Protocol of the Session on March 17, 2005

insbesondere aber zu der Frage, wie der Aufbau Ost weiter voranzubringen ist. Um es vorweg zu nehmen, die Landesregierung wird nicht den Vorschlägen der Dohnanyi-Kommission folgen, die offenbar auch von Minister Stolpe unterstützt werden. Darin sind sich die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer - mit Ausnahme Brandenburgs - einig.

Meine Damen und Herren, es ist eine Binsenweisheit: Unternehmen investieren dort, wo sie aus ihrer Sicht die besten Voraussetzungen und Entwicklungsperspektiven vorfinden und nicht dort, wo es der Staat gerne hätte. Ich halte daher eine staatliche Festlegung von Regionen, auf die die Wirtschaftsförderung konzentriert werden soll, für den völlig falschen Weg. Sollen wir ein hoch innovatives Unternehmen etwa nur aus dem Grund weniger fördern,

(Beifall bei der CDU)

weil es sich an einem Ort ansiedeln will, den wir nicht als Wachstumskern klassifiziert haben? Oder sollen wir einem Investor die Förderung verweigern, der in einer besonders strukturschwachen Region Arbeitsplätze schaffen will? Der Sachverständigenrat hat sich in seinen letzten Jahresgutachten ausführlich mit der wirtschaftlichen Situation in den neuen Ländern und mit der Förderung des Aufbaus Ost auseinander gesetzt. Die Wissenschaftler betonen, dass es für die Förderung weder einen Königsweg noch Patentrezepte gibt. Unter anderem führen sie Folgendes aus - ich darf zitieren: "So wird immer wieder gefordert, die Fördermittel auf Wachstumskerne oder Wachstumspole zu konzentrieren. Empirisch lässt sich eine solche Empfehlung kaum begründen." Herr Matschie, Textziffer 618 zum Nachlesen.

Richtschnur der Wirtschaftspolitik der Landesregierung wird auch in Zukunft die möglichst weit gehende Nutzung der Entwicklungspotenziale aller Regionen des Freistaats bleiben. Eine formale Festlegung regionaler Förderschwerpunkte leistet nach unserer Überzeugung zur Erreichung dieses Ziels keinen Beitrag. Auch das zweite Element der von der Bundesregierung seit bald einem Jahr angestrebten, aber bisher durch nichts konkretisierten Neuausrichtung der Förderung auf so genannte Wachstumszentren und -branchen zielt in die falsche Richtung. Der Staat sollte nicht durch Fördermaßnahmen, die auf einzelne Branchen gerichtet sind, in den Wettbewerb eingreifen. Es klingt zwar im ersten Moment plausibel, wenn gefordert wird, vorzugsweise so genannte Wachstums- und Zukunftsbranchen zu fördern. Wie soll man solche Branchen aber identifizieren? Das bleibt immer wieder offen.

Die damit verbundenen Informationsprobleme sind nicht zu lösen. Entsprechend groß ist die Gefahr, dass falsche Wirtschaftszweige ausgewählt werden und dass sich die Förderung zu stark auf einzelne, gerade als modern angesehene Bereiche konzentriert. Festlegungen von Politik und Verwaltungen können die Auslese am Markt nicht ersetzen, die Erfolg versprechende Ideen von weniger Erfolg versprechenden trennt. Um es ganz deutlich zu sagen, es wird dem Staat auch nicht durch massiven Ein

satz von Fördermaßnahmen gelingen, neue wettbewerbsfähige Branchenschwerpunkte zu etablieren. Wer glaubt, der Staat sei dazu in der Lage, gibt sich einer Illusion hin. Wir haben das leidvoll 40 Jahre in der DDR verspürt.

Auch am Beispiel der Biotechnologie oder der ITBranche zeigt sich, dass durchaus zukunftsorientierte Branchen, in die viel Geld investiert wurde, nicht die Entwicklung durchlaufen haben, die man sich seinerzeit erhofft hat. Die Liste industriepolitischer Fehlschläge ist lang. Daran ändert auch nichts das immer wieder zitierte Erfolgsbeispiel von Airbus. Wichtig ist dagegen, dass bestehende regionale Entwicklungsansätze und Cluster durch abgestimmten Einsatz der zur Verfügung stehenden Instrumente gestärkt werden müssen. Investitionen, zum Beispiel in die Verkehrsinfrastruktur, müssen sich ebenso am Profil der regionalen Wirtschaft ausrichten wie die Ansiedlung und der Ausbau von Forschungs- und Technologieeinrichtungen. Das ist aber nicht neu, das wird in Thüringen seit Jahren so auch praktiziert.

Die Entwicklung in Thüringen belegt, dass es richtig ist, in der Wirtschaftspolitik auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen zu setzen und unternehmerische Standortentscheidungen nicht aktiv zu beeinflussen. Eine solche Politik führt keineswegs dazu, dass Fördergelder wirkungslos in der Fläche versickern. Sie führt vielmehr zur Herausbildung wettbewerbsfähiger Strukturen. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle hat im vergangenen Jahr untersucht, inwieweit sich in Ostdeutschland auf regionaler Ebene sektorale Spezialisierungen herausgebildet haben, die sich zudem durch Vernetzung zwischen den regionalen Akteuren und besonders innovativen Aktivitäten auszeichnen. Die Studie bestätigt nicht nur die breite Diversifizierung der Thüringer Industrie. Fast alle Industriezweige leisten bei uns einen höheren Beitrag zur Beschäftigung als im ostdeutschen Durchschnitt. Darüber hinaus haben sich in Thüringen acht so genannte ökonomische Entwicklungskerne herausgebildet, in denen die drei eben genannten Kriterien erfüllt sind.

Die Bezeichnung "ökonomischer Entwicklungskern" dient dabei der Konkretisierung des Clusterbegriffs. Die technologischen Schwerpunkte dieser Thüringer Entwicklungskerne sind zum Beispiel die Kunststoffindustrie, die Kraftfahrzeugtechnik, der Maschinenbau, die Mess-, Prüf- und Steuerungstechnik, die Medizintechnik, Optik sowie neue Materialien und Werkstofftechnik. Innovative Cluster und Netzwerke stärken die Wettbewerbsfähigkeit der eingebundenen Unternehmen und geben wichtige Impulse für die regionale Wirtschaftsentwicklung. Wir werden sie daher auch weiter aktiv fördern. Ansatzpunkte für staatliche Unterstützung sind die Begleitung des

Prozesses der Clusterbildung, die Etablierung eines qualifizierten Projektmanagements und die Förderung von Koordinierungsstellen. Ebenfalls wichtig ist die Förderung von Verbundprojekten, insbesondere im Bereich Forschung und Entwicklung und bei der Aus- und Weiterbildung.

Zwei Punkte sollten uns allerdings im Zusammenhang mit der Clusterförderung immer bewusst sein. Erstens muss die Initiative zur Bildung von Clustern von der Wirtschaft ausgehen. Auch muss es eine ausreichende Basis von Unternehmen geben, die eine solche Initiative trägt.

Zweitens: Es sollte klar sein, dass die Clusterbildung zwar ein wichtiger Bestandteil der Wirtschaftsförderung ist, aber nicht allein im Zentrum der Förderstrategie stehen kann. In Thüringen ist die Clusterförderung Teil eines geschlossenen Förderkonzepts, das sich in seinen Grundelementen auch bewährt hat. Wir brauchen in Thüringen keine grundlegende Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung. Das mag in anderen Ländern anders sein. In Brandenburg hat man jetzt 17 so genannte Branchenkompetenzfelder festgelegt, die an 23 regionalen Wachstumskernen und in 58 Branchenschwerpunktorten bevorzugt gefördert werden sollen. Ich frage mich allerdings, wo angesichts der Haushaltssituation die Spielräume für eine höhere Förderung herkommen sollen, wenn eine so große Zahl an Branchen und Orten in den Genuss von Vorzugsbehandlung kommen soll.

Bei uns, meine Damen und Herren, geht es um Feinsteuerung. Im Vordergrund steht die fortlaufende Überprüfung der Wirksamkeit der Förderprogramme. An den Eckpfeilern, dem auf den Bedarf der Wirtschaft abgestimmten Ausbau der Infrastruktur, der Förderung betrieblicher Investitionen im verarbeitenden Gewerbe und der Stärkung des Innovationspotenzials kleiner und mittlerer Unternehmen, meine Damen und Herren, wird sich nichts ändern.

Ein grundlegendes Datum für die Weiterentwicklung der Förderung ist die Haushaltssituation, die auch in den nächsten Jahren schwierig bleiben wird. Immer knapper werdende Mittel machen vor allem Prioritätensetzungen innerhalb der einzelnen Förderprogramme dringend erforderlich. Ein Beispiel hierfür ist die noch stärkere Ausrichtung der betrieblichen Investitionsförderung auf die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, die wir mit der Neufassung der Thüringer GA-Richtlinie im vergangenen Jahr auch vorgenommen haben. Im Bereich der Förderung der wirtschaftsnahen Infrastruktur liegt der Schwerpunkt auf der qualitativen Verbesserung des Bestehenden. Bei Gewerbeflächen steht die Nutzbarmachung brachliegender Industrie- und Gewerbeflächen im Vordergrund. Entscheidendes Kriterium für die Förderentscheidung ist der jeweils be

stehende Bedarf. Wir schließen aber keine Region von der Förderung aus.

Neben der Prioritätensetzung in den Programmen geht es auch darum, neuen Anforderungen gerecht zu werden und das Instrumentarium systematisch zu ergänzen. So haben wir angesichts der zunehmenden Probleme kleinerer und mittlerer Unternehmen bei der Unternehmensfinanzierung eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung der Eigenkapitalbasis auf den Weg gebracht. Dazu gehören Angebote wie zum Beispiel das Thüringen-Kapital und die Mietfabrik sowie die Neuordnung der Beteiligungsförderung. Mit Auflegung des neuen PET-Fonds werden wir die Bedeutung der Bereitstellung von Eigenkapital im Spektrum der Thüringer Wirtschaftsförderung weiter stärken.

Im Bereich der Technologiepolitik arbeiten wir nach der Zusammenführung der Zuständigkeiten für die Technologieförderung und die wirtschaftsnahe Forschungsförderung an einer grundlegenden Überarbeitung und Zusammenführung der Förderrichtlinien. Neben der Unterstützung bei der Durchführung eigener Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten steht vor allem das Ziel im Vordergrund, eine stärkere Nutzung der in Forschungseinrichtungen erzielten Ergebnisse in den Unternehmen zu erreichen. Dazu kommt es unter anderem darauf an, dass die wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen ihre Arbeiten stärker am Bedarf der mittelständischen Wirtschaft ausrichten. Hierzu soll kurzfristig die Neuregelung der Förderung von F- und E-Fremdleistungen (all- gemein bekanntes Stichwort "Forschungscheck") beitragen. Die grundlegende Neufassung der Richtlinien wird mit dem Beginn der neuen EU-Förderperiode in Kraft treten.

Kurz vor dem Start steht mit dem Thüringen-Stipendium eine Maßnahme, die sowohl der Stärkung der technologischen Kompetenz der Unternehmen als auch der Bindung hoch qualifizierter Fachkräfte an die Thüringer Wirtschaft dienen soll. Auch der letztgenannte Aspekt ist ein wichtiges Gestaltungskriterium in unserer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Festzuhalten ist allerdings, dass es derzeit in Thüringen keinen Fachkräftemangel gibt und nach den vorliegenden Studien auch in den kommenden Jahren nur in Teilbereichen Engpässe entstehen könnten. Dass Mängel bei der Fachkräfteversorgung nicht zum Wachstumshemmnis werden, verlangt gemeinsame Anstrengung von Wirtschaft, Verwaltung, Gewerkschaften und Politik. Alle Beteiligten arbeiten in Thüringen in einer Managementarbeitsgruppe eng zusammen. Die Landesregierung leistet in diesem Rahmen einen erheblichen Beitrag. Ich nenne hier nur die Verpflichtung, die wir im Rahmen des Ausbildungspakts eingegangen sind, die Förderung von Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen und

die Förderung zahlreicher Beratungsangebote.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Thüringen hat ein klar strukturiertes, eng aufeinander abgestimmtes System von Wirtschaftsförderinstrumenten, das ständig weiterentwickelt wird. In Kürze werden wir den Auftrag für die Evaluierung der Förderprogramme aller Ressorts vergeben. Das Ziel ist die Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven und die Beseitigung eventueller Überschneidungen.

Meine Damen und Herren, es ist mir schon klar, dass ein solcher Ansatz der kontinuierlichen Weiterentwicklung weniger spektakulär ist als ein mit großem Getöse vorgestelltes neues Konzept. Letztlich, meine Damen und Herren, ist es aber der Erfolg, der zählt, und da bin ich mir sicher, dass wir weiterhin als Freistaat Thüringen gut abschneiden werden. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Wird die Aussprache zu diesem Bericht gewünscht? Ja, von der SPD-Fraktion. Dann eröffne ich diese Aussprache. Herr Dr. Schubert, wenn Sie schon stehen, dann beginnen Sie die Rede. Bitte, ich rufe Sie zum Pult.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Minister Reinholz, es freut uns natürlich alle hier im Raum ganz besonders, dass die Thüringer Wirtschaft im verarbeitenden Gewerbe so deutlich zugelegt hat. Aber wenn wir uns das Jahr 2004 ansehen, dann hat das verarbeitende Gewerbe in Thüringen die Spitzenposition in Deutschland verloren, ist mittlerweile auf den 5. Platz abgerutscht und die Beschäftigungszahlen im verarbeitenden Gewerbe sind aufgrund der Bauwirtschaft im vergangenen Jahr um mehrere Tausend zurückgegangen. Ich denke, das zeigt uns, dass doch Handlungsbedarf besteht, immer wieder darüber nachzudenken, ob die vorhandenen Förderinstrumentarien und -programme die richtigen sind.

Zweifellos ist es so, dass die deutsche und die europäische Wirtschaftsförderung in der Vergangenheit als auch in der Zukunft eine sehr hohe Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung im gesamten Osten und somit auch für Thüringen hat. Die bisher eingesetzten Fördermittel haben Früchte getragen; ein erfolgreicher Aufbau Ost wird langfristig dem gesamten Land nützen. Thüringen braucht daher auch zukünftig effektive und zielgenaue Wirtschaftsprogramme. Viele der Programme laufen aber

in absehbarer Zeit aus; es ist daher unerlässlich, bereits jetzt die Debatte über die Fortführung, die finanzielle Ausstattung und die inhaltliche Ausstattung dieser Programme zu führen. Über die europäischen Programme hatten wir ja hier in diesem Haus bei der letzten Plenartagung gesprochen, deshalb möchte ich mich heute auf die nationalen Programme konzentrieren. Da haben wir zuallererst die Investitionszulage für gewerbliche Ausrüstungsinvestitionen, die in Ostdeutschland 2004 immerhin 1 Mrd.   * unternehmen zugeführt hat. Dieses Programm hat trotz des oft kritisierten Mitnahmeeffekts einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Investitionstätigkeit auch in Thüringen. Die Förderung ermöglicht zusätzliche wirtschaftlich sinnvolle Investitionen und unterstützt insbesondere Unternehmen hinsichtlich ihrer Eigenkapitalausstattung. Die Investitionszulage ist allerdings nach dem Investitionszulagengesetz bis Ende 2006 befristet. Es sollte deshalb rechtzeitig eine Abstimmung und entsprechende Initiativen der ostdeutschen Bundesländer geben, um eine Fortführung der Zulage wenigstens bis zum Jahre 2008 zu sichern. Hier darf es eben nicht, wie bei der Investitionszulage für den Miet- und Wohnungsbau - ich erinnere daran, wir haben darüber debattiert und es ist leider nun eingetreten - dazu führen, dass diese ausläuft und nicht fortgeführt wird, nur aufgrund der Tatsache, dass die ostdeutschen Bundesländer sich untereinander nicht einigen konnten. Entsprechende positive Signale des Bundes müssen gemeinsam mit allen ostdeutschen Ländern genutzt werden und es muss vor allen Dingen der Widerstand der süddeutschen Länder hier beachtet werden.

(Beifall bei der SPD)

Die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur ist wohl das wichtigste Wirtschaftsförderprogramm in Deutschland überhaupt. Seit 1990 sind in Thüringen insgesamt 5,3 Mrd. )      Tausende Arbeitsplätze geschaffen und gesichert worden. Die Praxis aber, die zur Verfügung stehenden Bundesmittel verfallen zu lassen, hat die Thüringer Wirtschaft allein in den vergangenen drei Jahren ca. 225 Mio.   ,  Haushalt veranschlagten Globalen Minderausgaben in Ihrem Bereich, Herr Reinholz, lassen darauf schließen, dass das in diesem Jahr wieder ähnlich sein wird. Man sollte endlich so ehrlich sein und zugeben, dass man dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, als Freistaat Thüringen die 50 Prozent Kofinanzierung aufzunehmen und sollte mit den anderen ostdeutschen Ländern, die es betrifft, mal darüber verhandeln, ob man nicht beim Bund erreichen kann, dass der Mindestanteil der Länder auf 25 Prozent gesenkt werden kann bei gleich bleibenden Bundesmitteln. Mir ist klar, dass wir nicht erreichen können, dass

wir mehr Bundesmittel bekommen. Dann kann ja jedes Bundesland, wie zum Beispiel Sachsen, die sich das sicher aufgrund ihrer viel besseren Haushaltssituation leisten können, entsprechende höhere Kofinanzierungen entgegensetzen.

Zur inhaltlichen Ausgestaltung der GA: Ich denke, Herr Reinholz, Sie haben uns versucht zu sagen, dass man überhaupt nicht eingreifen soll in das Marktgeschehen. Derweil ist es doch so, dass die GA-Richtllinie, wie sie jetzt vorliegt, das ebenfalls tut. Sie fördern ganz bestimmte Branchen und ganz bestimmte Regionen, also, es gibt immer einen Eingriff in den freien Wettbewerb. Bisher gilt ja das Prinzip in Thüringen, dass schwache Teilräume stärker gefördert werden sollen als stärkere. Damit wurde das Ziel verfolgt, einen Ausgleich zwischen den stärkeren und den schwächeren Teilräumen zu erreichen, um gleiche Lebensverhältnisse im Land zu schaffen. Dieser Ansatz ist durchaus nachvollziehbar und es gab lange Zeit auch Konsens darüber, doch seit einiger Zeit wird von Seiten der Wirtschaftswissenschaft und auch in der Wirtschaftspolitik zunehmend der Ansatz vertreten, wonach sich die Förderung verstärkt auf Wachstumszentren bzw. Cluster und Netzwerke konzentrieren soll. Von besonderer Bedeutung ist die von Ihnen auch schon erwähnte Studie des Instituts für Wirtschaftsförderung Halle vom Oktober 2004. Aber auch auf der Ebene des Landes gibt es bereits Empfehlungen des von der Landesregierung im Wahlkampf eingesetzten Thüringer Wirtschaftsbeirats vom November 2004. Die Empfehlungen haben wir bereits im letzten Wirtschaftsausschuss besprochen. Bislang gibt es aber keine konkreten Aussagen der Landesregierung, ob und wie weit sie aufgrund dieser Empfehlungen des Thüringer Wirtschaftsbeirats eine Anpassung ihrer Wirtschaftspolitik vorzunehmen gedenkt. In anderen Bundesländern - Brandenburg haben Sie bereits erwähnt - werden bereits Maßnahmen diskutiert, wie der Ansatz der gezielten Förderung der regionalen Stärkung umgesetzt werden kann. Auch für Thüringen brauchen wir eine Analyse, wie wir zukünftig die Wirtschaftsförderung unter Berücksichtigung unserer regionalen Besonderheiten effektiver an die sich ändernden Rahmenbedingungen anpassen können. Es genügt eben nicht, im Wahlkampf ein hochrangig besetztes Gremium einzuberufen und dann die unter Umständen politisch unbequemen Ergebnisse einfach zu ignorieren. Wir stehen in einem immer stärkeren Wettbewerb zwischen den Regionen und Unternehmen. Um investoren- und fachkräftefreundliche Voraussetzungen in diesem Wettbewerb zu gewinnen, sind nach herrschender Auffassung in der Wirtschaftswissenschaft spezifische regionale Kompetenzen, die Vorteile für einige Unternehmen und Fachkräfte mit sich bringen, erforderlich. Dazu zählt zum einen eine gute Infrastruktur, aber auch in immer stärkerem Maße ein in

novationsfreundliches Umfeld, stark ausgeprägte Netzwerkbeziehungen zwischen den Unternehmen und eine räumliche Konzentration einzelner Branchen.

Es ist nun Aufgabe der Landesregierung, ein Leitbild zu entwickeln, wie Thüringen bei diesem Wettbewerb mitwirken soll. Künftige Prioritäten- und Schwerpunktsetzungen müssen dabei auf Länderebene entschieden werden. Das ist klar. Thüringen hat dabei im Unterschied zu anderen Ländern noch keine erkennbare Position entwickelt, auch aus Ihrer heutigen Rede konnte ich das nicht so erkennen. Künftig sollten verstärkt Maßnahmen gefördert werden, die einen hohen Struktureffekt aufweisen. Das gilt angesichts unerträglich hoher Arbeitslosigkeit in Thüringen zuallererst hinsichtlich der Schaffung neuer Arbeitsplätze, aber auch hinsichtlich der Entwicklung von Potenzialen bei Forschung und Entwicklung sowie der Herstellung innovativer Produkte. Dabei müssen auch Fördertatbestände wie Clustermanagement und Netzwerkbildung eine Rolle spielen. Ziel muss es sein, die nur noch begrenzt zur Verfügung stehenden Fördermittel so effektiv wie möglich zum größtmöglichen Nutzen aller Teilräume einzusetzen. Das ist nämlich genau der Punkt. Es wird in Zukunft nicht mehr - das haben Sie selbst gesagt so viel Geld zur Verfügung stehen. Und wenn die Investitionszulage gar auslaufen sollte, dann wird es noch schwieriger und die GA-Mittel, darüber haben wir auch schon x-Mal geredet, können nicht mehr kofinanziert werden, also muss ja neu entschieden werden, wie die geringeren Fördermittel in Zukunft eingesetzt werden können. Es ist einfach falsch, den Leuten glaubhaft machen zu wollen, dass weiter und wie bisher mit der Gießkanne alle Regionen bzw. nahezu alle Branchen gleichmäßig gefördert werden können. Daher müssen die im Rahmen der Wirtschaftspolitik zur Verfügung stehenden Instrumente Priorität haben. Die IWH-Studie bietet bereits erste Orientierungshilfe für die Ermittlung der vorrangig zu fördernden Stärken der einzelnen Regionen. Das sollten wir in Thüringen nicht länger ignorieren.

(Beifall bei der SPD)

Für die PDS-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Leukefeld zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, lassen Sie mich aus gutem Grund mit einem Satz beginnen, der in diesem Plenarsaal eigentlich zum Standardrepertoire anderer Redner gehört, der Landesregierung nämlich und der CDU, aber ich will ihn etwas abwandeln: Ja, für die Rahmenbedingungen

der Wirtschaftspolitik ist vor allem die Bundesregierung zuständig, doch es gibt auch eine deutliche Landesverantwortung. Es gibt doch klare Spielräume für Landesaktivitäten, auf die ich dann noch zu sprechen kommen werde.

Ich möchte dennoch mit einer etwas globaleren Betrachtung beginnen, mit der Frage: Wie stellt sich die wirtschaftliche Situation in Deutschland im Jahr 2005 dar, vor allem die Situation der ostdeutschen Bundesländer? Es gibt wahrscheinlich keinen ernst zu nehmenden Politiker oder Wissenschaftler, der folgender Aussage widersprechen würde: Die Angleichung zwischen Ost- und Westdeutschland ist auch heute, 15 Jahre nach der Vereinigung, nicht erreicht. Doch ich möchte es bewusst noch etwas pointierter forumulieren: Diese Angleichung ist auch heute noch illusionär. Darüber hinaus gibt es in den ostdeutschen Bundesländern noch nicht einmal ein selbsttragendes Wachstum, eines, das vor allem aus regionaler Gewinnbildung und steuerlicher Eigenfinanzierung in diesen Ländern resultiert. Das ist die Lage, von der ausgehend die von der SPD beantragte Debatte zur Zukunft der Wirtschaftsförderung zu führen ist, denn diese Situation ist auch Ergebnis der bisherigen Wirtschaftsförderung. Die Koalition aus SPD und Grünen stand schon nach kurzer Regierungszeit bei einer einseitig angebotsorientierten Wirtschaftspolitik. Diese Politik und formale Stabilitätskriterien werden für den Preis einer wirtschaftlichen Stagnation durchgesetzt. Dieser Stagnation dürfte kein ernst zu nehmender Diskussionsteilnehmer widersprechen. Wer Wirtschaftsförderung so organisiert, wird keine Arbeitsplätze schaffen.

Lassen Sie mich an der Stelle aus der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" von gestern zitieren, wo der Präsident des Zentralverbands der Elektrotechnik und Elektroindustrie gesagt hat - wenn Sie gestatten, Frau Präsidentin: "Die Abwanderung von Arbeitsplätzen in der Elektroindustrie ist bisher kein großes Thema. Deutschland verliert in der Elektroindustrie viermal so viele Arbeitsplätze durch den Produktivitätsfortschritt wie durch die Verlagerung von Produktionen ins Ausland."

Gestatten Sie mir auch eine Bemerkung zur Rede des Bundespräsidenten, die ja sehr schnell von den Parteien vereinnahmt wurde. Herr Köhler - ich zitiere - "mahnt politische Vorfahrtsregeln für Arbeit an." Dieses Ziel ist richtig, seine Schlussfolgerungen allerdings führen meines Erachtens nicht geradewegs zur Sache. Vor allem scheint er mir eines nicht zu sehen, obwohl es sich fast mit den Händen greifbar darstellt: Maßgebend für die Binnennachfrage ist eben noch immer das Einkommen der Beschäftigung, also die Kaufkraft.

Auch die heutige Rede des Bundeskanzlers war mit der Ankündigung undifferenzierter Steuersenkungen kein großer Wurf. Die Erfahrungen, die diverse Steuerreformen zeigen, dass weitere Senkungen nur Sinn machen, wenn dadurch Investitionen angeregt werden, das ist bei den vorgestellten Plänen nicht erkennbar. Was fehlt, ist Steuergerechtigkeit. Ich erspare mir an dieser Stelle...

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Ach, jetzt kommt es wieder.)

Ich erspare mir das an dieser Stelle. Es kommt nicht wieder, Herr Minister Sklenar. Das habe ich ja heute hier schon gesagt, die 1,8 Prozent, die nur an Steuereinnahmen von Unternehmen gebracht werden.

Ich komme zur Wirtschaftspolitik zurück: Ihre allgemeinen Schwerpunkte für den Solidarpakt II, veröffentlicht im August 2004, sind Investitions- und Mittelstandsförderung, Forschungs- und Innovationsförderung, Verkehrswege-, Städtebauförderung und ländliche Entwicklung. Eine konkrete Untersetzung der Schwerpunkte, die eigentlich nur Schlagworte sind, findet sich in den Veröffentlichungen der Bundesregierung nicht. Es bleibt unklar, welche strategischen Zielstellungen sie hat und vor allem, wie diese auch erreicht werden sollen. Das ist ja hier auch schon gesagt worden. Ich ziehe die Schlussfolgerung, dass sich die Entwicklung in Ostdeutschland für die Bundesregierung weit gehend unbestimmt darstellt. Man hat mitunter den Eindruck, dass die Tendenz der Abkopplung stillschweigend hingenommen wird. Einzige Neuerung ist der Vorschlag, die Wirtschaftsförderung verstärkt auf so genannte Leuchttürme, auf regionale Wachstumskerne zu konzentrieren. Doch was passiert mit den Regionen, für die schon heute eine krisenhafte Entwicklung zu konstatieren ist? Oder, um es plastisch zu machen, was hat der Kyffhäuserkreis davon, möchte ich hier einmal fragen, dass die Stadt Jena als besonders zu fördernder Wachstumskern identifiziert wird?

(Beifall bei der PDS)

Bitte verstehen Sie mich richtig, ich achte natürlich die Region Jena, für die wirklich eine innovative Atmosphäre charakteristisch ist. Aber ich bezweifle, dass sie, sagen wir, bis nach Artern ausstrahlt. Minister Reinholz, nicht eingreifen und wegsehen, was sich auf wirtschaftlichem Gebiet tut, das stimmt erstens nicht, das macht ja die Landesregierung auch nicht, und zweitens wäre das auch keine Lösung. Ich denke, die liegt in einer attraktiven und unbürokratischen Ansiedlungspolitik und in einer gezielten Förderpolitik. Ich denke, mit dieser Ausrichtung würden

bestimmte Regionen endgültig abgehängt und das kann eine verantwortungsbewusste Landespolitik nicht in Kauf nehmen.

Meine Damen und Herren, selbst wenn sich auf diese Weise einige Cluster innovativen Wachstums entwickeln, würde das nicht verhindern, dass weite Teile Ostdeutschlands auf dem Weg in eine Armutsregion wären. Damit bin ich bei der landesspezifischen Wirtschaftspolitik in Thüringen. Sie steht zweifellos vor einer Reihe einschneidender Veränderungen. Wie wird sich die Bundespolitik entwickeln? Wie werden sich die Strukturfonds der EU verändern? Was bringt die demographische Entwicklung? Wie reagiert das Land auf die neuen Herausforderungen und reagiert es überhaupt? Ich denke, solche Fragen bilden den Hintergrund des Antrags der SPD. Landeswirtschaftspolitik ist aber auch durch weitere problematische Rahmenbedingungen gekennzeichnet. Ich denke da besonders an die enorme Landesverschuldung, die es hier in Thüringen und auch anderswo gibt. Und, Minister Reinholz, wenn Sie sagen, wir brauchen keine veränderte Wirtschaftspolitik, dann, denke ich, bleibt das hinter den Anforderungen, wie sie heute stehen, doch deutlich zurück.

Mit dem immer wieder von der Landesregierung beschworenen Spitzenplatz unter den ostdeutschen Ländern scheint es auch nicht so weit her zu sein. Thüringen hatte im vergangenen Jahr ein statistisches Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent. Dabei stieg sogar die Erwerbstätigkeit minimal um 2.900 Personen an. Die IHK Erfurt formuliert in ihrem Wirtschaftsmagazin im März 2005: "Der Beschäftigungsgewinn im Freistaat ist vor allem auf eine deutliche Zunahme der geringfügig Beschäftigten sowie der Ich-AG's zurückzuführen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Vollbeschäftigten war dagegen weiter rückläufig."

Ich komme an der Stelle noch einmal auf unsere Anhörung zurück. Da hat nämlich der Kollege Lehmann, der für das SGB II verantwortliche Direktor der Regionaldirektion der Arbeitsagentur gesagt, dass Thüringen jährlich 15.000 bis 20.000 sozialversicherungspflichtige Stellen verliert. Wir können das ja auch in der Statistik nachsehen. Trotz des Wirtschaftswachstums kam es in Thüringen also nicht zu einer Zunahme der versicherungspflichtigen Beschäftigung, und das ist doch eine eindeutige Absage an die unreflektierte Wachstumsideologie, wie sie immer wieder auch von Ministerpräsident Althaus vertreten wird. Wachstum fördern reicht eben allein nicht aus.