(Zwischenruf Dr. Fuchs, Die Linkspar- tei.PDS: Nur nicht hinterfragen, wo die Ergebnisse herkommen.)
Ja, das ist eine Mehrheit. Gibt es hier Stimmenthaltungen? Mit einer Mehrheit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt. Frau Abgeordnete Berninger - sicher eine Erklärung zum Abstimmverhalten.
Ich möchte eine Erklärung abgeben. Ich finde es unsäglich, wie hier mit einer Studie umgegangen wird, die mit dem Titel „Politische Kultur“ überschrieben ist. Und natürlich habe ich diesem Antrag zugestimmt.
MfS/AfNS-Mitarbeit und die Fol- gen für die Ausübung öffent- licher Ämter Antrag der Abgeordneten Mohring, Wetzel, Zitzmann, Kölbel, Lieber- knecht, Holbe, Panse, Schwäblein, Seela, von der Krone, Stauche, Gumprecht, Primas, Jaschke, Ber- gemann, Dr. Krapp, Fiedler, Köckert, Prof. Dr. Goebel, Tasch, Grüner, Dr. Krause, Günther, Worm, Leh- mann, Emde, Wehner, Rose, Schrö- ter, Krauße, Heym, Diezel, Dr. Zeh, Reinholz, Groß, Kretschmer, Stauch - Drucksache 4/1324 -
Wünscht diese Gruppe das Wort zur Begründung? Das ist nicht der Fall, so eröffne ich die Aussprache und rufe als Ersten in dieser Aussprache den Abgeordneten Mohring für die CDU-Fraktion auf.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, am 9. November - heute vor zwei Tagen - haben wir des 16. Jahrestags des Mauerfalls gedacht. Die Mauer, deren einziger Zweck es war, den Menschen in der DDR ihre Freiheit zu nehmen, sie einzusperren und denen, die sie überwinden wollten, um ihre Freiheit zurückzuerlangen, das Leben zu nehmen, sie auch zu töten. Diese Mauer haben wir, die Menschen in der ehemaligen DDR mit Kerzen in der Hand zu Fall gebracht.
Es heißt, wer sich nicht bewegt, bewegt auch nichts. Doch im Herbst 1989 haben wir uns bewegt. Wir sind aus unseren Nischen herausgekommen, manche auch aus ihrer Apathie und haben Geschichte geschrieben, ohne es selbst zu diesem Zeitpunkt zu
„Mit der Öffnung der Mauer erreichte die friedliche Revolution in der DDR in den Abendstunden des 9. November 1989 einen entscheidenden Durchbruch. Der Weg zu einem Staat und zu einer Gesellschaft, die sich auf den Fundamenten und im Geist der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entwickeln und zur Wiedervereinigung war frei, die sozialistische Diktatur auf dem Rückzug. Gedenktag der Demokratie ist der 9. November auch durch die Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann 1918. Der Hitler-Ludendorff-Putsch 1923 und die brennenden Synagogen 1938 erinnern an die Gefährdung der Demokratie.“ - so heißt es in der Begründung zu unserem Gruppenantrag.
Als wir im Herbst 1989 Geschichte geschrieben haben, ohne es zu wissen, haben wir uns auch dieser Geschichte vor allen Dingen auch für diesen bedeutenden Tag, den 9. November, selbst erinnert. In der „Leipziger Volkszeitung“ vom 10.11.1989, die vor allen Dingen aus der Oppositionsbewegung aus der Heldenstadt Leipzig berichtet hat, heißt es zu dem Vorabend am 9. November in einer Zeitungsmeldung, Frau Präsidentin, aus der ich zitieren möchte: „Mit einem Schweigemarsch gedachten am Donnerstagabend mehrere zehntausend Leipziger den Opfern der faschistischen Pogromnacht vor 51 Jahren. Aufgerufen zu dieser genehmigten Demonstration, die sich zugleich gegen aufkommende rechtsradikale Tendenzen von heute richtete, hatte die Leipziger Gruppe des Neuen Forum. Der Zug führte vom Nikolai-Kirchhof durch die Leipziger Innenstadt zum Gedenkstein in der Gottschedstraße, jenem Platz, an dem damals in jener Nacht auch die größte Synagoge dieser Stadt in Flammen stand. Rund um diese Gedenkstätte legten die Leipziger Blumen nieder und stellten ihre Kerzen auf.“
Der 9. November ist damit ein deutscher Denktag, der uns daran erinnert, dass Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich und in ihrem Bestand immer wieder gefährdet sind. Der Umgang mit den Belastungen der Vergangenheit und die Erinnerungskultur haben Einfluss auf die politische Kultur. Entsprechende Regeln und Verständigungen sind deshalb kein Ausdruck persönlicher oder parteipolitischer Rachsucht, sondern dienen der Akzeptanz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bei Bürgerinnen und Bürgern. Das ist mit Blick auf den Nationalsozialismus selbstverständlich und sollte, ohne die Diktaturen in Deutschland gleichzusetzen, auch für das SED-Regime gelten.
Als wir im Herbst 1989 in meiner Heimatstadt Apolda die Leute wachrüttelten, da war es schon weit in den Oktober des Herbstes 1989 hinein, als wir mit unserer ersten Montagsdemonstration begonnen ha
ben. Unser Weg führte uns vom Gericht, vorbei an der SED-Kreisleitungszentrale, hin zum Gebäude der Staatssicherheit. Überall an diesem Abend stellten wir unsere Kerzen ab - tausende Kerzen - und alles lief friedlich ab. Eines wollten wir an diesem Abend unverrückbar zeigen: Wir wollten so einen Staat nicht mehr, wie er war, sondern wir wollten die Freiheit. Das war es, wofür die Menschen im Herbst 1989 auch aus eigenem Antrieb auf die Straße gegangen sind,
für Meinungsfreiheit, für Reisefreiheit, für Wahlfreiheit, für Pressefreiheit und auch für Demokratie. Wir wollten keine Bespitzelung mehr.
40 Jahre lang hat die Staatssicherheit die Menschen in der ehemaligen DDR im Auftrag der SED beherrscht. Es gab kaum eine Familie, beinahe kein einziges Individuum, welches sich nicht von Bespitzelung, von Einschüchterung und Verfolgung durch die Staatssicherheit berührt sah. Ich bin der Kulturstaatsministerin Christina Weiss dankbar, die in Ihrer Rede zum 65. Geburtstag von Joachim Gauck - ich will daraus zitieren - folgende Worte gesagt hat: "Wir erkennen, dass jeder, der nicht bereit war, an die fiktive Welt des Kommunismus zu glauben, seelisch oder physisch unter Druck geriet. Natürlich lässt sich die Geschichte der DDR nicht ausschließlich über die Stasi-Akten rekonstruieren, aber ohne die Stasi-Akten wäre jede Chronik der DDR unvollkommen. Die Akten lassen einen kühn unbekümmerten Sprung von der Diktatur in die Demokratie nur um den Preis der Selbstverleugnung zu." Sie hat weiter ausgeführt: "Wir wissen längst, dass man nicht mit der Stasi zusammenarbeiten musste. Wir wissen, dass es vielen gelungen ist, anständig zu bleiben und sich nicht zu Lumpen machen zu lassen. Wir wissen von der Kraft und der Kreativität des Unangepassten." Da stimme ich Frau Weiss ausdrücklich zu und ich bin dankbar, dass sie den Geburtstag von Joachim Gauck zum Anlass genommen hat, diese Klarstellung auch für alle Bürger in der DDR zu treffen.
Dem Thüringer Verfassungsgeber stand dieser Zusammenhang vor Augen, als er die Landesverfassung im Bewusstsein der leidvollen Erfahrungen mit überstandenen Diktaturen und des Erfolgs der friedlichen Veränderungen im Herbst 1989 - so die Präambel unserer Verfassung - auf den Weg brachte und auf eine Initiative der SPD-Fraktion zurückgreifend Mitarbeitern und Zuträgern des MfS/AfNS die Eignung zur Einstellung und zur Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst absprach, wie es jetzt in Artikel 96 Abs. 2 unserer Verfassung des Freistaats Thüringen auch festgeschrieben ist. Die Verfas
sungsbestimmung und vor allem das Thüringer Gesetz zur Überprüfung von Abgeordneten heben aus guten Gründen die besondere Bedeutung des Ministeriums für Staatssicherheit im totalitären Machtapparat der DDR hervor.
Mit Blick auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - so haben wir es auch in unserer Begründung zum Antrag geschrieben - heißt es weiter: „Diese Tätigkeit des Sicherheitsorgans der DDR zielte auf eine Verletzung der Freiheitsrechte, die für eine Demokratie konstituierend sind.“ Es heißt weiter: „Mit Blick auf den Bundestag - und das gilt in gleicher Weise für die Landesparlamente - stellte das Gericht in dieser Entscheidung“ aus dem Jahr 1994 „fest, ‚dass das Vertrauen in das Repräsentationsorgan in besonderer Weise gestört wäre, wenn ihm Repräsentanten angehörten, bei denen der Verdacht besteht, dass sie in der beschriebenen Weise eine Diktatur beschützt haben.’" Ich habe mir die Mühe gemacht, in den Plenarprotokollen vom 29. April 1999 nachzulesen, als es um die Entscheidung über den Mandatsverlust der Abgeordneten Beck nach § 8 Abs. 1 und 2 des Thüringer Gesetzes zur Überprüfung von Abgeordneten ging. Ich will aus dem Protokoll nur zwei Abgeordnete zitieren, weil sie diese Meinung auch nach Jahren, nachdem die Verfassung in Kraft getreten ist, auch noch einmal hier im Plenarsaal verstärkt haben. Dort hat der Abgeordnete Gentzel von der SPD-Fraktion an jenem Sitzungstag gesagt: "Wir sind der klaren Auffassung, dass Abgeordnete, bei denen die gesicherte Überzeugung vorliegt, dass sie mit dem MfS oder AfNS wissentlich oder als inoffizielle Mitarbeiter zusammengearbeitet haben, nichts, aber auch gar nichts in diesem hohen Hause zu suchen haben.“
Auch unser Kollege Harald Stauch hat in dieser Sitzung für die CDU-Fraktion zum Ausdruck gebracht, die Menschen, die das eigene Volk bespitzelt, hintergangen, betrogen und verraten haben, haben die Legitimation verloren, in einem demokratisch gewählten Parlament Entscheidungen für andere zu treffen oder gar die Interessen der Allgemeinheit zu vertreten.
Das System der Staatssicherheit und die Wirkung auf die Menschen sind weiter feststellbar, auch wenn seither schon 16 Jahre vergangen sind. In einem Buch von Hans-Joachim Maaz - „Der Gefühlsstau“, aus dem ich zitieren möchte - ist Folgendes nachzulesen. Es heißt: Der Einzelne sei in der DDR einem enormen physischen Druck ausgesetzt gewesen, der ein umfassendes System autoritärer Unterwerfung erzeugt hat. Durch die reale Angst vor Bestrafung sei er noch verstärkt worden. Die Bedrohung durch eine
allgemeine Bespitzelung habe den Druck ins Irrationale gesteigert. Die DDR-Menschen hätten ihn entweder an andere weitergegeben oder gegen sich selbst gewendet, gesundheitsschädlich, psychisch deformierend und zerstörerisch. Die anhaltende Wucht dieser Mechanismen sei enorm. „Wer nie erlebt hat“, so schreibt der Autor in seinem Buch, „was es heißt, wenn alles vorgeschrieben ist, was man sehen, hören, denken, sprechen, fühlen und tun darf, wird kaum erahnen, was das SED-Regime in den Körpern und Seelen derer angerichtet hat, die ihm unterworfen waren. Die Wirkungen lähmen vermutlich über mehrere Generationen auch Kinder und Kindeskinder.“ Und deshalb, meine Damen und Herren, kann man nur verstehen, wenn man sich das allgegenwärtige Spitzelsystem der Stasi immer wieder vergegenwärtigt, dieses Menschen verachtendste und widerlichste Element der Repression der ExDDR. Und ich sage auch, das verhasseste dazu, das deshalb auch zu einem Symbol wurde. Deshalb, die Besetzungen der Stasi-Zentralen im Herbst 1989 sind zu einem zentralen Symbol dieser unserer friedlichen Revolution im Herbst 1989 geworden und daran wollen wir auch mit diesem Gruppenantrag heute erinnern.
Wir wollen vor allen Dingen deshalb daran erinnern, weil - so glauben wir - wir es den Menschen schuldig sind, die in jener Zeit bespitzelt und verfolgt wurden, deren berufliche Entwicklung getroffen wurde und deren Familien zerstört wurden, die in Haft geworfen wurden und misshandelt wurden. Wir sind es schuldig, der Menschen auch zu gedenken, die an der Mauer sterben mussten, und wir sind es schuldig, derer auch zu gedenken, die in den Stasi-Gefängnissen in Bautzen und anderswo in lange Haft gekommen sind. Wir sind nicht zuletzt es auch schuldig, derer zu gedenken, weil es auch in diesen StasiGefängnissen Leute gegeben hat, die sich das Leben genommen haben, weil sie diese Dinge nicht mehr ausgehalten haben und weil sie nicht zuletzt auch von eigenen Freunden verraten worden sind.
Und, meine Damen und Herren, wir haben diesen Gruppenantrag deshalb gestellt, weil nicht nur hier in diesem Hause, im Thüringer Landtag, oder auch im Landtag in Sachsen, in unserem Nachbarland, sondern auch im Bundestag es keine weitere Fraktion gibt, wo wieder auch öffentlich bekennende StasiSpitzel in ein Parlament eingezogen sind. Ich will Ihnen eines deutlich für unsere Gruppe sagen: Wir nehmen Ihnen, der Gesamtfraktion hier in diesem Hause, aber auch in den anderen Parlamenten, das Demokratentum nicht ab, solange Ihnen die Täter der DDR näher sind als die Opfer.
Die Linkspartei.PDS will sich nach eigenem Bekunden zu einer modernen Linkspartei auf den Weg gemacht haben. Dazu gehört aber nach meiner Einschätzung ein differenzierterer und souveränerer Umgang mit der eigenen Geschichte. Deshalb ist es einzig und allein zu erwarten aus unserer Perspektive, dass eine Unterordnung unter die Wertmaßstäbe der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit, und das auch dann, wenn es den Menschen aus den eigenen Reihen betrifft, Vorrang haben muss, als die Nähe zu den Tätern aus dem vergangenen Regime.
Wenn man 15 Jahre nach Zusammenbruch dieses totalitären Regimes Einzelfälle wieder sieht, wie kleinlich, wie niedrig und manchmal auch wie moralisch verwerflich von diesem Repressionsapparat Staatssicherheit gesprochen wird in heutiger Zeit und wie auch versucht wird, Normalität herzustellen, dann zeigt sich, wie aktuell auch heute noch unser Antrag in dieser Zeit ist. Joachim Gauck, als er noch Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen gewesen ist, hat folgenden Satz zu dieser Problematik gesagt: „Das Leugnen und Täuschen und die selektive Erinnerung ist typisch, aber die Staatssicherheit war kein Apparat, wo freischaffende Künstler sich was aus den Fingern saugen konnten, denn diese Kontakte, wenn sie denn dokumentiert sind, die hat es tatsächlich gegeben.“ Deshalb sagen wir auch in unserem Antrag zur Begründung weiter und ich will daraus noch einmal zitieren: „Durch die unterdessen gängige Aufstellung von Kandidaten zu Parlamentswahlen, deren Zusammenarbeit mit dem MfS und AfNS von diesen selbst nicht in Abrede gestellt wird, oder durch die Versuche, eine bekannte oder bekannt werdende Zusammenarbeit zu verharmlosen und zu bagatellisieren, droht dieser durch das Bundesverfassungsgericht zu Recht herausgearbeitete Zusammenhang in Vergessenheit zu geraten.“ Wir beziehen uns dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1994. Dies ist höchst bedenklich, denn die Erinnerung an die SED-Diktatur ist bis heute defizitär, wie die Stiftung Ettersberg zur vergleichenden Erforschung europäischer Diktaturen und die Überwindung aktuell feststellt. So erst zuletzt in einer Pressemitteilung vom 12. Oktober dieses Jahres. Der Thüringer Landtag muss als einer der maßgeblichen Sachwalter der politischen Kultur in Thüringen zu diesem Sachverhalt deshalb auch an diesem heutigen Tag Stellung beziehen. Wir wollen deshalb Stellung beziehen, weil wir diese wohl kalkulierten Tabubrüche, dass es jetzt heißt, dass man ehemalige Stasi-Spitzel hoffähig machen könnte, nur weil sie Mitglied eines demokratisch gewählten Parlaments sind, nicht zulassen.
Einer, der noch bis vor wenigen Wochen bei uns im Haus selbst hier Mitglied war und jetzt in anderer
Funktion waltet, nämlich Bodo Ramelow, hat genau zu dieser Problematik, zu diesen wohl kalkulierten Tabubrüchen folgenden Satz gesagt: Individualanfragen müssten als nicht mehr zeitgemäß beendet werden. Und Frau Hildegund Neupert, unsere Thüringer Landesbeauftragte, hat daraufhin zu Recht erwidert: Es soll ablenken von persönlicher Schuld und es soll keine strafrechtliche Schuld auf sich geladen werden. Dass das Denken in dieser Zeit von unserem Prozess der Gebung zur Verfassung bis in den heutigen Tag gleich geblieben ist, zeigt auch ein Antrag aus dem Jahre 1993, damalige Fraktion Linke Liste/PDS, unterzeichnet von Dr. Roland Hahnemann, der genau zum Antrag der SPD-Fraktion, in Artikel 96 die Verfassungsregelung aufzunehmen, aus der ich vorhin zitiert habe, gesagt hat: „Das Thema gehört ohnehin nicht in eine Verfassung, da es nicht von dauernder Bedeutung sein wird.“ Wir meinen, das Thema ist von dauernder und fortwährender Bedeutung.
Ich will Ihnen auch sagen für unsere Gruppe, aber auch für die Gesamtfraktion, für uns sind StasiSpitzel in einem Parlament keine Normalität und sie wird es auch nie und nimmer sein.
Joachim Gauck hat anlässlich seiner Verabschiedung am 11. Oktober im Jahre 2000 Folgendes gesagt: Das Volk, das 1989 im Dezember die MfSDienststellen besetzte und diese Besetzung im Jahr 1990 in Berlin vollendete, ist der eigentliche Adressat der Bewegung und des Mauerfalls, den wir vor zwei Tagen feiern konnten. Wir, das Volk, wir waren in ihren Gebäuden und hatten ihre Akten unter Kontrolle, so Gauck. Die Bürgerkomitees hatten zwar nicht alles, aber das Wesentliche erreicht: Die Masse der Akten blieb erhalten. „Und am 24.08.1990, so setzt Gauck fort, erklärten sie erstmals in der Politikgeschichte, nämlich der Bundestag, alle Geheimdienstakten zum Eigentum derer, gegen die sie einst angelegt waren, mit einem einzigen Ziel: Alle Demokraten wollten bei diesem Werk mittun, nämlich dem Schlussstrich zu wehren.
Meine Damen und Herren, ich will deshalb auch, weil es an diese Stelle gehört, noch einmal aus einer Rede zitieren vom damaligen Kultusminister Dr. Michael Krapp am 8. August 2001 in Teistungen anlässlich der Auseinandersetzung mit der DDR-Diktatur in Schule und Unterricht als ein Beitrag zur Demokratieentwicklung. Michael Krapp hat damals gesagt: „Für die Bürgerinnen und Bürger konnten die schönen ideologischen Formeln, die autoritär-repressive Herrschaft der SED, den fundamentalen Mangel an
Freiheit, an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit keineswegs verdecken. Nicht zuletzt waren Mauer und Stacheldraht durch Radio und Fernsehen für Wahrheiten und Meinungen durchlässig geworden. Deshalb wurde das MfS in der DDR zum zentralen Machtinstrument der SED. Die Staatssicherheit produzierte das, was jede Diktatur braucht, die Angst der Menschen. Mehr als 250.000 offizielle und inoffizielle Mitarbeiter haben die gesamte Gesellschaft eingeschüchtert und Millionen Menschen kontrolliert.“, so Michael Krapp abschließend. Und deshalb, meine Damen und Herren, will ich ganz deutlich sagen: Wir werden immer wieder an dieses Unrecht, was uns Stasi-Spitzel zugefügt haben, erinnern, weil es nicht Normalität sein darf, weil wir es nicht vergessen wollen, weil wir es nicht verdrängen wollen, und egal, wer in diesem Hause wie aktiv mitarbeitet und auch gute Arbeit leistet, das, was gewesen ist, darf nicht vergessen sein und deshalb darf es nie Normalität sein. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, ich gestatte mir einfach eine Vorbemerkung auf die Äußerungen von Mike Mohring sowohl jetzt am Pult als auch im Antragstext, und zwar er hat von den Sachwaltern politischer Kultur in diesem Haus gesprochen. Wir haben eben eine gute - für mein Dafürhalten gute - Debatte zum ThüringenMonitor erlebt. Meine Fraktion hat es gewagt, einen Entschließungsantrag einzubringen; der hat keinen politisch überfordert. Er sollte die Landtagspräsidentin bitten, auf der Basis der Datenlage, die wir seit kurzer Zeit in der Hand haben, eine weitere oder vielleicht sogar mehrere weitere Veranstaltungen durchzuführen, bei denen wir über all das hätten sprechen können, was die einzelnen Redner angedeutet haben. Den haben Sie mit Mehrheit abgelehnt. Vor dem Hintergrund des „Denktags“ 9. November 1989 hätte ich mir gewünscht, dass jeder von Ihnen hätte seine eigenen Schranken überwinden und einem solchen Antrag, auch wenn er von der Oppositionspartei kommt, zustimmen können.
Mike Mohring ist in seiner Rede darauf eingegangen - und da stimme ich ihm zu -, dass der 9. November ein deutscher „Denktag“ ist. Ich finde es übrigens auch gut, dass Sie nicht nur Gedenktag sagen, sondern „Denktag“, und, ich denke, Sie haben sorgfältig
abgewogen, dass Sie dieses Wort in der Antragsbegründung aufgenommen haben. Stichworte für „denken“ und „gedenken“ sind die bürgerliche Revolution 1848, die November-Revolution von 1918, der Hitler-Ludendorff-Putsch 1923, die Pogrome der Reichskristallnacht 1938 und eben jene friedliche Revolution von 1989. All diese Geschichte verbindet, und da stimme ich Ihnen auch zu, die Idee, der Gedanke und das Erinnern daran, dass - ich zitiere aus dem Antrag - „Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich und in ihrem Bestand immer wieder gefährdet sind.“ Ich erinnere auch an dieser Stelle daran, dass die Fraktionen des Thüringer Landtags in den vergangenen Jahren sich gerade um den 9. November herum verständigten, wie man mit diesem Tag umgeht. Ich erinnere insbesondere an die offenen und öffentlichen Veranstaltungen mit vielen Beteiligten auf dem Schloss Ettersburg.
Ich meine, wir haben in diesem Jahr dieses gemeinsame Nachdenken versäumt. Aber ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich meinen Dank für die Veranstaltung mit Ruth Lapide am 9. November hier draußen in der Lobby des Thüringer Landtags