Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Althaus, Ihr Vortrag war heute ein Lehrstück. Jedes Erstsemester Soziologie hätte heute hier lernen können, welche Fehler man bei Referaten vermeiden muss, wenn man durch die Prüfung kommen will. Sie haben hier Zahlen über Zahlen referiert, aber Sie haben keine stimmigen Schlüsse daraus gezogen, stattdessen haben Sie das Ganze mit Allgemeinplätzen und Zitaten garniert. Als angehender Soziologe wären Sie wahrscheinlich so nicht durch die Prüfung gekommen. Vielleicht sollten Sie auch aufhören, in irgendwelchen Budapester Tageszeitungen nach hübschen Zitaten zu stöbern. Ich glaube, es ist lehrreicher, sich etwas genauer umzuschauen,
was hier im Land eigentlich passiert: Denn, Herr Althaus, Sie sind kein Schnupperstudent in der Soziologie, Sie sind vor 2 Jahren als Ministerpräsident gewählt worden und deshalb reicht es nach meiner Überzeugung nicht, wenn Sie hier Umfrageergebnisse vorlesen. Die Menschen erwarten Antworten von Ihnen auf die Probleme hier im Land und das zu Recht, aber diese Antworten sind Sie uns auch heute wieder schuldig geblieben. (Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, vielleicht geht es Ihnen ja auch so. Wenn ich den Ministerpräsidenten reden höre, frage ich mich oft: Von welchem Land spricht er da eigentlich? Welche Menschen trifft er? Was erlebt er so, wenn er unterwegs ist? Und auch heute hatte ich wieder diesen Eindruck, denn Sie ignorieren nach meinem Eindruck häufig Realitäten und lesen lieber vor, was Sie für klüger halten als das, was Ihnen die eigene Erfahrung sagen müsste, wenn Sie sich im Land umschauen.
Wenn Sie zum Beispiel den Menschen hier im Land Bewegungsunfähigkeit vorwerfen, Herr Ministerpräsident, wenn Sie behaupten, es fehle hier viel zu vielen Menschen noch immer am Willen und an der Fähigkeit zum selbstbestimmten Leben, dann reden Sie doch an der Wirklichkeit hier in Thüringen komplett vorbei. Wer denn, wenn nicht wir Thüringerinnen und Thüringer, wer, wenn nicht die Menschen in Ostdeutschland, haben denn gezeigt, dass Sie zu Veränderungen fähig sind. 80 Prozent der Menschen hier in diesem Land haben einen neuen Beruf erlernt, oft mitten im Leben stehend, zu einer Zeit, wo man das normalerweise nicht mehr tut. Und nirgendwo anders nehmen die Menschen so weite Wege zur Arbeit in Kauf wie hier in Thüringen. Jeder siebente Thüringer pendelt, um einen Job haben zu können. Nirgendwo sonst leben die Menschen mit so niedrigen Durchschnittslöhnen monatlich. Ein Thüringer Facharbeiter verdient im Monat rund 700 € weniger als der Bundesdurchschnitt. Das alles nennen Sie Bewegungsunfähigkeit. Ich finde, Sie beleidigen damit viele, die Anerkennung verdient hätten.
Aber, mit dem, was Sie hier vorgetragen haben, übersehen Sie nicht nur die tatsächlichen Leistungen, Sie verkennen auch viel von der Stimmung im Land. Ich glaube, man muss in der Geschichte der Bundesrepublik schon weit zurückblicken, um eine Zeit zu finden, in der die Menschen vor ähnlich vielen Veränderungen standen wie heute. Wenn wir einmal die Anfangsjahre der Bundesrepublik ausnehmen, da gibt es vielleicht keine vergleichbare Epoche, in der in so kurzer Zeit so viel verändert wurde wie in den letzten Jahren, insbesondere in Ostdeutschland,
aber auch in Gesamtdeutschland, wenn man sich die letzten Jahre anguckt. Die Rentenversicherung ist umgestellt worden, das Gesundheitssystem ist reformiert worden, die Arbeitslosenversicherung, viele Dinge, die neu für die Menschen sind, die Verunsicherung bewirken, bei denen man sich zunächst einmal zurechtfinden muss. Politik muss erklären, was sie da tut, sie muss die Menschen mitnehmen, sie muss Orientierung geben und - das sage ich auch sehr selbstkritisch - das haben wir als SPD in den letzten Jahren auch schmerzlich lernen müssen.
Sie, Herr Althaus, haben anstatt Orientierung zu geben, anstatt zu erklären, an vielen Stellen mit Worthülsen jongliert. Ich will da ein Beispiel sagen. Was meinen Sie zum Beispiel damit, wenn Sie davon sprechen, es komme Ihnen darauf an, die Anreize für individuelle Leistungsbereitschaft zu stärken? Werden Sie doch einmal konkret. Was haben Sie denn vor? Herr Althaus, an einem Punkt schien es dann, als werde jetzt sichtbar, was Sie wollen. Thüringen 2020: Wer genau hinhörte, bekam mit, dass Sie heute die Sehnsucht nach dem Meer wecken wollten und ich erkenne ja an, dass Sie meiner Empfehlung nach Ihrer Regierungserklärung vom September letzten Jahres gefolgt sind. Wie sieht Thüringen 2020 aus? Bis an dieses Ufer wollten Sie heute rudern. Aber Sie haben weder glaubhaft Sehnsucht wecken können, noch haben Sie ein Boot gebaut, Sie haben lediglich heute ein paar Planken ins Wasser geworfen, das war alles.
Begeisterung wollte dabei nicht einmal in Ihrer eigenen Fraktion aufkommen. Aber schauen wir uns trotzdem einmal die Thüringen-Vision etwas genauer an. Sie haben gesagt, 2020 ist Thüringen ein modernes Land, das nicht mehr ausgibt, als es einnimmt. Das war Ihre erste Wunschvorstellung.
Aber, Herr Ministerpräsident, Hand aufs Herz: Glauben Sie wirklich, dass Ihnen das jemand abnimmt? Sie sind inzwischen der Schuldenkönig unter den ostdeutschen Ministerpräsidenten. Kein anderes Land hat im Verlauf der letzten Jahre mehr öffentliche Schulden aufgenommen als Thüringen, und auch 2006 wird Thüringen im Ostvergleich wieder die meisten Schulden machen. Sie werden am Ende des nächsten Jahres insgesamt mehr Schulden aufgehäuft haben, als Thüringen innerhalb von vier Jahren an Steuern einnimmt. Was Sie hier als Vision ankündigen und was Sie tun, liegt meilenweit auseinander.
Der gleiche Zwiespalt bricht bei Ihrem zweiten Vorhaben auf: Thüringen soll bis 2020 ein kinder- und familienfreundliches Land sein. Mal ganz abgesehen davon, Herr Ministerpräsident, dass Sie in anderen Reden davon gesprochen haben, dass Thüringen dies längst ist, aber glauben Sie wirklich, dass Sie mit massiven Einschnitten und Kürzungen bei den Kindergärten diesem Ziel näher kommen, glauben Sie das wirklich?
Auch dazu vielleicht mal ein Fakt: Die OECD hat vor wenigen Monaten eine Studie über die Zukunft der Kindergartenbetreuung in Deutschland erstellt, und das Forscherteam „Kindergarten PISA“ war auch in Thüringen vor Ort. Das Fazit dieses Forscherteams: Das Umstellen der Finanzierung auf eine Pro-Kopf-Förderung schadet der Qualität. Sie ignorieren solche Untersuchungen einfach. Sie setzen, und davon bin ich überzeugt, mit dem, was Sie in der Familienoffensive vorhaben, letztendlich unsere guten Betreuungsstrukturen aufs Spiel. Visionär und familienfreundlich ist das aus meiner Sicht nicht.
Nehmen wir ein drittes Ziel: Sie sprachen vom innovativen Wirtschaftsstandort. Was machen Sie dafür? Was tun Sie da? Wir haben gerade im Moment die Koalitionsverhandlungen in Berlin noch laufen. Die Arbeitsgruppe Ost hat sich in den Koalitionsverhandlungen auch mit dieser Frage beschäftigt und sie hat auch konkrete Beschlüsse dazu gefasst. Sie hat nämlich gesagt, wir wollen uns verstärkt um die Verbundforschung kümmern, weil gerade in Ostdeutschland Unternehmen häufig zu klein sind, um eine eigene Forschung vorantreiben zu können. Deshalb sollen solche Kooperationen zwischen Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen stärker gefördert werden, mit dem Ziel, einen innovativen Wirtschaftsstandort zu schaffen und zu stärken. Was machen Sie? Sie formulieren das gleiche Ziel, aber Sie haben die Verbundforschung massiv zusammengestrichen in den letzten Jahren. 1999 standen uns hier noch 33 Mio. € zur Verfügung, im kommenden Jahr wird noch ein Viertel davon übrig sein. Wollen Sie so den innovativen Wirtschaftsstandort fördern?
Oder Punkt 4: Sie sprachen davon, dass Sie ein Land wollen ohne Heerscharen von Berufspendlern. Aber auch hier lassen Sie die Antwort offen. Sie sagen nicht, was Sie konkret tun wollen, um diesem Ziel näher zu kommen. Deswegen kann ich Sie an dieser Stelle eigentlich nur an den Aussagen, die Sie in der Vergangenheit dazu gemacht haben, messen. Ich erinnere mich noch gut: Im Januar wollten Sie alle
steuerlichen Ausnahmen abschaffen, auch die Pendlerpauschale. Und nach solchen Attacken wie der Ihren ist es nur mühsam gelungen, jetzt in den Koalitionsverhandlungen die Pendlerpauschale wenigstens für die Langstrecke zu erhalten. Also, Ihre Vision ist es, Pendlerströme zu stoppen, und Ihr einziger konkreter Vorschlag war bisher, die Unterstützung für Pendler zu kappen. Es tut mir Leid, Herr Althaus, aber da hilft für mich nur eine kräftige Prise Helmut Schmidt. Wer solche Visionen hat, sollte wirklich lieber zum Arzt gehen.
Und, Herr Althaus, Sie haben gesagt, Sie sind kein Prophet. Ich sage, das hätte nach dieser Rede auch niemand vermutet.
Aber das würde auch niemand von Ihnen verlangen, Herr Ministerpräsident. Aber etwas anderes kann man verlangen: Ein Ministerpräsident muss klar und deutlich sagen können, welche Schlussfolgerungen er aus den Ergebnissen des Thüringen-Monitors, wie er in den letzten Jahren vorgelegt worden ist, zieht. Aber das tun Sie nicht, das lassen Sie offen. Sie referieren hier Zahlen, Umfrageergebnisse, aber Sie sagen nicht, was Sie selbst tun wollen.
Wenn Sie es nicht tun, will ich Ihnen sagen, welche Schlussfolgerungen ich für das politische Handeln in Thüringen aus den vorgelegten Untersuchungen ziehe: Es gibt einige Fragen, die sich seit längerem in den letzten Jahren durch diese Untersuchung des Thüringen-Monitors ziehen. Da geht es einmal um das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit, auch im Spannungsverhältnis zur Freiheit. Da geht es zum Zweiten um die Haltung zur Demokratie. Und da geht es zum Dritten um die Angst vor dem und den anderen bis hin zu rechtsextremen Einstellungen.
Zum ersten Punkt: Ich glaube - und an dieser Stelle will ich auch Herrn Dieter Hausold Recht geben -, dass die Studie zum Thema „Freiheit“ falsch interpretiert wird. Die Studie konstruiert nämlich einen abstrakten Gegensatz zwischen Freiheit und Gleichheit, um soziologische Typen abzugrenzen. Sie beschreibt aber in dieser Art und Weise keine real existierenden Gegensätze. Freiheit ist ohne Zweifel ein hohes Gut, aber sie ist ja nie nur eine abstrakte Größe und Freiheit hat auch immer einen doppelten Charakter. Sie ist Freiheit von etwas, also zum Beispiel Freiheit von staatlicher Willkür, sie ist aber auch Freiheit zu etwas, nämlich die Freiheit, menschliche Bedürfnisse zu erfüllen, beispielsweise das Bedürfnis nach Bildung zu verwirklichen. Und Freiheit ist für den Einzelnen - und das verkennen Sie auch
in dem, was Sie hier vorgetragen haben - konkret erfahrene Freiheit. Deshalb macht die Frontstellung „Freiheit gegen Sicherheit“ oder „Freiheit gegen Gerechtigkeit“ in der Praxis aus meiner Sicht überhaupt keinen Sinn. Denn, Herr Althaus, wer die Freiheit hat,
zu jeder Tages- und Nachtzeit durch die Straßen zu schlendern, aber in einem Viertel lebt, wo er jeden Abend damit rechnen muss, einen Knüppel auf den Kopf zu kriegen, der wird weniger von dieser Freiheit begeistert sein als jemand, der in einem sicheren Viertel lebt. Oder wenn jemand die Freiheit hat, an jeden Ort der Welt zu reisen, aber sich eben keinen Urlaub leisten kann, dann wird er diese Freiheit anders betrachten als jemand, der jedes Jahr zweimal in den Urlaub fährt. Oder wer die Freiheit hat, jeden Bildungsweg zu beschreiten, aber im Elternhaus nicht die notwendige Förderung bekommt und vielleicht in ein Bildungssystem gerät, was ihn frühzeitig als lernschwach aussortiert, der wird Bildungsfreiheit anders wahrnehmen als jemand, der alle Förderung bekommt, die er auf seinem Weg braucht. Das heißt für mich, wir müssen uns doch der Frage stellen: Was kann der Staat dazu beitragen, damit Freiheit, individuelle Freiheit, nicht nur abstrakt gewährleistet ist, sondern konkret ermöglicht wird? Dieser Frage, Herr Althaus, der sind Sie heute vollkommen ausgewichen. Sie beklagen lediglich, dass der freiheitliche Staat an Unterstützung verliere, und vermuten dahinter den Wunsch - ich zitiere Sie - „nach staatlicher Vollversorgung“. Ich bin überzeugt, und das ist mir in vielen Gesprächen begegnet, das geht völlig an der Wirklichkeit hier in Thüringern vorbei. Niemand ruft heutzutage nach staatlicher Vollversorgung. Natürlich, Herr Ministerpräsident, gehören die bürgerlichen Freiheiten als unverzichtbarer Bestandteil zur Sicherung der Freiheit des Einzelnen. Aber dazu gehört eben auch noch mehr. Dazu gehört eben auch ein Sozialstaat, der die großen Lebensrisiken absichert und damit erst eine halbwegs sichere Lebensplanung und Freiheit ermöglicht. Dazu gehört eben auch ein Bildungssystem, was Chancengleichheit fördert, was Aufstieg durch Bildung unterstützt und dadurch Freiheit ermöglicht. Dazu gehört, dass der Staat den Einzelnen vor Gewalt schützt, und zwar sowohl durch staatliche Macht, aber eben auch dadurch, dass er soziale Ursachen von Gewalt bekämpft.
Sie stellen, anstatt sich darüber Gedanken zu machen, die Frage, ich zitiere Sie noch einmal: „Ist es gerecht, dass der ausufernde und längst unfinanzierbare Umverteilungsstaat die Ressourcen aufsaugt, die der Einzelne viel besser und effektiver einsetzen könnte?“ Was meinen Sie eigentlich damit, Herr Althaus? Was meinen Sie damit? Kann der Einzelne die Altersvorsorge besser absichern als unser
gesetzliches Rentensystem? Kann der Einzelne Krankheit besser absichern als unser solidarisches Versicherungssystem? Oder kann der Einzelne seine Bildung besser organisieren als unser staatliches Bildungswesen? Oder ist es falsch, dass der Staat denen, die viel verdienen, mehr Steuern abnimmt, als denjenigen, die wenig verdienen? Oder kann der Einzelne vielleicht noch besser Straßen bauen oder Forschung fördern als der Staat, als die Gemeinschaft? Was also meinen Sie mit einem solchen Zitat?
Ich bin sicher, es gibt Dinge, die der Staat nicht unbedingt finanzieren muss. Ich nehme jetzt mal die Eigenheimzulage. Aber das ist nun gerade ein Beispiel, wo Sie entgegen Ihrer Aussage, die Sie hier machen, als einer derjenigen dagestanden haben, die diese Eigenheimzulage mit Zähnen und Klauen bis zum Schluss verteidigt haben. Obwohl das nun gerade eine Aufgabe ist, die nicht unbedingt der Staat, sondern viel eher der Einzelne erfüllen könnte. Oder wenn Sie uns mit der Familienoffensive hier vorschlagen, eine zusätzliche Sozialleistung ins Leben zu rufen, und zwar den Eltern jetzt ein Elterngeld zu zahlen, die bisher über der Einkommensgrenze lagen und deshalb keins bekommen haben, die auch nicht danach gerufen haben, weil sie in der Lage waren, selbst als Einzelne mit ihrer Situation finanziell klarzukommen. Was also meinen Sie mit dem ausufernden Umverteilungsstaat, der die Ressourcen aufsaugt, die er Einzelne viel besser und effektiver einsetzen könnte?
Herr Althaus, ich bin überzeugt, wenn sich der Staat allein darauf beschränkt, bürgerliche Freiheiten zu sichern und Regeln für den Wettbewerb zu setzen, dann wird die Gesellschaft auseinanderdriften und dann wird sie irgendwann nicht nur auseinanderdriften, sondern auch auseinanderbrechen und auch dafür gibt es genügend Beispiele.
Eins ist doch klar: Im Wettbewerb nehmen die Unterschiede zu. Der Stärkere setzt sich durch, was denn sonst, und wer nicht mithalten kann, bleibt auf der Strecke. Das kann aber nicht unsere Vorstellung von einer humanen Gesellschaft sein. Deshalb muss der Staat umverteilen, deshalb muss der Staat für Chancengleichheit sorgen und deshalb muss der Staat auch für gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen. Was denn sonst, Herr Althaus?
Bei den anderen beiden Themen, die sich in den letzten Jahren durch den Monitor ziehen, nämlich dem Verhältnis zur Demokratie und beim Rechtsextremismus, liegen die Fakten und die Interpreta
tionen offenerer und klarer zu Tage, deshalb will ich hier an dieser Stelle nur noch einmal kurz den Kern in Erinnerung rufen. Hier geht es nach meiner Auffassung einmal um die Frage: Können wir als politisch Handelnde, als politisch Verantwortliche etwas tun, um die konkrete Demokratieerfahrung etwas positiver zu gestalten? Die theoretische Zustimmung zur Demokratie ist sehr hoch, das ist gut so, aber die Demokratie in der Praxis findet viel weniger Zustimmung. Können wir etwas dafür tun, damit die Zustimmung zur demokratischen Praxis wächst?
Zweitens geht es für mich um die Frage: Können wir etwas tun, um Angst vor Fremden abzubauen und wie können wir dem Rechtsextremismus, der sich in der Gesellschaft breit gemacht hat, entgegentreten? Lassen Sie mich der Frage nachgehen, die Sie hier offengelassen haben: Was können wir in Thüringen tun? Ich will Ihnen einige Handlungsmöglichkeiten nennen, die ich sehe. Ich beginne beim Erhalt eines Staates, der für Gerechtigkeit und Sicherheit sorgt und auf diese Weise auch konkrete Freiheit ermöglicht. Wir können, Herr Althaus, im Bundesrat, aber auch in unseren Parteien mit dafür Sorge tragen, dass es auch in Zukunft ein Steuersystem gibt, was Wenigverdiener wenig belastet und Vielverdiener entsprechend stärker belastet.
Dafür können wir etwas tun und das entspricht auch dem Gerechtigkeitsempfinden der meisten Menschen. Sie haben ja nun erklärtermaßen zum Fanclub von Prof. Paul Kirchhoff gehört. Ich hoffe, Ihr Ausflug in die Welt von Paul Kirchhoff ist Ihnen eine Lehre gewesen, denn das ist nicht die Gerechtigkeitsvorstellung, die sich in den Köpfen der Menschen in dieser Gesellschaft wiederfindet, und zwar weder im Osten noch im Westen.
Wir können, Herr Althaus, im Bundesrat und in unseren Parteien mit dafür sorgen, dass Rentenversicherungen, dass Krankenversicherungen, dass Arbeitslosenversicherungen, dass Pflegeversicherungen auch unter veränderten Bedingungen funktionsfähig und verlässlich bleiben. Das schließt Veränderungen ein, ja, an manchen Stellen auch Leistungseinschränkungen, wie sie gerade für die Rentenversicherungen diskutiert werden. Aber wir müssen doch dafür sorgen, dass die Grundpfeiler stabil bleiben, dass die Menschen das Gefühl haben, dass ein verlässliches System, das nicht nur in fünf Jahren, sondern auch in 15, in 20 und in 30 Jahren noch funktioniert, dafür können wir gemeinsam sorgen.
- ich selbst finde das falsch, aber sie haben sich darauf verständigt -, dass die Länder in der Frage des Bildungssystems noch mehr Verantwortlichkeiten bekommen sollen, dass sich der Bund weiter aus dieser Frage zurückzieht. Hier haben wir auch eine Handlungsmöglichkeit, wenn wir jetzt noch mehr Kompetenzen im Bildungsbereich haben. Wir können dafür sorgen, dass es größere Chancengleichheit durch Bildung gibt. Wir haben doch die Zahlen auf dem Tisch. In Deutschland ist der Bildungserfolg immer noch so stark wie in kaum einem anderen Industrieland von der Herkunft vom Elternhaus, vom Geldbeutel der Eltern abhängig. Auch hier müssen wir etwas tun. Wir können etwas tun, um bessere Frühförderung durch Kindergärten zu machen, indem wir unser System ausbauen, indem wir die Qualität weiter verbessern. Wir haben ein hervorragendes Kindergartensystem, aber gerade das stellen Sie jetzt zur Diskussion. Jetzt wollen Sie die Förderung umstellen und Sie riskieren, dass Qualität verloren geht, Sie riskieren, dass ein erheblicher Teil an Kindergartenplätzen verloren geht. Das ist doch der Rückwärtsgang, Herr Ministerpräsident.
Wir können etwas tun für mehr und bessere individuelle Förderung in Ganztagsschulen, um Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche zu ermöglichen. Wir können etwas tun, um Kinder nicht so frühzeitig auszusortieren und viele schon im jugendlichen Alter zu Verlierern zu machen. Wir können etwas dafür tun, um Lehrer besser als Pädagogen auszubilden, um der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen noch besser gerecht zu werden. Wir haben viele Handlungsmöglichkeiten, aber Sie sagen nichts dazu, Sie referieren Ihre Umfrageergebnisse und das war es.