Protocol of the Session on March 17, 2005

Vielleicht hätte es sich doch gelohnt, etwas gründlicher vorzugehen und auch die Betroffenen in die Suche nach Lösungen einzubinden. Nehmen wir mal das Beispiel Justizstandort Mühlhausen. Als es die Landesregierung nach langen und harten Protesten endlich zugelassen hat, dass auch die Betroffenen mit ihren Ideen zu Wort kommen, fand sich schnell eine kostengünstige Alternative zur Schließung des Landgerichts. Ich bin sicher, wenn wir die Betroffenen in die Überlegungen einer grundsätzlichen Strukturreform einbinden, werden viele gute Ideen zu Tage gefördert, wie wir in Thüringen Ver

waltung kostengünstiger gestalten können.

(Beifall bei der SPD)

Werte Kolleginnen und Kollegen, ein zweites Argument gegen eine gezielte Neuordnung der Verwaltungs- und Gebietsstruktur ist ebenfalls häufig zu hören, nämlich das Argument, es sei besser, die Dinge von unten wachsen zu lassen. Ist es das wirklich? Schauen wir uns zwei Beispiele an. Rund um die Stadt Themar haben sich die Gemeinden zu einer Art Belagerungsring gegen die Stadt zusammengeschlossen und eine eigene Verwaltungsgemeinschaft mit dem Namen "Feldstein" gebildet. Jetzt sitzen in der Stadt zwei beinahe identische Verwaltungen, nämlich die Stadtverwaltung von Themar auf der einen Seite und der Sitz der Verwaltungsgemeinschaft "Feldstein" auf der anderen Seite. Das heißt, Ordnungsamt, Bauamt, Kämmerei, all das gibt es zweimal in Themar, nämlich einmal für die Stadt und einmal für die Verwaltungsgemeinschaft.

Ein zweites Beispiel - die Gemeindeneugliederung Uhlstädt-Kirchhasel: Auch hier haben sich die Gemeinden gegen das eigentliche Zentrum der Region, nämlich Rudolstadt, zusammengeschlossen. Auch hier haben wir eine Entwicklung, die eigentlich allen landesplanerischen Zielen entgegenläuft. Das heißt, selbst wenn man auf freiwillige Zusammenschlüsse setzt, muss man Vorgaben machen, man muss sagen, welche Kriterien für die Zusammenschlüsse gelten sollen, man muss sagen, welche Gemeindegrößen, welche Strukturen man anstrebt und welche Aufgaben Gemeinden und Städte und die Kreise in Zukunft erfüllen sollen. Wenn die Landesregierung diesen Prozess dem Selbstlauf überlässt, werden wir niemals zu effizienten Strukturen in Thüringen kommen. Davon bin ich überzeugt.

(Beifall bei der SPD)

Selbst im Gemeinde- und Städtebund wird der Ruf nach klaren Vorgaben der Landesregierung für eine Verwaltungs- und Gebietsreform laut. Der scheidende Geschäftsführer Gnauck hat sich mit den Worten zitieren lassen: "In größeren Städten und kleineren Gemeinden will man endlich ein klares Wort aus Erfurt hören." Vier weitere Jahre zu warten, so wie es Dieter Althaus angekündigt hat, ist keine überzeugende Haltung angesichts der drängenden Probleme. Am Ende dieser Legislaturperiode im Jahr 2009 werden nach der amtlichen Statistik 78.400 Menschen weniger in Thüringen leben. Das entspricht der Einwohnerzahl des Landkreises Sömmerda. Diese Größenordnung - ein ganzer Landkreis - wird bis zum Ende der Legislaturperiode verschwunden sein. Stillstand in der Frage Verwaltungsund Gebietsreform oder Wildwuchs bei Gebietszusammenschlüssen werden die Probleme in Thü

ringen nicht lösen, sondern die Probleme hier im Land weiter verschärfen. Die Leid Tragenden sind nicht wir hier im Landtag, die Leid Tragenden sind die Bürgerinnen und Bürger in Thüringen.

(Beifall bei der SPD)

Werte Kolleginnen und Kollegen, wenn die Landesregierung nicht handeln will, muss das Parlament das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Es lohnt sich überdies bei dem schwierigen Thema "Verwaltungs- und Gebietsreform", nach einer parteienübergreifenden Lösung zu suchen. Eine solche Lösung könnte auch dann mit einer breiten Mehrheit hier im Thüringer Landtag getragen werden.

(Zwischenruf Abg. Wehner, CDU: Warten wir erst mal Schleswig-Holstein ab.)

Und allen, die am Sinn einer solchen gemeinsamen Suche nach Lösungen zweifeln, sage ich, es gibt natürlich auch Alternativen zu einer solchen gemeinsamen Suche nach Lösungen. Wir könnten uns weiter die jeweiligen Positionen um die Ohren hauen, die PDS will Thüringen in vier Bezirke aufteilen,

(Zwischenruf Abg. Hauboldt, PDS: Nein, in Regionalkreise, Herr Matschie!)

die CDU weiß noch nicht ganz genau, was sie wollen darf. Die SPD will etwa die Zahl der Landkreise halbieren und die Gemeindegröße auf mindestens 7.000 Einwohner festlegen, dazu eine zweistufige Verwaltung. Aber es gibt auch noch eine weitere Alternative: Wir könnten vielleicht einfach abwarten und nichts unternehmen. Eine dritte Alternative ist mir in den Sinn gekommen, als ich - wie vielleicht einige von Ihnen auch - im "Spiegel" dieser Woche das Interview mit dem Quantenphysiker David Deutsch gelesen habe, der eine Theorie von Paralleluniversen entworfen hat. Dieser Theorie zufolge sind Universen wahrscheinlich, die dieses Problem, was wir noch vor uns haben, schon gelöst haben. Wir können uns also in ein solches Paralleluniversum absetzen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, bei solchen Alternativen ist es mir lieber, wir stellen unsere jeweiligen Ideen in einer gemeinsamen Kommission zur Diskussion. Wir laden uns Experten aus der Wissenschaft, aus der Verwaltung, aus den Kommunen dazu ein und diskutieren mit ihnen unsere Lösungswege und -vorschläge und suchen gemeinsam nach dem besten Weg für Thüringen. Eins ist mir dabei allerdings wichtig, dass wir einen klaren Zeitrahmen abstecken, das darf keine Endlosdebatte werden. Mir erscheinen eineinhalb Jahre ein angemessener Zeitraum für eine solche Arbeit. Im Herbst des nächsten Jahres sollten die Vorschläge

auf dem Tisch liegen.

Natürlich gibt es auch die Frage, Bodo Ramelow hat sie ja öffentlich gestellt: Was wird aus den Ergebnissen einer solchen Enquetekommission? Werden die Empfehlungen auch umgesetzt? Ich sage es Ihnen ganz offen, diese Frage hängt vom Mut der Abgeordneten in diesem Landtag ab,

(Beifall bei der SPD)

natürlich in allererster Linie der Kolleginnen und Kollegen von der Mehrheitsfraktion. Wir als SPD jedenfalls sind bereit, uns dieser schwierigen Aufgabe gemeinsam mit Ihnen zu stellen. Ich wünsche mir, dass die anderen Fraktionen hier im Landtag bei diesem Versuch mitziehen, eine Verwaltungsund Gebietsreform für Thüringen auf den Weg zu bringen und möchte am Schluss Wilhelm Tell zitieren mit dem Satz: "Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden." Lassen Sie es uns doch einmal versuchen.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Fiedler zu Wort gemeldet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Präsidentin, wir haben ja nun gerade die Vorschläge des sehr verehrten Kollegen Matschie gehört, der heute, man müsste fast denken, Kreide gefressen hat, um das vorzutragen,

(Beifall bei der PDS)

um die lieben Kollegen der Mehrheitsfraktion hier aufzufordern, entsprechende Dinge mit umzusetzen. Selbst in Richtung PDS, obwohl die die alten Bezirksstrukturen wiederhaben wollen, hat er sich sehr moderat verhalten.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Und du siehst aus wie...)

Aber lieber Kollege Matschie, ich möchte Sie, da Sie das angemahnt haben, also ich kann es Ihnen nicht ersparen, schauen wir doch mal nach Schleswig-Holstein, nachdem der vierte Wahlgang durch ist, sollten sich auch dort die Genossen vielleicht mal einig werden, wie sie denn dort weitermachen. Ich kann Ihnen nur sagen, wir werden in Thüringen mit unserem Kurs, den wir gemeinsam mit der Landesregierung ja von Anfang an getragen haben, weitermachen. Ich will Sie einfach daran erinnern und

möchte an der Stelle das unbedingt auch mit in den Raum stellen, ich möchte mich bedanken bei den Kommunen,

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.)

die seit 1990 - und ich erinnere Sie daran, dass es die Kommunen eher gab als das Land, dass hier viel, viel Arbeit geleistet wurde, um diesen Freistaat und dieses Land aufzubauen. Und dafür mein herzliches Dankeschön an alle Gemeinderäte, Stadträte, Bürgermeister, Oberbürgermeister, Landräte und alle, die noch mitgewirkt haben.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Danke, Wolfgang.)

Ja, ich denke, dass das notwendig ist, daran zu erinnern, weil hier teilweise der Eindruck erweckt werden soll, bewusst oder unbewusst, dass die kommunale Selbstverwaltung, das ist ja auch ein wichtiges Wort, was wir Gott sei Dank nach 1990 wieder hatten, dass sich die kommunale Selbstverwaltung überhaupt ausprägen konnte. Ich bin sehr froh, dass wir diese kommunale Selbstverwaltung damals so aufgebaut haben. Es gab, ich will Sie daran erinnern, natürlich schon Gebietsreformen in Thüringen. Die eine haben wir mit dem verehrten Kollegen Richard Dewes hier im Lande durchgeführt. Ich erinnere mich durchaus an einige Absprachen und wie dort die Gebietsreform dann zu Stuhle kam. Ich denke, am Ende gesehen ist eine Gemeinde- und auch Kreisgebietsreform oder umgedreht hier vonstatten gegangen. Wir haben entsprechende Strukturen aufgebaut, die sich durchaus sehen lassen können. Wir hatten noch mehrfach mit den Kommunen, mit den Gebietskörperschaften, wenn es um Änderungen entsprechender Gesetze, Kommunalordnung u.ä. ging, immer wieder nachgefragt, wie sie denn zu den entsprechenden Größenordnungen etc. stehen. Natürlich kann man nicht zuvörderst von den Kommunen verlangen, dass sie als Erstes sagen, in welchen Größenordnungen sie sich entwickeln wollen. Natürlich ist das Beharrungsvermögen des einen oder anderen da, aber ich denke, in den Grundsätzen und Grundlagen hat es sich im Freistaat Thüringen bewährt.

Ich möchte auch daran erinnern, dass gerade in den letzten Wochen und Monaten, Herr Kollege Matschie, und es ist Ihnen ja wahrscheinlich nicht entgangen, Sie haben einige Dinge vorgetragen, dass die Landesregierung, an der Spitze der Ministerpräsident Dieter Althaus, hier begonnen hat, entsprechende schwierige Strukturen aufzubrechen, umzuarbeiten, um anzupassen, leider an den Bevölkerungsrückgang, an die demographische Entwicklung und alles, was damit im Zusammenhang steht, dass die

ses von ihm angepackt wurde. Und ich erinnere daran, wie bei vielen auch aus Ihrer Fraktion und anderen sofort der Aufschrei losging, wenn es darum ging, wenn eine bestimmte Region betroffen war oder bestimmte Dinge. Da erinnere ich Sie nur daran, dass auch dieses von den unterschiedlichen Seiten natürlich sofort kommt, wenn es in die eigenen Beritte hineingeht. Aber ich denke, es ist hier eine Behördenstruktur durch die Landesregierung auf den Weg gebracht worden, die sich durchaus sehen lassen kann und wo man nicht nur Positives einheimst, sondern wo man, und Sie erleben das alle mit, wir als Mehrheitsfraktion in der Landesregierung natürlich vorneweg, dass wir natürlich hier flächendeckend im Lande, wenn Amtsgerichte geschlossen werden oder wenn Finanzämter geschlossen werden müssen, wenn aus 42 Forstämtern 28 werden, wenn aus 11 Flurneuordnungsämtern 7 werden und ich könnte es weiter durchdeklinieren - Bitte?

(Zwischenruf Abg. Köckert, CDU: Land- wirtschaftsämter.)

Landwirtschaftsämter, danke. Vielen Dank, ich merke, dass auch Kollege Köckert mir aufmerksam zuhört. Vielen Dank. Ja, er macht das immer, weil wir uns gegenseitig zuhören. Das ist eben bei uns so Sitte. Dass wir diese Behördenstruktur angegangen sind, ich glaube, dass dieser Weg, der natürlich auch auf dem Hintergrund der demographischen Entwicklung der richtige Weg ist. Eins kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, Herr Kollege Matschie, bisher waren das immer ganz andere Äußerungen - bisher hieß es immer, es muss von unten wachsen, auch in der letzten Legislatur, wir müssen diejenigen mit einbeziehen - und jetzt auf einmal über Nacht soll das alles von oben passieren. Es wird von oben verordnet und das Ganze nicht mehr gemeinsam mit den Betroffenen. Ich muss Ihnen sagen, das lehnen wir natürlich ab. Ich denke auch, Kollege Matschie, Sie sollten mit den Betroffenen vor Ort mehr reden, denn es ist durchaus Bereitschaft da, sich in einigen Punkten, wir haben es erlebt - gerade, wenn ich nach Leinefelde-Worbis sehe - und was hier an Bewegung ist. Wir sind dafür, jawohl Kollegin Tasch, natürlich. Deswegen hat der Landtag festgelegt, dass entsprechendes Geld auch bereitgestellt wird für freiwillige Zusammenschlüsse von

(Beifall Abg. Tasch, CDU)

(Zwischenruf Abg. Kuschel, PDS: Das ist eine Luftnummer.)

- Herr Kollege Kuschel, Sie können das ja so sehen. Wir finden, dass das keine Luftnummer ist, sondern wir haben damit durchaus gute Erfahrungen damals in der Gebietsreform, wo es um Zusammenschlüsse von Verwaltungsgemeinschaften ging - dass man hier

so genannte goldene Zügel, denke ich, doch einige Effekte dort noch auf den Weg bringen kann. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist.

Wir bleiben dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir in dieser Legislatur - und ich sage Ihnen das gleich noch mal, damit es gar nicht erst falsch irgendwo rüberkommt -, wir werden in dieser Legislatur freiwillige Zusammenschlüsse, die natürlich im Kontext mit dem Übrigen im Land stehen, es darf keine weißen Flecken etc. geben, fördern. In dieser Legislatur, wie auch durch Landesregierung und Fraktion zugesagt ist, wird es keine Gebietsreform von oben geben. Das ist das Ziel und das bleibt das Ziel. Es ist natürlich durchsichtig, Herr Kollege Matschie, wenn Sie auf der einen Seite in dem Antrag, den Sie uns vorgelegt haben, natürlich erstens mal gleich festlegen, dass diese Enquetekommission bis zum 30. November fertig sein muss. Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass natürlich,

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: 2006.)

natürlich, natürlich, ja, 30. November, ich habe nicht mehr gesagt, 2006. Ich kann es natürlich noch anmerken. Aber wir haben es alle vorliegen und können es nachlesen. Es ist Ihr eigener Antrag, dass es darum geht, dass Sie hier schon wieder vorgeben, das soll bis dahin fertig sein. Sie wissen doch, wie Abläufe, auch parlamentarische Abläufe sind. Wenn wir das ernst nehmen in solchen wirklich essenziellen Grundsätzen und Menschen im Lande, Gutachter und andere mit befragen wollen und müssen, da bin ich durchaus Ihrer Meinung. Ich glaube, wir müssen auch dabei bedenken, dass auf der einen Seite die Exekutive ist und auf der anderen Seite die Legislative ist. Auch diese Vermischung muss beachtet werden, dass wir hier nicht in bestimmte Belange eingreifen. Aber ich will durchaus darauf hinweisen, dass wir diese Eingrenzung schon wieder, wann wir fertig sein sollen, diese Kommission, dass das von Ihnen mehr als durchsichtig ist. Sie wissen, dass wir 2006 auch Wahlen in diesem Land haben und ich will das alles gar nicht bis ins Letzte ausformulieren. Ich will auch nicht zu dem ganzen Schuldenstand Sachsen, was Sie alles noch hineingemischt haben, sprechen. Sie wissen genauso gut wie ich, wir haben die Kommunen gerade in den letzten Jahren viel besser als in Sachsen behandelt. Auch wenn es dort unsere Freunde sind, das ist nachgewiesen, dass wir sie besser behandelt haben. Und deswegen sind wir zurzeit etwas schlechter dran in der finanziellen Lage.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Das mer- ken wir.)

Und ich widerspreche auch dem verehrten Kollegen Rusch, der als neuer Geschäftsführer des Ge

meinde- und Städtebunds gekürt wurde. Ich arbeite schon viele Jahre mit ihm zusammen. Aber wenn er jetzt anfängt, eine Kreisgebietsreform vorzuschlagen vom Gemeinde- und Städtebund, da bin ich schon sehr überrascht.

(Unruhe bei der PDS)

Er sollte sich da mal mit der kommunalen Familie des Landkreistags zusammensetzen, dass der Landkreistag ein ganz klares Votum auf den Weg gebracht hat,

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Er hat keine Ahnung.)

dass es keine Kreisgebietsreform geben sollte. Das ist ein ganz klares Votum des Landkreistags, vor kurzem noch einmal ausdrücklich dokumentiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich könnte jetzt auf viele Dinge noch eingehen. Ich denke, wir sollten erstens diesen Antrag, der uns hier vorgelegt wurde, beraten, wo es unter anderem auch um Geld geht, da steht unter anderem drin:

(Beifall bei der PDS)