Protocol of the Session on May 25, 2018

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mein kleiner, leider sehr unvollständiger Ausflug in die Industrie- und Technikgeschichte unseres Landes soll deutlich machen, welche noch viel zu wenig bekannten Kulturschätze wir haben.

Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen, zum Beispiel um die Brikettpresse in Ammendorf, das Wärmekraftwerk Zschornewitz oder Kautschuk aus Buna. Sachsen-Anhalt ist eben nicht nur ein altes Kulturland, sondern auch - da sollten wir nicht bescheiden sein - die Wiege der mitteldeutschen Industrie: Salz, Chemie, Kohle, Licht, Luft, Stahl und Bergbau geprägten seit Jahrhunderten diese Region.

Die Industriekultur ist deshalb ein nicht wegzudenkender Teil unserer Landesidentität. Das sieht man zum Beispiel in Bitterfeld und in dem heutigen Gebiet um die Goitzsche. Dies sind gute Beispiele dafür, wie sich die Industrie der Landschaft erst bemächtigt hat, Menschen Arbeit gab und sich nach der Wende trotz aller Schwierigkeiten wieder in eine lebenswerte Region gewandelt hat - ein erfolgreicher Transformationsprozess, der aber auch mit Verlusterfahrungen für die Menschen verbunden ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Unsere 19 Industrie- und Technikmuseen erreichen mit ihren Sammlungen, Ausstellungen und Führungen pro Jahr fast 200 000 Besucher. Auf der anderen Seite sind ihre Finanzierung und ihre Trägerschaft nicht nur unterschiedlich, sondern in vielen Fällen auch eher prekär geregelt und in großem Maße durch ehrenamtliches Engagement geprägt. An dieser Stelle ein Dank an alle, die sich ehrenamtlich um den Erhalt der Ausstellungen sowie die Führung und Betreuung vor Ort kümmern.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Leider haben wir im Vergleich zu unseren Nachbarländern Sachsen und Brandenburg diesem Bereich der Landesgeschichte in den letzten Jahren zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Begonnene Vernetzungsprojekte verliefen nach guten Anläufen im Sande. In den Landesdachmarken spielen die Industrie- und Technikmuseen neben Luther und Bauhaus leider nur eine untergeordnete Rolle. Oft hängt die Existenz der Museen am Engagement einzelner Personen bzw. kleiner Vereine, und ja, diese sind mittlerweile in die Jahre gekommen und machen sich oft intensiv Gedanken darüber, ob und wie ihr Lebenswerk - das ist es für viele, die dies vor Ort unterstützen - weitergeführt werden kann.

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, finde ich, findet meine Fraktion, dass in der Technik- und Industriegeschichte des Landes Sachsen-Anhalt ein großes Potenzial liegt. Wir bitten mit dem vorliegenden Antrag die Landesregierung, ein Konzept zu erarbeiten, und wir wollen, dass - das ist das Besondere daran - dieses die verschiedenen Aspekte der Industrie- und Technikgeschichte verbindet. Es soll also nicht nur eine Bestandsaufnahme sein, sondern es soll darüber hinaus eine Analyse der Potenziale im Hinblick auf eine qualitative Weiterentwicklung sein; denn wir brauchen - auch im Hinblick auf die Attraktivität - moderne Konzepte für die kulturelle und touristische Nutzung.

Es geht uns aber auch darum, wie man diese Orte für Bildungsangebote als außerschulische Lernorte nutzen und weiterentwickeln kann. Wenn man

sich auf der Website des Landes Sachsen-Anhalt die entsprechenden Angebote ansieht, kann man nur neidisch werden, was Schüler an Originalschauplätzen in Technikmuseen im Rahmen des Schulunterrichtes tun und erleben können. Das ist natürlich auch im Sinne einer Fachkräftesicherung eine gute Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler für technische Berufe zu interessieren.

Es geht uns auch um Denkmalschutz. Wir hoffen, dass uns das Bundesprogramm zur Industriekultur ein wenig Rückenwind gibt und wir von der Bundesfinanzierung profitieren können. Wir hoffen, dass wir auch dort, wo wir noch Lücken haben, wo die historische Aufarbeitung noch nicht abgeschlossen ist, vielleicht auch mit Unterstützung der Universitäten und Hochschulen, im Bereich Forschung weitere Dinge entwickeln können.

Deshalb abschließend, meine sehr geehrten Damen und Herren: Die Potenziale der Industriekultur für unser Land lassen sich leider nicht in zehn Minuten umfassend darstellen. Aber ich hoffe, dass ich Ihnen ein wenig Lust gemacht und Ihr Interesse geweckt habe. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Ich sehe keine Nachfragen. Dann danke ich Frau Prof. Kolb-Janssen für die Einbringung. - In der Debatte sind drei Minuten je Fraktion vorgesehen. Für die Landesregierung spricht Staats- und Kulturminister Herr Robra. Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben einen Antrag zur gezielten Entwicklung der Industriekultur in Sachsen-Anhalt gestellt. Er greift ein Anliegen der Koalitionsvereinbarung auf und wird von mir ausdrücklich begrüßt. Schade, dass wir praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit über dieses so schöne und wichtige Thema reden.

(Zustimmung von Lars-Jörn Zimmer, CDU)

Die preußische Provinz Sachsen und das Herzogtum bzw. der Freistaat Anhalt waren von Beginn der industriellen Revolution bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs das industrielle Herz Deutschlands und wirtschaftlich insgesamt ganz weit vorn an der Spitze. Trotz der Kriegsverluste und weiterer Abrisse danach, auch nach 1990, gibt es einen reichen Schatz industriellen und kulturellen Erbes, der in den vergangenen Jahren, wie von Frau

Prof. Kolb bereits dargestellt, vernachlässigt worden ist.

Zahlreiche erhaltenswerte Standorte in SachsenAnhalt zeugen noch immer von der großen mitteldeutschen Technik- und Industriegeschichte.

Viele sind bereits über ein vom Land gefördertes Projekt in einem entwickelten Netzwerk des Museumsverbandes verbunden. Einige davon hat Frau Prof. Kolb-Janssen bereits erwähnt, und ich schließe mich ihrem Dank an diejenigen, die vor Ort - überwiegend ehrenamtlich - die Arbeit leisten, gern und ausdrücklich an.

Über die Hinwendung zum Neuen, Innovativen, Fortschrittlichen, das gerade in unserer Region eine so beeindruckende Tradition hat, konnten bahnbrechende Erfindungen und Entwicklungen entstehen, wie der erste Farbfilm und die Chemieindustrie insgesamt, das erste Ganzmetallflugzeug und die metallverarbeitende Industrie insgesamt. Es gibt großartige Industrie- und Technikmuseen, etwa in Magdeburg oder in BitterfeldWolfen, aber auch im ländlichen Raum, wie zum Beispiel das Börde-Museum Burg Ummendorf.

Aber viele Standorte sind in ihrer Existenz gefährdet, sodass dieser besondere Teil der Geschichte unseres Landes immer mehr in Vergessenheit zu geraten droht. Damit verschwindet auch ein Teil der Erfahrungswelt, mit der sich die Bürgerinnen und Bürger Sachsen-Anhalts identifizieren können; denn es waren nicht allein namhafte Unternehmer, sondern Zigtausende von Beschäftigten, die diese Entwicklung ermöglicht haben, frei nach den „Fragen eines lesenden Arbeiters“ von Bertolt Brecht nach dem Erbauer des siebentorigen Theben.

Wie in dem Antrag hervorgehoben wird, geht es nicht nur um die Erhaltung einzelner Standorte und Denkmale oder die museale Darstellung der Industriegeschichte, sondern auch und vor allem um deren Nutzbarmachung als außerschulische Bildungsorte im MINT-Bereich für die Ausbildung unserer Jugend, etwa wie sie das technische Halloren- und Salinemuseum Halle mit seinem Saline-Technikum erfolgreich betreibt, wie von Frau Prof. Kolb-Janssen erwähnt, aber auch um die Erforschung und Pflege der Landesgeschichte darüber hinaus, für Kulturtourismus und Landesmarketing, wie es auch im „Masterplan Tourismus Sachsen-Anhalt 2020“ hervorgehoben wird. Das wird uns im nächsten Jahr beim BauhausJubiläum helfen, Brücken zur Technik- und Industriegeschichte des Landes zu schlagen.

Ich freue mich, dass der Antrag auch hervorhebt, dass dies ein ressortübergreifendes Thema ist und dass eine ganze Reihe von Ministerien, die darin genannt werden, mitarbeiten muss. Wir werden das in die Erarbeitung des erbetenen Konzepts einfließen lassen. Ich freue mich auf die Er

ledigung dieser anspruchsvollen Aufgabe. Wir beginnen nicht bei null, sondern bauen auf den guten Vorarbeiten des Museumsverbandes auf. Für einzelne Objekte, etwa das Börde-Museum Ummendorf, stehen im Welterbe-Programm

schon Mittel bereit.

Ich bin zuversichtlich, dass wir noch einen wichtigen Beitrag zur Abrundung der Entwicklung in Sachsen-Anhalt und seiner Geschichte leisten können, und bedanke mich.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich sehe keine Nachfragen. Damit danke ich Herrn Minister für die Ausführungen. - Wir fahren in der Debatte fort. Für die AfD spricht der Abg. Herr Daniel Rausch. Sie haben das Wort, Herr Rausch.

Werter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! „Industriekultur in Sachsen-Anhalt weiterentwickeln“ - das hört sich wirklich gut an. Im ersten Moment glaubte ich an eine längst überfällige Initiative des Wirtschaftsministers.

(Ulrich Siegmund, AfD, lacht)

Von der Industriekultur der verlängerten Werkbank des Westens zu einer innovativen Industriepolitik 4.0, zu einer Industriekultur mit gut bezahlten Arbeitsplätzen, ein Konzept und ein Leitbild zur Ansiedlung hochwertiger Arbeitsplätze,

(Zuruf von Dorothea Frederking, GRÜNE)

unbefristete Arbeitsplätze mit Tariflohn und Betriebsrente, mit Urlaubs- und Weihnachtsgeld - das, meine Damen und Herren, verstehe ich darunter, Industriekultur weiterzuentwickeln.

(Zustimmung bei der AfD und von Jens Die- derichs, CDU)

Und was verstehen Sie darunter?

(Lars-Jörn Zimmer, CDU: Thema verfehlt! Setzen, 5!)

Sie wollen ein Leitbild erarbeiten, das Anlässe und Anreize für jüngere Generationen schafft, um die eigene Identitätsbildung zu reflektieren.

(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)

- Hören Sie doch mal zu, bitte!

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Nein!)

Sie wollen ein Konzept. Sie haben es ja nur mit Konzepten.

Herr Rausch, bitte einen anderen Ton! - Fahren Sie bitte fort.

Ja. - Sie wollen ein Konzept und ein Leitbild erarbeiten, das Anlässe und Anreize für jüngere Generationen schafft, um die eigene Identitätsbildung zu reflektieren. Sie wollen den Bekanntheitsgrad der ehemaligen Industriestandorte, der Kulturlandschaften, Denkmale, Museen und Einrichtungen erhöhen, um ein positives Image für das Land Sachsen-Anhalt zu erzielen. Sie wollen Potenzial ausschöpfen, indem Sie durch engere Kooperation die differenzierte Trägerstruktur unter Einbindung in unterschiedliche Netzwerke bzw. touristische Routen zusammenfassen. Das klingt sehr kompliziert. Insgesamt fünf Ministerien sollen damit beschäftigt sein. Aber um wirklich sicherzugehen, möchte ich Ihnen empfehlen, noch eine Beraterfirma einzuschalten.

(Heiterkeit und Beifall bei der AfD)

Aber jetzt einmal ernsthaft: Klar ist es wichtig, dass junge Menschen wissen, welche Industriestandorte in welchen Firmen mit welchen Produkten in Sachsen-Anhalt Marktführer waren und welche Innovationen und Patente aus SachsenAnhalt kommen. Klar ist es wichtig, dass man diese Orte auch besuchen kann. Dafür gibt es viele Beispiele: das Industriemuseum Schönebeck oder das Technikmuseum in Magdeburg. Das sind natürlich Leuchttürme, aber wer denkt schon an die alte Papiermühle in Calbe an der Saale? In diesem maroden Gebäude steht heute noch die komplette Technik des 19. Jahrhunderts. Diese Objekte verkommen seit Jahrzehnten, weil kein Geld da ist - und Sie wollen neue Konzepte! Nehmen Sie das Geld, das Sie für dieses Konzept ausgeben wollen, und reparieren Sie lieber das Dach für die Papiermühle. Dann ist wahrlich mehr gewonnen.

(Beifall bei der AfD - Zurufe von der AfD: Jawohl! - Bravo!)

Die Schüler können jetzt schon im Rahmen des Heimatkundeunterrichts, des Geschichts- und Technikunterrichts auf die große Industriegeschichte unseres Landes aufmerksam gemacht werden. Sie können die Jahre der Gründerzeit nachvollziehen, als es noch viele Unternehmen mit sozialer Verantwortung gab, wie der Zementfabrikant Laas in Glöthe, die für ihre Belegschaft eine eigene Krankenkasse und einen Betriebsarzt hatte, die für die Arbeiter soziale Wohnungen baute und für die Kinder der Belegschaft einen kostenlosen Kindergarten betrieb. Davon können wir heute noch einiges lernen. Aber dazu braucht es kein Konzept und kein Leitbild. Darum lehnen wir Ihren Antrag ab. - Danke.

(Beifall bei der AfD)

Ich sehe keine Nachfragen und danke dem Abg. Rausch für die Ausführungen. - Für die Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abg. Herr Aldag das Wort. Herr Aldag, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Die Zeche Zollverein in Essen steht beispielhaft für die Transformation von Industriegeschichte in die heutige Zeit. Wie bei keinem anderen Industriedenkmal ist es hier gelungen, Industriegeschichte lebendig zu machen und die einzigartige und wegweisende Architektur mit neuem Leben und neuen Inhalten zu erfüllen. Die Zeche Zollverein ist dabei für eine ganze Region identitätsstiftend. Für die Menschen, die dort leben, ist sie zentraler Lebensmittelpunkt. Für die vielen, vielen Touristen, die diesen Ort besuchen, ist sie ein Ereignis.