Protocol of the Session on December 19, 2018

(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Herr Hövelmann, ich weiß nicht, ob Sie noch eine Frage beantworten wollen. Herr Lehmann hat sich, glaube ich, noch gemeldet.

(Daniel Roi, AfD: Wer zahlt denn die Veran- staltung in Brüssel?)

Lieber Herr Roi, Sachsen-Anhalt nicht. Dann rechnen Sie mal nach.

(Zurufe von der AfD - Unruhe)

Ich bitte um Ruhe! Wir haben einen Fragesteller. - Herr Lehmann, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich habe eine Frage an Herrn Hövelmann. Erklären Sie mir bitte: Wie schafft es die Schweiz, die bekanntermaßen nicht in der EU ist, ein so starkes Bruttosozialprodukt aufzubauen und finanzmarkttechnisch und wirtschaftlich so gut dazustehen, eine solche Reisefreiheit zu gewähren, dass wir uns heute Abend ins Auto setzen und dort morgen ohne Visum einreisen könnten, um Skiurlaub zu machen? Wie ist es möglich, dass aus meinem Bekanntenkreis viele Leute in der Schweiz arbeiten, dort gut bezahlt werden und gar nicht mehr zurück möchten? Wie kriegt die Schweiz all das hin, ohne Mitglied der EU zu sein?

(Zustimmung bei der AfD)

Herr Hövelmann, wenn Sie antworten möchten, können Sie das tun. Ansonsten haben wir noch einen Fragesteller.

Es gibt auch andere Länder, die entsprechende Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union haben, zum Beispiel Norwegen. Es gibt Möglichkeiten, die Regularien zwischen der Europäischen Union und anderen europäischen Ländern, die nicht Mitglied der Europäischen Union sind, zu regeln.

Etwas, das aber nicht geht, - und das können Sie sich bei dem von Ihnen genannten Beispiel auch anschauen; denn die Schweiz hat genau diese Regel angewendet und für sich übernommen, nämlich in einem Vertrag mit der Europäischen Union - ist, dass sie sich nur einzelne Dinge heraussuchen, die sie dann zu ihrem Vorteil nutzen, und die anderen nicht. Die Schweiz unterwirft sich mit den Regularien, die sie mit der Europäischen Union vereinbart hat, den Regularien der Europäischen Union und nicht den Schweizer Regularien, sondern sie müssen die Regeln der Europäischen Union anwenden für den Teil, den sie assoziiert haben mit der EU. Das gehört zur Wahrheit dazu.

(André Poggenburg, AfD: Das ist bei jedem Vertrag so!)

Man kann sich nicht die Rosinen herauspicken und sagen: Die Kosten übernehmen die anderen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es gibt noch eine weitere Frage von Herrn Heuer. - Herr Heuer, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Kollege Hövelmann, sind Sie mit mir einer Meinung darin, dass die Schweiz ohne eine starke EU deutlich schlechter dastehen würde? Das zeigt sich auch darin, dass die Schweiz - ein starkes Land, völlig klar - wohl nicht ohne Grund den Kurs des Schweizer Franken zeitweilig

(Matthias Büttner, AfD: Zeitweilig!)

an den Euro gekoppelt hat. Das ist doch eine Tatsache. Die Frage ist doch - - Nein, ich darf hier nicht noch eine Frage stellen. Ich lasse es lieber, Herr Hövelmann. - Danke.

(Oh! bei der AfD)

Herr Hövelmann, wenn Sie antworten möchten, bitte.

Herr Heuer hat mir eine einfache Frage gestellt, die ich einfach beantworten kann: ja.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Ich sehe keine weiteren Fragestellungen. Ich danke Herrn Hövelmann für seinen Beitrag. - Für DIE LINKE spricht der Abg. Herr Gallert. Herr Gallert, Sie haben das Wort.

Danke. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grunde genommen ist das heute ein ganz trauriger Tagesordnungspunkt. Wir diskutieren über die verschiedenen Varianten des Handlings des Brexits aus der Perspektive von Sachsen-Anhalt. Alle, die sich mit der Situation überhaupt beschäftigt haben, wissen, dass am Ende dieses Prozesses alle Beteiligten Verlierer sein werden.

(Frank Bommersbach, CDU: Richtig!)

Das ist hier ganz klar gesagt worden.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Die Briten werden Verlierer sein. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werden Verlierer sein. Und was noch viel wichtiger ist: Viele Menschen werden in ihren individuellen Verhältnissen vom Verlust der Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union betroffen sein.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Erste logische Konsequenz: Lassen Sie uns bitte alle gemeinsam dafür arbeiten, dass die Europäische Union eine Perspektive und eine Zukunft hat, dass dieser Kontinent nicht politisch auseinanderfällt. Das ist die erste Lehre aus der BrexitDebatte.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN - Matthias Büttner, AfD: Da- für brauchen wir keine EU!)

Zweitens. Wir müssen uns darüber klar werden, warum ein politischer Prozess in Gang gesetzt wird, bei dem am Ende alle Verlierer sein werden. Diese Frage haben wir uns in der Europäischen Union leider zu wenig ernsthaft gestellt. Und wir müssen sie beantworten.

Es gab einen konkreten und bestimmten Zeitpunkt, zu dem die Mehrheit der Bevölkerung Großbritanniens der Meinung gewesen ist, dass die Europäische Union für sie kein Schutzraum individueller Lebensverhältnisse ist, dass sie keinen Mehrwert für den Menschen bringt, sondern dass die Europäische Union in ihren Augen eine Bedrohung ihrer individuellen Situation ist, eine Bedrohung ihrer Arbeitsplätze darstellt, eine Bedrohung ihrer sozialen Sicherung.

Es nützt gar nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das konstatieren mit: Sie waren einfach zu dumm, sie haben sich nicht damit beschäftigt. - Nein, viele Menschen haben bei dieser Abstimmung zwar die falsche Schlussfolgerung gezogen,

(Oliver Kirchner, AfD: Seiner Meinung nach!)

aber die Debatte darüber, was die Europäische Union für die Menschen im Einzelnen bedeutet, die gab es in Großbritannien auch vor dem Brexit.

Dann sehen wir uns einmal die sozialen Daten derjenigen an, die mehrheitlich für den Austritt gestimmt haben. Es gibt ein ganz klares Bild: Je niedriger die Einkommen gewesen sind, je prekärer die Arbeitsverhältnisse gewesen sind, je abgehängter die Region innerhalb Großbritanniens war, umso höher war die Zustimmung zum Brexit.

Die Menschen haben sich innerhalb dieser Europäischen Union häufig als Opfer eines unbarmherzigen Konkurrenzkampfs empfunden und ha

ben deswegen mehrheitlich diese Position gewählt. Das hat übrigens eine Konsequenz, die jetzt wieder vor allen Dingen in Großbritannien zulasten und auf Kosten der ärmeren Bevölkerungsschichten realisiert werden wird. Denn das können Sie glauben: Die Londoner City findet Wege; der von Arbeitslosigkeit bedrohte Brite, der in einer Exportfirma arbeitet, wird diese Wege nicht finden.

Deswegen müssen wir im Parlament von Sachsen-Anhalt darüber reden, wie wir solche zerstörerischen Positionen, wie wir ein solches Auseinanderdriften innerhalb der Europäischen Union in Zukunft vermeiden können. Das ist der Grund, liebe Kolleginnen und Kollegen, warum wir unseren Antrag gestellt haben, den wir nachher behandeln. Hier können wir uns gern darüber unterhalten, welcher Weg der beste unter allen schlechten ist.

In Zukunft kommt es darauf an, Bedingungen zu schaffen, die eine solche Ausgangssituation verhindern, wo wir über mehr europäische Integration reden, und nicht über weniger.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Problem, das wir in der Perspektive haben, dann doch noch benennen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen lautet: „Mögliche Auswirkungen eines Brexits auf den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Sachsen-Anhalt“, und dann kommen die Wirtschaftsfragen. Ganz am Ende gibt es einen Punkt, der kümmert sich darum, wie eigentlich die Situation der Menschen ist, die davon betroffen sind, und zwar interessanterweise von britischen Staatsbürgern, die in Sachsen-Anhalt wohnen.

Interessanterweise fragt dieser Antrag nicht nach der Situation von Bürgerinnen und Bürgern aus Sachsen-Anhalt, die in Großbritannien wohnen. Das, was hier interessiert, sind Wirtschaftsdaten. Das, was nicht interessiert, sind offensichtlich die individuellen Schicksale, die davon betroffen sind.

(Beifall bei der LINKEN - Oh! bei der CDU)

- Ja, Herr Thomas, lesen Sie bitte Ihren Antrag durch. Wo kommt der Mensch? An allerletzter Stelle und davon auch nur die Hälfte. Da sage ich ganz deutlich - -

(Ulrich Thomas, CDU: An zweiter Stelle kommt das bei uns!)

Herr Gallert, kommen Sie zum Schluss. Es gibt aber noch Nachfragen.

Ja, alles klar. - Ich sage ganz deutlich: Hier wird eines der Kernprobleme bei der Behandlung und

der Sicht auf die Europäische Union mehr als deutlich. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)