Protocol of the Session on July 13, 2006

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Ach Gott, oh Gott, oh Gott!)

Das Ansinnen, die Kostenübernahme für Schwangerschaftsunterbrechungen zu verschlechtern, war von längerer Hand vorgeplant, denn das, was die Kolleginnen Tasch und Walsmann mit den Anfragen in den Drucksachen 4/1020 und 4/1421 abfragten, das diente offenbar einem einzigen Zweck: Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, sollen unter Zuhilfenahme vorgeschobener Argumente an den öffentlichen Pranger gestellt werden. An

dere Fakten werden hingegen nicht zur Kenntnis genommen und verschwiegen. Ich will Ihnen gern einige Beispiele dafür aufzeigen:

1. Die Schwangerschaftsabbrüche sind nicht gestiegen, auch wenn die Kollegin Tasch das in Ihrer Anfrage suggeriert; seit 1991 hat sich die Zahl mehr als halbiert. Relativ konstant sind es in Thüringen in den letzten vier Jahren etwa 4.500 Unterbrechungen pro Jahr. Bundesweit lag die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im Jahr 2005 pro 10.000 Frauen bei 74. Das ist der niedrigste Wert seit 1996 und darüber freuen wir uns.

2. Annähernd 30 Prozent entscheiden sich nach einer Konfliktberatung in der Beratungsstelle für die Fortsetzung der Schwangerschaft.

3. Ca. 80 Prozent der Ratsuchenden bei den Beratungsstellen suchen nach Hilfe, um die durch die Geburt eines Kindes veränderten Lebensbedingungen bewältigen zu können.

4. Der in Thüringen im Vergleich zu Bayern so hoch liegende Anteil derjenigen Frauen, die die Kosten nicht selbst übernehmen können, ist durch die miserable Einkommenssituation in Thüringen verursacht.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Häufig handelt es sich zudem - es gibt einen Vergleich zwischen Bayern und Thüringen -

(Zwischenruf Dr. Zeh, Minister für So- ziales, Familie und Gesundheit: Die ho- hen Zahlen gelten bundesweit - so ein Quatsch -, nur in Bayern nicht. Dort gilt die Ausnahme.)

um ledige Frauen und um Frauen, die von Leistungen des SGB II abhängig sind. In Thüringen prüfen die Krankenkassen die Einkommenssituation. Ein Missbrauch der gesetzlichen Regelung kann deshalb auch in dieser Hinsicht ausgeschlossen werden.

Damit komme ich zu einer anderen Facette des Weltbildes eines wesentlichen Teils der Thüringer CDU. Offensichtlich aus ideologischen Gründen wollen Sie mit Sozialabbau für eine höhere Geburtenquote sorgen. Ihre Politik hat zur niedrigsten Lohnquote Deutschlands geführt, Sie propagieren den Abbau tariflicher Rechte, Sie lehnen Mindestlöhne ab, Sie wollen den Einsatz menschlicher Arbeitskraft rund um die Uhr. Immer wieder plädiert der Thüringer Ministerpräsident für weiteren Abbau sozialer Grundsicherung. Die Frauen und Männer aber, die sich für Kinder entscheiden wollen, die wollen ein Mindestmaß an beruflicher Sicherheit und Lebenspers

pektive. Nur wenn junge Menschen hoffnungsfroh in die Zukunft schauen können, nur dann entscheiden sie sich für ein Kind oder für weitere Kinder. Junge Menschen, insbesondere junge Frauen, handeln also auch in dieser Hinsicht sehr verantwortungsvoll. Das alles will offenbar nicht in die Köpfe der ewig Gestrigen in der CDU.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Ja, ja.)

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Meine Damen und Herren, es ist absurd, Frauen in Notlagen unter noch größeren finanziellen Druck zu stellen. Es ist absurd, mit der Förderung künstlicher Befruchtungen irgendetwas zu einer besseren demographischen Entwicklung beitragen zu wollen. Die einzige Lösung besteht darin, jungen Menschen ein existenzsicherndes Einkommen, eine berufliche Perspektive und gute flankierende Betreuungsangebote in den Kindertagesstätten und den Schulen zu bieten.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Diese CDU samt der Landesregierung praktiziert das Gegenteil. Sie sorgen für Verunsicherung, Sie drängen Frauen in Niedrigstlohnbereiche und in die Arbeitslosigkeit ab, Sie verschlechtern Betreuungsbedingungen für Kinder. Der Gesundheitsminister hat mit seinem Ansinnen nur noch einen i-Punkt darauf gesetzt. Diese Politik ist familien- und frauenfeindlich und sie ist arbeitnehmerfeindlich für Frauen und Männer. Vielen Dank.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Das Wort hat Herr Minister Zeh.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, einleitend möchte ich Ihnen, Frau Leukefeld, sagen, es gibt kein Leben erster und zweiter Klasse,

(Unruhe bei der SPD)

(Glocke der Präsidentin)

das, was nach der Geburt geschützt werden muss, und das, was vor Geburt geschützt werden muss. Für mich ist der Schutz des Lebens in jeder Phase ein Recht und ein hohes Gut, das wir schützen müssen. Außerdem, auch dagegen verwahre ich mich, dass wir Frauen, die in einer Notsituation sind, weiter in Bedrängnis bringen wollen. Es ging ausschließ

lich, deswegen müssten Sie erst einmal den Antrag selbst gelesen haben, darum, dass wir dem Sinngehalt des Gesetzes, das damals in einem parteiübergreifenden Kompromiss beschlossen worden ist, das uns auch vom Bundesverfassungsgericht durch Urteile auf den Weg gegeben wurde, Rechnung tragen wollen. In Vergessenheit scheint allgemein geraten zu sein, das will ich hier noch einmal sagen, dass Lebensschutz vor Abtreibung steht. Das ist der Sinngehalt auch dieses Gesetzes. Dies ist mir bei der Diskussion hier viel zu kurz gekommen, insbesondere bei Ihnen von der PDS und bei der SPD. Ich halte auch den Begriff, Frau Ehrlich-Strathausen, „Schwangerschaftsunterbrechung“ für einen ganz schlimmen Begriff. Entweder haben Sie ein schlechtes Gewissen, dass Sie diesen Begriff gebrauchen, oder wollen Sie bewusst verharmlosen.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Selbst das Gesetz spricht von „Schwangerschaftsabbruch“. Eine Unterbrechung suggeriert, dass man etwas fortsetzen kann. Aber ein Abbruch ist unumkehrbar. Es gibt viele Frauen, die genau darunter leiden müssen, unter dieser Unumkehrbarkeit. Ich würde Ihnen empfehlen, wenigstens den vom Gesetz vorgegebenen Begriff des „Schwangerschaftsabbruchs“ zu gebrauchen. Ich bleibe bei dem Begriff „Abtreibung“.

Nun noch einmal zum Sinngehalt des Gesetzes. Wir sollen, das hat das Verfassungsgericht aufgegeben, die Gesetzesfolgen dieses Gesetzes nach hinreichend langer Zeit überprüfen. Das ist Gesetzesauftrag und diesem Gesetzesauftrag sind wir in einem Punkt, nämlich dort, wo es um die staatliche Finanzierung geht, nachgegangen. So gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993, das ausdrücklich gesagt hat, dass die Kostenerstattung für Frauen die Ausnahme sein soll und nur bei Bedürftigkeit staatliche Finanzierung stattzufinden hat. Nun haben wir eine Situation, wo wir feststellen müssen, dass bundesweit - Bayern ist eine Ausnahme, da gebe ich Ihnen Recht; aber in allen anderen Ländern, da ist Ost wie West kein Unterschied, das ist nicht abhängig vom Einkommen - 85 bis 95 Prozent der Abtreibungen von Steuergeldern bezahlt werden. Da liegt die Vermutung nahe, wenn man den Erhebungen und auch den Umfragen Recht geben kann, dass Abtreibungen durch alle sozialen Schichten gleichmäßig verteilt sind, dass die Bedürftigkeit in diesem hohen Umfang nicht vorhanden ist und dass die eine oder andere vielleicht bei der Angabe ihres Einkommens eventuell nicht korrekte Angaben macht.

(Zwischenruf Abg. Wolf, Die Linkspar- tei.PDS: Aber das wird doch durch Ihren Vorschlag nicht besser!)

Meine Damen und Herren, die Frage muss wirklich berechtigt sein, ob ein Betrag von 929 € in diesem Land - netto, nicht brutto, es geht um netto - bei einer alleinstehenden Frau als bedürftig zu gelten hat, wenn wir in anderen Bereichen, Sie hatten Hartz IV angesprochen, bei einem wesentlich niedrigerem Einkommen sie als bedürftig bezeichnen. Im Übrigen kommen bei ein bis zwei Kindern jeweils noch 227 € dazu; geht der Mietbetrag über die 247 €, dann kommt die Differenz auch noch dazu. Also ist die Frage doch berechtigt: Was ist in diesem Land bedürftig und was nicht? Wenn jemand diese Frage allein stellt, meine ich, hat er ein Recht darauf, dass er auf diese Frage auch eine Antwort bekommt. Ich stelle als Mann ausdrücklich die Frage: Sind hier nicht auch die Männer in der Pflicht? Es hat überhaupt nichts mit Betteln zu tun, Frau Ehrlich-Strathausen.

(Zwischenruf Abg. Ehrlich-Strathausen, SPD: Doch, das hat es.)

Es hat mit Betteln überhaupt nichts zu tun; die Inpflichtnahme der Männer kann gesetzlich geregelt werden, ohne dass das Betteln ist.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS)

(Zwischenruf Abg. Wolf, Die Linkspar- tei.PDS: Sie hätten dafür genug andere Möglichkeiten, Herr Minister.)

Denn die Unterhaltspflicht ist auch kein Betteln, sondern der Unterhalt für Frauen und Kinder ist gesetzlich geregelt. Das hat mit Betteln überhaupt nichts zu tun.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das ist es aber.)

Ich frage wirklich: Ist es so falsch, die Männer an ihre Verantwortung zu erinnern und diese Verantwortung auch einzufordern? Im Übrigen, Frau EhrlichStrathausen, ich widerspreche ausdrücklich, wenn Sie sagen, ein mühsam erkämpftes Recht der Frauen wird mit Füßen getreten. So haben Sie es in der Presseerklärung gesagt.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Ich halte diese Aussage für so töricht wie falsch.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Töricht erstens, weil niemand irgendjemanden mit Füßen tritt - das möchte ich als erstes feststellen. Außerdem ist Abtreibung kein Recht, Abtreibung ist rechtswidrig. Sie ist nur straffrei, wenn sich die Frau einer Beratung unterzieht.

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS, SPD)

(Glocke der Präsidentin)

Also ist diese Aussage falsch.

Ich bitte um Ruhe.

Ich bitte, dies als falsche Aussage hier ausdrücklich festzuhalten. Frau Wolf, auch das ist ein Klischee, das Sie bedienen, dass die CDU-Männer die Eigenständigkeit von Frauen immer weiter eingrenzen wollen.

(Zwischenruf Abg. Wolf, Die Linkspar- tei.PDS: Natürlich. Das beweisen Sie doch gerade!)

(Unruhe bei der Linkspartei.PDS)

Frau Orosz, das ist nachweisbar eine Frau, hat diesen Antrag eingebracht. Ich habe mich als Mann diesem Antrag angeschlossen. Im Übrigen, es sind fast alle Minister für Gesundheit und Soziales in der Union Frauen, Ministerinnen, und die haben fast einhellig diesen Antrag unterstützt. Es ist also keine einseitige Maßnahme von irgendwelchen verrückten CDU-Männern. Es ist auch nicht von der SPD einhellig abgelehnt worden, um das mal an dieser Stelle darzustellen. Es gab nur die Befürchtung, dass wir eine Debatte in diesem Land um den § 218 bekommen. Das hat aber keiner gesagt, sondern es ging um eine Frage, nämlich der öffentlichen Finanzierung, und da hat die GMK auch einhellig bestätigt, dass es hier offenbar noch Entscheidungsbedarf gibt. Deswegen wurde dieser Antrag auch nicht abgelehnt, sondern dieser Antrag ist in der Form vereinbart worden - außer Rheinland-Pfalz, möchte ich ausdrücklich sagen -, dass alle Länder ihre Daten noch einmal erheben, diese Daten abgleichen und dies in der nächsten Gesundheitsministerkonferenz noch einmal beraten.

Abschließend möchte ich dann noch einmal zu gemachten Aussagen der Vorredner hier Folgendes sagen: Für mich ist es nach wie vor unerträglich, dass ein reiches Land wie Deutschland jährlich 125.000 Mal ungeborenes Leben vernichtet. Wenn Sie das einmal in einem Bild sich vorstellen, das ist etwa der Kreis Saalfeld-Rudolstadt, der alljährlich noch mit Subventionen von 35 Mio. € ausgelöscht wird. Ich plädiere dafür, dass es besser ist, wenn mehr Frauen sich dafür entscheiden können, ihr Kind auszutragen, und wenn sie es schon nicht selbst be

halten können...