Protocol of the Session on June 21, 2018

Vielen Dank, natürlich gern. - Die Aufgabenverteilung zwischen Parlament und Regierung ist, denke ich, bekannt. Insofern ist es unsere Aufgabe, das gemeinsam mit der Regierung - das ist das, wo wir als regierungstragende Fraktion uns in der Pflicht sehen - umzusetzen, was wir zu Beginn der Legislaturperiode als Arbeitspensum für diese fünf Jahre miteinander vereinbart haben. Deshalb war es mir wichtig, heute genau diese Passagen des Koalitionsvertrages zu zitieren, weil ich für meine Fraktion sage - das ist eben auch die Aufforderung an die Landesregierung -, dass wir genau diese Punkte, die wir gemeinsam verabredet, gemeinsam aufgeschrieben, gemeinsam beschlossen haben, die die Unterschrift der Vorsitzenden der drei Regierungsparteien tragen, in dieser Legislaturperiode umsetzen.

Diese Aufforderung in einer Parlamentsdebatte auch als Regierungsfraktion zu vertreten oder vorzutragen, das ist, glaube ich, etwas, das Sie mir wohl zugestehen, wenn wir der Auffassung sind, dass es an dieser Stelle noch ein bisschen Unterstützung bedarf.

(Beifall bei der SPD)

Ich sehe keine weiteren Nachfragen. Dann danke ich Herrn Hövelmann für die Ausführungen. - Für die Landesregierung spricht der Minister Herr Tullner. Herr Tullner, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass es dank der SPD-Fraktion und der Aktuellen Debatte heute Gelegenheit, Raum und Zeit gibt, über ein Thema zu sprechen, das, glaube ich, für unsere zukünftige wirtschaftliche Entwicklung von großer Bedeutung ist, nämlich die Frage, wie wir das schaffen als ein Land, das sehr große Erfolge und vorzeigbare Ergebnisse im Bereich der akademischen Bildung hat und das vor allen Dingen in der dualen Berufsausbildung einen Schatz hat - das hat Kollege Hövelmann schon gesagt -, um den uns die Länder weltweit beneiden und darum ringen, zumindest bestimmte Dinge davon zu adaptieren.

Als ich noch dort saß, wo der Kollege Willingmann heute Chef ist, hatte ich Gelegenheit, das eine oder andere Land für die Außenwirtschaft zu besuchen. Thema Nr. 1 war dabei immer die duale Berufsausbildung. Alle wollten von unseren Erfahrungen lernen. Das zeigt eigentlich, welche hohe Wertschätzung wir im Ausland für diesen Schatz genießen. Zugleich ist es wichtig, diesen Schatz auch von uns aus weiterzuentwickeln und ihn ein Stück weit zu bewahren und wertzuschätzen. Deswegen: Herzlichen Dank, liebe SPD-Fraktion, für diese Debatte.

Gestatten Sie mir, ehe ich zu den Punkten komme, die Kollege Hövelmann richtigerweise angesprochen hat, einen kurzen Blick zurück zu werfen.

Der Landtag hat in seiner 32. Sitzung unter dem Titel „Berufsschulen als Motoren des dualen Systems weiter stärken“ insgesamt sieben Punkte beschlossen. Unter Punkt 1 heißt es - ich zitiere -:

„Der Landtag bittet die Landesregierung daher, auf der Grundlage des ‚Berichts über Berufsschulangebote, Entwicklungsper

spektiven und Berufsschulwege‘ ein an die demografischen Anforderungen angepasstes Berufsschulnetz in Sachsen-Anhalt zu entwickeln, bei dem die Bildung von Landes- und Regionalfachklassen und der Besuch berufsbildender Schulen unabhängig

von Kreis- und Landesgrenzen unter Beachtung des Schullastenausgleichs Berücksichtigung findet“.

Meine Damen und Herren! Seit März 2018 liegt nun der erste Bericht hier im Landtag vor. Eine Befassung im Bildungsausschuss - ich habe gehört, im Wirtschaftsausschuss gab es sie - hat es sicherlich mit Blick auf die intensiven Beratungen zur Änderung des Schulgesetzes bisher noch nicht gegeben.

Wir standen nun vor zwei Herausforderungen: erstens im gesamten Land ein Berufsschulangebot vorzuhalten, das die Belange der regionalen Wirtschaft ebenso berücksichtigt wie die Interessen von Schülerinnen und Schülern nach einer ausbildungsortsnahen Beschulung, und zweitens einem qualitativen Anspruch an die gesamte Ausbildung gerecht zu werden. Diese Herausforderungen sind auf den ersten Blick nicht so einfach in Übereinstimmung zu bringen.

Im ersten Teil dieser Berichterstattung, aus der Kollege Hövelmann zitiert hat, wird der Grundsatz „Fachklassen vor Mischklassen“ formuliert. Dieser soll sicherstellen, dass Auszubildende eine schulische Ausbildung erhalten, die die spezifischen Belange eines Berufes von Anfang an berücksichtigt. Aber: Dieser Ansatz stößt an gewisse Grenzen der Lebensrealität, wenn man sich das Schulnetz und vor allem die Wegebeziehungen zwischen verschiedenen Standorten anschaut. Das wissen wir.

Aus diesem Grunde wurde im Vorfeld der Erarbeitung eines neuen Erlasses zur Klassenbildung an berufsbildenden Schulen ein intensiver Diskussionsprozess initiiert. Dabei ging es uns darum, die Bedürfnisse der Schulen, der Schulträger und der ausbildenden Betriebe bei der Erstellung des Erlasses zu berücksichtigen. Einbezogen wurden unter anderem der Dehoga, die Ausbildungsverantwortlichen der Handwerkskammern Halle und Magdeburg, das Deutsche Kraftfahrzeuggewerbe, die Landesinnung für Land- und Baumaschinenmechatroniker, die Geschäftsführer Berufsbildung der Industrie- und Handelskammer Magdeburg, die Verantwortlichen für die Ausbildung der Deutschen Bahn sowie viele Schulleiterinnen und Schulleiter sowie Schulträger.

Am Ende dieses Prozesses sollte ein gemeinsames Gespräch zwischen den IHK, den Handwerkskammern und mir bzw. dem Bildungsministerium stehen, bevor der entsprechende Erlass offiziell veröffentlicht werden sollte.

Meine Damen und Herren! Dieses Gespräch hat Anfang der Woche stattgefunden. Die Veröffentlichung des Erlasses ist für Juli 2018 geplant. Um es ganz klar zu sagen - damit kommen wir zum Kern des Punktes -: Die Kommunikation mit den Kammern lief nicht optimal. Die Spitzen der Kam

mern hätten früher einbezogen werden müssen, auch wenn die Fachebenen Teil des Prozesses waren.

Ich bin aber froh, dass das Gespräch am Montag überaus konstruktiv war. Im Abwägungsprozess zwischen Qualität und ausbildungsortsnaher Beschulung sind wir uns im Grunde einig. Gleichzeitig konnten einige Missverständnisse aus der Welt geräumt werden. Diese scheinen auch Teil der Aktuellen Debatte von heute zu sein.

Der Grundsatz „Fachklassen vor Mischklassen“ hat in seiner Grundsätzlichkeit sicherlich den einen oder anderen dazu motiviert, eine Frage zu stellen. Aber jetzt frage ich einmal in der Runde: Wissen Sie eigentlich, wie viele Mischklassen wir in diesem Land haben? - Vermutlich weiß das niemand; wir sind hier auch nicht in einer Quizsendung. Ich sage es Ihnen: 32. Wissen Sie, wie viele wir jetzt nicht mehr haben? - Vier. Wir reden also von - 32 minus vier - 28 Mischklassen, die es weiterhin gibt. Und die Kammern, die noch vor ein paar Jahren große Bedenken bei dem Thema Mischklassen hatten, wobei Fachlichkeit und Qualität wesentliche Aspekte waren, haben dafür heute eine große Wertschätzung.

Mischklassen soll es auch weiterhin geben. Bei einer maßvollen Veränderung erfahren von knapp 10 000 Schülern 400 Schüler in diesem Land eine Veränderung. Das sind, wenn ich richtig rechnen kann, 4 %. Veränderung heißt nicht Verschlechterung. Es gibt auch Schüler, die kürzere Wegebeziehungen haben.

Sie müssen sich bei dem Thema Mischklassen auch einmal vorstellen, wie das dann zum Teil läuft. Auf der einen Seite haben wir kurze Schulwege. Auf der anderen Seite ist es aber zum Beispiel so - nehmen wir einmal einen Fall im Hotel- und Gaststättengewerbe -: Es gibt eine Schule in Wittenberg, dann sind sie im ersten Jahr in Wittenberg; im zweiten Jahr sind sie in Dessau und im dritten Jahr fahren sie wieder nach Wittenberg. Wissen Sie, was das für einen Berufsschüler bedeutet? Das ist natürlich kein Zuckerschlecken, sich ständig an neues Lehrpersonal, an neue Gewohnheiten anzupassen.

Wir müssen die Berufsschüler nicht pampern, das wissen wir auch. Aber an der Stelle haben wir es, glaube ich, wieder mit dem typischen Fall zu tun, dass das eine oder andere Missverständnis gar nicht erst entstanden wäre, wenn man mehr miteinander reden würde.

Die These, die ich hier aufstelle, ist ganz einfach: Wir haben das maßvoll verändert. Wir haben mit allen gesprochen; gut, mit den Kammern hätten wir etwas früher sprechen können. Aber nichts wird sich grundlegend verändern, sondern es wird auf dem bisherigen Niveau weiterlaufen. Es soll sogar besser werden; denn am Ende müssen wir

genau diese Fachlichkeit stärker in den Blick nehmen und fachaffine, fachnahe Berufsbilder werden auch weiterhin gemeinsam in sogenannten Mischklassen laufen. Trotzdem gilt das Prinzip „Fachklassen vor Mischklassen“. Aber wir werden das Land nicht umstülpen, sondern wir machen das maßvoll und mit Verantwortung.

Darüber hinaus steigt die Zahl der regionalen Fachklassen. Wo es im Land bisher nur eine gab, haben wir jetzt zwei oder drei. Und wir haben auch sehr genau darauf geachtet, dass wir auch regionale Wegebeziehungen zu Unternehmen sowie das Wohnortprinzip stärker in den Blick nehmen. Deswegen glaube ich, dass wir eher zur Kenntnis nehmen sollten, dass wir positive Dinge erreicht haben, als das sozusagen in den Mittelpunkt einer Kritik zu stellen.

Wir müssen - aus der Sicht der Schule bitte ich dafür um Verständnis - natürlich auch den Lehrereinsatz in den Blick nehmen. Ich kann mir ständig viel wünschen, letztlich müssen aber gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer diese Ausbildung gewährleisten. Deswegen ist auch das ein wichtiger Aspekt.

Ein weiterer ganz wichtiger Aspekt - das will ich hier auch klar sagen - ist, dass wir keine Berufsschulstandorte aufs Spiel setzen wollen. Wir haben in diesem Lande eine regional gut ausgebaute und - im Übrigen mit viel Hilfe von der EU - auch baulich instand gesetzte Landschaft von Schulen. Diese wollen wir auch halten, weil natürlich jeder Schulträger, jeder Kreis, jede kreisfreie Stadt ein großes Interesse daran hat, die berufliche Ausbildung in ihrem regionalen Umfeld zu haben.

Ich sage auch eines: Sollte es an der einen oder anderen Stelle noch Bedarf an einer Nachsteuerung geben, werden wir das im engen Austausch mit den Kammern umsetzen. Das machen wir. Im Moment sind wir aber an dem Punkt, dass die Kammern mit uns an einem Strang ziehen. Deswegen ist die eine oder andere Pressemitteilung an dieser Stelle sicherlich etwas missverständlich gewesen.

Wenn wir das Thema „Attraktivität der Ausbildung“ in den Blick nehmen, dann - darauf hat der Kollege Hövelmann schon hingewiesen - kommen wir sehr schnell zu dem Thema Azubi-Ticket. Wenn man allein heute die „Mitteldeutsche Zeitung“ aufschlägt und feststellt, dass 56 % der Ausbildungsplätze im Wirtschaftsraum Halle nicht besetzt sind, wissen wir, dass wir ein Problem bei der Attraktivität der dualen Berufsausbildung haben. Dieses müssen wir in den Blick nehmen.

Nun haben wir bei der kommenden Haushaltsaufstellung diesbezüglich einiges vor. Das kostet ungefähr - ich weiß es nicht - 3 Millionen €. Dabei geht es aber nur um Schulwege. Wer sich mit

dualer Berufsausbildung auskennt, der weiß: Das kann am Ende nur ein erster Schritt sein;

(Zustimmung bei der CDU)

denn um die duale Berufsausbildung attraktiv zu machen, brauchen wir natürlich ein Azubi-Ticket, das dem Azubi die Möglichkeit gibt, zum Betrieb, zum Wohnort und woandershin zu fahren.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen müssen wir dem Kollegen Webel, der gerade nicht da ist, auch ein bisschen die Frage beantworten, was es kostet und wie er das Geld dann bekommt. Aber zuvor müssen wir natürlich den Ehrgeiz haben, einen Plan zu entwickeln, bis wann wir das eingeführt haben.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das, was die Thüringer schaffen, was die Hessen schaffen und was beim Semesterticket und beim Schülerferienticket funktioniert, muss doch auch hier möglich sein. Es ist sicherlich schwierig, mit vielen zu reden - darüber weiß der Kollege Webel besser Bescheid -, aber dass wir den Anspruch haben, den Koalitionsvertrag an dieser Stelle umzusetzen, und den Ehrgeiz haben, das auch in dieser Wahlperiode zu schaffen, das sollte uns alle doch einen. Ich werbe sehr dafür, dass wir hierbei ein bisschen mehr Ehrgeiz entwickeln. Dann kommen wir an der Stelle auch gut voran. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, Sie sind noch gefragt. Herr Kurze hat sich zu Wort gemeldet. - Herr Kurze, Sie haben das Wort.

Herr Minister Tullner, Sie haben sicherlich gehört, dass vor einer knappen Woche in Burg an einer Berufsschule jemand aus dem Fenster gesprungen ist, nachdem die Prüfungen abgelegt worden sind. Nun wurde erst in den Medien darüber berichtet, dass es angeblich darum ging, dass er durch die Prüfungen gefallen ist. Mittlerweile wissen wir durch Veröffentlichungen im Internet und in Medien, dass dieser junge Mensch an dieser Berufsschule gemobbt wurde.

Mittlerweile hat sich ein deutschlandweiter Experte, Carsten Stahl, der sich gegen Mobbing starkmacht und an vielerlei Schulen schon relativ viel erreicht hat, mit dem Hinweis an die Schule gewandt, er würde gern an die Schule kommen, um das, was dort passiert ist, aufzuarbeiten und sich gegen Mobbing starkzumachen.

Meine Frage an Sie ist: Wie sehen Sie als Minister das? Würden Sie das unterstützen? Würden Sie der Schule empfehlen, dieses Angebot aufzugreifen? Denn es gibt nichts Schlimmeres, werter

Herr Minister Tullner, als wenn man Dinge, die so dargelegt wurden, unter den Teppich kehrt.

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, vielen Dank. - Meine Damen und Herren! Die Frage berührt den Lebensalltag natürlich in erheblichem Maße; man wird da mit Grenzerfahrungen konfrontiert. Es gibt nichts Schlimmeres für eine Schule und im Übrigen auch nicht für mich, in dessen Verantwortung das letztendlich passiert ist, als wenn unsere Schülerinnen und Schüler in Situationen kommen, die scheinbar ausweglos sind und in denen am Ende solche Entscheidungen eine Rolle spielen. Das ist schrecklich.

Dennoch müssen wir uns als Schule, die immer auch ein bisschen als Folie für ganz viele gesellschaftliche Probleme fungiert - in Schulen spielt sich unwahrscheinlich viel ab -, auch jenseits von Bildung und Erziehung auf bestimmte Situationen ein Stück weit vorbereiten. Das kann man nie ganz. Am Ende geht es um konkrete Menschen. Wir alle ahnen, wie das Klima an der Schule in diesen Tagen ist.

Deshalb haben wir uns auf der Kultusministerkonferenz in der letzten Woche in Erfurt zu diesem Thema sehr intensiv ausgetauscht. Anlass dafür war eine Studie des Verbandes Bildung und Erziehung, VBE. Das Land Sachsen-Anhalt hat diesbezüglich auch schon gute Grundlagen. Wir wollen den Schulen zum Sommer ein Handlungskonzept als Hilfestellung zur Verfügung stellen, damit sich diese mit dem Thema Mobbing und Gewalt an Schulen ein Stück weit stärker auseinandersetzen.

Wie die Situation an der konkreten Schule jetzt ist, weiß ich nicht. Wenn die Schule der Meinung ist - ich glaube, die Schule muss das in erster Linie entscheiden -, dass sie dafür Hilfestellung

braucht, dann haben wir unsere bewährten Formate, etwa Schulpsychologen und andere; die waren ja auch vor Ort. Wenn jetzt von außen Hilfe angeboten wird, dann vertraue ich darauf, dass die Schule das so verantwortungsvoll einsetzt und die Hilfe gegebenenfalls annimmt.

Aber ich bin damit ein bisschen zurückhaltend, von außen kluge Ratschläge zu geben.

Herr Minister, Herr Kurze hat noch eine Nachfrage. - Herr Kurze, Sie haben das Wort.