Herr Ministerpräsident, Sie haben die Arbeitslosigkeit erwähnt. Die ist ja nicht nur ein wirtschaftliches Problem, das zeigt auch die Studie. Natürlich führt Perspektivlosigkeit auch häufiger dazu, dass Menschen sich radikalisieren, weil sie keine Auswege mehr für sich sehen. Auch da kann man natürlich etwas tun. Man kann zum Beispiel statt für die Abschmelzung der Wirtschaftsförderung in Ostdeutschland - so wie Sie das in den letzten Wochen getan haben - auch dafür eintreten, dass diese Wirtschaftsförderung erhalten bleibt und dass Sie uns hilft, schneller Arbeitsplätze hier in Thüringen zu schaffen.
Oder wie wäre es beispielsweise mit einem Wettbewerb „Wirtschaftsfreundliche Kommune“, den man in Thüringen fördern könnte und damit zusätzliche
Wachstumsimpulse setzen? Die IHK Erfurt hat dazu sehr gute Vorschläge gemacht. Die Landesregierung hat das bisher nicht aufgegriffen. Oder, Herr Althaus, die Landesregierung könnte eine Verwaltungs- und Gebietsreform endlich in Angriff nehmen und auf den Weg bringen.
Sie könnte Thüringen wieder fit machen für eine Zeit, in der wir weniger Einwohner haben, für eine Zeit, in der wir weniger Einnahmen haben. Wie wollen Sie denn sonst Ihrem Ziel - ausgeglichene Einnahmen und Ausgaben - näher kommen? Oder, Herr Althaus, wir könnten zum Beispiel ein breit angelegtes Schüleraustauschprogramm mit unseren Nachbarländern initiieren, um die Angst vor Fremden abzubauen
um Thüringen tatsächlich zu einem weltoffenen Land zu machen. Das wäre nach meiner Überzeugung jedenfalls eher eine logische Konsequenz aus dem, was Sie hier zu den Monitor-Ergebnissen vorgetragen haben als das, was Sie im Moment tun. Sie haben in diesem Haushalt die Mittel für den Schüleraustausch um ein Drittel gekürzt. Das widerspricht doch dem, was Sie hier an Notwendigkeiten vorgetragen haben. Wir könnten auch ein breit angelegtes Programm zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus verabreden hier in diesem Hause. Ich bin sicher, dass wir uns da verständigen können.
Die SPD-Fraktion hat das zu Beginn dieses Jahres beantragt. Und wir könnten, und auch das wird ja in diesen Tagen diskutiert, uns verabreden, eine Politik aktiver Bürgerbeteiligung zu betreiben. Bei der Frage Volksentscheide auf Landesebene haben Sie sich ja am Schluss dann doch über die Hürde helfen lassen. Ich hoffe, das gelingt uns auch bei der Frage, wie viel Mitspracherecht haben die Bürger in ihren Kommunen und Kreisen. Ja, warum denn nicht? Das wäre doch ein Beitrag dazu, dass die Demokratiezufriedenheit steigen könnte.
Herr Althaus, Sie sehen, es gibt ausreichend Handlungsmöglichkeiten für einen Ministerpräsidenten. Ich wünsche mir, dass Sie bei Ihrer nächsten Regierungserklärung klar und deutlich sagen, was Sie tun wollen. Nehmen Sie die Verantwortung wahr, für die Sie gewählt worden sind! Und wenn Ihnen partout nichts einfällt, Herr Althaus, dann helfen wir Ihnen als Opposition mit guten Ideen gern aus.
Bevor ich für die CDU-Fraktion Frau Abgeordneten Lieberknecht das Wort erteile, möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Der Entschließungsantrag der Fraktion der Linkspartei.PDS in Drucksache 4/1345 ist inzwischen verteilt worden. Der Abgeordnete Hausold hat darauf hingewiesen. Frau Abgeordnete Lieberknecht, bitte schön.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben mit dem Thüringen-Monitor 2005 eine, wie ich finde, sehr beachtliche, wissenschaftlich fundierte Arbeit zur politischen Kultur in unserem Land vorliegen. Wissenschaftler wie Michael Edinger, Andreas Hallermann, Karl Schmitt stehen dafür mit ihrem guten Namen hilfreich, wie ich finde, für unsere politische Arbeit. Nur leider, Herr Kollege Hausold und auch Herr Kollege Matschie, haben Sie offensichtlich weder richtig gehört, was der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung sehr richtig zitiert und auch bewertet hat. Sie haben das, was Sie gelesen haben, zugegeben in einer kurzen Zeit, offensichtlich aus dem Monitor selbst auch nicht richtig gelesen. Das finde ich schade.
So nach dem Motto „Klassenkämpfer Hausold und Schulmeister Matschie“ werden wir der Diskussion hier nicht gerecht.
Ich will das nur an einem einzigen Punkt von Ihnen, Herr Matschie, aufgreifen, das Thema Freiheit, aber auch Herr Hausold, Sie haben es ja beide angesprochen. Wir unterscheiden uns eben hier grundsätzlich.
Der Herr Ministerpräsident hat sehr wohl seine Schlussfolgerungen gezogen aus den Daten, die hier auch der Thüringen-Monitor vorlegt. Wir haben dafür nicht die Mehrheit, die Mehrheit der Menschen im Land, die das genauso sehen von den Grundsätzen her. Wir halten es aber für richtig, dass die Priorität bei uns deutlich bei der Freiheit ansetzt. Die Freiheit, aus der das geschaffen wird, woraus wir dann Gerechtigkeit und auch Solidarität leben können. Denn in einer Gesellschaft, die dieses Verhältnis andersherum wertet, wissen wir ja, wohin wir kommen: Da wird am Ende immer weniger an immer
mehr verteilt. Das war ja die Abwärtsspirale, in der wir uns befinden auch in diesem Land. Es ist immer weniger, was zur Verfügung steht. Es soll an immer mehr verteilt werden, bis irgendwann der Bankrott ansteht. In einem Gesellschaftssystem, wo wir das ja erlebt haben, wo wir das hinter uns gebracht haben, denke ich, muss man hier ganz deutlich sagen, der Ansatz ist bei der Freiheit. Dafür gibt auch der Thüringen-Monitor die entsprechenden Zahlen, dass diejenigen, die die eloquentesten, die kreativsten, die in dieser Gesellschaft den unternehmerischsten Geist haben, die Existenzen gründen, genau die sind, die diese Freiheit an erster Stelle haben, um eben tatsächlich auch dazu beizutragen, dass die Gesellschaft Gerechtigkeit
und Solidarität leben kann. Ich möchte jetzt nicht die einzelnen Punkte der Tagespolitik, die Kollege Matschie angesprochen hat, hier durchgehen, denn das birgt die Gefahr in sich, dass wir dem ThüringenMonitor in seinen sehr grundsätzlichen Aussagen, die wirklich auch eines grundsätzlichen Nachdenkens bedürfen, nicht gerecht werden, und das in einer Situation, wo demokratische Verhältnisse keine Selbstverständlichkeit sind. Deswegen, finde ich, ist es schon richtig, nicht sofort in die Tagespolitik einzusteigen, sondern auch grundsätzlich noch einmal das zu reflektieren, was der Thüringen-Monitor uns sagt, und das will ich schon hier noch einmal wiederholen, selbst auf die Gefahr hin, dass Sie dies dann auch nicht verstehen oder nicht so werten, wie ich das hier sage. Aber ich denke, das ist einfach der Gewinn, den wir aus dem Thüringen-Monitor auch für uns ziehen sollten. Die Erkenntnis, demokratische Verhältnisse sind keine Selbstverständlichkeit, fordert eben von uns, dass wir auch über die Demokratie in unserem Land wirklich vom Grundsatz her immer wieder gerufen sind nachzudenken. Die Demokratie, für die ja viele Generationen Opfer gebracht haben, die eben auch bei vielen schlichtweg im Alltag nicht präsent sind, auch deswegen müssen wir daran erinnern, eine politische Daseinsform, die Demokratie, die kulturell weit mehr voraussetzt, als uns bewusst ist, und auch in Europa letztlich ja über Jahrhunderte zurückreicht, mit großen Traditionen bis hin zum Mittelalter, um auch das noch zu zitieren, weil das alles Voraussetzungen sind, auch in dem Dialog der Kultur, in dem wir uns im Übrigen befinden. Wir sind hier in Thüringen nicht in dem großen Gespräch im Blick auf andere Religionen und auch anderes Verständnis von Staatsform. Aber insgesamt spielt das, denke ich, eine große Rolle. Ich komme ja gerade von der EKD-Synode, da hat es eine Rolle gespielt mit den Großstadtzentren in Frankfurt, in Berlin, in München und anderswo. Wie abhängig demokratische Institutionen, Verfahren,
Verhaltensweisen von kulturellen Voraussetzungen sind, zeigt sich immer dann, wenn man versucht, demokratische Systeme einzuführen, wo sie bisher gar nicht oder nur ganz schwach ausgeprägte Traditionen hatten und haben. Das heißt auch, Demokratie ist nicht einfach ein Exportartikel, der mit einfachen Bastelanleitungen verschickt werden kann, sondern sie ist eine Aufgabe für Generationen. Auch wir stehen bei der Weiterentwicklung unserer Demokratie, bei der Festigung in unserem Land nach 15 Jahren, weiter mitten in der Arbeit, zu festigen, was wir haben, und weiterzuentwickeln. Diese Aufgabe ist vor Rückschlägen, ja der gänzlichen Vernichtung, wie wir leider auch aus der Geschichte wissen, nicht gefeit. Die Geschichte des vergangenen Jahrhunderts zeigt es zur Genüge. Auch der 9. November, den wir ja in dieser Woche am Mittwoch hatten, zeigt es ja auch über die Jahrhunderte und die Generationen hinweg, von 1848 angefangen, über den Tiefststand dann am 9. November 1938, aber dann eben auch der Gewinn der Freiheit am 9. November 1989. Demokratie gerät manchmal an die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit, selbst dann, wenn sie sehr alte Wurzeln hat wie in unserem Nachbarland Frankreich - ein Land, was ja schlechthin mit der Französischen Revolution 1789 für Demokratie steht. Und wir wissen, wie sich dort Räume herausgebildet haben in den Vororten der Großstadtzentren, wo letztlich der Staat sich weitgehend zurückgezogen hatte und seine Regeln nicht mehr ohne Weiteres durchsetzen konnte. Wegsehen, Ignoranz, Nichtwahrhaben-wollen - das rächt sich immer und das gefährdet Demokratie, auch heute. Freilich, Demokratie ist auch nicht immer begeisternd. Sie lebt vom Streit, einer Streitkultur und Kompromissen, von der Bereitschaft, Konzepte, manchmal auch große Konzepte, und Visionen am Ende in kleiner, manchmal auch nur in ganz kleiner Münze bekommen zu können. Ich denke, wir haben alle im Moment auch Schmerzensprozesse im Blick auf die Verhandlungen in Berlin, die wir uns alle anders gewünscht hätten. Aber es ist eben auch eine Aufgabe der Demokratie, die Kompromisse, die am Ende möglich sind, um des Gemeinwohls wegen zu schmieden.
Die Demokratie lebt auch von der Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, ihre Rechte wahrzunehmen, dann aber auch zu akzeptieren, was im Wege der vereinbarten demokratischen Verfahren entschieden worden ist; auch dann, wenn es für einen selbst mit Nachteilen verbunden ist. Demokratie braucht Freiheitsliebe, die Einsicht, dass die Ordnung der Freiheit ein Wert an sich ist und nicht abhängig gemacht werden darf von eigenen Gewinnen und Verlusten. Ich erinnere hier an die große Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler „Die Ordnung der Freiheit“. Und auch nicht zufällig, sondern sehr bewusst hat Dieter Althaus, unser Ministerpräsident, seine Regierungserklärung vom September im letzten Jahr unter
die Überschrift „Die Freiheit nutzen“ gestellt. Das ist für uns ein ganz zentraler Terminus und er kam auch in der Rede des Ministerpräsidenten heute wieder wie ein roter Faden zum Ausdruck. Um es mit Ricarda Huch zu sagen, unserer Alterspräsidentin, unmittelbar nach den bitteren Erfahrungen der nationalsozialistischen Diktatur zu Beginn des Freistaats Thüringen oder des Landes Thüringen damals nach 1945/1946 - Ricarda Huch, deren großes Zitat wir ja auch im Eingangsbereich des Landtags bis heute haben: „Demokratie ist eine Sache der Gesinnung.“ Eine Sache der Gesinnung, nichts Abstraktes, sondern sie hängt von den Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger, von Politikern, Verbandsvertretern und allen ab, die in herausgehobener Verantwortung für das Gemeinwesen tätig sind.
Deshalb rechne ich es zu den guten, wenn auch noch jungen Traditionen unseres Parlaments, die politische Kultur einmal im Jahr selbst zum Thema zu erheben und zu sehen, wie es um die demokratische Gesinnung bestellt ist, wie tief Demokratie wurzelt, wie der Boden beschaffen ist, in dem sie wurzelt, und was getan werden kann, ihn weiter zu kultivieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Beginn dieser Tradition stand ja ein Erschrecken, das wollen wir auch nicht vergessen, ein Erschrecken, wir waren entsetzt über den Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge damals im Jahr 2000. Der jährliche Monitor fragt deshalb nicht nur danach, wie tief der demokratische Verfassungsstaat verwurzelt ist, welche Faktoren ihm günstig und weniger günstig sind, er analysiert zugleich jene politischen Einstellungen, die der von Ricarda Huch so genannten demokratischen Gesinnung direkt zuwider laufen. Für Demokraten gelten dabei die offenen Augen nach rechts und nach links. Wir sind auf keinem Auge blind.
Dennoch haben wir, ausgehend vom Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge, immer ein besonderes Augenmerk in diesen Berichten gerade im Blick auf den Rechtsextremismus gelegt. Dieser Ansatz ist im Sinn einer wehrhaften Demokratie, die aus den totalitären Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts ihre Schlussfolgerungen gezogen hat. Eine robuste, lebenskräftige, demokratische Gesellschaft lebt von der Fähigkeit zur Unterscheidung. Es ist unsere Aufgabe, die Grenzen zwischen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auf der einen und Verfassungsfeinden auf der anderen Seite immer wieder deutlich zu markieren. Rassistische, fremdenfeindliche Positionen, die Verherrlichung von Gewalt sind mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar, weil eben die Menschenwürde als tragende Säule unserer Grundordnung und unserer
demokratischen Gesinnung darin verletzt wird. Mit dieser freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind auch politische Strömungen und Überzeugungen nicht vereinbar, die darauf abzielen, die Bundesrepublik Deutschland mit ihren grundlegenden Strukturprinzipien abzuschaffen oder zu beeinträchtigen, wie sie in den Verfassungsgrundsätzen Artikel 20 unseres Grundgesetzes niedergelegt sind. Es ist wichtig, sich dies immer wieder bewusst zu machen, damit wir nicht die falschen Debatten führen oder wichtige Aspekte übersehen, die eine wehrhafte Demokratie bei Strafe ihrer allmählichen Erosion nicht übersehen darf. Die Auseinandersetzung mit dem politischen Extremismus ist eine Aufgabe, die mit Klarheit und Konsequenz geführt werden muss. Sie schließt Prävention und Repression ein, mehr noch ist es aber mit einem anderen Gesichtspunkt verbunden. Es geht darum, jene zu gewinnen, die bisher keinen Zugang zu dieser Ordnung der Freiheit gefunden oder sie gar wieder verloren haben, weil sie in den vergangenen 15 Jahren eben nicht mitgekommen sind, sich benachteiligt fühlen oder in einem gewaltigen Reformbedarf in Deutschland den Überblick verloren haben. Dazu sagt ja der Thüringen-Monitor einschlägige Zahlen. Menschen, die sich weithin jenseits all unserer Angebote, auch unserer Ansprache als Abgeordnete fernhalten, die wir auf keiner Veranstaltung treffen, mit denen wir normalerweise gar nicht zusammentreffen, wenn wir sie nicht gezielt aufsuchen; hingehen da, wo sie sind und versuchen, auch ein Stück Leben zu teilen, sich der Situation anzunehmen, diese persönliche Begegnung wird gerade in den Zeiten großer Wirrnisse und Orientierungslosigkeit, denke ich, immer wichtiger. Das zu leisten und auch zu erklären,
aber eben nicht nur abstrakt zu erklären, sondern schlichtweg sich auch persönlich dem anzunehmen, ist unsere Aufgabe.
Aufgabe demokratischer Parteien ist, danach zu fragen, wie diese Menschen zu gewinnen sind, und Vorzug der Thüringen-Monitore - auch des neuesten - ist eine, wie ich finde, vorzügliche Darstellung der Herausforderungen, vor denen wir dabei stehen. Deswegen helfen diese Studien uns auch, Anknüpfungspunkte zu finden, Anknüpfungspunkte in konkreten Lebenswirklichkeiten, die auch eingebracht sein wollen. Da zeigt der Thüringen-Monitor 2005 zunächst einmal - auch das soll nicht unter den Scheffel gestellt werden - erfreulich viel Licht. Ministerpräsident Dieter Althaus ist darauf bereits eingegangen.
Einige Eckdaten, die mir wichtig sind, möchte auch ich noch mal, in Erinnerung rufen. Die Demokratie hat in Thüringen kräftige Wurzeln. Gut drei Viertel der Thüringerinnen und Thüringer sind Demokraten, die
demokratische Normen und das politische System akzeptieren, selbst wenn sie an der demokratischen Praxis Zweifel formulieren und diese Zweifel in diesem Jahr besonders nachdrücklich zum Vorschein kommen. Letztlich ist es auch kein Wunder, bei dem, was Bürgerinnen und Bürger nicht zuletzt auch mit politischen Institutionen erlebt haben, letztlich seit dem 22. Mai in diesem Jahr, die Neuwahlen, unter verfassungsrechtlich durchaus nicht unproblematischen Umständen zustande gekommen. Dieses Ergebnis stellt sich relativ gleichmäßig ein, auch wenn unterschiedliche sozial- und politikwissenschaftliche Instrumentarien genutzt werden. Vier Fünftel der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes lehnen eine Diktatur ab - das will ich sehr deutlich sagen -, vier Fünftel der Bürgerinnen und Bürger.
Die Bundesrepublik nach 15 Jahren deutscher Einheit aktuell und im Rückblick wird deutlich positiver bewertet als die DDR, und zwar sehr deutlich von zwei Dritteln der Menschen in unserem Land.
Licht zeigt sich auch, wenn die Leute für sich die deutsche Einheit bilanzieren. Für eine große Mehrheit war der 1990 eingeschlagene Weg richtig. Für eine Mehrheit hat die Einheit mehr Vorteile als Nachteile gebracht. Zur DDR wollen nicht mehr allzu viele zurück und, was uns alle miteinander freuen sollte, die Menschen begreifen vor allen Dingen den Freistaat Thüringen - Thüringen unser Land - als ihr Land. Ich erinnere nur an unseren Slogan damals 1990 „Träume werden wahr - Land Thüringen“. Ich denke, es ist erfreulich, es überrascht zugleich nicht, denn die Studien von der ersten Hälfte der 90erJahre haben dieses überdurchschnittliche Maß an landsmannschaftlicher Bindung bereits gezeigt, deutlicher als in vielen anderen der deutschen Länder. Wer im Land herumkommt, der spürt das auch. Aber es ist gleichwohl gut, dies nun auch wieder mit aktuellen Daten belegen zu können. Thüringer sind stolz auf das, was sie miteinander erreicht haben. Auch das muss man abrufen, das können wir abrufen, das dürfen wir abrufen. Dieter Althaus hat vorhin auch, wie ich meine, mit eindrucksvollen Zahlen belegt, warum wir dazu guten Grund haben. Wir müssen uns nicht verstecken. Wir brauchen Vergleiche nicht zu scheuen. Es gibt nicht nur in einer Thüringer Zeitung jeden Tag die „gute Nachricht“, man findet sie auch, wo Thüringer wirklich mit ihren Leistungen Furore machen, Aufmerksamkeit schaffen, Spitzenleistungen in Deutschland, Europa und der Welt erbringen als Thüringer. Darauf sind Thüringer stolz und das muss man auch den Thüringern für ihr Gefühl, denke ich, deutlich sagen.
Stärker noch denn als Deutsche empfinden sich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes eben als Thüringer. Eine ostdeutsche Primäridentifikation hat nur ein knappes Fünftel. Ich denke, auch das ist erfreulich. Einen kräftigen Schuss Wasser in diesen Wein kippen die Autoren der Studie allerdings auch, nämlich 60 Prozent der Thüringer beklagen eine abwertende Behandlung durch Westdeutsche.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, soweit eine erste Durchsicht des Monitors ergibt, gehört zu diesem Licht allerdings auch Schatten. Das zeigt sich bereits, wenn man die Zahlen einfach umdreht. Was ist denn bei drei Vierteln Demokraten mit dem verbleibenden Viertel. Was ist bei vier Fünfteln, die eine Diktatur ablehnen mit dem letzten Fünftel? Das sind immerhin auch 20 Prozent. Der erste Blick geht, wie in jedem Jahr, in die Tabelle mit den Angaben zum Rechtsextremismus. Der Index Rechtsextremismus ist wie in den vergangenen Jahren mit einem reichlichen Fünftel erfasst. "Er ist wenigstens nicht gestiegen", sagen die einen. "Da haben wir noch viel wichtige und harte Überzeugungsarbeit", sagen die anderen. Auch darüber haben wir uns zu verständigen. Ein knappes Fünftel sagt: "Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur der Demokratie vorzuziehen". Ich denke, das ist der harte Kern der Antidemokraten. Der Anteil der Nichtdemokraten, die nicht ganz so weit gehen, aber die demokratischen Werte und Normen auch nicht teilen, ist sogar, wie die Studie sagt, noch größer. Sozialdarwinismus, Antisemitismus, Chauvinismus oder die Vorstellung, nur Landsleute sollten untereinander heiraten, stellen letztlich die Menschenwürde und damit das ethische Fundament der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Frage. Ich denke, das sind Befunde, die dürfen und werden uns auch nicht ruhen lassen. Dass diese Kräfte insbesondere in der NPD und DVU offenbar einen parteipolitischen Kristallisationspunkt finden, muss uns umtreiben. Die Parteien haben den Sprung in Landesparlamente geschafft. Bei den Bundestagswahlen haben sie auch in Thüringen in beunruhigendem Maße - Herr Ministerpräsident Dieter Althaus nannte die Zahlen - hinzugewonnen und es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich Sachsen bei uns eben nicht wiederholt. Deswegen machen wir auch eine gründliche Wahlanalyse, gerade auch in den Ortschaften, wo die NPD auf zweistellige Zahlen gekommen ist. Das entzieht sich uns nicht.
Hier müssen wir sehen, wie wir diesen Anteil auch wieder abbauen, wie wir Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen für das demokratische Spektrum.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdenklich werde ich aber auch bei einem anderen Befund des Monitors. Das ist die Bewertung des Sozialismus. Gut jeder Fünfte will zur sozialistischen Ordnung zurück. Ein Viertel ist von Idee und Praxis der DDR gleichermaßen angetan, ein knappes Drittel hält den Sozialismus für die beste Staatsidee. So weit die Befunde. Wenn ich einmal unterstelle, dass diesen Menschen dabei nicht allein die früher so genannten sozialistischen Errungenschaften vor Augen stehen, kann man sich einer Schlussfolgerung nur schwer entziehen: Wer dies will, lehnt die freiheitlich-demokratische Grundordnung letztlich auch ab. Auch damit muss man sich befassen. Ob es nun sinnvoll ist, in diesem Zusammenhang von linksextremen Positionen zu sprechen, kann durchaus dahin stehen. Denn die Autoren unterstreichen, was bereits in den vorausgehenden Monitoren sinngemäß zu lesen war, ich zitiere wörtlich: "Im Zeitverlauf zeigt sich ein kontinuierlich starker und höchst signifikanter Zusammenhang zwischen einem positiven DDR-Bild und dem Wunsch nach einer Rückkehr zur sozialistischen Ordnung mit dem Rechtsextremismus". So weit das Zitat aus dem Monitor. Ich frage dann: Kann man daraus schließen, dass für einen ganz erheblichen Teil derjenigen, die unter den Summenindex Rechtsextremismus fallen, der real existierende Sozialismus in den Farben der DDR, also Erich Honeckers Mauerstaat, das staatliche und gesellschaftliche Ideal ist. Wenn das so sein sollte, wie sinnvoll sind dann die politischen und sozialwissenschaftlichen Kategorien, derer wir uns bedienen? Ich formuliere das bewusst als Frage. Ich rege an, im nächsten Monitor einmal eingehender dem nachzugehen, denn entscheidende Punkte lassen sich ohne eingehendere Analyse nicht ausreichend bewerten.
Noch einmal die Frage: Wie stehen jene, die den Sozialismus in Idee und erlebter Praxis befürworten zu freien Wahlen, zu Gewaltenteilung, zum Parlamentarismus und zu gesellschaftlicher Pluralität, zum Monopol und Wahrheitsanspruch einer Partei oder zur Diktatur des Proletariats? Das alles war real existierender Sozialismus. Nur viele scheinen dies auch, was dazu gehörte, letztlich auch zu seinen Bedingungen gehörte, vergessen zu haben. Zu diesen offenen Punkten wüsste man, denke ich, auch einmal in einer gesonderten Erhebung gern mehr. Eines aber scheint mir schon jetzt völlig klar zu sein: Wer politisch auf dem Ostalgie-Ticket reist, das SED- Regime verklärt und den sozialistischen Versuch in Deutschland immer noch als historisch legitimes Unterfangen betrachtet, der sollte aufhören, sich als Speerspitze im Kampf gegen den Rechtsextremismus anzudienen.
Es fehlt schlichtweg an Glaubwürdigkeit. In der politischen Praxis haben Rechtsextremisten das auch längst erkannt. Als sie mit der Linkspartei um ein in weiten Teilen identisches Wählerpotenzial kämpften, ich erinnere nur an die Anti-Hartz-IV-Demonstrationen und die, die bis heute dem kritisch und natürlich auch entsprechend mit Protestpotenzial gegenüberstehen.