Protocol of the Session on April 13, 2000

Enquetekommission "Wahrung der Würde des menschlichen Lebens in Grenzsituationen" Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/468

Es ist signalisiert worden, dass die antragstellende Fraktion begründet. Herr Abgeordneter Althaus, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich nehme den Antrag der CDUFraktion nach § 84 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags, eine Enquetekommission einzusetzen, zum Anlass, einige Worte aus der Verfassung des Freistaats Thüringen vom 25. Oktober 1993 zu zitieren. Es heißt in der Präambel: "In dem Willen, Freiheit und Würde des Einzelnen zu achten, gibt sich das Volk des Freistaats Thüringen in Verantwortung vor Gott diese Verfassung." Und in Artikel 1 Abs. 1 folgt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie auch im Sterben zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Der Schutz der Menschenwürde ist somit laut Gesetz unsere Verpflichtung und damit staatliche Aufgabe. Dazu haben wir uns in Freiheit und in Wahrnehmung unserer Verantwortung bekannt. Erstmalig seit Bestehen des Landtags nimmt die CDU-Fraktion heute die Möglichkeit wahr, die Einsetzung einer Enquetekommission zu beantragen. Wir tun dies im Geist der Aussage des § 84 unserer Geschäftsordnung, ich darf Abs. 1 zitieren: "Zur Vorbereitung von Entscheidungen über umfangreiche und bedeutsame Sachverhalte kann der Landtag eine Enquetekommission einsetzen." Die Frage nach der Würde und Einmaligkeit des Menschen verlangt Konsequenzen im Handeln, aber auch politische Entscheidungen. Und dies gilt besonders für Grenzsituationen des Lebens. In diesem Zusammenhang wird in der Regel die Frage nach der Lebensqualität gestellt. Das Wort findet sehr oft Anwendung im allgemeinen Sprachgebrauch, ja es ist fast ein Modewort. Aber die Antworten auf diese Frage sind total unterschiedlich. Deshalb, gerade in einer Situation wachsender medizinischer und wissenschaftlicher Möglichkei

ten müssen wir stärker Position beziehen. Es bedarf Festlegungen gesellschaftlich anerkannter Rahmenbedingungen und Definitionen. Wenn sich Meldungen zu Grenzfragen häufen, geht die Orientierung leicht verloren. Am 17. März dieses Jahres meldet das "Deutsche Ärzteblatt", das französische nationale Ethikkomitee, die höchste Instanz für Bioethik in Frankreich, habe sich dafür ausgesprochen, in Ausnahmefällen das Verbot der aktiven Sterbehilfe aufzuheben, im Heft 11 nachzulesen. Am 5. April berichtet der Internet-Dienst "Spiegel-Online", in Großbritannien wolle die Regierung das Verbot des Klonens aufheben, soweit therapeutische Zwecke, etwa die Züchtung von Gewebe, betroffen seien, "Spiegel-Online", 14/2000. Am 6. April stand in der "Thüringer Allgemeinen" zu lesen, spanische Wissenschaftler würden sich dafür aussprechen, Forschung mit menschlichen Embryonen zu medizinischen Zwecken zu erlauben, und am 7. April in der "Süddeutschen Zeitung", das US-Repräsentantenhaus habe ein Gesetz zum Verbot von Spätabtreibungen verabschiedet. Vielfältige Meldungen, die wir fortsetzen können, übrigens leider auch mit Meldungen, die Deutschland direkt betreffen. Und sie betreffen alle Stationen des Lebens. Es stellen sich fundamentale Rechtsfragen, die in diesen Problemen immanent sind, und diese Rechtsfragen müssen in ihrer Antwort eine ethische Dimension haben, deshalb tut Orientierung Not.

Der äußere rechtliche Rahmen ist unschwer zu benennen und scheint klar. Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz, zum Teil wortgleich, wie zitiert mit dem Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 Thüringer Verfassung und hier - das Selbstbestimmungsrecht ist unmittelbarer Ausdruck dieses Grundrechts. Oder auch Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz sowie Artikel 3 Abs. 1 Thüringer Verfassung garantierten gleichsam als materielle Grundlage der Würde und des Selbstbestimmungsrechts das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Andere Grundrechte können von Fall zu Fall dazu treten, etwa der Schutz von Ehe und Familie nach Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz bei der Fortpflanzungsmedizin oder häufig auch die Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 3 Grundgesetz.

Der Rahmen scheint klar und trotzdem, Handlungsorientierungen ergeben sich aus der ethischen Betrachtung. Aber wie die wenigen Beispiele zeigen, ist die Bewertungspraxis im Einzelnen differenziert, leider auch zum Teil bis zur Unmenschlichkeit differenziert. Die Ergebnisse der biologischen, technischen, medizinischen Forschung sind ein Segen für die Menschheit. Aber die Grenzen zwischen Segen und Fluch sind oft fließend.

Ich will heute zur Einbringung des Antrags bewusst auf die konkrete Nennung von rechtlichen Regelungen und Grenzsituationen auch in Deutschland verzichten, sicher auch eine Aufgabe der Enquetekommission. Aber die CDU-Fraktion ist der Meinung, dass in unserer Gesellschaft, in Deutschland, in Thüringen, in dem sich einigenden Europa, diese und andere ethisch-moralische Fragen mehr in den Blickpunkt gerückt werden sollen. Die

Enquetekommission bietet die Chance dazu, die Diskussion zu verstärken und zu vertiefen, und natürlich muss unsere Geschichte, der Umgang mit Grenzsituationen und der Würde des menschlichen Lebens in den Diktaturen, und insbesondere der national-sozialistischen Diktatur, eine wichtige Rolle spielen; eine Frage, die beachtet werden muss, und aus ihr wächst doppelte Verpflichtung für unsere Verantwortung. Als Politiker müssen wir uns dem Problem widmen, denn die medizinische Grundlagenforschung entwickelt sich rasant und stärker als bei dem Wechselspiel zwischen Globalisierung und Wirtschaft und national-ökonomischen Handlungschancen müssen wir hier bei diesem Thema auf dem Primat einer ethisch verantwortbaren Politik bestehen. Erst kürzlich ist die Entzifferung

(Glocke der Präsidentin)

des humanen Genoms gelungen. Die Medien haben ausführlich berichtet. Die Entwicklung setzt sich fort. Der Präsident der Deutschen Unesco-Kommission, Kanesius, hat 1997 gesagt: "Es geht darum, zu ermöglichen, was geschehen muss, um zu verhindern, was nicht geschehen darf." Die Enquetekommission will einen Beitrag leisten für das junge Thüringen, für das Leben in Thüringen. Es ist eine Premiere für den Thüringer Landtag und ich bitte namens der CDU-Fraktion zu diesem Antrag der Einsetzung der Enquetekommission "Wahrung der Würde des menschlichen Lebens in Grenzsituationen" um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei der CDU)

Ich eröffne die Aussprache zu diesem Antrag. Zu Wort hat sich gemeldet Frau Dr. Fischer, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Einsetzung einer Enquetekommission zur Wahrung der Würde des menschlichen Lebens in Grenzsituationen hat unbestreitbar brisante gesellschaftliche und gesundheitspolitische Dimensionen. Sie kann durchaus eine sinnvolle, aktualitätsbezogene sowie ein Stück zukunftsweisende Arbeit für Thüringen und darüber hinaus leisten. Sie wissen wie ich, dass das eigentlich nicht genügt, aber entsprechende Anträge liegen ja auch im Bundestag vor und ich denke, auch das wird sehr wichtig für die Thüringer Enquetekommission sein. Wichtige Begriffe der Ethik sind Würde und Humanität für die Lebensgestaltung und Sinnfindung und für die Ethik und Medizin sind sie auch Handlungskriterien.

In Ihrem Antrag steht, "die Herausbildung einer Mentalität droht, der zufolge kranke, alte und behinderte Menschen in ihrer Existenz als weniger wert angesehen werden und die Wirklichkeit des langen Lebens als Last in

terpretiert wird", so u.a. in der Begründung Ihres Antrags. Sehr geehrte Damen und Herren, die Befürchtungen, die an dieser Stelle des Antrags zum Ausdruck kommen, kann ich sehr gut nachvollziehen. Leben wir doch gegenwärtig in einer Zeit, in der die Ökonomisierung der Gesellschaft vor dem Leben des Einzelnen nicht Halt macht. Immer mehr Menschen werden arbeitslos und das dauerhaft. Immer weniger Menschen werden für den Verwertungsprozess des Kapitals gebraucht. Arbeitslose, Obdachlose, junge und ältere Menschen unterschiedlicher beruflicher Qualifikationen beiderlei Geschlechts sind quer durch die Gesellschaft betroffen. Der Gegensatz von Arm und Reich verschärft sich in unserem, in diesem reichen Land. Und ich bin sehr froh, Herr Althaus, dass Sie auf die Verfassung abgestellt haben, denn menschliche Grenzsituationen gibt es ja viel mehr und Sie haben ja auch von der Würde des menschlichen Lebens gesprochen. Meine Damen und Herren, der Arzt hat heute als Unternehmer, Manager und Betriebswirt zu denken. Das Verhältnis Arzt-Patient, das einst auf Vertrauen basierte, verkommt zu einem Geschäftsvertrag zwischen Leistungsanbietern und Kunde. Wo bleibt in diesem Verhältnis unter diesen Bedingungen der kranke Mensch, der Patient, und wo bleibt der Arzt? Es ist doch bestimmt unstrittig, dass dieser Balanceakt, den hier Ärzte zu leisten haben, viele Mediziner fast zerreißt.

Meine Damen und Herren, mit dem Antrag wird unserer Meinung nach deutlich die Frage nach gesellschaftlichen Werten, die gesellschaftliche Wertorientierung, die Frage des Menschenbildes einer Gesellschaft und das Verhältnis von Forschungsfreiheit und Menschenrechten gestellt. Welche neuen Leitbilder brauchen wir? Solche, die ethisch akzeptabel sind, sich an den tatsächlichen, auch vorfindlichen Gesundheitsproblemen orientieren oder danach, welche spezifischen Gruppeninteressen repräsentiert werden, und in welchem Umfang sind sie denn sozial konsensfähig. Gesundheit ist primär ein soziales und kulturelles Leitbildkonstrukt und unterliegt auch gesellschaftlichen Veränderungen. Gesundheit ist in der kapitalistischen Gesellschaft Erwerbsfähigkeit, unter den Griechen war sie Genussfähigkeit, im Mittelalter Glaubensfähigkeit, zitiert nach Trojahn. Gesundheitspolitische Kontroversen sind vor allem Kontroversen um Werte, Interessen, Anschauungen und Hoffnungen. In einer Gesellschaft, in der alles nach Kosten und Nutzen bewertet wird - und das hatten wir heute sehr oft in dieser Veranstaltung -, in der die moralischen Werte der Menschheit, die Würde der Menschen mehr und mehr zum Teil dem Monetären zum Opfer fallen, dürfen die Schutzrechte für die Menschen um keinen Deut eingeschränkt werden. Fortschritt auf Kosten von Menschen, vor allem, wenn es sich um Menschen mit den verschiedensten Beeinträchtigungen handelt, ist kein Fortschritt, das ist Menschenverachtung. Und das hatten wir in unserer Geschichte und ich bin sehr gespannt, wie wir das im Gesamtkonsens diskutieren können. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert werden in Bezug auf die Traditionslinien im Gesundheitswesen wesentliche Veränderungen diskutiert. Einige dieser Veränderun

gen sind objektiv herangereift, bedingt durch die Fortschritte in der Medizin, durch eine erhöhte Lebenserwartung, durch veränderte Lebensbedingungen und Lebensstile. Zu den zentralen herangereiften Fragen gehören eine gesamtgesellschaftliche und eine spezifisch ethische Bewertung und, da werden wir uns sicher auch alle einig sein, die gesamtgesellschaftliche Diskussion hinkt weit hinterher. Die gesamtgesellschaftliche Frage betrifft die Entscheidung für ein "weiter so" in der hoch technisierten Medizin bei zunehmender Vernachlässigung der Basisversorgung oder für eine ökologisch orientierte Lebensweise mit starker Förderung präventiver Maßnahmen. Das ist die Frage: Wohin gehen die Investitionen bei der Forschung, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation? Die spezifisch ethische Frage betrifft die Werte Selbstbestimmtheit und Fürsorge, Eigenverantwortung und Solidarität, Subsidiarität und soziale Verantwortung. Hier ist ein Spannungsfeld, bei dem die Frage ist, ob Selbstbestimmtheit zur Ellenbogenfreiheit, die Eigenverantwortung zum Alleingelassensein und die Subsidiarität zur sozialen Verantwortungslosigkeit umschlagen kann. Dass wir in einem Zustand tief greifender Umwälzungen, einer fundamentalen Unübersichtlichkeit leben bzw. der Grundsatz der Beliebigkeit dominiert, sich durch eine schranken- und grenzenlose Veränderungsdynamik die Risiken potenziert haben und die Zukunftsaussichten immer unsicherer geworden sind, wird allgemein anerkannt. Jedoch darüber, welche Bedeutung diese Entwicklungen haben, scheiden sich die Geister. Gehen von ihnen existenzielle Gefahren aus oder bieten sich neue Chancen, selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Handeln zu fördern? Die verbreitete Unsicherheit und Orientierungslosigkeit ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung, die immer uneingeschränkter der Kapitalakkumulation und dem ökonomischen Verwertungszwang gehorcht. In zunehmendem Maß werden individuelle Lebensperspektiven und kollektive Lebensgrundlagen bedroht.

Meine Damen und Herren, meinen Ausführungen können Sie entnehmen, dass meine Fraktion die Begründung des Antrags der Fraktion so einfach nicht hinnehmen kann. Wir sehen einen grundsätzlichen Handlungsbedarf im gesellschaftlichen Kontext der parlamentarischen und kritisch-öffentlichen Auseinandersetzung über grundrechtliche, medizinethische und sozialpolitische Fragen.

Meine Damen und Herren, wir haben uns natürlich bemüht, uns den Antrag sehr genau angesehen und haben einen Änderungsantrag eingebracht. Ich muss sagen, bei diesem Thema einen Änderungsantrag abzulehnen und nicht einmal zu diskutieren, das tut mir schon weh, das muss ich sagen.

(Beifall bei der PDS)

Warum nicht? Sie können ihn doch ablehnen - warum lassen Sie ihn nicht zu? Herr Althaus hat hier über menschliches Leben geredet. Warum soll man das dann nicht auch im Antrag vielleicht zumindest diskutieren, ob man

als Begriff "ungeborenes Leben" nicht durch "menschliches Leben" ersetzen kann? Der ist nämlich sehr viel weiter gehender und schließt ungeborenes Leben ein, auch darüber wollen wir natürlich reden. Oder ein anderes Beispiel in unserem Änderungsantrag - Integration Schwerbehinderter in allen Lebensbereichen und Förderung des selbstbestimmten Lebens. Ich frage mich, warum Sie das nicht diskutieren wollen? Vielleicht wollen Sie es ja auch, warum schreiben Sie es dann nicht hinein? Das geht doch. Oder die Einstellung der Gesellschaft zu Behinderten und Konsequenzen (rechtlich, versicherungsrechtlich, so- zial) aus der Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Auch davon haben Sie geredet. Ich habe mich sehr aktiv beim Europäischen Gerichtshof gegen die Patentierung von Genen gewandt, denn das sind ja keine Entdeckungen, keine Erfindungen. Das sind solche Sachen, die müssen wir sicher dort an dieser Stelle auch bereden. Und warum haben Sie nicht die Größe, meine Damen und Herren von der CDU, einfach einmal auch mit zu diskutieren in der Enquetekommission, am Beispiel einer Enquetekommission die wirkliche Verteilung der Sitze hier im Landtag auch zu repräsentieren. Warum machen wir nicht eine von sieben oder auch von neun? Wir haben neun vorgeschlagen an dieser Stelle, weil es natürlich am besten das Ergebnis wiedergibt. Wie gesagt, manche Sachen bedrücken mich und ich habe dann meine Ängste, dass auch dieses Thema möglicherweise, und da sollten wir uns wirklich alle Mühe geben, wieder zur Ideologie oder zu irgendwelchen Anschauungen von bestimmten Sachen verkommt. Das sollten wir auf alle Fälle gemeinsam nicht zulassen.

(Beifall bei der PDS)

Wir werden dazu natürlich beitragen.

Meine Damen und Herren, wir empfehlen der einzusetzenden Enquetekommission, eine Prioritätenliste zu erstellen, das ist sicher sehr sinnvoll, um explizit die Schwerpunkte ihres Anliegens herauszuarbeiten. Und, sehr geehrte Damen und Herren, wir sind in der Arbeit der Kommission für ein sehr differenziertes Herangehen an alle Aufgaben. Da frage ich mich wirklich, auch das sollten wir überlegen, ob der Anspruch dieser Enquetekommission in zwei Jahren zu schaffen ist. Ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Ich würde mir wünschen, dass da nicht "Abschlussbericht" steht. Ich glaube, wir sollten uns zeitlich auf alle Fälle öffnen und nicht drängen lassen.

Als Medizinerin, denke ich, will ich doch am Schluss noch etwas sagen. Die Möglichkeiten intensiv medizinischer Lebenserhaltungen werden immer weiter gehender und differenzierter und damit auch ethisch problematischer. Und die Frage steht: Darf die Medizin, was sie kann? Es ist die immer häufiger gestellte, auf humane Qualität der Lebenserhaltung zielende Frage. Der Wille des Patienten und entsprechend seine umfassende Aufklärung und seine Einwilligung in jede Maßnahme sind darum zum zentralen Element medizinischer Behandlung

geworden. Nicht mehr das Wohl bzw. das, was der Arzt, die Schwester und andere als das Wohl des Patienten ansehen, ist für die Behandlungsentscheidung maßgebend, sondern die ganz persönliche Sicht und Wertung des Patienten. So lange er sich in irgendeiner Weise bewusst äußern kann, ist auch vom Todkranken und vom Sterbenden nach angemessener Aufklärung die Zustimmung zu einer Behandlungsmaßnahme einzuhalten. Wir wissen alle, was gerade in der Beziehung manchmal in Krankenhäusern passiert, dass Menschen vielleicht im Koma liegen und man denkt, sie hören nichts, sie verstehen nichts usw. Auch solche Fragen, denke ich, sollten wir uns beantworten.

Meine Damen und Herren von der CDU, wir werden natürlich nicht gegen Ihren Antrag stimmen. Wir werden uns enthalten aus den genannten Gründen, die ich hier angeführt habe.

(Beifall bei der PDS)

Weiterhin hat sich zu Wort gemeldet Frau Abgeordnete Pelke, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht hier um den Antrag der CDU-Fraktion - Einsetzung einer Enquetekommission zum Thema "Wahrung der Würde des menschlichen Lebens in Grenzsituationen" und auch nur dazu möchte ich mich äußern.

Es sind vier Punkte angesprochen worden, über die es sich wahrlich lohnt, zu diskutieren, und zwar über einen langen Zeitraum, weil viel zu bereden ist und weil, denke ich, viel ausgetauscht werden muss, was die Schwerpunkte angeht. Man könnte hier sicherlich auch über die Untersetzung, über die 13 aufgeführten Punkte reden und sicherlich gibt es zu diesen Punkten auch unterschiedliche Positionen, aber das soll ja in der einzurichtenden Kommission geschehen. Man könnte auch über die vorgeschlagene Zusammensetzung der Kommission diskutieren, aber leider Gottes wissen wir, wie auch an diesem Punkt mit Vorschlägen umgegangen wird.

Die SPD-Fraktion wünscht und hofft, dass in dieser Kommission tatsächlich unter Sachverständigenaspekt offen diskutiert wird, diese Kommission nicht parteipolitisch benutzt wird, und wir werden in diesem Bereich konstruktiv mitarbeiten und dem Antrag zustimmen. Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Es hat sich zu Wort gemeldet der Abgeordnete Nothnagel, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, heute Morgen wurde unser Änderungsantrag abgelehnt und ich frage mich wirklich, ob Sie genau wissen, was Sie da abgelehnt haben. Ich möchte es einfach noch einmal wiederholen - meine Kollegin hat es ja auch schon getan - Schutz des menschlichen Lebens, zum Ersten, zum Zweiten die Förderung des selbstbestimmten Lebens behinderter Menschen und drittens die Einstellung der Gesellschaft zu Behinderten und die Konsequenzen aus rechtlichen, versicherungsrechtlichen und sozialen Gesichtspunkten aus der Entschlüsselung des menschlichen Genoms.

Liebe Kollegen der CDU-Fraktion, damit haben Sie den besten Beweis dafür gegeben, dass die Reden zur Aktuellen Stunde schöne Sonntagsreden waren und nichts weiter.

Nun noch einige Bemerkungen zu Ihrer Begründung ich zitiere: "Gerade in Thüringen sind in der jüngeren Vergangenheit unter zwei Diktaturen verheerende Erfahrungen mit Verletzungen der Menschenwürde und des Menschenschutzes der Bürger gemacht worden." Wollen Sie allen Ernstes die DDR mit dem Dritten Reich in einen Topf schmeißen? Differenzierung an dieser Stelle wäre doch angebracht. Auch heute bekleckern wir uns nicht unbedingt mit Ruhm, wenn es um die Aufarbeitung der Vergangenheit hinsichtlich der NS-Euthanasie geht. Und das ist nicht das Problem der neuen Länder, nur in den neuen Ländern ist diese Diskussion zeitlich versetzt.

Es liegen keine weiteren Redemeldungen mehr vor. Eine Ausschussüberweisung ist nicht beantragt worden, damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU in der Drucksache 3/468. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? Keine. Stimmenthaltungen? Einige Stimmenthaltungen. Damit ist der Antrag mit Mehrheit bei einigen Stimmenthaltungen angenommen. Ich schließe den Tagesordnungspunkt 6 und komme zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 7

Förderung der Chancengleichheit von Mädchen und Jungen in der Schule Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 3/498

Es ist angekündigt worden, dass Frau Abgeordnete Bechthum den Antrag begründet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die SPD setzt sich seit Jahren mit Engagement für die Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Män

nern ein. Auch in diesem hohen Haus herrschte hierüber mit einigen Abstrichen im Großen und Ganzen Übereinstimmung. Die Forderungen im Antrag der SPD sind nach wie vor aktuell, brisant wie eh und je. Die Bundesfrauenund Jugendministerin Christine Bergmann sagte z.B. im November 1999 in Potsdam zum Kongress der Gesellschaft für Chancengleichheit, dass im internationalen Vergleich in Sachen Chancengleichheit Deutschland deutlich abfalle. So seien heute nur 6 Prozent Frauen in den oberen Managementebenen von großen deutschen Unternehmen zu finden. In kleinen und mittleren Unternehmen seien es bis zu 20 Prozent. Dagegen seien z.B. in den USA 46 Prozent und in Kanada 42 Prozent der Führungspositionen in der Wirtschaft von Frauen besetzt. Die Ausbildungssituation, insbesondere von Mädchen, ihr Berufswahlverhalten hat sich in den letzten Jahren unwesentlich verändert. Über die Hälfte der Bewerberinnen interessiert sich für nur 10 Ausbildungsberufe von 380 im dualen System, vor allem für Berufe im Verwaltungs- und Dienstleistungssektor. Auch bei den vier neu zugelassenen Ausbildungsberufen im IT-Bereich fällt auf, dass sich Mädchen nur für die kaufmännischen IT-Berufe interessieren. Die letzte Shellstudie macht deutlich, wie gering das Technikinteresse sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen ist. Die Ursachen für diesen unbefriedigenden Zustand sind bundesweit bekannt. Sie wurden auch in Thüringen systematisch wissenschaftlich untersucht und dokumentiert. Der Thüringer Landtag hat in den letzten Jahren eine Reihe von Maßnahmen speziell zur Förderung von Mädchen und Frauen beschlossen, zum Beispiel beim Landesjugendamt die Stelle der Fachberaterin für Mädchenarbeit, die Koordinierungsstelle "Naturwissenschaft und Technik für Schülerinnen" im Rahmen des Hochschulsonderprogramms III. Meine Fraktion strebt an, dass die guten Ansätze auf dem Gebiet der Gleichstellungspolitik konsequent weiterentwickelt werden.

(Beifall bei der SPD)

Wie notwendig diese Forderung ist, beweist der Bericht der Bund-Länder-Kommission, brandfrisch vorgelegt vorige Woche mit dem Titel "Verbesserung der Chancen von Frauen in Ausbildung und Beruf - das Ausbildungs- und Studienwahlverhalten von Frauen".

Meine Damen und Herren, Chancengleichheit wird zum Leitbegriff für das 21. Jahrhundert. Auf der Weltfrauenkonferenz in Peking im Jahre 1995 wurde die Strategie des Gender-Mainstreaming in der verabschiedeten Aktionsplattform unterstützt. Gender-Mainstreaming bedeutet, dass bei der Entwicklung und Durchführung politischer Maßnahmen immer die Perspektive der Geschlechter und die Auswirkungen der politischen Maßnahmen auf Frauen und Männer geprüft werden muss. Im Ergebnis erhalten nur solche Maßnahmen eine Chance zur Umsetzung, die einer Gleichstellung der Geschlechter dienen. Positiv ist zu erwähnen, dass der Amsterdamer Vertrag die Mitgliedsstaaten der EU zu einer aktiven Gleichstellungspolitik auch verpflichtet hat.

Meine Damen und Herren, der Bildungsbereich gilt als einer der Schlüsselbereiche zur Gleichstellung der Geschlechter. Renate Hendrichs, die Vorsitzende des Bundeselternrats, hat gerade geäußert...

(Beifall bei der SPD)

Es gibt gleich eine Wortmeldung durch die Landesregierung - Herr Minister Dr. Krapp.

Ich habe das halbe Blatt hier vergessen gehabt, Entschuldigung, weil ich den ganzen Stoß hatte.

... die Chancengleichheit für die junge Generation durch die Schule hat sie sehr treffend charakterisiert. Ich zitiere, Frau Präsidentin: "In einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland werden die Lebenschancen zum weitaus größten Teil durch die erhaltene Bildung und Ausbildung bestimmt. Deshalb muss das Bildungssystem eine größtmögliche Chancengleichheit für alle Schülerinnen und Schüler sicherstellen. Dazu ist u.a. erforderlich, dass das Bildungssystem kompensatorisch wirkt, vor allem dort, wo Elternhäuser versagen oder überfordert sind." Dem ist nichts hinzuzufügen.