Protocol of the Session on April 22, 2005

Herr Kuschel, es ist schon ungeheuerlich, wenn Leute wie Sie die Petitionen von heute mit Petitionen aus DDR-Zeiten vergleichen

(Beifall bei der CDU)

und dann noch die Aussage wagen, dass die zu DDR-Zeiten mehr gebracht hätten. Ich will Ihnen sagen, ich habe zu DDR-Zeiten auch solche Sachen geschrieben. Nur als kleines Beispiel: Weil es an Zement und weil es an Sand gefehlt hat und weil Leuten wie Ihnen zu den Zeiten damals - Frau Präsidentin, sehen Sie es mir nach, wenn ich das jetzt ein bisschen volksdeutsch formuliere - der Arsch auf Grundeis ging, haben Sie dann versucht, die Leute zu befriedigen, weil Sie Angst hatten, dass sie bei der nächsten Wahl nicht an der Urne sind und Sie Ihre 100 Prozent nicht darstellen können.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Herr Heym, das kann ich Ihnen nicht nachsehen, das gibt einen Ordnungsruf.

Es aber gesagt zu haben, ist eine Genugtuung.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kuschel, wenn Sie die Probleme der Leute im Wasser- und Abwasserbereich hier nutzen, um - und das ist auch schon so - hier eine populistische Selbstdarstellung zu zelebrieren,

(Beifall bei der CDU)

dann tragen Sie die Probleme der Leute auf dem Rücken dieser Leute aus. Der Ausschuss, und das kann ich nur noch mal wiederholen und ich bedanke mich auch ausdrücklich bei Kollegin Frau Pelke, dass sie hier noch einmal auch die Arbeit des Ausschusses in der Form angesprochen hat...

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Abgeordneter Heym?

Jetzt nicht.

(Zwischenruf Abg. Kuschel, PDS: Später dann?)

Ich möchte mich noch mal, Frau Pelke, bei Ihnen bedanken, dass Sie es gesagt haben, dass der Ausschuss eigentlich in einer anständigen Art und Weise hier miteinander umgeht und die Probleme der Leute ernst nimmt und die auch so behandelt und versucht auch so abzuarbeiten. Ich hoffe, dass das, was wir heute im Nachgang des Berichts unserer Vorsitzenden erlebt haben, einmalig bleibt. Denn das ist der Arbeit des Ausschusses nicht würdig,

(Beifall bei der CDU)

das ist der Arbeit auch der Ministerien, die dort - und das darf man in dem Zusammenhang schon sagen - bemüht sind, ihren Beitrag zur Aufklärung oder zur Lösung der Petitionen zu leisten. Auch an dieser Stelle sei es angebracht, einmal Dank an die Ministerien zu sagen.

(Beifall bei der CDU)

Ein letztes Wort, Herr Kuschel: Ich kann es immer noch nicht fassen, aber die Art und Weise, wie Sie glauben, hier politischen Nektar aus den Problemen saugen zu können, mit denen sich Leute an uns wenden, das ist Populismus. Und Sie - sehen Sie es mir nach - sind an der Stelle einfach nur ein Quatschkopf.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Heym, einen zweiten Ordnungsruf. Herr Kuschel.

Frau Präsidentin, Herr Heym hatte eine Beantwortung angekündigt. Wie wurde ich vorhin bezeichnet? Feigling? Das gebe ich hiermit zurück.

Der Zwischenfrage ist nicht stattgegeben. Herr Abgeordneter Kuschel, ich bitte, dass Sie jetzt Platz nehmen. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich beende die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.

Ich rufe den nächsten Tagesordnungspunkt auf - Tagesordnungspunkt 8

Sozial-, Armuts- und Reichtums- berichterstattung in Thüringen Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 4/778 -

Wünscht die Fraktion der PDS das Wort zur Begründung? Bitte, Frau Abgeordnete Fuchs.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, als erschreckenden Beleg für die soziale Zerrissenheit in Deutschland bezeichnete die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Barbara Stolterfoht den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Leider - und ich möchte das Wort „leider“ besonders betonen - hat sie mit dieser Bewertung Recht. Was jedoch positiv zu sehen ist, ist die Tatsache, dass seit der Veröffentlichung des Berichts vor wenigen Wochen die Medien, die Wohlfahrtsverbände, die Kirchen sowie sozial engagierte Bürgerinnen und Bürger auch hier in Thüringen für dieses Thema neu sensibilisiert sind. Erkannt und kritisiert wird immer deutlicher, dass durch den Bericht nicht nur dokumentiert wird, dass in den letzten Jahren Reiche immer reicher und Arme immer ärmer geworden sind. Mehr noch, meine Damen und Herren, mit diesem Bericht wird uns schwarz auf weiß bestätigt, dass Anspruch und Wirklichkeit rotgrüner Bundespolitik hier drastisch auseinanderklaffen. Das sollte vor Jahren einmal ganz anders sein. Im ersten Koalitionsvertrag von Rotgrün vom Oktober 1998 ist folgender Satz zu lesen - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -: „Die Bekämpfung der Armut ist ein Schwerpunkt der Politik der neuen Bundesregierung. Besonders die Armut von Kindern muss reduziert werden.“ Ende des Zitats. Die Realität nach

sieben Jahren sieht anders aus. Die Zahl der überschuldeten Haushalte ist allein zwischen den Jahren 1999 bis 2002 von 2,8 Mio. auf 3,13 Mio. angestiegen und 13 Prozent der Gesamtbevölkerung sind nach dem offiziellen Bericht einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, das Land Thüringen steht nicht außerhalb dieser Negativentwicklung. Auch hier in Thüringen wächst die Anzahl überschuldeter Haushalte und die Anzahl von Menschen, die unter der Armutsgrenze existieren müssen, nimmt beängstigend zu. Nur, meine Damen und Herren, genaue statistische Erhebungen für diese Entwicklung fehlen. Der letzte Sozialbericht wurde im Februar 2003 dem Landtag übergeben. Das heißt, er bewertet einen Ist-Zustand vergangener Zeit. Tatsache ist aber, in den letzten drei Jahren haben sich die Rahmenbedingungen des Lebens- und des Arbeitsalltags der Thüringer Bevölkerung sehr verändert, und das für zu viele, gelinde ausgedrückt, nicht zum Besseren. Sicher, meine Damen und Herren, hat diese Entwicklung vielfältige Ursachen, aber beispielgebend genannt seien hier die Auswirkungen von Hartz IV, also dem SGB II und XII, auf diesen Prozess.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ursachen zu vermuten, zu sehen oder sie genau zu kennen, sind zwei Seiten einer Medaille, aber leider mit unterschiedlichen Auswirkungen. Will Politik eine bekannte Fehlentwicklung aufhalten, will sie sie vermeiden, muss sie die Ursachen genau kennen. Sie braucht statistische Erhebungen, auswertbare Fakten und Materialien, um daraus Ableitungen für ihr politisches Handeln zu ziehen und zu bestimmen. Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, fordert die PDS-Fraktion mit dem Ihnen vorliegenden Antrag die Landesregierung auf, unverzüglich nach einer ausführlichen Diskussion im Fachausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit eine unabhängige Expertenkommission mit der Erarbeitung eines neuen Sozialberichts zu beauftragen. Ich hoffe auf Ihre Unterstützung für unseren Antrag und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Ich eröffne die Aussprache zu diesem Antrag. Das Wort hat der Abgeordnete Pilger, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sollten uns bei der Befassung mit der von der PDS eingeforderten spezifischen Sozialberichterstattung zunächst einmal vor Augen führen,

um was es bei einem derartigen Bericht im Wesentlichen gehen sollte. Meines Erachtens handelt es sich um drei Dinge. Erstens: Derartige Berichte sollen den Fachressorts, Fachleuten und uns Politikern Entwicklungen aufzeigen und Daten und Fakten derart objektiv benennen, dass sie die Realität widerspiegeln. Gute Berichte sollen also eine Hilfe sein, um daraus politische und fachliche Entscheidungen fundiert ableiten zu können. Kurz gesagt, ein Armuts- und Reichtumsbericht soll eine möglichst objektive Anregungs- und Entscheidungshilfe sein. Zweitens: Eine Berichterstattung soll für einen zeitnahen und überschaubaren Zeitraum Aussagen treffen, nicht nur rückblickend, sondern auch für die absehbare Perspektive. Berichtsergebnisse sollten dabei den mitwirkenden und zuständigen Verwaltungen und Institutionen Erkenntnisgewinn bringen. Dieser Gewinn sollte tunlichst höher sein als der im Rahmen der Zuarbeit notwendige Arbeitsaufwand. Es geht also darum, eine Sozialberichterstattung zu etablieren, die auch der Verwaltung hilft und die bei hoher Qualität so wenig wie möglich Arbeitskapazitäten bindet. Drittens: Eine Sozialberichterstattung mit dem besonderen Focus auf die Entwicklung von Armut und Reichtum sollte sowohl die Lebenslagen der Menschen in einer bestimmten Region erfassen, als auch zeitnah in Verbindung stehen mit bundesweiten Diskussionen zu dieser Thematik. Fehlentwicklungen in diesem Bereich rechtzeitig zu erkennen und für Abhilfe zu sorgen, wird nämlich eine bundespolitische, landespolitische und kommunalpolitische Aufgabe sein. Entsprechende Berichte und die sich daraus ableitenden Konsequenzen sollten deshalb ein gemeinsames Vorgehen aller politischen Ebenen ermöglichen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wollte uns dies nochmals vor Augen führen, weil mit Blick darauf aus unserer Sicht wesentliche Dinge des PDS-Antrags aufgegriffen werden können, andere aber verändert werden sollten. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die Forderungen nach der Bildung einer Expertenkommission zur Erstellung eines derartigen Berichts. Es ist tatsächlich an der Zeit, mehr Objektivität in die Berichterstattung dieser Landesregierung zu bringen und von der in der Vergangenheit gepflegten Hofberichterstattung abzuweichen. Das wäre auch ein Beitrag für mehr praktizierte Demokratie und Objektivität. Es bleibt einer selbstbewussten Landesregierung doch unbenommen, nach Vorlage eines derartigen externen Expertenberichts ihre davon abweichende Meinung zu dokumentieren. Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob sich die Landesregierung im Rahmen eines Auftrags eines externen Instituts bedient und einen Auftrag erteilt oder ob wir endlich so viel Demokratie wagen und z.B. unsere Thüringer Experten aus den Bereichen von Wissenschaft und Forschung, den freien Trägern der Sozialhilfe und

den Kommunen mit der Erstellung zu beauftragen. Meine Aufzählung ist dabei nicht vollständig, sondern soll zunächst nur aufzeigen, eine kluge Landesregierung täte fachlich und politisch gut daran, die im Lande vorhandenen Fachleute zu nutzen und sich nicht weiter dem ständigen Geruch der Beschönigung auszusetzen. Dass dies funktioniert und dass sich Politik dann auch mit unbequemen Wahrheiten auseinander setzen muss, dafür ist der aktuelle Bundesbericht ein Beweis. Deshalb aus unserer Sicht ausdrücklich Zustimmung zu der Beauftragung und Benennung einer Expertenkommission. Wir haben dieses Verfahren in der Vergangenheit bei der Sozialberichterstattung und der Jugendberichterstattung bereits erfolglos vorgeschlagen. Ich hoffe dennoch erneut auf eine veränderte Einstellung der Landesregierung und deren Bereitschaft, zumindest an dieser Stelle endlich mehr Realismus und Objektivität zu wagen.

Nun zu der Frage, inwieweit derartige Berichte auch einer ministeriellen Verwaltung und den Kommunalverwaltungen helfen könnten, statt sie zu blockieren. Ich weiß aus eigener Erfahrung, welcher Arbeitsaufwand auch bei einer externen Bearbeitung auf die beteiligten Sozialverwaltungen auf Landes- und kommunaler Ebene zukommt. Deshalb plädiere ich für eine Berichterstellung in der Folge von Bundesberichterstattung. Meines Erachtens könnte man die Regelung des Thüringer Kinder- und Jugendhilfe-Ausführungsgesetzes zur Berichterstattung sinngemäß übertragen. Die landesspezifische Berichterstattung sollte allerdings aktuell sein, sich nicht auf veraltete Daten stützen und die Verfasser sollten die von mir bereits beschriebene weitgehende Unabhängigkeit sowie Fachlichkeit gewährleisten können. Dies würde konkret bedeuten, dass nach der Vorlage des Bundesberichts über die Armuts- und Reichtumsentwicklung ein spezifischer Landesbericht und entsprechende Folgerungen zu erarbeiten sind. Alles andere würde nach meiner Überzeugung und auch aus Sicht der SPD-Landtagsfraktion zu einer Überforderung der vorhandenen fachlichen Ressourcen in der Landes- und Kommunalverwaltung führen, ohne dass damit nennenswerte Vorteile erzielt würden. Wir alle wollten doch eine Effizienzsteigerung der Verwaltungen und keine Selbstbeschäftigungsprogramme.

Ausdrücklich begrüßen wir allerdings, den Fokus auf die Armuts- und Reichtumsentwicklung zu richten und dabei die Auswirkungen der Modernisierung des Arbeitsmarkts mit im Blick zu haben. Der gerade aktuell vorgelegte Bundesbericht zeigt doch sehr deutlich, wie Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik auf das Engste miteinander verwoben sind. Wenn wir unbestritten eine Zunahme des Armutsrisikos zu verzeichnen haben, wenn sich die Zahl der überschuldeten Haushalte erhöht hat, wenn Kin

der zunehmend auf Sozialleistungen angewiesen sind und wenn die soziale Herkunft von Kindern unverändert entscheidend ist für die Wahrnehmung von Bildungschancen, dann, meine Damen und Herren, ist gemeinsames Handeln aller drei politischen Ebenen angesagt. Gemeinsames, besser sogar abgestimmtes und durch Fakten begründetes Handeln ist eben etwas anderes als das Verharren in ideologischen Grabenkämpfen und die Pflege von Schuldzuweisungen. Genau das aber wird in Thüringen praktiziert und spätestens seit gestern haben wir dafür ein neues Beispiel - seit vorgestern eigentlich.

Während sich bundesweit nahezu alle Experten einig sind, dass ein wesentliches Element zur Verringerung der Kluft von Arm und Reich die Chance der Teilhabe von Kindern an Bildung, Betreuung und Förderung ist, währenddessen wird in Thüringen familienpolitisch unverfroren ein Abbauprogramm für Kinderbildung und Kinderbetreuung als familienpolitischer Fortschritt gefeiert. Nichts anderes ist es, wenn mehr als 38 Mio. € zulasten der Kindertagesstättenbetreuung eingespart werden sollen. Und die Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich, der Abbau von Chancengleichheit ist es, wenn das Landeserziehungsgeld zugunsten der besser Verdienenden und zulasten der Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder um 23 Mio. € erhöht wird.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Bezahlt wird dies alles wesentlich von den bildungsfernen Bevölkerungsschichten, denen aus purer Not der Euro in der Hand oft wichtiger wird als die Finanzierung zukünftig beträchtlich erhöhter Elternanteile für die Inanspruchnahme von Kindertagesstätten. Abseits jeder Erkenntnisse der Berichterstattung in Sozial- und Jugendberichten, abseits der vorgestern noch verkündeten Vereinbarkeit von Familie und Beruf gilt es in der CDU nun wieder Anreize zu schaffen, damit Mütter zu Hause bleiben und nicht länger die Möglichkeiten der Kindertagesstätten nutzen.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU: Woher nehmen Sie denn diesen Quatsch?)

Aus Ihren Veröffentlichungen.

Und diese Landesregierung weiß genau, wer aus der Not und aus Unwissenheit heraus dieses janusköpfige Angebot bevorzugt benutzen wird. Ohne es offen zu benennen, werden die Voraussetzungen geschaffen, insbesondere arbeitslosen Eltern die Betreuung ihrer Kinder zu Hause finanziell schmackhaft zu machen. Diese Landesregierung nimmt damit billigend eine gigantische Verlagerung auch der Chancen zur Teilhabe an Bildung und Betreuung von den Ärmsten der Armen hin zu den besser Verdie

nenden in Kauf und diese Landesregierung weiß genau, was sie damit bewirkt.

(Beifall bei der SPD)

Noch vor wenigen Tagen hat der sozialpolitische Sprecher der CDU, Kollege Panse, die Verbesserung der strukturellen Angebote zur Förderung und Betreuung von Kindern, insbesondere aus sozial schwachen Schichten, in der Presse verkündet. Jetzt gilt offenbar das Gegenteil.

(Zwischenruf Abg. Panse, CDU: Nicht richtig gelesen.)

Wenn dieses neokonservative Konzept umgesetzt wird, dann gilt in Thüringen: Besser Verdienende kaufen sich eine gute Betreuungsleistung und ärmere Familien behalten zunächst das Geld für den Lebensunterhalt oder können die höheren Elternbeiträge nicht mehr finanzieren.

(Beifall bei der SPD)

Dann werden eben keine 94 Prozent der Kinder mehr Kindertagesstätten besuchen und die Minister Zeh und Goebel werden die Eltern verantwortlich erklären und vermutlich die Bundesregierung, die ist bei dieser Landesregierung immer schuld.