Protocol of the Session on August 22, 2002

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Das ist auch richtig.)

Deshalb passt der Punkt 2 Ihres Antrags überhaupt nicht unter die Überschrift "Gender Mainstreaming in der Jugendhilfe". Erst recht nicht - und ich habe es eben schon gesagt -, wenn Sie den Beleg für die Ihrer Meinung nach sichtbare Benachteiligung der Jungen in unserer Gesellschaft und in der Jugendhilfe schuldig bleiben. Auch in der Kinder- und Jugendhilfe müssen wir grundsätzlich danach fragen, wie sich Maßnahmen und Gesetzesvorhaben auf Mädchen und Jungen auswirken und ob sie zur Chancengleichheit beitragen. Aber genau dies tun wir auch in Thüringen. Sie fordern in Ihrem Antrag Dinge, die bereits geschehen, durch Gesetze und Richtlinien klar bestimmt sind. Die Verfassung des Freistaats Thüringen beispielsweise fordert dies, auch wenn die PDS diese Verfassung nicht mit beschlossen hat. Ich zitiere für Sie aber gern den Artikel 2: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" sowie "Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Das Land, seine Gebietskörperschaften und andere Träger der öffentlichen Verwaltung sind verpflichtet, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen des öffentlichen Lebens durch geeignete Maßnahmen zu fördern und zu sichern." Artikel 3 im Grundgesetz beschreibt im Übrigen das Gleiche mit ähnlichen Worten und seit Dezember 2000 ist die Verpflichtung, Gender Mainstreaming umzusetzen, Bestandteil der allgemeinen Grundsätze der Richtlinie des Kinder- und Jugendplans des Bundes. Darin heißt es wörtlich: "Der Kinder- und Jugendplan soll darauf hinwirken, dass Gleichstellung von Mädchen und Jungen als druchgängiges Leitprinzip gefördert wird." Auch das Kinder- und Jugendhilfegesetz - Sie sprachen es eben an - beschreibt genau das Gleiche. Dieses Ziel ist für uns selbstverständliche Handlungsrichtschnur. Im Thüringer Kinder- und Jugendhilfe-Ausführungsgesetz wird darüber hinaus bestimmt, dass der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, die Landkreise und kreisfreien Städte, diese Aufgabe auf kommunaler Ebene umsetzen. Die Thüringer Richtlinie zur Jugendpauschale verweist ebenfalls ausdrücklich auf diese Zielstellung. Bei der Fortschreibung der örtlichen Jugendförderpläne wird dies auch getan. Noch etwas, denke ich, scheint Ihnen entgangen zu sein: Der Thüringer Landesjugendhilfeausschuss beschäftigt sich zurzeit mit der Fortschreibung des Landesjugendförderplans. Dabei wird selbstverständlich das Prinzip des Gender Mainstreaming berücksichtigt. Der Landesjugendhilfeausschuss ist gemäß Thüringer Kinder- und Jugendhilfe-Ausführungsgesetz dafür auch originär zuständig. Gemäß § 8 des Thüringer Kinder- und Jugendhilfe-Ausführungsgesetzes befasst er sich nämlich mit allen den überörtlichen Trägern der Jugendhilfe obliegenden Aufgaben und beschließt auch darüber. Beim Landesjugendhilfeausschuss ist also die sachliche Zuständigkeit für Ihren Antrag, werte Kollegen von der PDS. Ich sage es ganz ehrlich, es überrascht mich schon, dass der sehr geehrte Kollege Nothnagel als kinder- und jugendpolitischer Sprecher der PDSFraktion diesen Fakt offensichtlich ignoriert. Ich habe ihn heute noch nicht gesehen,

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Er ist krank.)

aber vielleicht ist es möglich, dass einer von Ihnen ihn irgendwann einmal darauf hinweist. Da ich Ihnen allen aber nicht unterstellen möchte, dass Sie die Stellung des Landesjugendhilfeausschusses bewusst schwächen wollen, möchte ich Sie doch sehr herzlich bitten, Ihre Intentionen in die Arbeit dieses Gremiums und der jeweiligen Unterausschüsse einzubringen. Einiges aus Ihrem Antrag ist bereits Bestandteil der Jugendhilfeplanung in Thüringen und einiges, wie z.B. den Punkt 2, halte ich für einen falschen Weg. Über den Rest sollten wir, wenn Sie es überarbeitet haben, in dem dafür fachlich zuständigen Gremium, dem Landesjugendhilfeausschuss, diskutieren. Die CDU-Fraktion wird den in Drucksache 3/2633 vorliegenden Antrag der PDS-Fraktion folgerichtig ablehnen. Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Für die SPD-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Bechthum zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Antrag der PDS-Fraktion ruft in mir sehr gemischte Gefühle hervor, auch in unserer Fraktion. Zwar verweisen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der PDS, zu Recht in der Begründung des Antrags auch darauf, dass das Kinder- und Jugendhilfegesetz lange bevor der Begriff Gender Mainstreaming populär wurde, diesen Anspruch im Gesetz bereits verankert hat. Sie verweisen darauf, dass trotz dieser gesetzlichen Verankerung enormer Handlungsbedarf besteht und dieser Auftrag noch lange nicht zur Realität im Alltagshandeln der Jugendämter und der Fachkräfte in der Jugendhilfe geworden ist. Ich behaupte sogar, nach wie vor wird er mehr oder weniger belächelt. Deswegen ist dem auch zuzustimmen, dass wir die Finger in diese Wunde legen müssen und zunächst, wie Sie es mit der Ziffer 1 des Antrags beabsichtigen, mehr wissen wollen. Diese Intention deckt sich mit meiner Kleinen Anfrage an die Landesregierung zur Arbeit der Fachberaterstelle für Mädchenarbeit im Landesjugendamt. Sie erinnern sich vielleicht, dass in der 2. Legislaturperiode aufgrund des Engagements unserer Fraktion und der damaligen Sozialministerin Irene Ellenberger erstmalig eine derartige Fachberaterstelle eingerichtet wurde. Wir wollen nun wissen, mit welcher Ernsthaftigkeit und welchen Ergebnissen die Verwaltung des Landesjugendamts und das Sozialministerium als oberste Landesjugendbehörde den damaligen Auftrag umgesetzt haben. Wir wollen wissen, wie dieser Auftrag in Zukunft erfüllt werden soll. Dabei bin ich perspektivisch durchaus mit Ihnen einig, dass z.B. die Fachberaterstelle für Mädchenarbeit auch um eine Fachberaterstelle für Gender Mainstreaming erweitert werden soll. Ich bin deshalb ge

spannt, wie die Landesregierung die bisherige Arbeit bewertet und wie sie den künftigen Auftrag definiert. Aber was, verehrte Kolleginnen und Kollegen der PDS, hat Sie denn geritten, vor einer Evaluation und bevor Fakten auf dem Tisch liegen, zu behaupten, dass vorrangig Jungen innerhalb der Jugendhilfe benachteiligt sind? Wir haben ja damals bewusst zunächst und vor allen Dingen den Schwerpunkt auf die Mädchenarbeit gelegt, weil dort sowohl laut den Aussagen der Jugendstudien wie auch der Jugendberichte der Bundesregierung und der wenigen Mädchenprojekte in Thüringen deutlicher Handlungsbedarf zu erkennen war. Ich möchte hier heute keinen Gegensatz von Mädchen- und Jugendarbeit forcieren. Ich bin sehr wohl der Ansicht, dass wir künftig auf beide Aspekte mehr Wert legen müssen. Aber wir sollten uns auch darüber einig sein, dass dort vorrangig gehandelt werden muss, wo unabhängig von den zu erarbeitenden Analysen offenkundiger Handlungsbedarf besteht.

Meine Damen und Herren der PDS, lassen Sie mich deshalb zumindest einen Aspekt herausgreifen, der bei Ihnen ganz oben anstehen müsste. Jugendhilfe in Thüringen hat einen besonderen Auftrag, dazu beizutragen, junge Menschen in das Berufsleben zu integrieren und Benachteiligungen auch abzubauen. Sie können dies in § 19 des Thüringer Kinder- und Jugendhilfe-Ausführungsgesetzes nachlesen. Wohlgemerkt, Jugendhilfe muss das nicht selbst finanzieren, aber sie muss sich auf allen Ebenen, vom Kindergarten über die Jugendarbeit bis zur Jugendsozialarbeit, in eigenen Maßnahmen im Rahmen der Jugendberufshilfe, der außerschulischen Jugendbildung und natürlich auch im Bereich der Hilfen zur Erziehung dafür einsetzen. Sie wissen doch, dass die Realität eine völlig andere ist und die Integration in den Beruf ist mir und ist uns von der SPD-Landtagsfraktion unverändert ein hohes Anliegen. Diejenigen aber, die jetzt als junge Sozialhilfeempfänger ohne Abschluss oder ohne Beruf bei den Sozialämtern stehen, sind vorrangig junge Frauen. Und diejenigen, die dort als allein Erziehende stehen, sind nahezu ausschließlich junge Frauen. Diejenigen Vertreter der Jugendhilfe in den Ämtern, die dies als Problem begreifen und etwas dagegen tun wollen und ebenso wie in den Sozialämtern, sind wirklich noch spärlich gesät.

Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel nennen: Mann und Frau muss nicht viel suchen, um im Bereich der offenen Jugendarbeit immer wieder Beispiele dafür zu erleben, dass Jungen und junge Männer sich ihre Räume geradezu erobern und andere herausdrängen. Sie wissen, dass dies innerhalb der Jugendhilfe bei öffentlichen und freien Trägern mitunter nicht mit der notwendigen Sensibilität und Professionalität behandelt wird.

Ein letztes Beispiel: Von den noch viel zu wenigen Jugendeinrichtungen mit Internetanschluss und einer entsprechenden Computerausstattung wird ebenfalls immer wieder berichtet, dass dieses Angebot schnell von Jungen erobert wird. Ich halte es daher für verwegen, den eigentlich gut gemeinten Antrag von Anbeginn mit einem Ergeb

nis zu versehen, nämlich dem Ergebnis, dass eine Benachteiligung der Jungen gegeben ist. Das von Ihnen angesprochene derzeitige Rollendenken von Jungen führt weniger zu Benachteiligung, vielmehr zum Vorteil. Ich weiß natürlich, dafür kenne ich Frau Wolf auch viel zu lange, was Sie anstreben. Wir wollen soziale Kompetenzen für Jungen. Man kann das Ding nämlich auch umdrehen.

(Beifall Abg. K. Wolf, PDS)

Sie müssen lernen, soziale Kompetenzen zu erreichen. Daran arbeiten wir ja auch sowohl im Gleichstellungsausschuss als auch im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit und im Ausschuss für Bildung und Medien. Wir sind uns ja hier parteienübergreifend einig, dass wir von der Kita angefangen, in der Schule und im Elternhaus dieses Prinzip des Gender Mainstreamings hier ansetzen müssen.

(Beifall Abg. Döring, SPD)

Meine Damen und Herren von der PDS-Landtagsfraktion, ich möchte Sie daher bitten, die Ziffer 2 und den dritten Satz in der Einleitung Ihres Antrags zu streichen und abzuwarten, wie das Ergebnis der von Ihnen zu Recht eingeforderten Zustandsanalyse der Jugendhilfeplanung aussieht, abzuwarten auch, wie das Ergebnis meiner Kleinen Anfrage aussieht. Ich habe da etwas verkehrt gemacht. Wir haben sie von einer Mündlichen in eine Kleine Anfrage umgewandelt, da kannte ich Ihren Antrag noch gar nicht. Deshalb ist die erst verspätet in Umlauf gekommen. Sie wird sicherlich die nächsten Tage kommen. Also wie diese Kleine Anfrage aussieht, die dann sicherlich Gelegenheit bietet, sich mit dem Stellenwert für diese Gesamtproblematik innerhalb der Landesregierung auseinander zu setzen. Ich möchte Sie daran erinnern, was mit dem Modellprojekt "Integrierte mädchenbewusste Jugendhilfeplanung", welches im September 2001 abgeschlossen wurde, sehr deutlich zum Ausdruck kam, Sie waren da auch alle vertreten, dass die Vermeidung geschlechtsspezifischer Benachteiligungen innerhalb der Jugendhilfe, ich sage es einmal salopp, noch arg unterbelichtet ist. Wir sollten uns nach der Beantwortung auch meiner Kleinen Anfrage im Gleichstellungsausschuss deshalb zunächst mit den offenkundigen Problemen befassen. Das, meine Damen und Herren, wird auch in Anbetracht der Diskussion um den Arbeitsmarkt in den neuen Ländern, um das HartzPapier, vor allen Dingen die Verdrängung junger Frauen aus dem Arbeitsmarkt sein. Es ist auch Aufgabe der Jugendhilfe, als Lobbyist wirksam zu werden und z.B. gegen die völlig ungenügende Vorbereitung von Mädchen auf die Anforderungen des Arbeitsmarkts während der Schulzeit und innerhalb der außerschulischen Bildungsund Betreuungsangebote anzugehen. Deshalb nochmals meine Bitte: Lassen Sie die Ziffer 2 und den dritten Satz der Einführung Ihres Antrags entfallen. Sie sollten Ergebnisse nicht vorwegnehmen. Sie sollten aber die Ergebnisse auch nicht ignorieren, die bereits auf dem Tisch liegen. Herr Panse hat hier sehr viele Sachen sehr fachkundig dar

gelegt. Dem kann ich nur beipflichten. Meine Fraktion könnte Ihrem Antrag dann hier zustimmen. Ich würde schon dafür sein, diesen Antrag im Gleichstellungsausschuss zu behandeln. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Für die PDS-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Thierbach zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist alles eingetreten wie erwartet. Wir wussten, die PDS bringt einen Antrag Gender Mainstreaming und ausgerechnet zu einer Förderung von Jungenarbeit. Dass wir dann bekommen, habt ihr vergessen, wo ihr her seid, wisst ihr nicht, dass es um eine Gleichstellungsmethodik für Mädchen gehen muss. Alle die, die dieses sagen, die haben eben Gender Mainstreaming doch nicht verstanden und die haben auch Gleichstellungspolitik für Frauen nicht verstanden, weil beide gipfeln nicht darin, dass man auf Kosten einer anderen Gruppe irgendeine Förderung der anderen tut. Dies vorausgeschickt.

(Beifall bei der PDS)

Herr Panse, Sie fragten immer wieder, wo wir den Mut her hatten, so etwas zu artikulieren. Das erste ist...

Ich glaube, Herr Minister Sklenar, Sie sind zwar für Landwirtschaft, aber bei Gender Mainstreaming muss man nicht muhen. Oder haben Sie Mut gesagt?

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Wer hat denn hier gemuht. Das ist eine Un- terstellung.)

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Den Schuh ausziehen und auf den Tisch klopfen und einen lang anhaltenden Beifall aus der Mitte, das können wir auch noch in das Protokoll aufnehmen. Aber ich glaube, so lächerlich ist das Problem nicht. Und zwar hatten Sie uns ja z.B. das Problem benannt, was wir damit wollen. Was wollen wir damit? Auf Probleme aufmerksam machen. In den letzten Jahren kam es nämlich im Bereich der Jugendhilfe gerade immer wieder um die Geschlechterfrage zu Diskussionen und natürlich wurden deswegen besonders Benachteiligungen von Mädchen deutlich gemacht. Dem hat sich die PDS Jahre gestellt. Werden wir dabei bleiben? Ich möchte Sie daran erinnern, wie wenig Mädchenprojekte es überhaupt noch gibt und wie in den letzten Jahren dieses schon wieder reduziert wird. Wenn wir aber im Bereich der Jugendhilfe tatsächlich versuchen

wollen, Gender Mainstreaming gemeinsam mit einer Geschlechterdemokratie, also Gleichberechtigung der Geschlechter, zu denken und kritisch in den Blick zu nehmen, dann fällt eben auf, dass im Zuge der Entwicklung letztendlich Jungen vergessen werden. Das Problem haben wir auch an anderen Stellen schon bestätigt bekommen. Nachdem nämlich insbesondere innerhalb der Jugendhilfe und ihren Angebotsbereichen die Entwicklung der geschlechtsspezifischen durch zielgruppenspezifische Mädchenarbeit an Bedeutung gewann und auch an Erfahrung und Umsetzung gewann, war letztendlich die Reflexion der Jugendhilfe hinsichtlich der Geschlechter beendet. Das ist genau dieser Mechanismus einer Benachteiligung von anderen, nämlich von Jungen.

Das, meine Damen und Herren, ist auch Anliegen unseres Antrags. Grundsätzlich hat sich die Jugendhilfe durch Vorgabe des § 9 KJHG dem Thema der geschlechtsspezifischen Arbeit verpflichtet und diese Verpflichtung auch kritisch reflektiert. Wenn Sie, Herr Panse, so erstaunt waren, dann muss ich Ihnen sagen, bereits infolge des Sechsten Kinder- und Jugendberichts bis hin zum jetzigen Elften werden Aussagen über die Geschlechtersituation und die Gleichstellung von Jungen und Mädchen tatsächlich getroffen. Innerhalb dieser Aussagen wird seit Jahren verdeutlicht, dass es in der Jugendhilfe nicht nur primär darum gehen darf, mädchenspezifische Förderung zu betreiben, sondern vorhandene Mädchenförderung auszubauen und zu festigen. Und warum? Weil die nämlich genau, je mehr mädchenspezifische Möglichkeiten sind, deutlich machen, dass ich im gleichen Umfeld die tatsächlichen jungenspezifischen Freiräume brauche, dass ich auch die Angebote in diesen Freiräumen brauche, wenn ich nicht in ein tradiertes Rollenverhältnis fallen will.

(Beifall bei der PDS)

Um in diesem tradierten Rollenverhältniss nicht Gefahr zu laufen, brauchen wir diese Auseinandersetzung. Im Bericht der Bundesregierung, der SPD-Regierung, nämlich dem Elften Kinder- und Jugendbericht, wird ganz genau kritisiert, dass es ein entscheidendes Defizit an jugenspezifischen Angeboten gibt. Wenn Sie sich in Thüringen die Situation ansehen, das haben Sie selber vorhin erwähnt, in 45 Einrichtungen werden ausschließlich Angebote für Mädchen konzipiert und vorgehalten. Die Sacharbeit, die Arbeit der Vereine in Sachen Mädchenarbeit erstreckt sich angebotsdeckend über alle Bereiche der Jugendhilfe für Mädchen. Nun ist genau hier die Frage zu stellen, Herr Panse, wenn Sie sagen, dieses würde ausreichen. Das reicht eben nicht aus.

(Beifall bei der PDS)

Denn dazu kommt dann, und da war Frau Bechthum sehr deutlich, sie hat gesagt, Jungen erobern sich Räume und genau Jungen müssen sich nicht Räume erobern, die Jungen sollen auch nicht - im Erobern sitzt nämlich das Element der Verdrängung drin -, sondern Jungen sollen von

vornherein geschlechtsspezifische Angebote haben, dass sie rauskommen der Eroberer, der Führer, der Große, der Starke sein zu müssen. Genau diese Inhalte sollen wir nämlich auch im Gender beachten und deswegen sind diese spezifischen Angebote unbedingt notwendig.

(Beifall bei der PDS)

Ich wiederhole es noch einmal: Wir wollen nicht mädchenspezifische Leistung der Förderung in Frage stellen, sondern wir wollen ganz bewusst darauf orientieren, dass daneben der geschlechtergerechte Blick auf Jungen einfach notwendig ist. Wir wollen auch nicht verhehlen, dass manche den Gedanken von Gender Mainstreaming in den Köpfen haben, aber wir verhehlen überhaupt nicht, dass die Mehrheit irgendeinen Prozess in dieser Denkrichtung in den Köpfen bisher vollzogen hat, weil nämlich darin deutlich wird, dass es Maßnahmen zur Förderung von Frauen gibt. Solange dieses notwendig ist, ist es eben auch deutlich, dass es nicht ausreichend für eine tatsächliche geschlechterspezifische Entwicklung, die gewaltfrei - ohne Erobern - überhaupt nur zu gestalten ist. Männeridentität ist oft der Gegenstand, aus dem sich dann der Freiraum genommen wird, Männeridentität ist dann oft mit den Dingen wie Beschützer, Ernährer, Jäger, einer Rollenzuschreibung gepaart, die schlichtweg historisch überholt ist. Dieses schlichtweg Überholte, wenn sich dieses trotzdem weiter hält, haben wir dann in den Auswirkungen der Familienerziehung, der Freistellung zur Pflege von Kindern bis hin in all diese Bereiche auszufechten. Genau an der Stelle wird dann deutlich, wie wenig Gender Mainstreaming letztendlich verinnerlicht wurde.

Ich möchte auf ein anderes Problem noch eingehen und Sie daran erinnern. Denken Sie z.B. an die Rolle männlicher Vorbilder, die, wenn sie nicht im tatsächlichen Sozialisationsumfeld vorhanden sind, letztendlich in virtuellen Bereichen gesucht werden. Denken Sie an Lebensort Familie, in dem allein stehende Mütter mit Kindern im alltäglichen Familienbild völlig normal dazu gehören und das so genannte Vorbild Vater fehlt. Für die Sozialisation der Kinder beginnt dann die Möglichkeit, sich mit männlichen Rollen, oft in der Wissenschaft fixiert, nach dem 11. Lebensjahr auseinander zu setzen, da im Bereich der Kitas bzw. der Grundschulen in den seltensten Fällen Männer überhaupt eine Rolle spielen. Öffentliche Erziehung ist in den ersten Jahren gerade eine fast reine Frauendomäne geworden. Sie kennen das Verhältnis in den Schulen, gerade bei Grundschulen - 15 männliche Lehrer zu 85 Lehrerinnen. Dies zeigt, wie notwendig es ist, dass alle den Zugang zu diesen Bereichen haben.

Denken Sie an die unterschiedlichsten Konfliktbewältigungsstrategien von Jungen und Mädchen. Denken Sie an männliche und weibliche Präferenzen bei Suchtverhalten, und wieder kommen hier letztendlich die Vokabeln erobern, dominieren oder Vorbild männlich, zum Ausdruck. Jungensozialisation braucht im Vergleich zu Mädchensozialisation andere Rahmen, andere Bedingungen und

ein neues Verhältnis innerhalb der Gesellschaft. Diese alten Klischees müssen aufgebrochen und den Jungen muss klargemacht werden, und sie müssen die Klarheit selbst erleben, dass wir sie respektieren, dass wir sie akzeptieren, dass wir ihrem unterschiedlichen Bedürfnis Rechnung tragen und dass sie nicht irgendwo benachteiligt werden aufgrund der notwendigen Förderung von Mädchen, um überhaupt eine Gleichstellung erreichen zu können.

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Jungs an die Front.)

Also Jungs an die Front, Herr Sklenar, möchte ich auch nicht. Kriege brauchen wir nicht, dann haben wir auch keine Fronten.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Sie haben mich vollkommen falsch verstanden, aber so ist das eben.)

Wenn man von Ministerbänken dazwischengackert, so ist das eben, richtig, das Wort habe ich jetzt.

(Zwischenruf Dr. Sklenar, Minister für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt: Wer hat hier gegackert?)

Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag im Prinzip kritisiert. Herr Panse hat im Prinzip nicht viel übrig gelassen, indem er gesagt hat, er gehört nicht hier in den Landtag, sondern er gehört in den Jugendhilfeausschuss. Hier ist das erste Problem. Ja, er gehört auch in den Jugendhilfeausschuss, aber wenn Sie die Kriterien, die in unserem Antrag unter Punkt 1 stehen, ansehen, dann sehen Sie dort, dass es ganz genau die Aufgaben sind, die der Jugendhilfeausschuss überhaupt nicht in seiner Verantwortung allein zu entscheiden hat. Weil dies so ist und, ich glaube, dass eine Aufwertung des Landesjungendhilfeausschusses auch wirklich nicht schlecht ist, ist es nämlich notwendig, dass der Landtag sich genau mit diesem Problem beschäftigt. Es kann nicht sein, dass alles, was Jugend heißt, abdelegiert wird in den Jugendhilfeausschuss und der Landtag sagt dann entsprechend KJHG, ihr habt doch ein Selbstentscheidungsrecht. Ich glaube, da hat Politik es sich zu leicht gemacht.

(Beifall bei der PDS)

Frau Bechthum sagte, wir sollten den Punkt 2 und den Punkt 3 unseres Antrags streichen. Wenn ich bei Herrn Panse noch den Eindruck hatte, so richtig hat er gar nicht alles gelesen, glaube ich, Frau Bechthum hat sich vergalloppiert.

(Unruhe bei der CDU)

Also, die Pferde waren doch heute leider öfters im Landtag.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Aber da wa- ren sie schon geschlachtet.)

Ich glaube, übers Ziel geschossen, ganz einfach an der Stelle im Sinne von Antrag nicht verstanden, wenn Sie sagen, wir würden hier Ergebnisse vorwegnehmen. Überhaupt keine Ergebnisse nehmen wir vorweg, sondern im Punkt 2 sagen wir ganz einfach: Den Bereich der Jungenarbeit innerhalb der Jugendhilfe, insbesondere der offenen Jugendarbeit, sowie der Jugendsozialarbeit zu errichten und zu fördern, sind Maßnahmen des Gender Mainstreaming. Was ist daran ein vorweggenommenes Ergebnis? Oder, was ist in 3. ein vorweggenommenes Ergebnis, dem Parlament über eingeleitete Maßnahmen zur Realisierung bis Ende Mai 2003 zu berichten. Das ist sogar so ergebnisoffen, dass der Antrag hätte kritisiert werden können. Wenn man sagt, der ist zu ergebnisoffen, das hätte ich ja noch verstanden. Aber, selbst wenn Sie dieser Meinung sind, dann könnte Ihnen ja nichts wehtun, indem Sie diesen Antrag an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit und an den Gleichstellungsausschuss überweisen, denn dann könnte ja die Qualifizierung, die Sie angeregt haben, noch vorgenommen werden. Deswegen beantragt meine Fraktion die Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit und an den Gleichstellungsausschuss mitberatend. Danke.