Protocol of the Session on November 8, 2001

unseren Pädagogen verlangen, dass sie fremdenfeindlichen Stimmungen entgegentreten. Wolfgang Thierse hat es auf den Punkt gebracht: "Ein Teil unserer Lehrerinnen und Lehrer hat aus ihren missglückten Erfahrungen die falsche Konsequenz gezogen, nie wieder ideologisch politisch sein zu wollen. Es gehört aber zum Wesentlichen von Erziehung, dass man eine eigene Position hat, dass man als Demokrat kenntlich ist und Grenzen aufzeigt, wenn es um inhumane Ideologie, wenn es um inhumanes Verhalten geht." Meine Damen und Herren, eine demokratische Schule, die die Schüler als demokratische Mitglieder ihres Alltags ernst nimmt, ist noch immer der beste Beitrag auch gegen Rechtsextremismus. Nicht Einzelaktionen, sondern die stete Wahrung eines demokratischen Schulklimas ist erforderlich. Da reicht es nicht aus, auf einige Maßnahmen und Projekte hinzuweisen und dann zu schlussfolgern, man habe, ich zitiere die Regierungserklärung: "... den einschlägigen Themenstellungen umfassend Rechnung getragen.". So einfach, Herr Ministerpräsident, ist es leider nicht. Auch der Beitrag der angekündigten Schulgesetznovelle ist hier, um es freundlich zu sagen, eher peripher. Was wir brauchen, ist ein Beratungsnetzwerk in der schulischen Arbeit, um die Bereitschaft zur schulischen Auseinandersetzung mit allen Formen der Gewalt, des Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit zu fördern, Hilfe und Unterstützung bei der offenen Auseinandersetzung mit diesen Problemen zu leisten und nicht zuletzt damit langfristige Prävention zu ermöglichen. Ich kann Herrn Prof. Dr. Harald Dörig nur zustimmen, wir brauchen ordnungsrechtliche Grundsätze zum schulischen Konzept gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Das Kultusministerium sollte engagiertes Handeln der Schulen und ihrer Lehrer rechtlich absichern. Hier ist ein großer Handlungsbedarf.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Prof. Dörig hat auch angeregt, jährlich bürgerschaftliches Engagement der Lehrer gegen Rechtsextremismus auszuzeichnen und damit ein Zeichen dafür zu setzen, dass der Staat Flagge zeigt gegen Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit. Ich kann dem nur zustimmen.

Meine Damen und Herren, wir haben in Thüringen eine Steigerung rechtsextremer Straftaten um 65 Prozent laut Angaben des Thüringer Verfassungsschutzberichts. Die Zahl der Körperverletzungen hat sich verdoppelt und wenn man schon den Jahresbericht des Bundesverfassungsgerichts zitierte, Herr Ministerpräsident, dann muss man der Ehrlichkeit halber auch sagen, bei den Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund je 100.000 Einwohner nimmt Thüringen den traurigen Spitzenplatz vor allen anderen Bundesländern ein und das, Herr Ministerpräsident, kann man dann auch nicht verschweigen.

(Beifall bei der SPD)

Gerade vor diesem Hintergrund ist es mehr als unverständlich, dass die Landesregierung ein Landesprogramm gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus ablehnt. Es gibt sicher viele unterstützenswerte Ansätze, ich nenne hier die Gedenkstätte Buchenwald, die Projektarbeit Thüringer Schulen an KZ-Gedenkstätten. Seit Jahren unterstützt die Landeszentrale für politische Bildung hier wirklich in guter Art und Weise diese Projekte. Ich denke an die Jugendkongresse, das Förderprogramm "Demokratisch Handeln" oder das Projekt "Streitschlichtung" und nicht zuletzt die Förderung von Projekten der Gewaltprävention, übrigens fußend auf einem Antrag der SPD-Fraktion in der 1. Legislaturperiode dieses Landtags. Aber auch, und jetzt komme ich zur entscheidenden Frage, wenn es punktuelle Zusammenarbeit gibt, wir brauchen die Vernetzung der Aktivitäten in einer neuen Qualität, wir brauchen eine stärkere Verbindung von Schule, Freizeit und Nachbarschaft, um die Sozialarbeit in ein Netzwerk staatlichen und zivilgesellschaftlichen Handelns zu integrieren. Dass es jetzt auch in Thüringen endlich mobile Beratungsteams gibt, ist vor allem den Programmen der rotgrünen Bundesregierung zu verdanken und dem Engagement von Gewerkschaften und Kirchen.

(Beifall bei der SPD)

Ja wirklich, ich kann Ihnen gern die Programme auch vorstellen, vielleicht sind sie noch nicht bis zu Ihnen vorgedrungen, das mag ja sein, aber ich gebe Ihnen da gern Nachhilfeunterricht. Diejenigen, meine Damen und Herren, die im Land gegen rechtsextreme Tendenzen aktiv sind, unterstützen unsere Forderung nach einem breit angelegten Landesprogramm. Ich verweise hier beispielsweise auf die fachliche Stellungnahme von Prof. Frindte oder Volkhard Knigge im Anhörungsverfahren des letzten Jahres. Seitdem ist ein Jahr vergangen, das für die Präventionsarbeit verloren wurde. Stattdessen wurde mit der Koordinierungsstelle Gewaltprävention ein bürokratischer Wasserkopf geschaffen, der Aktivitäten vortäuscht, statt sie zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wer es versteht zuzuhören, ist nicht nur sympathisch, am Ende hat er auch etwas dazugelernt. Von den Regierungserklärungen lernt man in schöner Kontinuität dazu, wer viel redet, muss noch lange nicht viel gesagt haben. Danke.

(Beifall bei der SPD)

Für die PDS-Fraktion hat sich der Abgeordnete Nothnagel zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, Herr Ministerpräsident Dr. Vogel, diese Regierungserklärung sagt nichts Neues. Zusammenfassend kommt heraus, was Sie immer sagen: So schlecht steht Thüringen gar nicht da. Wir sind im Mittelfeld; von den Schlechten sind wir noch die Besten und damit geben wir uns zufrieden.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: Das haben wir nie gesagt.)

Wie immer führen Sie aus, was Thüringen alles tut und wie immer werden Fortbildungsmaßnahmen, die Koordinierungsstelle Gewaltprävention und verschiedene andere Sachen aufgeführt, die gestärkt werden müssen, wie z.B. die Schule und die Familie, um nur einiges zu nennen. Prinzipielle Kritik kann nach dem x-ten Mal ThüringenLobhudelei nicht erspart werden:

1. dass für die konkrete Umsetzung eine Planung fehlt;

2. dass Sie sich schwer tun, wenn es darum geht, Initiativen z.B. gegen Rechts zu stärken;

(Zwischenruf Abg. Böck, CDU: Gegen Rechts oder gegen Rechtsextremisten?)

3. dass die Koordinierungsstelle für Gewaltprävention ins Leben gerufen wird, die im Notfall gegen alle Formen der Gewalt aus dem Ärmel gezaubert wird und die an der Basis nicht einmal bekannt ist.

4. Die Auswertung der Studie, denn etwas anderes war diese Regierungserklärung ja nicht, mutet an wie die Schilderung der Tatsache, für Thüringen ist doch alles in Ordnung, die paar Rechtsextremen machen doch unserer Jugend nichts aus.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Das hat kei- ner gesagt.)

5. Mangelnde Ausbildung, Jugendarbeitslosigkeit und Abwanderung mit Blick Zukunftsgewissheit tun Sie ab, als wären sie nicht vorhanden. Kritiker Ihrer Politik diesbezüglich werden zu Meckerern und Schwarzsehern degradiert, die den Standort Thüringen kaputtreden.

6. Ehrenamtlichkeit jubeln Sie hoch, weil sie nichts kostet und durch einen feuchten Händedruck zu vergelten ist. Dass die Opposition da eine andere Meinung vertritt, hat mein Kollege Hahnemann und Frau Pelke ja schon erwähnt und deshalb muss ich darauf nicht noch näher eingehen.

(Zwischenruf Abg. T. Kretschmer, CDU: In der SED gab es immer einen Blick in die Kartentasche, das war auch nicht viel wert.)

7. Sie wundern sich in Ihrer Erklärung über verharmloste Sicht des Nationalsozialismus, über die Billigung der Unterscheidung in wertvolles und unwertes Leben. Dabei bleibt für mich die Frage: Was tun Sie dagegen?

Mein Kollege Hahnemann hat den Fall Jussuf Ibrahim in Jena bereits erwähnt. Ich war im letzten Jahr in Jena und habe mir dort diese ganzen Veranstaltungen angetan, wo Sie, Herr Seela, nicht anwesend waren. Sie haben sich das nicht angetan.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Ich habe ein Buch darüber geschrieben. Das kann ich Ihnen gern zur Verfügung stellen.)

In einigen dieser Diskussionen fühlte ich mich in das Jahr 1940 zurückversetzt und nicht im Jahr 2000.

(Zwischenruf Abg. Grüner, CDU: Da haben Sie gar nicht gelebt.)

Ja, Gott sei Dank, dann würde ich nicht hier vorn stehen. Ich möchte nicht, dass mein Lebensrecht und das aller anderen Behinderten infrage gestellt wird.

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Das macht doch keiner.)

(Beifall bei der PDS)

Ein weiteres Beispiel ist der Fall Heinrich Ehrhardt und die Namensgebung eines Zella-Mehliser Gymnasiums. In den Publikationen von Herrn Ehrhardt ist auch von lebenswertem und unlebenswertem Leben nachzulesen. Diesen Fall hatte ich ja als Mündliche Anfrage im letzten Plenum noch einmal aufgebracht. Ich hoffe, dass es durch das Kultusministerium hierzu eine positive Wende geben wird. Solche Dinge bestimmen auch die Werte der Jugend, die Sie, Herr Ministerpräsident, leider ausblenden.

Herr Vogel, Sonntagsreden und Lippenbekenntnisse bringen Thüringen nicht weiter. Sie tun so, als hätten Sie nichts weiter zu tun, als sich den Bauch zu pinseln

(Unruhe bei der CDU)

und zu verkünden, wie top Thüringen ist.

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU: Unmöglich!)

Nein. Gehen Sie zu der Jugend und reden Sie mit ihr und lassen Sie nicht nur Studien über sie erstellen.

(Beifall bei der PDS)

Aus der Mitte des Hauses liegen mir keine weiteren Redemeldungen vor. Herr Ministerpräsident noch einmal.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, da es leider Herr Nothnagel nicht gesagt hat, muss ich das jetzt sagen, die Sache mit der Zuleitung der Schulgesetznovelle hat sich geklärt. Selbstverständlich haben wir Mitte Oktober die Novelle dem Landtag und damit auch allen Fraktionen ordnungsgemäß zugeleitet.

(Beifall bei der CDU)

Außerdem ist es nach den Bemerkungen von Herrn Döring notwendig, glaube ich, ausdrücklich noch einmal die Entwicklung der Straftatbestände darzustellen. Wir hatten im Jahr 2000 eine Zunahme, ich habe darüber berichtet. Wir haben in den ersten neun Monaten des Jahres 2001 einen höchst erfreulichen Rückgang der Straftatbestände insgesamt um 31 Prozent, der Propagandadelikte um 32 Prozent und der Gewaltstraftaten um 41 Prozent. Meine Damen und Herren, vielleicht ist es noch möglich, wenigstens die Fakten zur Kenntnis zu nehmen

(Beifall bei der CDU)

und die Lage nicht bewusst schlechtzureden.

Ich habe mich gemeldet wegen des Beitrags von Herrn Hahnemann. Herr Hahnemann schürt die Angst, höhere Sicherheit gehe auf Kosten der Freiheit. Meine Damen und Herren, wer so spricht, hat die Botschaft des 11. September 2001 nicht verstanden. Im freiheitlichsten Land der Welt hat man erkennen müssen, dass die Freiheit nicht genügend geschützt war, sondern dass Tausende von Menschen einem terroristischen Anschlag ohnegleichen zum Opfer gefallen sind. Wer in dieser Situation die Notwendigkeit leugnet, die Freiheit besser zu schützen, meine Damen und Herren, der handelt verantwortungslos.

(Beifall bei der CDU)

Wir weisen den Versuch,

(Zwischenruf Abg. Dr. Hahnemann, PDS:... Einschränkung...)

die, die zusätzliche Sicherheit um der Freiheit willen schaffen wollen, als Gegner der Freiheit zu diffamieren, auf das Entschiedendste zurück.

(Beifall bei der CDU, SPD)