Protocol of the Session on June 20, 2019

Ganz grundsätzlich ist zu sagen, dass den Regelungen zur Abschiebehaft in den §§ 62 und 62a des Aufenthaltsgesetzes ein Ultima-Ratio-Gedanke zugrunde liegt. Die Haft darf nur als allerletztes Mittel angeordnet werden, wenn gar keine andere, mildere Maßnahme mehr greift. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss an dieser Stelle besonders beachtet werden, insbesondere auch dann, wenn Familien mit Kindern betroffen sind.

Die Justizministerinnen und -minister weisen dabei im Übrigen auch auf praktische Probleme im Zusammenhang mit einer gemeinsamen Unterbringung hin. Unabhängig von seiner rechtlichen Zulässigkeit steht das Vorhaben zur regelmäßigen Unterbringung von Abschiebegefangenen im Konflikt mit den Zielen und Aufgaben des Justizvollzuges und würde absehbar zu erheblichen Sicherheitsproblemen führen.

So sind die Abschiebegefangenen deutlich geringeren Sicherheitsmaßnahmen unterworfen als Gefangene im Justizvollzug. Ihnen sind in der Unterbringung grundsätzlich so viele Freiheiten wie möglich zu gewähren. Das Leben in der Abschiebehaft ist demjenigen außerhalb der Haft nach Möglichkeit anzugleichen. Das Stichwort lautet: Wohnen minus Freiheit. Ich sage es einmal so: Wir könnten uns als GRÜNE auch JVA vorstellen, die in ähnlicher Weise organisiert sind. Das gibt es aber nicht, und insofern ist völlig klar: Wir haben überhaupt keine Möglichkeit, Menschen im Strafvollzug entsprechend unterzubringen.

Meine Damen und Herren! Menschen, die sich in Abschiebehaft befinden, sind mit Straftätern nicht zu vergleichen. Daher sind ihre Haftbedingungen von denen des Strafvollzugs deutlich zu unter

scheiden. Dazu gehört auch eine strikte Trennung von Straf- und Untersuchungshaftgefangenen. Unsere Fraktion wird sich allen Versuchen, diese Menschen in die Nähe von gewöhnlichen Verbrechern zu stellen, weiterhin konsequent entgegenstellen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Vielen Dank, Herr Abg. Striegel. Ich sehe auch hierzu keine Fragen. - Somit kommen wir zu dem nächsten Debattenredner. Für die CDU-Fraktion spricht der Abg. Herr Schulenburg. Doch bevor ich Herrn Schulenburg das Wort erteile, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Würdetal in Teutschenthal recht herzlich bei uns im Hohen Hause zu begrüßen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Weiterhin darf ich Damen und Herren der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Schule „Talitha Kumi“ in Bait Dschala in Begleitung des Staatssekretärs Herrn Dr. Schellenberger recht herzlich auf der Nordtribüne begrüßen. Herzlich willkommen bei uns im Hohen Haus!

Sie haben das Wort, Herr Schulenburg.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren! Die AfD-Fraktion fordert, die Voraussetzungen für eine Unterbringung von ausreisepflichtigen Sicherungshäftlingen in den Justizvollzugsanstalten des Landes zu schaffen. Diese Forderung ist nicht neu. Bereits im August 2017 stellte sie einen ähnlichen Antrag. Die Meinung der CDU-Fraktion ist heute noch dieselbe wie damals. Wir brauchen die Abschiebungshaft und für Zwischenlösungen fehlt uns die gesetzliche Grundlage. Das ist ein wesentlicher Punkt.

Erst durch das genannte Bundesgesetz, das Geordnete-Rückkehr-Gesetz, werden die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür geschaffen. Wir sprechen also über einen Blick in die Glaskugel. Diese gesetzliche Grundlage soll vor allem für diejenigen Bundesländer gelten, die keine eigenen Haftanstalten bauen wollen, um ihnen zumindest rechtlich die Möglichkeit zu geben, Ausreisepflichtige befristet in Justizvollzugsanstalten unterzubringen. Das trifft für uns aber zurzeit nicht zu, da wir eine eigene Haftanstalt planen.

Derzeit nutzen wir die Kapazitäten anderer Bundesländer, um eine Abschiebungshaft zu gewährleisten. Diese Kooperation zur Nutzung von Haftmöglichkeiten in den anderen Bundesländern

stellt ein wirksames Mittel zur Durchsetzung von Recht und Gesetz im Rahmen der konsequenten Politik zur Rückkehr ausreisepflichtiger Ausländer dar.

Neben den aktuellen rechtlichen Problemen aufgrund des EuGH-Urteils bei der gemeinsamen Unterbringung in Bezug auf das Abstandsgebot müssen auch gewisse Standards eingehalten werden. Es geht nicht darum, Abschiebungshäftlinge in die gleiche Zelle wie Strafgefangene zu sperren. Abschiebungshaft ist immer vorübergehend und nicht dauerhaft. Abschiebungshaft und Strafhaft müssen in unserem Land daher auch weiterhin zwei unterschiedliche Dinge bleiben.

Wir brauchen tragfähige und langfristige Lösungen und keine politischen Schnellschüsse ohne gesetzliche Grundlage. Warten wir das weitere Gesetzgebungsverfahren im Bund ab. Wir sollten dem nicht vorgreifen. Und sollte ein entsprechendes Gesetz in Kraft treten, dann werden das Finanz-, das Innen- und das Justizministerium eine fundierte Entscheidung treffen. Dafür brauchen wir aber keinen Antrag der AfD.

(Zuruf von Volker Olenicak, AfD)

Wir bitten Sie um eine Überweisung in den Ausschuss für Inneres und Sport. - Vielen Dank.

(Zustimmung von Detlef Gürth, CDU, und von Tobias Krull, CDU)

Vielen Dank, Herr Schulenburg. Ich habe eine Wortmeldung gesehen, und zwar von Herrn Abg. Kirchner. - Bitte.

Sehr geehrter Herr Schulenburg, auch Sie frage ich: Finden Sie es ausreichend, eine Abschiebehaftanstalt mit 30 Plätzen zu bauen, wenn sich jährlich ca. 1 500 Abzuschiebende der Abschiebung entziehen?

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜ- NE)

Vielen Dank. - Als letzter Debattenredner kann jetzt für die AfD-Fraktion der Abg. Herr Lehmann noch einmal sprechen.

Doch bevor Herr Lehmann spricht, möchte ich mich an Herrn Abg. Raue wenden. Ich hoffe, dass Sie sich inzwischen etwas beruhigt haben. Dann können Sie selbstverständlich wieder den Saal betreten. Denn ich habe Sie nicht von der Sitzung

ausgeschlossen, sondern nur darum gebeten, dass Sie den Saal verlassen. Damit wollte ich erreichen, dass Sie wieder etwas herunterkommen.

(Heiterkeit bei der AfD)

Sie können selbstverständlich an der Abstimmung teilnehmen. Das wollte ich Ihnen mitteilen. - Bitte, Herr Lehmann.

Danke schön, Frau Präsidentin. - Ich fand es bezeichnend - das muss ich als Erstes sagen -, dass dann, wenn die CDU geredet hat, insbesondere der Innenminister als Vertreter der Landesregierung, der Applaus immer aus der linken, roten Richtung kam. Das fand ich schon sehr bezeichnend für die Linie, die die CDU hier vertritt.

(Zustimmung bei der AfD)

Das finden wir als AfD-Opposition gar nicht mal so schlecht. Denn - zweitens - mehr als unterstellende Polemik kam vonseiten der Koalition nicht. Ich will mich darüber auch gar nicht groß entrüsten. Eigentlich finde ich es gut. Machen Sie einfach weiter so, damit Ihre Prozente weiter sinken. Denn der Wähler draußen beobachtet das ganz genau. Wir würden uns ins eigene Fleisch schneiden, wenn wir es nicht gut finden würden, wie sich die CDU als Regierungsführung hier hinstellt und verkauft. Von einer klassischen konservativen Partei kann man nicht mehr viel erkennen.

Als Drittes möchte ich sagen, dass eine Sache bezeichnend für diese Asyl- und Abschiebepolitik ist: Nach Deutschland rein geht es ohne Papiere, und das auf Biegen und Brechen, auf Teufel komm raus; aber raus geht es ohne Papiere dann nicht.

Deshalb verstehe ich auch die CDU hier im Landtag von Sachsen-Anhalt nicht. Die Forderungen von der AfD lehnen sich an die Forderungen und die Gesetzgebung Ihrer Kollegen der CDU/CSU in Berlin und selbst der roten SPD in Berlin an. Dazu zitiere ich aus der Bundestagssitzung vom 7. Juni 2019 Dr. Eva Högel von der SPD, die in der Debatte zu dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz gesprochen hat:

Die SPD verwies darauf, dass von den in Deutschland bundesweit rund 240 000, also einer Viertelmillion, vollziehbar ausreisepflichtigen Menschen 180 000 geduldet seien, deren Abschiebung also ausgesetzt sei. Mit dem neuen Gesetz - dafür hat man sich in Berlin auf die Schulter geklopft - schaffe man nun endlich straffe Regelungen, um die Ausreisepflicht besser durchzusetzen. - Hier im Landtag von Sachsen-Anhalt widersetzt man sich dem, was die Kollegen in Berlin von den gleichen Parteien, von der SPD und der CDU, machen.

Wer unter gar keinen Umständen im Land bleiben dürfe, müsse die Bundesrepublik auch wieder verlassen, so die SPD in Berlin. Nur so werde die Aufnahme Schutzsuchender in der Gesellschaft dauerhaft Akzeptanz finden. - Denn der Bürger bringt keine Akzeptanz dafür auf, wenn die Gesetze nicht umgesetzt werden.

Dabei sei für die SPD die Abschiebung auch ein geeignetes Mittel. Deshalb spreche sich auch die SPD in Berlin für eine bis 2022 geltende Übergangsregelung aus, nach der Abschiebehäftlinge gemeinsam mit Strafgefangenen in Justizvollzugsanstalten, also in einem Objekt, untergebracht werden können - komischerweise. Ich weiß nicht, ob die in Berlin eine andere Rechtsauffassung haben als Sie hier in Sachsen-Anhalt.

Und Thorsten Frei von der CDU/CSU mahnte im Bundestag in Berlin: Man brauche mehr Härte in Bezug auf Menschen, die nicht schutzbedürftig - und um keine anderen geht es hier - und nicht bleibeberechtigt seien, sondern außer Landes gebracht werden müssten. Das beginne schon - diese Härte - bei der Einreise nach Deutschland. - Ich weiß nicht, ob das in Berlin die gleiche CDU ist wie die, mit der ich mich hier in Magdeburg unterhalte.

Seehofer von der CSU sagte dazu als Bundesinnenminister in Berlin am 7. Juni 2019: Menschen ohne Bleiberecht müssen unser Land verlassen. Einer Pflicht zur Ausreise muss auch eine tatsächliche Ausreise folgen. - Das betonte Seehofer.

Diese Regierungskoalition wolle verhindern, dass Personen während oder nach einem Asylverfahren untertauchten oder ihre wahre Identität verschleierten. Nur dies stärke die Akzeptanz des Bürgers in den Rechtstaat. - Punkt, aus.

Deshalb sage ich: Widersprechen Sie sich ruhig weiter und führen Sie sich selbst vor. Die AfD bedankt sich für Ihr Verhalten. Wie ich vorhin gesagt habe: Ihre Werte bei der Akzeptanz durch den Bürger sinken noch weiter. - Danke schön.

(Zustimmung bei der AfD - Zuruf von Volker Olenicak, AfD)

Vielen Dank, Herr Abg. Lehmann. Ich habe eine Wortmeldung von Herrn Abg. Diederichs gesehen. - Sie haben das Wort, bitte.

Ich habe keine Frage, es ist eine Kurzintervention. - Ich möchte hier nicht nur als Abgeordneter, sondern auch als Gewerkschafter des Bundes der Strafvollzugsbediensteten, in dessen Landesvorstand ich sitze,

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Der hat hier aber kein Rederecht!)

eine Lanze für meine Kollegen brechen. Meine Kollegen leisten hervorragende Arbeit in den Justizvollzugsanstalten.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Ich sag es einmal so: Aufgrund der Justizstrukturreform in der letzten Legislaturperiode gibt es nur noch vier JVA-Standorte in Sachsen-Anhalt. Personell sind wir am Limit. Wir haben einen sehr hohen Krankenstand. Wenn wir jetzt noch die Abschiebehäftlinge - selbst wenn wir die gesetzlichen Grundlagen dafür hätten - aufnehmen würden, dann müsste ich ehrlich sagen: Das ist in den Justizvollzugsanstalten zurzeit personell nicht leistbar.

Die Kollegen leisten gute Arbeit, aber mit Abschiebehäftlingen muss man anders umgehen als mit Strafgefangenen. Das ist einfach so. Das ist ein sehr hoher personeller Aufwand; denn man hat es nicht mit Strafgefangenen zu tun. - Danke, das war es.

Vielen Dank. - Herr Abg. Lehmann, Sie können natürlich auch darauf etwas erwidern.

Danke. - Ich finde, die Argumentation von Herrn Diederichs kann man akzeptieren. Aber es ist so, dass aufgrund der verfehlten Personalpolitik der Koalition in den letzten zehn, 15 Jahren im Bereich der Justizvollzugsanstalten, wie auch bei den Lehrern, bei der Polizei und in anderen Bereichen, ein solches personelles Desaster entstanden ist. Dass wir in den letzten Jahren personalpolitisch versagt haben, kann man nicht als Begründung dafür nehmen, keine Abschiebehaft einzuführen. Dann könnten wir auch sagen: Weil wir im Bereich der Lehrer personalpolitisch versagt haben, bieten wir jetzt keine Schulbildung mehr an. Oder wir fahren nicht mehr Streife. Das kann nicht das Argument sein.

Es wurden vorhin Abschiebehaft, Untersuchungshaft und Strafgefangenenhaft durcheinandergeworfen - auch vonseiten der GRÜNEN, Herr Striegel. Das wurde alles durcheinandergeworfen, ohne die entsprechende Kompetenz zu haben.