Protocol of the Session on January 31, 2019

Aber jetzt haben wir es mit Standorten zu tun, die sehr viel Geld kosten, hinsichtlich des Personals, hinsichtlich der Sicherheitsmaßnahmen. Und das haben vor allem die Bediensteten im Vollzug und die Gefangenen zu tragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Borgwardt, eine Nachfrage. Bitte.

Danke, Herr Präsident. - Das können wir ja gern noch einmal besprechen. Ich hatte das vergessen. Richtig ist, dass sich die Problematik der Gerichtsmedizin langsam zur Posse auswächst. Sie wissen vielleicht auch, wer das dann im Endeffekt gelöst hat. Das waren die Koalitionsfraktionen, indem sie das nämlich selbst eingestellt haben. Ich will nur noch einmal daran erinnern. Das hat uns sehr geärgert, weil es vorher eine völlig andere Verabredung innerhalb der Regierung gab.

Also, wir versuchen schon, das zu machen. Ich wollte nur Ihre Kritik teilweise relativieren. Das wissen Sie auch, Frau von Angern.

Herr Borgwardt, Sie müssen wieder in den Rechtsausschuss kommen.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Ja, ja!)

Ich sehe keine weiteren Fragen. Dann danke ich Frau von Angern für den Redebeitrag.

Bevor wir in der Debatte fortfahren, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Schülerinnen und Schüler des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Gardelegen in unserem Hohen Hause begrüßen zu dürfen. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Des Weiteren begrüße ich Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule „Walter Gemm“ Halberstadt. Seien auch Sie herzlich willkommen in unserem Hohen Hause!

(Beifall im ganzen Hause)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abg. Herr Striegel. Herr Striegel, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem Rechtsstaat zu leben und die Vorzüge einer verlässlich arbeitenden Justiz genießen zu können, gilt uns oft als selbstverständlich. Ich will daran erinnern, dass dieser Zustand kein Automatismus ist und dass gerade in Ostdeutschland die Geschichte der Justiz als rechtsstaatliche Gewalt eine vergleichsweise kurze ist und dass viele Menschen auf der Welt einen leidlich funktionierenden Rechtsstaat schmerzlich vermissen.

Das kann und darf nicht heißen, konkrete Probleme und strukturelle Defizite des Rechtsstaates zu beschweigen. Im Gegenteil, den Rechtsstaat und diese Republik gegen alle diejenigen zu verteidigen, die ihn verächtlich machen, heißt auch, über Defizite zu sprechen und sie im besten Falle abzustellen.

Diese Defizite gibt es. Das Diktum Bärbel Bohleys, man habe in der DDR für Gerechtigkeit gekämpft und den Rechtsstaat bundesrepublikanischer Prägung bekommen, illustriert die Entfremdung einer relevanten Anzahl von Menschen, die bei Gerichten mit ihren Bedürfnissen und Ansprüchen kein Gehör finden und den Rechtsstaat nicht als Wahrer ihrer Rechtsposition, sondern als unpersönliches, ja vielleicht manchmal gar unnahbares Gegenüber wahrnehmen.

Auch für mich gibt es diese schwärenden Wunden im Rechtsstaat. Eine solche ist beispielsweise der

Tod Oury Jallohs, der mit dem Instrumentarium eines Rechtsstaates, jedenfalls strafrechtlich, sauber nicht aufzuklären war und wohl auch nicht mehr sein wird. Umso wichtiger ist mir im konkreten Fall die gewaltengeteilte parlamentarische Kontrolle.

Sachsen-Anhalts Justiz befindet sich - darauf hat die Justizministerin verwiesen - aktuell im personellen Umbruch. Das hat auch geschichtliche Ursachen. Weil die Justiz in der Bundesrepublik Deutschland nach der bedingungslosen Kapitulation 1945 durch eine hohe personelle Kontinuität zur Nazizeit stark belastet war, hielten demokratische und republikanische Werte damals nur sehr langsam Einzug in vielen Richterstuben.

In den neuen Bundesländern ist der Aufbau des Rechtsstaates nach der Wiedervereinigung 1990 hingegen durch Diskontinuität geprägt gewesen. Richterinnen und Staatsanwälte wurden flächendeckend ausgetauscht und oftmals durch Juristinnen und Juristen aus dem Westen ersetzt, die hier Karriere machten und bis heute den Justizapparat prägen.

Viele dieser Menschen stehen in den kommenden Jahren vor ihrer Pensionierung. Es ist an der Zeit, dass eine neue, gesamtdeutsch aufgewachsene Generation von Juristinnen und Juristen übernimmt und dass ostdeutsche, aber auch migrantische Perspektiven im Justizbereich stärker abgebildet werden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Hier aber stehen wir nun vor der zentralen Herausforderung der Justiz in Sachsen-Anhalt. Das ist die Personalsituation.

Es ist noch nicht lange her, da konnte sich der Staat im Grunde die Jahrgangsbesten handverlesen heraussuchen. Der Staatsdienst war mit hohem Prestige ausgestattet und war d a s mit hohem Engagement verfolgte Berufsziel vieler Juristinnen und Juristen. Doch diese Situation hat sich stark verändert.

Sachsen-Anhalt wird in den nächsten Jahren die Folgen der Pensionierungswelle hart zu spüren bekommen. Die Justiz steht dann vor einer doppelten Konkurrenzsituation. Zum einen konkurriert der Staatsdienst mit den Arbeitgebern in der freien Wirtschaft und zum anderen werden die Bundesländer untereinander in eine scharfe Konkurrenz um die besten Köpfe eintreten.

Vor dem Hintergrund der guten Wirtschaftslage suchen Unternehmen und Anwaltskanzleien händeringend nach fähigen Juristinnen und Juristen. Dabei bieten sie Einstiegsgehälter, die zum Teil weit über dem Gehalt einer Richterin auf Probe liegen. Auch die Arbeitsbedingungen sind oft attraktiver.

An dieser Stelle müssen wir nüchtern die Frage stellen, ob die Justiz in Sachsen-Anhalt gut gerüstet ist, diesen Konkurrenzkampf erfolgreich zu bestreiten. Ich habe daran Zweifel.

Bei der Einstiegsbesoldung belegt Sachsen-Anhalt im Ländervergleich einen Platz im unteren Drittel, zudem haben die Personalkürzungen der letzten Jahrzehnte den Erledigungsdruck auf Richterinnen und Staatsanwaltschaften derart erhöht, dass viele Juristinnen und Juristen unter hoher Belastung arbeiten. Das geht bisweilen auch zulasten der Qualität.

Spätestens im Referendariat setzt bei vielen angehenden Juristen vor diesem Hintergrund eine deutlich nüchternere Sicht auf das mögliche Berufsziel Staatsdienst ein. Es wird daher nicht ausreichen, die Attraktivität des Referendariats in Sachsen-Anhalt zu steigern. Die Arbeitsbedingungen danach müssen attraktiver werden.

Meine Damen und Herren! Es ist richtig, über Mediation, Opferschutz, verbesserte Resozialisierung und Reform des Strafvollzuges nachzudenken. Diesbezüglich kann man vieles verbessern, insbesondere auch beim Schutz der Opfer sexualisierter Gewalt.

Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ganz ausdrücklich, dass sich die Justizministerin heute noch einmal zur Aufnahme der sexuellen Identität in Artikel 7 Abs. 3 der Landesverfassung bekannt hat.

Aber das zentrale Zukunftsproblem der Justiz in Sachsen-Anhalt ist die Personalsituation. Eine hohe Qualität kann nur erreicht werden, wenn der Justizdienst für begabte Juristinnen und Juristen attraktiv bleibt, die auch menschlich für die anspruchsvolle Aufgabe als Richterin oder Staatsanwältin geeignet sind. Es gibt Schritte in die richtige Richtung. Aber um den Rechtsstaat und Justiz in Sachsen-Anhalt zukunftsfest zumachen, bedarf es an dieser Stelle noch entschlossenerer Maßnahmen.

Mit dem geplanten Umbau der Haftanstalt in Halle hat sich die Landesregierung ein ambitioniertes und kostenintensives Projekt vorgenommen. Hierbei darf sich das Ziel aber nicht darin erschöpfen, den Anspruch der Strafgefangenen auf eine Einzelzelle umzusetzen. Ziel muss es sein, eine wirklich moderne Anstalt zu errichten, die den Bedürfnissen der Gefangenen und der Gesellschaft gerecht wird.

Zu diesem Zweck sollte dort eine moderne Suchttherapiestation errichtet werden, damit die Gefängnisstrafe in Zukunft die Chance bietet, mehr zu sein als ein bloßes Wegsperren. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich sehe keine Fragen. Dann danke ich Herrn Striegel für den Redebeitrag. - Für die CDU spricht der Abg. Herr Kolze. Herr Kolze, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

„Der Staat soll Rechtsstaat sein; er soll die Bahnen und Grenzen seiner Wirksamkeit wie die freie Sphäre seiner Bürger in der Weise des Rechts genau bestimmen und unverbrüchlich sichern.“

Dies ist ein Zitat von Friedrich Julius Stahl, der ein deutscher Rechtsphilosoph, Jurist und Politiker war. Seine Definition des Rechtsstaats ist noch immer die in Deutschland meistzitierte. Und das zu Recht, drückt sie doch wunderbar aus, welches die wesentlichen Pfeiler eines Rechtsstaates sind.

Nämlich zum einen der Schutz von Rechtsgütern, wonach es dem Staat obliegt, diese zu schützen, und es jedermann frei steht, den Rechtsweg zu beschreiten, um sich gegen Eingriffe, auch des Staates, zu wehren.

Zum anderen die Gewähr für berechenbares staatliches Handeln. So hat der Rechtsstaat sein Handeln an der Idee der Gerechtigkeit zu orientieren und seine Macht innerhalb der bestehenden Gesetze planmäßig und vorhersehbar auszuüben.

Glaubt man den zahlreichen Presseberichten, Aufsätzen und Publikationen, kann man jedoch leicht den Eindruck gewinnen, dass unser Rechtsstaat ins Wanken geraten ist.

Schauen wir uns die Justizreformen in unseren Nachbarländern an. So wurde beispielsweise in Polen der Verfassungsgerichtshof durch zwei Novellen und eine Reihe anderer Maßnahmen faktisch entmachtet und unliebsame Richter wurden in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.

Auch in Ungarn hat es fragwürdige Veränderungen gegeben. So hat man die Zahl der Richter des Verfassungsgerichts erhöht und, nachdem das Gericht mit regierungstreuen Richtern besetzt war, deren Amtszeit von drei auf zwölf Jahre verlängert. Es folgten weitere Maßnahmen, die die Kontrollkompetenzen der Gerichte massiv einschränkten und die Kontrolle durch die Regierung erhöhten.

Nun mag man sagen, was gehen uns Polen und Ungarn an. Zum einen sind sie unsere Verbündeten in der EU, zum anderen zeigen diese Entwicklungen, wie schnell das Gleichgewicht zwischen Demokratie und Rechtsstaat aus den Fugen geraten kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nachweislich sinkt auch in Deutschland das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat. Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach sind nur noch 30 % der Ostdeutschen und 56 % der Westdeutschen davon überzeugt, dass die Gerichte unabhängig urteilen, wie die „Welt“ am 24. Januar dieses Jahres berichtete.

Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass der Rechtsstaat unter Druck geraten ist. Auch in unserem Parlament merken wir, dass Grenzen überschritten werden und somit langsam, aber sicher eine Gedankenwelt hoffähig gemacht wird, die in krassem Widerspruch zu den Werten unseres Grundgesetzes und damit im Widerspruch zu Demokratie und Rechtsstaat stehen.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Umso interessanter ist es, dass die Fraktion, die diese Hemmschwellen regelmäßig überschreitet, eine Aktuelle Debatte zu dem Thema beantragt hat.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)