Protocol of the Session on April 25, 2002

Arbeitsverwaltung werden sich nicht durch Hauruckaktionen allein lösen können. Hier ist permanentes Handeln notwendig, um den bestehenden Reformstau in diesem Bereich aufzuarbeiten. Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Sie wollen eine Anfrage an den Minister stellen, Herr Abgeordneter Gentzel?

Herr Minister, ich habe eine Nachfrage zu Ihren Vorstellungen zu den Landesarbeitsämtern. Das mit der Scharnierfunktion ist klar und unumstritten. Sehen Sie das als die einzig zukünftige Aufgabe der Landesarbeitsämter? Das hieße ja zumindest Erhalt, aber Abbau. Was sagen Sie zu dem Vorschlag, dass das, was abgebaut wird, runter gegeben wird in die Arbeitsämter?

Die Scharnierfunktion ist eine ganz wichtige Funktion. Man kann über die anderen Funktionen reden, ein Teil davon kann durchaus auf das jeweilige Arbeitsamt verlagert werden oder auf die Bundesanstalt, je nachdem. Aber man darf das Landesarbeitsamt als solches nicht infrage stellen.

Möchte eine Fraktion die Aussprache zu diesem Bericht eröffnen? Die CDU-Fraktion beantragt die Aussprache. Als erster Redner hat sich in der Aussprache zu Wort gemeldet für die SPD-Fraktion Herr Abgeordneter Dr. Müller.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zunächst möchte ich bemerken, dass der vorgelegte Antrag den Einflussbereich der Länder nur mittelbar betrifft. Dieses Thema gehört eher in die Bundesebene und eigentlich sind die konkreten Strukturveränderungen die interne Sache der Bundesanstalt für Arbeit als Anstalt des öffentlichen Rechts und des sie führenden Verwaltungsrats.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, SPD: Nach Berlin schicken, da habe ich aber auch nichts gesehen.)

Es wäre sehr freundlich, wenn Sie mich zu Ende sprechen lassen würden. Was die Einflussnahme seitens der neuen Länder auf die angedachten Strukturveränderungen betrifft, so stimmen sicher alle Fraktionen dieses hohen Hauses darüber überein, dass die spezifischen Probleme

im Osten Deutschlands zu berücksichtigen sind. Dies kann nur durch die Mitwirkung kompetenter Vertreter geschehen, die konkrete Erfahrungen aus den neuen Ländern in die Strukturdebatte einbringen können.

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Das wäre schön.)

Laut unserer persönlichen Nachfrage beim Bundesarbeitsminister soll der neue Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit außer Herrn Gerster aus dem Stellvertreter des ehemaligen Präsidenten und aus einem Vertreter der Wirtschaft bestehen. Die Strukturvorschläge der Bundesanstalt für Arbeit werden in einer gesonderten Kommission erarbeitet, der als Vertreter der neuen Länder Leipzigs Oberbürgermeister Tiefensee angehört.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Der weiß Bescheid.)

Es muss natürlich darauf geachtet werden, dass die Vorschläge der Kommission für den neuen Vorstand auch bindend sind. Dass Strukturveränderungen der Bundesanstalt für Arbeit notwendig sind, ist offensichtlich geworden. So kommt es zum Beispiel darauf an zu prüfen, inwieweit Tätigkeiten, die dem Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit nicht entsprechen, dort ausgegliedert werden - Herr Minister hat ja selbst schon darauf hingewiesen -, so zum Beispiel die Zahlung von Kindergeld, die man auch nach dem Beispiel anderer Länder über eine Familienkasse erledigen könnte, in der auch andere Leistungen für Familien integriert sind. Ein anderer Reformpunkt ist der Zielkonflikt zwischen aktiver Vermittlung und der Kontrolle der illegalen Beschäftigung. Wenn die gleiche Behörde, die auch noch durch unzureichende Polizeirechte ausgestattet ist, aufgerufen ist, Sanktionen gegen Unternehmen zu verhängen, kann man andererseits nicht erwarten, dass diese Unternehmen dann den Vermittlern freie Stellen anzeigen. Es wäre besser, die Zollverwaltung insgesamt für die Kontrollen zuständig zu erklären und diese entsprechend personell aufzustocken. Damit könnte bei der Bundesanstalt für Arbeit zusätzliches Personal für die Vermittlung freigesetzt werden.

Wichtig bei dieser Frage ist auch, dass die Monopolstellung der Arbeitsverwaltung bei der Vermittlung von Arbeit abgebaut wird. Weniger aber in Richtung privater Vermittler, denn die wollen selbst gar nicht so richtig ran, vielmehr geht es denen immer in Richtung Abwerbung, weil da ganz andere Erträge zu erlösen sind. Vielmehr müssen die regionalen Vermittlungsträger und die Beschäftigungsinitiativen oder Beschäftigungsgesellschaften beteiligt werden. Außerdem muss die Betreuungsfunktion der Arbeitsvermittlung insgesamt ausgebaut werden. Aber dies soll ja gerade durch das neue Job-Aqtiv-Gesetz erreicht werden.

Natürlich gehören zu einer Reform der Arbeitsförderung auch effizientere Erfolgskontrollen, bessere Kontrollen bezüglich der Einhaltung der Richtlinien und des Missbrauchs, wie etwa von Mitnahmeeffekten. Gerade bei Vergabe-ABM oder bei Kombilohnmodellen ist die Gefahr der Mitnahme gegeben. Entsprechend gut muss auch das System der Sanktionen bei Missbrauch sein, sowohl für Unternehmen als auch für die betroffenen Personen selbst. Denn auch im individuellen Bereich gibt es Mitnahmeeffekte; wir kennen das Problem illegale Beschäftigung, Schwarzarbeit oder Nachbarschaftshilfe, wie auch immer.

Ein weiterer Punkt mit Reformbedarf ist die administrative Struktur. So ist es erforderlich, dass die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit mit den Landkreisen und kreisfreien Städten in Übereinstimmung gebracht werden. Nur so kann es zu einer engen Verzahnung von Sozialämtern und Arbeitsverwaltung kommen, weil damit Kompetenzstreitigkeiten abgebaut und der Kampf um finanzielle Zuwendungen vor Ort entschärft werden.

Eine weitere wichtige Frage ist der Erhalt der Landesarbeitsämter. Sie bilden die Kommunikationsebene mit den Landesregierungen und dies muss erhalten bleiben. Andernfalls müssten die Länder mit den Direktionen im einzelnen verhandeln, das wäre ein beträchtlicher Rückschritt für die organisatorische, aber auch die inhaltliche Gestaltung der Landesarbeitsmarktpolitik unabhängig von Parteidingen.

Natürlich ist auch das eine oder andere Arbeitsmarktprogramm kritisch zu hinterfragen. Denn nicht immer ist die fehlende Effizienz der Hemmschuh, manches ist auch im Ansatz falsch. Dies betrifft nicht nur Bundes-, sondern auch Landesprogramme. Manchmal wird durch Lobbyisten Einfluss auf die Gestaltung von Programmen genommen, die selbst nicht über ausreichende Sachkenntnis in der Arbeitsmarktpolitik verfügen. Ich nenne hier das weite Feld der Kombilöhne. Wir werden ja sehen, wie erfolgreich diese wirklich sind, wenn mehr Datenmaterial vorliegt.

Zusammenfassend können wir also feststellen, dass Reformbedarf in verschiedensten Bereichen vorliegt. Hier muss sich jeder an die eigene Nase fassen, Wahlkampf hilft den betroffenen Arbeitslosen nicht, sondern Zusammenarbeit. Packen wir es also an! Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Vopel zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, unter dem eingängigen Namen "Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat" verbirgt sich

auch die im Schnelldurchlauf durchgeführte Reform der Bundesanstalt für Arbeit. Also wer das unter einem anderen Stichwort sucht, der wird es wahrscheinlich gar nicht finden. Seit Bekanntwerden der geschönten Vermittlungszahlen der Bundesanstalt standen und stehen längst nicht mehr die Arbeitslosen, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sondern die Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit im Vordergrund. So bekommt man zwar nicht Arbeitslose, aber das Thema vom Tisch. Die Situation ist gekennzeichnet von einerseits der ruhigen Hand des Kanzlers und andererseits von Hektik und Aktionismus, und das in mehreren Akten. Der erste Akt - das Job-AqtivGesetz. Wir haben uns von Anfang an dazu bekannt, die Richtung stimmt, aber das Job-Aqtiv-Gesetz ist zu kurz gesprungen, da gehört noch einiges mehr dazu. Thüringen und Bayern haben einen Entschließungsantrag dazu im Bundesrat eingebracht, der Entschließungsantrag wurde abgelehnt. Teile dieser Forderung, die in diesem Entschließungsantrag stehen, finden sich jetzt im Kanzlerwahlprogramm wieder; immerhin.

(Zwischenruf Schuster, Minister für Wirt- schaft, Arbeit und Infrastruktur)

Ja, das habe ich gestern gehört.

Die unmittelbar Betroffenen... Sie haben Recht, Herr Dr. Müller, natürlich ist es zunächst mal eine Bundessache, aber auszubaden haben wir es ja in den Ländern.

(Beifall bei der CDU)

Die unmittelbar Betroffenen, nämlich die Bundesländer, werden außen vor gelassen. Die unterschiedlichen Voraussetzungen zwischen den alten und neuen Ländern werden völlig ignoriert. Wir wollen keinen Sonderstatus, aber, ich denke, den ungünstigeren Bedingungen in den neuen Bundesländern müsste zumindest Rechnung getragen werden. Das denkt man zumindest.

(Beifall bei der CDU)

Der zweite Akt: Weiter steigende Arbeitslosenzahlen, ganz im Gegensatz zu dem, was der Kanzler versprochen hatte, verführten dazu, das so genannte Mainzer Modell bundesweit auszudehnen, ein Modell, das in Rheinland-Pfalz gut 700 Arbeitslose in Beschäftigung gebracht hat, wovon fast zwei Drittel schon nicht mehr in der Förderung sind. Ich sage mal, im Verhältnis zu unserem "50 PLUS" ist das ein ganz schöner Flop gewesen in Rheinland-Pfalz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es bundesweit viel anders sein wird. Viel Bürokratie, wenig Effekt, aber die Diskussion um ein einfach zu handhabendes Kombieinkommensmodell wurde ja abgelehnt.

Der dritte Akt: Die Bundesanstalt wird umstrukturiert, neuer Name, neue Spitze - nur neue Arbeitsplätze schafft das noch lange nicht. Mehr wirklicher Wettbewerb und mehr Effektivität bringt dieses Gesetz mit Sicherheit nicht.

Dazu ist es schlicht und einfach im Schnelldurchgang aufs Blatt Papier gebracht worden, der Herr Minister hat die Schwachpunkte benannt. Der Bundesregierung war es noch nicht mal Wert, einen eigenständigen Gesetzentwurf einzubringen. Nein, es wurde so im Omnibusverfahren an ein bestehendes Gesetz, was schon im Geschäftsgang war, einfach angehängt. Die Expertenanhörung fand innerhalb von vier Tagen statt und die parlamentarische Beratung - die Opposition würde uns hier im Landtag sagen: Arroganz der Macht - die wurde wirklich durchgepeitscht. Das Ergebnis: Schon nach kurzer Zeit verstehen manche, viele haben es vorhergesagt, die Vermittlungsgutscheine als Lizenz zum Gelddrucken. Ich meine, die Vermittlungsgutscheine, deren Wert sich lediglich nach der Dauer der Arbeitslosigkeit berechnet, da kann ich nur sagen, je langsamer die Vermittlung, umso mehr lohnt es sich, umso höher sind die Kosten. Scharlatanen sind in diesem Bereich Tür und Tor geöffnet.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Jawohl.)

(Beifall bei der CDU)

Parallelen zum Job-Aqtiv-Gesetz: Mitwirkung der Länder unerwünscht. Die Erfahrungen der neuen Länder werden ignoriert, über die Diskussion Landesarbeitsämter möchte ich mich jetzt nicht auslassen, unser Standpunkt dazu ist bekannt.

Der vierte Akt: Die eigentliche Strukturreform soll von einer Kommission vorbereitet werden. Die Zusammensetzung ist bemerkenswert. Die Bundesländer, die wirklich über erhebliche Erfahrungen auf diesem Gebiet mittlerweile verfügen, sind nicht vertreten. Ich weiß nicht, ob ausgerechnet der Oberbürgermeister von Leipzig nun der kompetenteste Vertreter in diesem Gremium ist, ein Oberbürgermeister einer Stadt mit einer Beschäftigungsgesellschaft, die also nun, ich sage es mal vorsichtig, nicht zu den besten ihrer Art gehört. Mehr möchte ich jetzt dazu nicht sagen.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Das nehmen Sie sofort zurück.)

Meine Damen und Herren, ich denke schon, dass es auch ein Zeichen gewesen wäre, einen Ländervertreter, wenn man nicht unbedingt Thüringen haben wollte, dann irgendeinen anderen, in diese Kommission einzubinden, denn immerhin werden fast die Hälfte der Mittel der Bundesanstalt in den neuen Ländern verausgabt. Zwischen den einzelnen Akten lässt man dann ab und zu Luftballons aufsteigen, der neue Vorstandsvorsitzende Gerster macht Vorschläge, die gefallen manchem seiner Genossen nicht, die Bundestagsfraktion pfeift ihn zurück, OTon Müntefering. Herr Gerster ist wiederum vorsichtig geworden bei der Verkündung der Arbeitslosenzahlen, das findet der Herr Riester nicht gut, er stellt sich hin und sagt, das Job-Aqtiv-Gesetz wirkt schon, das ist aber auch schon

bemerkenswert.

Meine Damen und Herren, wenn bei meinem Auto der Motor stottert, helfen mir die schönen technischen Extras, die ich habe, überhaupt nichts. Ich komme nämlich nicht vorwärts. Der Motor in Deutschland stottert erheblich und mit Symptomen allein ist es nicht getan.

(Beifall bei der CDU)

Es liegt eben nicht nur an der Weltwirtschaftslage. Frau Präsidentin, ich erlaube mir, wenige Sätze zu zitieren: "Für die andauernde Krise auf dem deutschen Arbeitsmarkt kann nicht die Weltlage allein verantwortlich gemacht werden. Sie ist zum größten Teil hausgemacht.", sagt Anna Diamantopoulou, das ist eine Griechin. Die für Arbeitsmarkt und Sozialpolitik zuständige EU-Kommissarin mahnt beherzte Neuerungen in Deutschland an. Ich denke, sie ist bestimmt eine Frau, die sich mit diesen Dingen beschäftigt, und es ist tatsächlich so. Wenn wir die Zahlen gestern gehört haben, Griechenland und Irland haben 2002 die höchsten Wachstumsraten.

(Zwischenruf Abg. Doht, SPD: Von welchem Niveau aus?)

Schluss - ja, von welchem Niveau aus. Von welchem Niveau aus sind denn die neuen Bundesländer gestartet, Frau Doht? Von welchem Niveau aus sind wir denn gestartet?

(Beifall bei der CDU)

Und wir liegen bei 0,5 Prozent, wenn es hochkommt in diesem Jahr. Und Deutschland insgesamt ist Schlusslicht wieder in diesem Jahr. Die Thüringer Landesregierung hat mit ihren Initiativen im Bundesrat und mit dem Schreiben an den Bundesarbeitsminister versucht, Nachbesserungen zu erreichen. Aber der Stellenwert der neuen Bundesländer scheint im Moment gleich null zu sein. Wir haben das heute gehört vom Ministerpräsidenten, was das Wahlprogramm anbelangt und die Zusage, Kinderbetreuungsplätze einzurichten. Ich finde das wirklich - das kommt uns enorm zugute. Riester'sche Anzeigen in großen überregionalen Zeitungen müssen vielen Arbeitslosen in Thüringen wie Hohn erscheinen. Da sind Riesenanzeigen, und wenn man dann hört oder liest, ich habe es heute von mehreren Kollegen gebracht bekommen, da bekommen die Arbeitslosen auf den Arbeitsämtern jetzt diese Gutscheine und dann fragen sie dort die Beamten: Ja und, wo gehe ich hin damit? Ja, das können wir ihnen auch nicht sagen. Ich kann nur sagen, wenn das zu Jobvermittlungen führen soll, da bin ich echt mal gespannt. Ich glaube, da profitieren wirklich nur die davon, die damit Handel treiben. Und das kann wohl nicht Sinn und Zweck dieses Gesetzes sein.

Meine Damen und Herren, wir wollen in Thüringen kein ABM-Land werden. Wenn ich die Zahlen im Moment von Mecklenburg-Vorpommern sehe, da wird mir Angst. Wenn ich sehe, wie mittlerweile auch auf Bundesebene über ABM gedacht wird, wird das mal einen ganz schweren Absturz geben. Wir wollen Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, dass Arbeitsvermittler, ganz gleich, ob private oder vom Arbeitsamt, auch etwas zu vermitteln haben. Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Mir wird jetzt eine Rede von Herrn Abgeordneten Gerstenberger, PDS-Fraktion, angezeigt.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist erschütternd, bei den Arbeitslosen draußen völlige Sprachlosigkeit von Seiten der CDU und hier drin werden die Wahlkampfreden gehalten.