Nein, das Wort wird nicht gewünscht. Dann bitte ich Herrn Minister Dr. Zeh, den Sofortbericht der Landesregierung zu geben.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, im Namen der Thüringer Landesregierung erstatte ich Ihnen den folgenden Sofortbericht. Vor genau drei Jahren in der 100. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am 29. und 30. Januar 2003 wurde der Abschlussbericht
der Enquetekommission „Wahrung der Würde des menschlichen Lebens in Grenzsituationen“ beraten. 82 Handlungsempfehlungen hat die Kommission den politisch Verantwortlichen damals mit auf den Weg gegeben. Verantwortlich, das sind wir alle: der Thüringer Landtag als Gesetzgeber, die Thüringer Landesregierung als Exekutive und alle weiteren Institutionen des politischen und öffentlichen Lebens in Thüringen. Die Landesregierung hat diese Empfehlungen in ihre Arbeit einbezogen und in die Gesetzgebung einfließen lassen. Die jüngsten Beispiele dafür sind das Gesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen - das Thüringer Gleichstellungsgesetz - sowie das Thüringer Familienfördergesetz - die Thüringer Familienoffensive.
Es ging bei den Themen der Enquetekommission weniger um tagespolitische Fragen, es ging um eine Grundsatzdebatte. Es ging und muss uns auch heute noch darum gehen, wie wir den Auftrag des Grundgesetzes zur Wahrung der Würde des Menschen umsetzen. Dies ist ein kontinuierlicher Prozess, der niemals abgeschlossen sein wird. Die Umsetzung des Auftrags ist eine dauerhafte Aufgabe. Die Ergebnisse der Enquetekommission sind ein wichtiger Maßstab, an dem sich die politisch Handelnden orientieren können. Die vorgegebenen Ziele werden dadurch Schritt für Schritt auch erreicht. Der Zeitraum von drei Jahren, der nunmehr seit diesen Beschlüssen der Enquetekommission vergangen ist, ist in diesem Kontext gesehen ein sehr kurzer Zeitraum, denn bei den wesentlichen Themen der Enquetekommission geht es auch um Fragen der Bewusstseinsbildung in unserer Gesellschaft. Dies trifft auf die vier Bereiche zu, die sich die Enquetekommission ausgewählt hat: den Schutz des ungeborenen Lebens, die Unterstützung bei Behinderung, die Unterstützung bei schwerer Krankheit und die Begleitung Sterbender. In allen diesen vier Bereichen sind in den letzten drei Jahren jedoch auch von der Thüringer Landesregierung Maßnahmen auf den Weg gebracht worden, die ihren Ursprung auch in der Arbeit der Enquetekommission haben. Ich will nur drei Punkte hier exemplarisch herausgreifen:
1. Zum Schutz des ungeborenen Lebens in Thüringen sind inzwischen zwei Babykörbe eingerichtet worden; darüber hinaus sind in fast allen Thüringer Entbindungskliniken anonyme Geburten möglich. Die Thüringer Landesregierung fördert trotz der angespannten Haushaltslage zahlreiche Ehe- und Familienberatungsstellen und insbesondere die Landesstiftung „Hilfe für Schwangere in Not“.
2. Stichwort - Unterstützung bei Behinderung: Die Landesregierung hat unmittelbar nach der letzten Landtagswahl einen Beauftragten für Menschen mit Behinderungen berufen. Herr Dr. Paul Brockhausen kümmert sich unermüdlich um die Anliegen der Be
troffenen. Im Dezember haben wir ein Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderungen beschlossen.
Nun möchte ich aber zu dem eigentlichen Schwerpunkt, der im vorliegenden Antrag formuliert worden ist, kommen, nämlich die Begleitung Sterbender im Einzelnen, und zwar geht es dabei um die Hospizarbeit und natürlich auch noch andere Bereiche, die damit zusammenhängen. Für den Bereich Hospizarbeit gab die Enquetekommission die folgenden Empfehlungen, und zwar Empfehlung 59: Ambulante Hospizdienste, die zum größten Teil ehrenamtlich arbeiten, sind zu unterstützen und breiter bekannt zu machen. Empfehlung 60: In Thüringen sollen die Einrichtungen weiterer ambulanter Hospizdienste, stationärer Hospizdienste und von Palliativstationen gefördert werden.
Und die Empfehlung 62: Der Freistaat Thüringen soll regelmäßig die Arbeit von ehrenamtlichen und professionell tätigen Personen würdigen, die Sterbende begleiten und ihren Angehörigen beistehen. Dies soll zum Beispiel bei der Verleihung der „Thüringer Rose“ oder des Thüringenordens und bei den Empfehlungen für das Bundesverdienstkreuz stärker berücksichtigt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sterbende Menschen benötigen einen Ort, wo sie Geborgenheit finden, an dem sie Zuwendung erfahren, an dem sie in würdiger Form Abschied nehmen können. Dies alles ist am besten in der Familie möglich. Das zeigen auch Umfragen. Die meisten Menschen - in Thüringen oder anderswo - wollen zu Hause im Kreis der Familie und Freunde auch nach Möglichkeit sterben dürfen. Hier leisten die ambulanten Hospizdienste einen unverzichtbaren Dienst, der höchste Anerkennung verdient. Gestatten Sie mir, mich an dieser Stelle bei allen ehrenamtlich Tätigen für diese aufopferungsvolle Arbeit zu bedanken.
Für Menschen, die keine Angehörigen haben oder deren Familien mit dieser Aufgabe überfordert sind, brauchen wir auch stationäre Angebote.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Würde und gerade auch die Würde des sterbenden Menschen ist unantastbar. Der Sterbende befindet sich im wahrsten Sinn des Wortes in einer Grenzsituation. In dieser Situation darf er nicht allein gelassen werden. Kaum jemals hat er Begleitung so nötig wie in dieser Situation. Das beschränkt sich nicht nur auf den medizinischen Aspekt, auf die Schmerzlinderung etwa, das bezieht sich auf die gesamte Begleitung. Das betrifft insbesondere auch den seelischen Beistand. In Thüringen hat sich in den vergangenen Jahren un
ter Begleitung der Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz und des Landes ein Netz von ambulanten Hospizeinrichtungen entwickelt. Zu Beginn dieses Jahres gab es in Thüringen 26 ambulante Hospiz- und palliative Beratungsdienste. 18 dieser ambulanten Hospizdienste erfüllen die Bedingungen der Rahmenvereinbarung nach § 39 a des SGB V für ambulante Hospizdienste und wurden von den Krankenkassen entsprechend finanziell unterstützt. So zahlten beispielsweise die Primärkassen für das Jahr 2004 rund 314.000 € und der VDAK 144.000 €, das sind insgesamt rund 458.000 € für und an die ambulanten Hospizdienste. Dieses hat noch nicht sämtliche Kassen erfasst. Ich gehe davon aus, dass die genaue Zahl noch wesentlich höher sein wird. Ich schätze, mindestens eine halbe Mio. € fließen jährlich in die ambulanten Hospizdienste im Freistaat Thüringen.
Über diese Grundfinanzierung der Hospizdienste durch die Krankenkassen hinaus erhält die Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz Thüringen einen Zuschuss des Landes in Höhe von 61.000 € jährlich für Personal- und Sachkosten. Damit wird die Tätigkeit der beiden Koordinationsstellen in Meiningen und Jena gefördert. Diese vernetzen die Arbeit der Hospizdienste, geben fachliche Unterstützung bei der Gründung neuer Hospizdienste, führen Fortbildungsveranstaltungen zu dem Thema Sterben, Tod und Trauer in Hospizdiensten, Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, Sozialstationen, ambulanten Pflegediensten und Kirchgemeinden durch. Erst unlängst habe ich in der Zeitung gelesen, dass in Eisenach ein neuer Hospizdienst, ein ambulanter Hospizdienst, eröffnet worden ist. Sie erarbeiten Qualitätsstandards in der Befähigung Ehrenamtlicher und sichern deren Fortbildung und Begleitung.
Die Thüringer Landesregierung wird die Gründung neuer Initiativen auch weiterhin beratend und begleitend unterstützen. Ergänzend zur ambulanten Hospizarbeit konnten wir im Januar 2005, also vor fast genau einem Jahr, das erste stationäre Hospiz Thüringens eröffnen. Es verfügt über zwölf vollstationäre und sechs Tagespflegeplätze. Dieses Projekt mit einem Investitionsumfang von 2,25 Mio. € wurde als Modellprojekt aus Mitteln der Bundesregierung, des Freistaats Thüringen und aus Eigenmitteln des Trägers finanziert. Auch aus anderen Thüringer Regionen wurde inzwischen Interesse an ähnlichen Einrichtungen signalisiert. So liegen Anträge zur Errichtung von Hospizen in Nordhausen, Meiningen und Eisenach vor. Die Konzepte werden vom Thüringer Sozialministerium intensiv begleitet. Eine finanzielle Begleitung des Landes ist aufgrund der äußerst angespannten finanziellen Situation unseres Freistaats zurzeit nicht möglich. Wir werden sehen, wie sich die finanziellen Mittel in Zukunft entwickeln und werden dieses Thema dann natürlich neu aufrufen. Nicht alles Wünschenswerte ist auch immer sofort
erreichbar, deswegen benötigen wir auch im Bereich der Hospizarbeit Geduld. Erwähnen möchte ich auch noch, dass die Stiftung „Kinderhospiz Mitteldeutschland“ ein Kinderhospiz mit etwa zehn Plätzen in Nordhausen plant. Das ist übrigens ein anderes Projekt als das, was ich vorhin bereits zu Nordhausen erwähnt hatte. Der andere Antrag aus dem Kreis Nordhausen betrifft in Neustadt eine Einrichtung der Diakonie. Aber dieses „Kinderhospiz Mitteldeutschland“ soll ausschließlich durch Spenden finanziert werden.
Erwähnen möchte ich noch die Durchführung von Informations- und Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Sterben, Tod und Trauer in Hospizdiensten, Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen, Sozialstationen usw., aber auch in Kirchgemeinden und weiteren Einrichtungen wird dies intensiv durchgeführt. Im Rahmen dieser Veranstaltungen sind die Öffentlichkeitsarbeit und damit auch das allgemeine Bewusstsein für das Thema Hospiz angestiegen. Diese Maßnahmen werden auch flankierend durch das Thüringer Sozialministerium begleitet. So befasste sich die Ministeriumszeitschrift „Soziales Thüringen“ im Jahr 2005 in einem ausführlichen Artikel mit dem Thema Hospiz. Neben der Übernahme von Schirmherrschaften und Grußworten, die ich selbst auch bei Hospizveranstaltungen mit durchgeführt habe, haben wir über zahlreiche unterstützende Pressemitteilungen hinaus gewirkt. Das Thüringer Sozialministerium hat in verschiedener Weise mehrere Bürger für ihr Engagement bei der Betreuung Sterbender innerhalb und außerhalb der Familien geehrt. Genannt sei hier zum Beispiel die „Thüringer Rose“, die seit dem Jahr 2003 mehrfach auch an Hospizhelfer verliehen wurde. Außerdem wurde die Vorsitzende des Hospizvereins Jena, Frau Dr. Birgit van Oorschotz, für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen. Die Thüringer Landesregierung hat diesen Vorschlag aktiv unterstützt, so dass Frau Dr. van Oorschot im Jahr 2005 diese Auszeichnung auch erhalten hat.
Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass die Thüringer Landesregierung gerade diesem Bereich der Enquetekommission besondere Beachtung geschenkt und die Empfehlungen beachtet und umgesetzt hat. Natürlich bin ich mir darüber im Klaren, dass es noch weiterer Anstrengungen bedarf, um die Situation Schritt für Schritt auch zu verbessern.
Dies gilt auch für das zweite Thema, das im Antrag angesprochen worden ist: Das sind die psychosozialen Angebote für Mitarbeiter im intensivmedizinischen Bereich. Dieses Thema geht auf die Empfehlung Nr. 58 der Enquetekommission zurück. Die Notwendigkeit einer Hilfe für das Personal auf Intensivstationen oder aber auch auf Stationen, auf denen unheilbar kranke Kinder und Jugendliche betreut werden, ihre psychisch belastende Arbeit zu be
wältigen, wird von der Landesregierung gesehen. Die Vorhaltung geeigneter Angebote, wie etwa regelmäßige Supervisionen oder psychotherapeutische Betreuung, ist eine Aufgabe der innerbetrieblichen Organisation der Krankenhäuser, die in der allgemeinen Verantwortung des jeweiligen Krankenhausträgers liegt. Das Land kann hierauf keinen Einfluss nehmen.
Erwähnen möchte ich an dieser Stelle, dass an der Friedrich-Schiller-Universität Jena die Ausschreibung zur Besetzung eines Lehrstuhls für Palliativmedizin erfolgt ist. Anfang Februar dieses Jahres soll das hochschulinterne Auswahlverfahren beginnen. Der Lehrstuhl soll dieses Jahr besetzt werden.
Zu den Empfehlungen Nr. 60 und 61 der Enquetekommission stelle ich fest: Neben der Palliativstation im Katholischen Krankenhaus Erfurt, der ersten übrigens in Thüringen überhaupt, gibt es seit Juli 2004 im Rhönklinikum Bad Berka mit der Klinik für Palliativmedizin eine weitere. Ebenfalls im Juli 2004 eröffnete die dritte Thüringer Klinik, das Südharz-Krankenhaus Nordhausen eine Palliativstation mit neun Betten. Auch das Sankt-Georg-Klinikum Eisenach verfügt seit Mitte vorigen Jahres über eine Station mit derzeit fünf Betten, sieht aber nach Fertigstellung des Neubaus Ende 2006 eine Palliativstation mit der Aufstockung auf zehn Betten vor. Auch im Klinikum Meiningen findet derzeit ein Umbau mit dem Ziel der Einrichtung einer zentralen Palliativstation im zweiten Halbjahr dieses Jahres statt. Gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe soll am Klinikum der FSU Jena eine Station entstehen. Das Land und die Deutsche Krebshilfe wollen das Vorhaben gemeinsam finanzieren. Derzeit läuft das Vergabeverfahren für die Architekturleistung in Verantwortung der staatlichen Bauverwaltung. Nach Abschluss des Verfahrens soll baldmöglichst mit den Planungsarbeiten begonnen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Enquetekommission zur „Wahrung der Würde des menschlichen Lebens in Grenzsituationen“ hat in der 3. Wahlperiode hervorragende Arbeit geleistet.
Jawohl, Frau Kollegin Zitzmann war ja auch aktiv beteiligt. Dieser Arbeit fühlt sich die Thüringer Landesregierung auch weiterhin verpflichtet. Die Umsetzung aller Empfehlungen benötigt jedoch einen langen Atem. Vielen Dank.
Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, bevor wir jetzt in die Diskussion zu diesem Sofortbericht einsteigen, möchte ich Ihnen mitteilen, dass Altbundespräsident Johannes Rau heute Morgen verstorben ist. Ich bitte Sie, sich zu einer Gedenkminute von den Plätzen zu erheben.
Ich frage: Wer wünscht Aussprache zum Sofortbericht? Die Fraktion der CDU. Damit eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort der Abgeordneten Dr. Fuchs, Die Linkspartei.PDS.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, ich gebe zu, Ihre Nachricht hat mich jetzt doch bewegt, weil ich den Herrn Altbundespräsidenten Rau auch persönlich gekannt habe. Deshalb muss ich jetzt schlucken und hoffe, dass man das versteht.
Trotzdem glaube ich, dass gerade die Frage, wie wir mit sterbenden Menschen umgehen, doch eine ganz große Rolle spielt. Herr Minister Zeh, ich danke Ihnen für Ihren Sofortbericht. Er war sehr informativ. Das, was Sie gesagt haben, was möglich ist, was notwendig wäre und was geplant ist, war interessant zu erfahren. Richtig ist es - ich war zwar nicht dabei, aber ich weiß es aus den Gesprächen mit den Abgeordneten -, dass die Enquetekommission wirklich eine sehr, sehr gute Arbeit geleistet hat und dass die Ergebnisse dieser Arbeit weit über die Grenzen des Landes Thüringen hinaus Aufmerksamkeit erhalten haben, ich glaube auch gerade deshalb, weil sie so gut gearbeitet hat. Es waren sehr umfangreiche Themen, Sie hatten sie angedeutet, es ging um mehr als nur das Thema, Sterbenden zu helfen. Es war richtig, dieses Thema einmal wieder auf die Tagesordnung zu setzen, damit die Menschen draußen, die das auch verfolgt haben, einmal erfahren, was wurde getan, wie wurden die Empfehlungen durch die Landesregierung umgesetzt. Wir haben uns nicht von ungefähr dafür entschieden, genau auf das Thema der Enquetekommission „Wahrung der Würde des menschlichen Lebens in Grenzsituationen“ einzugehen, weil, wie Sie es auch erwähnten, Sterbende in einer zutiefst verunsicherten Welt leben, weil ihnen Orientierungshilfen verloren gehen. Der eigene Körper lässt sie im Stich, Verwandte und Freunde verändern ihr Verhalten. Viel zu oft ziehen sie sich dann auch von diesen Menschen zurück. Aus all diesen Veränderungen resultiert für den Kranken nicht selten das Gefühl, auf diesem letzten Weg seines Lebens allein gelassen zu werden. Es gibt da ein wirklich wunderschönes altes griechisches Sprichwort: „Es ist nicht das größte Übel zu sterben, sondern dabei allein zu sein.“
Herr Minister Zeh, Sie erwähnten es in Ihrem Bericht, wir wissen aus Umfragen, vor allem auch hier aus Thüringen, dass die Mehrheit der Menschen wirklich zu Hause in der vertrauten Umgebung sterben möchte. Aber Tatsache ist nun mal, dass die meisten Menschen auch hier in Thüringen in Einrichtungen wie Krankenhaus oder Pflegeheim sterben. Jeder Mensch erlebt den Gedanken an das Sterben, an seinen Tod, je nach Lebensalter, Erfahrung, Weltanschauung und konkreter Lebenssituation zwar in unterschiedlicher Weise, doch fast stets als etwas Bedrohendes, Ängstigendes. Er sucht nach Möglichkeiten, mit dieser Bedrohung zu leben, seinem Dasein Inhalt und Sinn zu geben. Die Bewältigung des akut bevorstehenden oder sich vollziehenden Sterbens durch den Sterbenden und die Aufgaben der Mitarbeiter in den Einrichtungen, durch Linderung und Beistand dem Sterbenden Lebenshilfe zu geben, ist mit vielen praktischen Schwierigkeiten verbunden. Die Möglichkeiten medizinischer Fürsorge im Krankenhaus sind heute sehr, sehr groß, weshalb die Frage des ärztlichen Handelns in den Blickpunkt rückt und die Diskussion um Patientenverfügung und Sterbehilfe immer wieder auf die Tagesordnung setzt. Der Arzt aber hat nach ethischen und rechtlichen Grundsätzen zu handeln. Leider ist heute immer häufiger in Diskussionen - zumindest in Fachkreisen - zu hören, die Kosten für das Sterben zu minimieren und die Angehörigen zu entlasten. Dabei werden Vergleiche - ich sage es ruhig - mit den Eskimos herangezogen ebenso auch wie von Teilen von USA-Bürgern direkt praktiziert oder bekannt geworden ist, es ihnen gleich zu tun und selbst dem Leben ein Ende zu setzen. Dem Leben ein Ende zu setzen, nicht um das eigene Leiden zu lindern, sondern man muss es brutal sagen, aus ökonomischen Gründen, nämlich anderen Leuten keine Kosten zu verursachen. Ich frage mich ernsthaft: Sollen diese Hinweise so verstanden werden, Wirtschafts- und Effizienzreserven künftig so zu nutzen? Tauschen wir im Zuge der globalen Ökonomisierung künftig so Teile bzw. Werte unserer kulturellen Errungenschaften aus Kostengründen mit anderen Kulturen aus?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein solches Szenarium macht mir Angst. Aufmerksam verfolge ich deshalb auch die zurzeit kontrovers geführte Diskussion um die Patientenverfügungen. Ich will deshalb vor diesem hohen Haus klarstellen: Nicht „Sterbehilfe“ sollte der Begriff sein, um den wir uns streiten, sondern „Sterbebegleitung“, so wie es im Abschlussbericht der Enquetekommission auch festgeschrieben ist. Das bedeutet aber auch, dass in Thüringen alles unternommen wird, um die Palliativmedizin weiter auszubauen. Es bedeutet, die Hospizdienste zu unterstützen und die psychosozialen Beratungsstellen zu stärken. Sie dürfen keinem Rotstift zum Opfer fallen. Sie, Herr Minister Zeh, sagten ja, wir werden uns bemühen, das nicht zu tun, aber ich
denke, wir müssen auch in jeder Haushaltsdebatte und überall da, wo das Land mithelfen kann, aufpassen, dass hier der Rotstift wirklich nicht angesetzt wird. Da erinnere ich an dieser Stelle an die Einrichtung des Lehrstuhls für Palliativmedizin und einen für Allgemeinmedizin. Sie sagten in Ihrer Rede: Ja, der Lehrstuhl für Palliativmedizin ist schon ausgeschrieben, da gibt es schon Verhandlungen. Aber ich kenne auch ein Gerücht und deshalb stelle ich es als Frage - ich habe dieses Gerücht nur gehört -: Kommt trotzdem der Lehrstuhl für Allgemeinmedizin? Es wird gesagt, es kommt nur einer. Wir wissen aber jetzt aus völlig anderen Gründen, obwohl sie trotzdem auch zusammenhängen, dass beide notwendig wären.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, für eine umfassende Sterbebegleitung ist eine gute Vernetzung von Hospizarbeit und Palliativstationen, Hausärzten und psychosozialer Beratung von großer Bedeutung. Gute Ansätze in Thüringen sind da, das haben wir gehört, aber es gibt auch noch andere Forderungen der Enquetekommission. Sie hat in ihrem Abschlussbericht die Forderung erhoben, das SGB V - die Krankenversicherung - und das SGB XI - die Pflegeversicherung - dringend zu ergänzen, damit die Finanzierungsgrundlage für diese Arbeit gewährleistet wird, denn nach meinen Informationen werden gegenwärtig differenzierte Verträge abgeschlossen. Ich weiß, dass das Bundeshoheit ist, aber der Gesundheitsminister des Landes Thüringen, der außerdem noch CDU-Mitglied ist, kann sicherlich auch auf Bundesebene aktiv werden. Darüber hinaus fordert laut Abschlussbericht die Landesarbeitsgemeinschaft „Hospiz Thüringen“ staatliche Regelungen, damit Personen, die sterbende Angehörige pflegen, von ihrer Arbeit freigestellt werden. Das ist keine Utopie, so etwas zu fordern. Diese gesetzliche Regelung gibt es zum Beispiel in Frankreich. Dort erhalten pflegende Angehörige eine Freistellung von der Arbeit und sie haben dann nach Abschluss ihrer Pflege Anspruch auf Rückkehr an den gleichen Arbeitsplatz mit dem gleichen Lohn. Warum sollten wir hier nicht an der Stelle auch mal sagen, von Frankreich als Vorbild kann man lernen.
Sehr geehrte Damen und Herren, kürzlich war in der Presse zu lesen, dass Niedersachsen - also gar nicht mal so weit weg, sondern es gehört zu Deutschland, zu uns, es ist ein Nachbarland - seine palliativmedizinische Versorgung ausbaut und sie werden da unterstützt von einer Studie der Medizinischen Hochschule Hannover. In dieser Studie kommen sie zu ähnlichen Ergebnissen wie auch wir hier in Thüringen. Das Netz der Palliativversorgung ist da, aber es ist eben nicht ausreichend. Nachholbedarf gibt es in der Aus- und Fortbildung für Ärzte und Pflegekräfte. Auch das ist hier in Thüringen immer noch ein Problem.
Die Vorschläge aus der Studie gehen aber noch weiter. Es wird ein flächendeckendes Netz der Palliativversorgung vorgeschlagen, das überall eine wohnortnahe Betreuung gewährleisten kann. In den Stationen, in den Krankenhäusern sollen dazu mobile Pflegedienste, Pflegebetten und Stützpunkte auf Kreisebene gehören sowie die Errichtung eines Palliativzentrums auf Landesebene. Ich denke, in Thüringen könnte das Landeszentrum an der Universität Jena angesiedelt sein, zumal, wenn Sie sagen, dass jetzt dort auch der Lehrstuhl eröffnet werden wird.
Aus dem mir vorliegenden 5. Thüringer Krankenhausplan ist die Palliativmedizin für mich nicht ersichtlich. Ich denke, bei der Novellierung des Thüringer Krankenhausgesetzes sollte das Krebsregister und die Palliativmedizin berücksichtigt werden. Richtungweisend, denke ich, für die Politik sollte auch die Aussage der neuen Bundesfamilienministerin sein. Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin: „Wir brauchen eine starke Palliativversorgung, damit es uns als Gesellschaft gelingt, sterbende Menschen schmerzfrei und würdevoll in den Tod zu begleiten.“ Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die SPD-Landtagsfraktion findet es gut und richtig, dass wir uns heute wieder einmal vor Augen führen, welche Aufträge aus der Enquetekommission „Wahrung der Würde des menschlichen Lebens in Grenzsituationen“ für diesen Landtag und die Landesregierung bestehen. Nun hat der Sofortbericht der Landesregierung versucht, den Umsetzungsstand sehr positiv darzustellen. Ich sage bewusst „versucht“, weil dieses Bild selbst im Hinblick auf den Schwerpunkt der heutigen Diskussion, also auf die Begleitung schwer kranker und sterbender Menschen, nur bedingt zutrifft. Es verzerrt erst recht, wenn wir unseren Blickwinkel auf den heutigen Schwerpunkt hinaus öffnen und uns sämtliche Empfehlungen der Enquetekommission vor Augen führen. Aber keine Sorge, das wird heute nicht mein Ziel sein.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das letzte Mal hat sich der Landtag und der Sozialausschuss in der vergangenen Wahlperiode Anfang des Jahres 2004 mit der Umsetzung befasst. Es wurde also Zeit und deshalb begrüße ich die Initiative der Kollegen von der Linkspartei.PDS ausdrücklich.
Nun möchte ich auch heute dieses Thema in der Tradition der damaligen Arbeit der Enquetekommission nicht für einen politischen Schlagabtausch nutzen. Aber lassen Sie mich betonen, es gibt keinen Anlass, die Situation schönzureden, schon gar nicht die Betreuungssituation der Menschen in ihrer letzten Lebensphase, die psychischen und physischen Belastungen der sie begleitenden Angehörigen und der ehrenamtlichen Helfer. Es gibt ebenfalls nichts zu beschönigen, wenn es um die Arbeitsbedingungen des medizinischen und des Pflegepersonals geht, welches sterbenden und schwer kranken Menschen und ihren Angehörigen helfen soll und auch muss.
Meine Damen und Herren, trotz der Empfehlungen der Enquetekommission ist hier tatsächlich seit 2004 zumindest im stationären Bereich nichts Nennenswertes geschehen. Stattdessen haben wir die massiven Einschnitte im Sozialhaushalt, die auch hier ihre Spuren hinterlassen haben. Ja, wir haben das Hospiz in Bad Berka als einziges Hospiz in Thüringen, welches übrigens zum größten Teil aus Bundesmitteln gefördert wurde. Nach Ansicht der Fachleute besteht aber mindestens an weiteren drei bis vier Standorten - der Minister hat es ja auch erwähnt - der Bedarf für ein Hospiz. Wer in den Haushalt schaut, der sieht an dieser Haushaltsstelle seit 2005 eine so genannte schwarze Null, und schauen Sie sich die Situation der Pflege an. Wir haben Anfang des vergangenen Jahres bei der massiven Kürzung der Investitionsfinanzierung in Pflegeeinrichtungen bereits darauf hingewiesen, dass dies den Kostendruck innerhalb der Pflegeeinrichtungen der ambulanten Dienste erhöhen wird. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Betreuung schwerst kranker Menschen. Überall dort, wo sich der Kostendruck erhöht, wird dies auch zulasten des eingesetzten Pflegepersonals gehen. Uns berichten Fachleute, dass zum Beispiel die Betreuung sterbender Menschen in Pflegeheimen häufig völlig unzureichend ist, und nicht etwa, weil seitens des Pflegepersonals der gute Wille nicht vorhanden wäre, sondern weil die personellen Kapazitäten einfach nicht vorhanden sind und oft das für derartige Extremsituationen notwendige spezifische fachliche Fundament längst nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist. Es liegen dort immer wieder Überforderungssituationen in den Pflegeeinrichtungen vor, über die nicht offen gesprochen wird und die dennoch vielen bekannt sind. So, wie das Sterben in unserer Gesellschaft weit gehend tabuisiert wird, so ist auch die Begleitung und Betreuung sterbender Menschen ein weit gehendes Tabu. Obwohl uns hier die Enquetekommission Wege aufzeigt und Aufgaben mitgegeben hat, sind wir von einer positiven Veränderung weit entfernt. So werden nach bundesweiten Erhebungen nur etwa drei bis vier Prozent sterbender Menschen palliativ und in Hospizen
Ich darf in diesem Zusammenhang an unsere dramatische Bevölkerungsentwicklung, unsere schnell alternde Gesellschaft auch hier in Thüringen erinnern. Wir stehen zeitgleich vor einer Situation, in der Angehörige der Familien häufig keine Begleitung auf diesem letzten Weg eines jeden Menschen mehr leisten können. Nicht etwa, weil sie nicht wollten, nein, weil sie aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit weit entfernt leben, ja leben müssen, und weil die gesetzlichen Grundlagen in diesem Land noch so sind, dass selbst bei der Sterbebegleitung eines nahen Angehörigen kein Rechtsanspruch auf Freistellung besteht. Dann werden Menschen in Situationen gezwungen, in denen sie zwischen dem Erhalt des Arbeitsplatzes und der Begleitung ihrer sterbenden Eltern oder eines anderen nahen Angehörigen entscheiden müssen. Wir wissen, dass uns in den neuen Ländern diese Situation weit mehr betrifft als in den alten Ländern. Deshalb brauchen wir nicht, wie der Herr Minister Zeh in der Sozialausschuss-Sitzung Anfang 2004 meinte, die Arbeit des Hospiz in Bad Berka abzuwarten, um daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir wissen bereits heute, dass wir weitere stationäre Hospize brauchen und wir wissen, dass die Palliativmedizin ausgebaut werden muss. Die damals angekündigte Palliativstation im landeseigenen Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität in Jena ist immer noch nicht realisiert und die freien Träger, von denen konzeptionelle Überlegungen bezüglich der Begleitung Sterbender erwartet wurden, diese freien Träger stehen nach den massiven Kürzungen des Sozialhaushalts im vergangenen Jahr und bei diesem Doppelhaushalt mit dem Rücken an der Wand. Dort sind keine Spielräume mehr vorhanden, um zusätzliche Leistungen zu erbringen. Die Förderung der Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz Thüringen e.V. ist derart gering, dass eine Ausweitung bei der Beratung und Begleitung neuer Hospizinitiativen kaum zu erwarten ist.
Meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich bewusst mit meiner Kritik zurückgehalten und nur wenige Beispiele aufgezeigt, aber klar ist für uns alle, dass akuter Handlungsbedarf besteht. Ich weiß aufgrund meiner beruflichen Erfahrung als Krankenschwester und aufgrund der aktuellen Situation bei der Begleitung und Betreuung meines schwer kranken Vaters, über was ich hier rede. Weil mir die heute angesprochene Thematik so wichtig und drängend ist, will ich jetzt bewusst nicht auf die anderen unerledigten Empfehlungen, zum Beispiel bei der Unterstützung behinderter Menschen, eingehen. Ich schlage auch deshalb vor, dass wir uns über den heutigen Sofortbericht hinaus mit der Umsetzung der Empfehlungen der Enquetekommission hinsichtlich der Pflege Schwerstkranker
und der Begleitung sterbender Menschen differenziert im Sozialausschuss befassen sollten. Dort besteht die Gelegenheit der Anhörung von Experten aus der Alten- und Krankenpflege, der Hospizbewegung und der Träger von Palliativstationen. Ich beantrage die Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit. Vielen Dank.