Protocol of the Session on October 7, 2005

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich entschlossen, von meinem Recht nach § 32 Abs. 2 GO Gebrauch zu machen und eine persönliche Bemerkung abzugeben. „Er hat keine Vision für die Zukunft dieses Landes; er hat keinen Mut, die Probleme wirklich zu lösen; er hat kein erkennbares Interesse an den Sorgen der Menschen“, dieses ist eine von vielen möglichen hier zu zitierenden Aussagen des Vorsitzenden der zweitgrößten Oppositionsfraktion am gestrigen Tag und ich möchte dies für mich persönlich, aber auch für die gesamte Landesregierung mit aller Entschiedenheit zurückweisen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Ihnen entgangen sein sollte, in welcher Verfassung dieses Land, die Bundesrepublik Deutschland ist, mag das Ihre Sache sein. Mich bedrückt die hohe Arbeitslosigkeit mit fast fünf Millionen in Deutschland und auch die hohe Arbeitslosigkeit in Thüringen. Mich bedrückt, dass die Politik in Deutschland, auch in den Ländern, keine Lösung hat, um diese Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Mich bedrückt, dass dieses Land Tag für Tag neue Schulden macht und wir in Deutschland inzwischen eine öffentliche Verschuldung von fast 1,5 Billionen € haben, 17.000 € für jeden Bürger.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Dazu haben Sie trefflich beigetragen.)

Mich bedrückt, dass wir über 40.000 Firmeninsolvenzen im letzten Jahr hatten, und mich bedrückt auch, dass unsere sozialen Sicherungssysteme - Pflege, Rente, Gesundheit - weder zukunfts- noch demografiefest sind. Und genau deshalb nehme ich mein Recht und meine Pflicht wahr, hier in Thüringen, aber auch in der föderalen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland die Verantwortung mitzutragen, dass wir eine Besserung erreichen für Thüringen und für Deutschland.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie inhaltlich mit der Auffassung, die wir, die ich als Ministerpräsident vertrete, wie in diesem Land Thüringen die Politik zu gestalten ist, nicht übereinstimmen, ist das Ihre Sache. Aber meine Regierungserklärung für diese Legislaturperiode und damit auch abgeleitet für das, was ich aus dieser Regierungserklärung konkret in den entsprechenden Gesetzesvorlagen umsetze, liegt seit über einem Jahr auf dem Tisch. Unter der Überschrift „Die Chancen der Freiheit nutzen“ habe ich im letzten Jahr im September sehr deutlich gemacht, wo Handlungsbedarf besteht, wo auf guten Fundamenten aufgebaut werden kann, aber auch wo umfassend reformiert werden muss. Der Doppelhaushalt und das Haushaltsbegleitgesetz ist genau infolge dieser Regierungserklärung eine ganz wichtige

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das hätten Sie gestern erzählen können, wenn Sie da gewesen wären.)

und notwendige Umsetzung. Wir werden in aller Konsequenz diese Wegstrecke auch weiter fortsetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich finde es auch unerträglich, wie Sie in Ihrer Rede, nicht zum ersten Mal, mit besonderer Ignoranz die Entwicklung dieses Landes begleiten. Ich lebe in einem anderen Land. Thüringen hat sich vorzüglich entwickelt. Allein in den letzten Wochen und Mo

naten konnten Sie mehrfach konkret auch nachvollziehen, wie sich diese Entwicklung ergibt. Wir haben bei PISA erneut einen der besten Plätze in Deutschland,

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Sie dürfen persönliche Bemerkungen ma- chen, aber Sie dürfen nicht zur Sache reden, zur Tagesordnung.)

wir haben diese Woche beim Bundesländerranking - in der „Wirtschaftswoche“ vorgetragen - einen vorzüglichen Platz abgegeben und wir haben auch bei den Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten unter den deutschen Ländern, im Besonderen unter den jungen Ländern eine sehr gute Position. Deshalb ist es auch meine Verantwortung - neben der Aufgabe hier im Land - dafür zu sorgen, dass sich die Rahmenbedingungen für die Politik unseres Landes bessern. Die Rahmenbedingungen für die Politik des Landes werden nicht hier im Thüringer Landtag bestimmt,

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das hätten Sie alles gestern sagen können.)

sondern werden in der Bundesrepublik Deutschland, das heißt im Deutschen Bundestag und durch die Bundesregierung bestimmt.

(Zwischenruf Abg. Gerstenberger, Die Linkspartei.PDS: Das hätten Sie alles gestern sagen können.)

Wenn es Ihnen entgangen sein sollte...

Herr Ministerpräsident, Sie haben nur fünf Minuten, die fünf Minuten sind in zehn Sekunden um.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Herr Matschie hat einen Antrag zur Geschäftsordnung gestellt.

Frau Präsidentin, nach dem hier angemerkten § 32 - Persönliche Bemerkungen - Abs. 2 darf der Abgeordnete „nicht zur Sache sprechen, sondern nur Äußerungen, die in der Aussprache in Bezug auf seine Person vorgekommen sind, zurückweisen oder eigene Ausführungen richtig stellen. Spricht er zur Sache, ist ihm durch den Präsidenten unmittelbar das Wort zu entziehen.“ Ich beantrage dies hiermit.

(Heiterkeit und Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

(Unruhe bei der CDU)

Abgeordneter Matschie, es wird hier zurückgewiesen und eine Begründung dafür gegeben.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Nein, eine Begründung ist nicht zulässig, Frau Prä- sidentin, nach dieser Geschäftsordnung.)

Deshalb werde ich auch weiter, auch in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten meine Aufgabe hier im Land, im Landtag und für Thüringen wahrnehmen, aber auch in der föderalen Ordnung, weil es mir darum geht, dass wir endlich in Deutschland eine stabile,

(Beifall bei der CDU)

handlungsfähige Regierung bekommen, die die Rahmenbedingungen so setzt, dass wir unsere Politik im Landtag

Herr Ministerpräsident, die fünf Minuten sind zu Ende.

besser und erfolgreicher gestalten.

(Beifall bei der CDU)

(Unruhe im Hause)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf

Landesblindengeld sichern Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 4/1195 -

Wünscht die Fraktion der SPD das Wort zur Begründung? Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht, so eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Nothnagel, Linkspartei.PDS.

(Zwischenruf Abg. Matschie, SPD: Die Geschäftsordnung ist ganz eindeutig.)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schon erstaunlich, wie sich die Zeiten ändern. Wir reden heute zu einem SPD-Antrag

zum Erhalt des Landesblindengeldes als einkommensunabhängigen Nachteilsausgleich für blinde und sehbehinderte Thüringerinnen und Thüringer. In der letzten Wahlperiode war das noch anders. Da wurde die Kürzung und die Verschlechterung des Landesblindengeldes mit den Stimmen der CDU und der SPD durchgezogen. Deshalb bin ich umso mehr erfreut, dass die SPD darüber noch einmal nachgedacht und nun ihre Haltung bei dem Thema verändert hat. Ich freue mich insbesondere darüber, dass die SPD nicht nur parlamentarisches Anliegen des Blinden- und Sehbehindertenverbands Thüringen unterstützt, sondern auch den Verband bei der Demo am Samstag hier in Erfurt mit unterstützt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Wir unterstützen die Demonstration des Blinden- und Sehbehindertenverbandes gegen die von der Thüringer Landesregierung geplante faktische Abschaffung des einkommens- und vermögensunabhängigen Landesblindengeldes. An der Erfurter Demonstration werden Delegationen aus 20 Landesverbänden des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes aus allen Bundesländern teilnehmen. Es werden ca. 4.000 Demonstranten erwartet. Es gibt außerdem den Aufruf des Thüringer Landesverbandes an alle Bürgerinnen und Bürger im Freistaat, sich gegen diese Politik des sozialen Kahlschlags zu wenden und sich in diese Demonstration mit einzureihen. Der Verband befürchtet zu Recht, Frau Präsidentin, ich zitiere: „dass mit der beabsichtigten faktischen Abschaffung des Landesblindengeldes nur ein Exempel statuiert werden soll und alsbald weitere soziale Grausamkeiten für andere Bevölkerungsgruppen folgen werden.“

Die Linkspartei.PDS fordert nachdrücklich den Erhalt des Landesblindengeldes als einkommensunabhängigen

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Nachteilsausgleich für blinde und sehbehinderte Thüringerinnen und Thüringer. Mehr noch, auch die anderen Menschen mit Behinderungen in Thüringen müssen einen solchen Nachteilsausgleich erhalten mit dem Ziel, das selbstbestimmte Leben zu fördern, die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, ambulante Strukturen zu stärken und diese zu unterstützen und somit die Lebensqualität behinderter Menschen zu erhöhen. Das sind Investitionen in Menschen. Hiermit werden Arbeitsplätze geschaffen, versicherungspflichtige Arbeitsplätze. Das ist doch eine bessere Politik, als in Gebäude und Beton zu investieren. Dieser Politikansatz - Politik für Menschen - findet sich auch in unserem Gleichstellungsgesetzentwurf wieder, den Sie, meine Damen und Herren der CDU, strikt ablehnen. Die CDU-Landesregierung

setzt durch die Abschaffung des Thüringer Landesblindengeldes und die Schaffung des niedersächsischen Modells ein verheerendes rückwärts gewandtes Signal. Nachdem vor Jahren das Landespflegegeld abgelehnt und das Landesblindengeld eingeführt worden war, gehörte es immer zu den Forderungen der Verbände, dass Schritt für Schritt auch andere Behindertengruppen in den Genuss von Nachteilsausgleichen kommen sollen, wie zum Beispiel gehörlose oder schwerhörige Menschen. Dass nun die Gleichstellung der Menschen mit Behinderungen durch die Thüringer CDU-Landesregierung vorgenommen wird, indem alle keinen Nachteilsausgleich bekommen, bedeutet im Grunde eine Abkehr von einer Politik der Gleichstellung und Selbstbestimmung,

(Beifall bei der SPD)

wie sie in anderen Industrieländern schon selbstverständlich ist. Dagegen werden wir uns energisch wenden und auch protestieren.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Die Forderungen der Linkspartei.PDS sind der Erhalt des Landesblindengeldes in der jetzigen Form,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

ein Umdenken in der Behindertenpolitik des Landes, damit nach dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ Menschen mit Behinderungen eigenständig leben können,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)