen sehe ich, dass man überhaupt nicht daran denkt, dass diese Rentenwerte angepasst werden. Man hat den Eindruck, dass es in der Bundesregierung, aber auch bei uns im Land überhaupt keine Vorstellung gibt, wann diese Rentenangleichung mal erfolgen sollte. Jedem ist ja bekannt - und da will ich einen Kreislauf schließen -, die Rente ist natürlich an das Lohnniveau gekoppelt, könnte mir jetzt an dieser Stelle geantwortet werden, und das Lohnniveau im Osten ist nun mal niedriger als das im Westen, aber gerade aus diesem Grund, meine Damen und Herren, wäre ein gesetzlicher Mindestlohn sehr, sehr wichtig, weil auch ein gesetzlicher Mindestlohn das Rentenniveau in diesem Land ansteigen lässt.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Das ha- ben wir doch gestern schon gemacht.)

Ja, aber da sehen Sie es wieder, alles hängt daran. Und ein Letztes: Wenn Sie heute auch gestritten haben für Kinderarmut,

(Zwischenruf Abg. Doht, SPD: Gegen und nicht für.)

und das richtig ist, meine Damen und Herren von der SPD, dann fordere ich Sie auf, dann engagieren Sie sich genauso für den Kampf gegen die Altersarmut und nehmen Sie Einfluss auf Ihre Genossen im Bund, dass diese Rentenkürzungspolitik zurückgenommen wird.

(Beifall DIE LINKE)

Das Wort hat der Abgeordnete Worm, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, uns liegt der Antrag der LINKEN zum Thema „Rente mit 67“ vor. Ich möchte gleich zu Beginn meiner Rede deutlich machen, dass wir als CDUFraktion diesem Antrag nicht zustimmen können.

(Beifall CDU)

Von Ihren vier Forderungspunkten gibt es lediglich einen, der in die richtige Richtung zielt. Dabei handelt es sich um die Angleichung des Rentenwerts Ost an den Rentenwert West unter Punkt 2 Ihres Antrags. Grundsätzlich kann man sich dieser Forderung anschließen. Eine Umsetzung im derzeitigen Sozialrecht wäre allerdings mehr als schwierig. Wir haben da wirklich ernsthafte Bedenken. Ich verweise auch auf die Tatsache, dass sich die Höhe einer Rente vor allem nach der Höhe der durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte richtet. Die vollständige Angleichung der Arbeitsentgelte an Westniveau ist jedoch noch nicht erfolgt, was sich wiederum in den unterschiedlichen Rentenwerten widerspiegelt. Die Umsetzung dieses Ziels, also die Angleichung Rentenwert Ost an West wird somit derzeit politisch auch nicht durchsetzbar sein.

Zu Punkt 1 Ihres Antrags, der Rücknahme der Rente mit 67, verweise ich auf unsere Diskussion und auf meinen Redebeitrag im Plenum vom 1. März dieses Jahres. Mir erschließen sich derzeit keine grundlegenden neuen Argumente in dieser Diskussion. Nur so viel: Die Rente mit 67 ist die notwendige Antwort auf die demographische Entwicklung in Deutschland, an der ja letztendlich die zukünftige Rentnergeneration durch die derzeitig niedrigen Geburtenraten nicht unbeteiligt ist. Die anhaltend niedrigen Geburtenraten und eine gleichzeitig steigende Lebenserwartung wirken sich negativ auf das zahlenmäßige Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenempfängern aus. Dem wirkt die Anhebung des Rentenalters entgegen.

Zu Punkt 3 Ihres Antrags, die sogenannte 58er-Regelung: Diese Regelung gilt bis Ende 2007. Für die Jahrgänge bis 1949 gelten erleichterte Bedingungen beim Bezug von Arbeitslosengeld. Das heißt, alle Personen, die vor dem 01.01.2008 das 58. Lebensjahr vollendet haben, fallen unter diese Regelung. Ohne Zweifel wäre es natürlich besser, wenn Arbeitnehmer in diesem Altersbereich gar nicht erst in die Situation kämen, arbeitslos zu werden.

Das Ziel der Bundespolitik und der Arbeitsmarktpolitik des Freistaats ist hier darauf ausgerichtet, ältere Arbeitnehmer im Arbeitsleben zu halten bzw. deren Beschäftigungsquote auszuweiten. Ich denke, gerade vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung kann man optimistisch sein, dass die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer deutlich steigen wird. Eine unbefristete Verlängerung der heute gültigen Ausnahmeregelung, wie von Ihnen gefordert, würde lediglich zu einer Verfestigung der Arbeitslosigkeit im Bereich der Betroffenen führen.

Zu Ziffer 4 des Antrags: Das Bundessozialgericht hat mit seinem Urteil vom 16. Mai 2006 entschieden, dass Erwerbsminderungsrentner, die bei Rentenbe

ginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschlägen nur unterliegen, wenn sie die Rente über das 60. Lebensjahr hinaus beziehen. Die Rentenversicherungsträger folgen diesem Urteil nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus. Eine etwaige Gesetzesänderung müsste, anders als im Antrag gefordert, gegebenenfalls eine Klarstellung in dem Sinne bringen, dass der Rechtsauffassung der Rentenversicherungsträger zum Durchbruch verholfen wird. Denn wer die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre als eine sachgerechte Antwort auf eine deutlich längere Lebenserwartung einerseits und als Gebot der Generationengerechtigkeit andererseits ansieht, kommt kaum umhin, den vorzeitigen Rentenbezug mit einem Abschlag zu versehen. Insofern konterkariert das Bundessozialgerichtsurteil die Anhebung des Renteneintrittsalters. Da die Rentenversicherungsträger jedoch das Urteil lediglich als Einzelfallentscheidung ansehen und weitere Revisionsverfahren anstreben, kann zunächst abgewartet werden, ob das Bundessozialgericht an seiner sehr umstrittenen Rechtsauffassung festhält. Damit sehe ich jedoch auch derzeitig erst einmal keinen Handlungsbedarf.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie schon am Beginn meiner Rede angekündigt, empfehle ich die Ablehnung des Antrags. Danke.

(Beifall CDU)

Das Wort hat Abgeordnete Döllstedt, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, die Überschrift über unserem Antrag „Für eine Lebensstandard sichernde Rente“ haben wir nicht zufällig gewählt, sondern sie ist zum einen ein ausdrücklicher Hinweis auf das Leistungsziel einer Rentenversicherung, nämlich eine Absicherung für den Versicherten, zum anderen wurde diese Überschrift gewählt, weil dieses Leistungsziel bei Erwerbsminderungsrenten nur noch in den seltensten Fällen erreichbar ist.

Seit der Rentenreform 2001 wurden die Berufsunfähigkeitsrenten und die Erwerbsunfähigkeitsrenten durch eine zweistufige Erwerbsminderungsrente ersetzt. Wer von drei bis unter sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar ist, bekommt eine Teilrente, unter drei Stunden eine Vollrente. Wer von drei bis unter sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar ist, aber zu diesem aus bestimmten Gründen keinen Zugang hat, der bekommt eine sogenannte arbeitsmarktbedingte Voll

rente. Die Praxis der Rentenversicherungsträger sieht so aus, dass die Zahlung ohne Abschläge seit dem Jahr 2001 nur ab vollendetem 63. Lebensjahr erfolgt. Nach neuester Gesetzgebung im Rahmen der Rente mit 67 erfolgt eine Anhebung dieses Referenzalters auf das vollendete 65. Lebensjahr. Die gleichen Angaben zum Alter treffen auch für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu. Bei beiden Varianten werden pro Monat des früheren Renteneintritts 0,3 Prozent Abschläge in Anrechnung gebracht, das macht maximal bis zu 10,8 Prozent. Die Zahlung mit diesen Abschlägen ist seit 2001 gängige Praxis, um - wie es heißt - ein Ausweichen von vorgezogener Altersrente in die Erwerbsminderungsrente zu verhindern. Dafür wurde § 77 SGB VI umgestaltet. Der reguliert die Bestimmungen zum Zugangsfaktor zu dieser Erwerbsminderungsrente, vorher war der bei Erwerbsminderungsrenten generell 1. Hier wird ganz besonders deutlich, die neue Regelung kommt einer Rentenkürzung gleich, mein Kollege Kubitzki sprach schon davon, mit der Folge, dass das Armutsrisiko bei Betroffenen steigt und die Anzahl dieser steigt ebenfalls, weil die betroffenen Versicherten zwischen 63 und 65 Jahren auch noch dazukommen. Wie die materielle und finanzielle Lage dieser Menschen aussieht, hat wahrscheinlich bei diesen Festlegungen kaum einen der daran Beteiligten interessiert. In der Bundestagsfraktion der SPD wurde ein Programm zur Abfederung der Rente mit 67 ausgearbeitet. Leider konnte sich das nicht gegen das SPD-Präsidium durchsetzen. Es wurde auf eine Art Prüfauftrag reduziert und existiert noch, ich möchte es einmal als Papiertiger bezeichnen. Es sollte hinsichtlich der Erwerbsminderungsrente einen erleichterten Zugang geben, aber dem wurde nicht Rechnung getragen.

Die Regelungen der Sätze 2 und 3 des § 77 Abs. 2 SGB VI schließen sich je nach Auslegung teilweise gegenseitig aus. Es ist eine hervorragende Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Fachanwälte für Sozialrecht, obwohl diese so etwas eigentlich gar nicht nötig haben. Hierzu gibt es dementsprechend auch unterschiedliche Gerichtsurteile. So wurde vom Sozialgericht Aachen eine Klage eines Versicherten am 09.02.2007 abgewiesen, der eine Zahlung seiner Erwerbsminderungsrente ohne Abschläge beantragt hatte. Der Kollege Worm führte vorhin schon das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.05.2006 an, was von den Rentenversicherungsträgern als Einzelfallentscheidung gewertet wird. Die Sozialverbände, sowohl der SOVD als auch der VDK, bezeichnen es als Skandal, dass eines der höchsten Gerichte in unserer Bundesrepublik so ein Urteil fällt und es wird in keiner Weise akzeptiert, jedenfalls nur als Einzelfallentscheidung. In dem Urteil dieses Sozialgerichts wird festgestellt, dass die Verringerung des Zugangsfaktors und damit die Kürzung der Erwerbsminderungsrenten für unter 60-Jährige gesetzes- und

eventuell sogar verfassungswidrig ist. Es handelte sich hier um eine 1960 geborene Klägerin, infolge des Gerichtsurteils wurden ihr statt 800 € dann 937 € Erwerbsminderungsrente zugestanden. Diese Frau hat wegen 137 € im Monat einen Nervenkrieg geführt und durchgestanden. Ich weiß nicht, wer hier im Raum für einen solchen Betrag möglicherweise bereit wäre, sich so einer Sache auszusetzen. Aber für diese Einkommensklasse sind solche Beträge manchmal eine Frage der wirtschaftlichen Existenz. Ich sagte schon, dass die Rentenversicherungsträger diesem Urteil nicht folgen. Es gibt hierzu eine Absprache mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Dieses Urteil wird als Einzelfallentscheidung gehändelt und entsprechende Anträge zur Neuberechnung wurden allesamt abgelehnt. So liegen z.B. bei der Deutschen Rentenversicherung Mitteldeutschland allein aus Thüringen über 3.000 solcher Anträge vor. Die Ursachen der Ablehnung sind die finanziellen Auswirkungen. Nach den Angaben einer Sendung der ARD am 17.07. dieses Jahres würden auf die Rentenversicherungsträger Nachzahlungen von bundesweit 1,2 Mrd. € zukommen. Den Nachzahlungen sind allerdings mit der neuen Gesetzgebung auch Grenzen gesetzt worden. Auch das wird von den Sozialverbänden moniert und das mit Recht.

Für Thüringen sieht das folgendermaßen aus: Wir haben, wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage an das Sozialministerium hervorging, etwa 24.200 Betroffene, darunter rund 22.400 Vollrentner und knapp 1.800, die eine Teilrente beziehen. Bei vorenthaltenen 100 € pro Betroffenen würde das im Jahr 29 Mio. € ausmachen. Wenn man 80 € in Anrechnung bringt oder einschätzt, sind das immer noch 23 Mio. €. Dieses Geld fehlt nicht nur den Erwerbsminderungsrentnern im Portmonee, sondern es fehlt auch den kleinen und kleinsten Unternehmen der Thüringer Wirtschaft bei einem Auszahlungsbetrag von knapp 700 € - nach der Rentenerhöhung dieses Jahres werden es vielleicht exakt 700 € sein. Das Geld muss gleich ausgegeben werden für den Lebensunterhalt, denn es liegt noch ein ganzes Teil unterhalb der Pfändungsuntergrenze. Also kommt dieses Geld gleich wieder in Umlauf und ein Teil kommt auch wieder an den Staat in Form von Umsatzsteuer zurück. Ich appelliere in dieser Hinsicht besonders an die Kolleginnen und Kollegen, die jeden Beratungsgegenstand auf seine Nützlichkeit für die Wirtschaft abklopfen. Tun Sie das bitte auch hier, und zwar im Sinne der kleinen und kleinsten Unternehmen.

Seitens der Rentenversicherungsträger wird angegeben, die verbesserte Anrechnung der Zurechnungszeit vom 55. bis 60. Lebensjahr würde die Abschläge kompensieren. Das ist aber in keiner Weise der Fall. Wie Sie sich schon denken können aufgrund der hier gemachten Ausführungen der Abge

ordneten aller Fraktionen, die gesetzlichen Grundlagen zur Erwerbsminderungsrente sind buchstäblich gesehen zum Gehirn verrenken, deshalb möchte ich hier ein Beispiel bringen. Das liegt mir schwarz auf weiß vor, was diesen Aspekt verdeutlicht.

Ein 1953 geborener Versicherter bezog 1996 und 1997 Erwerbsunfähigkeitsrente auf der Basis von 26,6813 persönlichen Entgeltpunkten Ost. Nach dieser Zeit war er teilweise versicherungspflichtig beschäftigt, kurze Zeit sogar vollbeschäftigt. Das hat sich auf den Gesundheitszustand nicht eben günstig ausgewirkt. Nach langem zähen Kampf mit der Deutschen Rentenversicherung Bund bekam er ab 2006 wieder eine Erwerbsminderungsrente. Von den jetzt vorhandenen 28,39 Punkten bleiben für die Rentenberechnung mit 10,8 Prozent Abschlägen ganze 25,3239 Punkte übrig. Der aktuelle Rentenwert Ost beträgt 23,09 €. Da können Sie sich ausrechnen, was der an Rente bekommt. Die Punkte sind weniger geworden als vor neun Jahren. Ich weiß nicht, wo hier in irgendeiner Form soziale Gerechtigkeit liegen soll.

Über gesundheitliche Beeinträchtigung oder eine Behinderung, die die Erwerbsfähigkeit einschränkt, entscheidet nicht der Betroffene. Das steht ihm nicht zur Disposition. Deshalb ist für die Erwebsminderungsrentner, die jünger als 60 Jahre sind, der Begriff des Ausweichens in die Erwerbsminderungsrente, von dem öfter die Rede ist - also was man für über 60-Jährige verhindern will -, ein schlechter Witz. Sie haben nur die Wahl, entweder Erwerbsminderungsrente oder gar kein Einkommen. Der Gesetzgeber sieht nämlich vor, dass Erwerbsminderungsrenten vorrangig vor anderen Sozialleistungen in Anspruch genommen werden müssen, wie z.B. Krankengeld oder Leistungen nach SGB II und SGB XII. Das können Sie in § 5 Abs. 3 SGB II nachlesen oder, was das Krankengeld betrifft, in § 51 SGB V. Hier ist sogar vorgesehen, dass ein Erwerbsminderungsrentenantrag gegen den Willen des Versicherten gestellt werden kann. Das kommt einer Zwangsverrentung mit erzwungener Rentenkürzung gleich.

In einer Pressemeldung der Thüringischen Landeszeitung - Sie haben sie vielleicht im Pressespiegel vom 12.07.2007 gelesen - wurde unter der Überschrift „Rentenkassen gut gefüllt“ über die Erhöhung der Einnahmen und die Senkung der Kosten der Deutschen Rentenversicherungen berichtet. Man fragt sich deshalb, was das alles soll mit den Rentenkürzungen und der vorrangigen Orientierung auf die Senkung der Beiträge. Der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Welz hat hierauf eine Antwort gegeben. Mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, möchte ich ihn zitieren: „Ohnehin geht es bei den Einschnitten in Renten weniger um die Bewältigung von demographischem Stress, sondern um das Absenken der Bei

träge der Arbeitgeber.“ Resultat dieser Politik ist eine Erhöhung des Armutsrisikos allgemein bei Erwerbsminderungsrentnern und Erhöhung der Altersarmut und Anzahl der Betroffenen, wenn die Bestimmungen wirksam werden, die jetzt in diesem ganzen Gesetzeswerk „Rente mit 67“ enthalten sind.

Beim Stichwort „Armut“, von der heute schon öfter mal die Rede war, könnte bei einigen Zuhörern Langeweile aufkommen. Aber wir alle in diesem Haus müssen uns diesen Problemen stellen, wenn auch nur die Wenigsten nachvollziehen können, wie es einem geht, der gesundheitlich und finanziell förmlich auf dem Zahnfleisch kriecht, dass er sich kaum noch traut, seinen Briefkasten leer zu machen, weil schon wieder eine Rechnung drinliegen könnte, die er eh nicht bezahlen kann und der auf einen Arztbesuch verzichten muss, weil er das Geld für den Bus nicht hat, um dorthin zu kommen. Manch einer wirft Anfang eines Jahres seine Physiotherapierezepte weg, weil er sich entscheiden muss, entweder Zuzahlung zu Medikamenten oder Zuzahlung zur Physiotherapie, solange er sein eines Prozent für chronisch Kranke noch nicht voll hat. In ein oder zwei Monaten kann das einer, der nur ein paar Euro Erwerbsminderungsrente bekommt, nicht aufbringen.

Meine Ausführungen haben nur den Punkt 4 unseres Antrags betroffen. Im Sinne aller betroffenen Versicherten fordere ich Sie hiermit auf, diesem und natürlich auch den anderen drei Punkten zuzustimmen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen von Abgeordneten vor. Herr Minister Zeh bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten, im vorliegenden Antrag der Linkspartei werden vier Forderungen aufgestellt. Auch wenn es schon etwas spät am Tag ist, möchte ich dennoch die Stellungnahme der Landesregierung an dieser Stelle noch einmal kundtun.

Zur ersten Forderung, zum „Altersgrenzenanpassungsgesetz - Rente mit 67“ hatte ich bereits anlässlich der Plenartagung am 1. März, ähnlich auch wie Herr Worm, ausführlich Stellung bezogen. Am Sachverhalt hat sich inzwischen nichts geändert. Ich will daher nur die wichtigsten Punkte hier zusammenfassen.

Da ist insbesondere auf die demographische Entwicklung hinzuweisen. Steigende Lebenserwartung zieht eine verlängerte Rentenbezugszeit nach sich. Diese ist in den letzten 40 Jahren durchschnittlich um sieben Jahre auf nunmehr 17 Jahre angewachsen, hat sich also fast nahezu verdoppelt und wird sich auch dank des medizinisch-technischen Fortschritts weiter erhöhen.

So erfreulich diese Feststellung auch ist, längere Rentenbezugszeiten haben auch entsprechende Kosten zur Folge. Da die Rentenversicherung weitgehend beitragsfinanziert ist, versteht es sich von selbst, dass die Beitragssätze sowohl für Versicherte als auch für Unternehmen nicht ins Uferlose steigen können. Die sogenannten Lohnnebenkosten haben erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und auf die Beschäftigung. Es ist darüber hinaus auch ein Gebot der Generationengerechtigkeit, dass die Beiträge für Beitragszahler tragbar bleiben. Dazu ist ebenfalls erfreulicherweise festzustellen, dass die Rentenversicherung wieder die gesetzlich vorgesehenen Rücklagen aufbauen kann. Diese Reserven waren in den letzten Jahren auf nahezu Null geschrumpft. Die gegenwärtige finanzielle Erholung der Rentenkassen sichert die Beitragssätze bzw. lässt eventuell zu gegebener Zeit sogar Spielräume für mögliche Beitragssenkungen zu.

Um meine Ausführungen vom 1. März 2007 an dieser Stelle nicht zu wiederholen, verweise ich nur auf die lange Vorlaufzeit. Die Regelungen treten nämlich erst im Jahr 2029 vollständig in Kraft. Erst der Geburtsjahrgang 1947 wird im Jahr 2012 nur einen Monat länger arbeiten müssen. Das heißt also, es geht nicht um die Rentner der heutigen älteren Generation, es geht um die Alterssicherung der Rentner von morgen. Es versteht sich von selbst, dass die Tarifpartner diese langen Übergangszeiten nutzen müssen, um die entsprechenden Anpassungen auch zu erreichen.

Die zweite Forderung nach Angleichung des Rentenwertes Ost an den Rentenwert West ist erst mal genauso unser Ziel. Nach 17 Jahren der politischen Einheit Deutschlands ist es den Betroffenen nur schwer zu vermitteln, dass immer noch unterschiedliche Werte zugrunde gelegt werden. Wir wissen aber auch, dass die Angleichung so lange nicht geht, solange die Tarifpartner sich nicht in allen Bereichen auf die Angleichung der Löhne in Ost und West einigen können. Solange es ein Tarifgebiet Ost in fast allen Tarifverträgen gibt, so lange kann nicht mit einem Federstrich das Gesetz geändert werden, auch wenn wir uns dafür einsetzen wollen. Die allgemeine Lohnentwicklung ist nun einmal die Grundlage des Rentensystems und nach den Bruttolöhnen richtet sich eben auch die Beitragsleistung.

Nach meiner Auffassung, und dafür setzt sich auch die Landesregierung ein, brauchen wir 50 Jahre nach der Einführung der dynamischen Rente zum 01.01.1957 eine größere Reform der sozialen Sicherungssysteme insgesamt, die dann selbstverständlich keine Trennung zwischen Ost und West mehr zulässt. Dazu wird die Weiterentwicklung einer zweiten und dritten Säule der Alterssicherung, wie Betriebsrenten und Eigenvorsorge, dringend notwendig sein, um die sogenannten Lohnnebenkosten in tragbaren Grenzen zu halten. All dies kann jedoch nur mittelfristig greifen. Das Sozialversicherungsrecht ist auch infolge der häufigen Änderungen und Ergänzungen so komplex geworden, dass es sowohl für den einzelnen Versicherten als selbst auch für Experten in Details nur noch schwer verständlich ist. Langfristig wird es deshalb notwendig sein, unsere bisherigen sozialen Sicherungssysteme völlig umzugestalten.

Aus der Sicht der Landesregierung bietet sich dazu als Grundlage ein System des solidarischen Bürgergeldes geradezu an, wie es von Ministerpräsident Althaus aufgestellt worden ist. Ministerpräsident Althaus hat dazu konkrete Vorschläge gemacht, die auch bundesweit diskutiert werden.

Ihre dritte Forderung „Beibehalten der 58er-Regelung“ läuft genauer betrachtet den Interessen älterer Arbeitnehmer zuwider. Da habe ich eine ganz andere Meinung, Herr Kubitzki, als Sie. Nach der sogenannten 58er-Regelung besteht Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch für Personen, die keine grundsätzliche Arbeitsbereitschaft zeigen. Hier ist der Gesetzestext genauso: „Arbeitsbereitschaft zeigen“. Das heißt im übertragenen Sinn, sie müssen sich zur Verfügung halten. Wenn sie das nicht mehr brauchen, dann können sie im Grunde letztlich in diesem Sicherungssystem warten, bis sie zur Rente kommen. Deshalb meine ich, dass die Abschaffung der 58erRegelung genau dazu führt, dass sich auch die älteren Arbeitnehmer wieder für den Arbeitsmarkt zur Verfügung halten müssen. Statt Anreiz zu einem vorzeitigen Ausschluss Älterer vom Arbeitsamt zu schaffen, so meine ich, sollten vielmehr die Möglichkeiten verbessert werden, auch alle älteren Menschen, die dies selbst wünschen, in einem Beschäftigungsverhältnis zu haben. Denn eine lange Rentenbeitragszahlung - das weiß man natürlich - bietet die beste Gewähr für eine gute Absicherung im Alter.

Deswegen, Herr Kubitzki, das führt nicht automatisch zu einer Zwangsverrentung, allerdings freiwillig ist es möglich. Ich kann mich natürlich freiwillig auch unter entsprechender Hinnahme der Einkommenskürzungen verrenten lassen, aber es ist natürlich keine Zwangsverrentung, so wie Sie es formuliert haben. Ich denke, das Gegenteil ist der Fall: Wir er

reichen damit ein Anreizsystem, sich länger für den Arbeitsmarkt zur Verfügung zu halten.

Wir wollen längere Beschäftigungsmöglichkeit und auch die Möglichkeiten vom Land her schaffen. Das heißt, die Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung Älterer muss verbessert werden. Sie sind natürlich bereits durch vielfältige Maßnahmen verbessert worden. Die derzeitige gute Konjunktur und die verbesserte Arbeitsmarktlage erhöhen auch die Chancen älterer Arbeitnehmer, wieder Arbeit zu finden. Angesichts des Verlaufs der demographischen Entwicklung sowie der erhöhten Nachfrage nach Fachkräften kann es sich unsere Gesellschaft im Übrigen überhaupt nicht leisten, auf ältere Arbeitnehmer zu verzichten. Ich denke, wir werden in den nächsten Jahren eine Entwicklung haben, dass man wieder bewusst auf ältere Arbeitnehmer zurückgreifen wird. Wir brauchen die Erfahrungen der Älteren auch im Arbeitsleben. Deshalb glaube ich, dass eine Verlängerung der 58er-Regelung genau das falsche Signal wäre.

Ihre vierte und letzte Forderung bezieht sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. Mai 2006. Das Gericht hat mit diesem Urteil entschieden, dass Rentenabschläge für Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres unzulässig sind. Es ist leider so, dass die Rentenversicherungsträger es ablehnen, dem Urteil über den entschiedenen Einzelfall hinaus zu folgen. Das hatte zur Folge und hat auch noch zur Folge, dass in dieser Frage bei den Sozialgerichten mittlerweile zahlreiche Verfahren anhängig sind. Das heißt, es ist mit einer Reihe von weiteren Entscheidungen des Bundessozialgerichts zu rechnen. Daher muss zunächst der Ausgang weiterer Verfahren vor dem Bundessozialgericht abgewartet werden. In einem Rechtsstreit dürfen wir möglichen Urteilen nicht vorgreifen. Eine Bundesratsinitiative ist deshalb nicht angezeigt und hätte bei dem derzeitigen Sachstand auch keine Aussicht auf Erfolg. Alles dies sind fachliche und auch politische Argumente, den Antrag der Linkspartei entschieden abzulehnen. Ich danke Ihnen.

(Beifall CDU)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wird Ausschussüberweisung beantragt? Das ist nicht der Fall, dann stimmen wir direkt über den Antrag ab.

Frau Präsidentin, ich hatte bei Ihnen Einzelabstimmung zu den Punkten angemeldet.

Ich war davon ausgegangen, dass Sie das jetzt noch mal klar und deutlich sagen.