Protocol of the Session on March 9, 2018

Ich bestreite gar nicht, dass wir diese Debatte brauchen. Ich begrüße sie auch. Selbstverständlich ist im Moment noch gar nichts. Ich habe nur zu verstehen gegeben, dass wir schon etwas länger unterwegs sind. Deshalb verfolge ich auch diese Prozesse.

Ich sprach nicht von einem der drei Juncker-Szenarien, sondern von den Szenarien, die aus dem Hause Oettinger, des Haushaltskommissars, kommen, auch im Zusammenhang mit dem Brexit. Dazu haben Sie zutreffend gesagt, eigentlich sei das in Relation zum Ganzen doch nur ein verschwindend geringer Prozentsatz; das müsste man auch anders bewältigen können.

Es gibt aber auch Szenarien, bei denen die Kohäsionsmittel nicht mehr für die Übergangsregionen zur Verfügung gestellt werden mit der Folge, dass - so heißt es dazu in einem Papier - alle Regionen Deutschlands und einige andere Mitgliedstaaten, die sie zurzeit noch bekommen, herausfielen. Dagegen kämpfen und argumentieren wir. Wir haben gute Argumente für unsere Position.

Dass es bei Politikern der unterschiedlichsten Parteien und Herkunftsregionen auch Positionen gibt, die uns nicht schmecken, habe ich schon eingangs zugestanden. Ja, es gibt immer wieder einmal die Renationalisierungsdebatte, hinter der sich das verbirgt, was Sie vorhin beschrieben ha

ben nach dem Motto „Wir zahlen nicht mehr ein, wir geben es euch ja so.“

Dagegen sind wir schon vor 14, 15 Jahren im Vorfeld der vorletzten Förderperiode auf die Bäume geklettert und auch erfolgreich gewesen. Deshalb bin ich an dieser Stelle dankbar, dass sich der Bund dagegen positioniert hat.

Ja, es ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. In Brüssel sind Machtkämpfe auszufechten. Das geht sicher nicht im Kuschelstil. Aber wir sind - Gott sei Dank - im Moment in der Gemeinschaft aller deutschen Länder noch gut positioniert. Das muss nicht so bleiben. Wir haben unter den Ländern und mit dem Bund zurzeit - ich hoffe, es bleibt auch so - gewissermaßen keinen Gap, keine unterschiedlichen Positionen, die gegeneinanderstehen. Das ist sicherlich auch ein Stück weit der rhetorischen Brillanz jener zu verdanken, die das für uns formulieren.

Ich hoffe, dass die Konflikte nicht noch im Laufe der Zeit aufbrechen. Wenn es so bleibt, wie wir es bisher in allen Positionierungen der Bundesrepublik Deutschland erreicht haben, zumindest bis in den Ausschuss der Regionen - und dort wird es von sehr vielen Regionen mitgetragen; im Europäischen Parlament sind wir noch nicht so weit -, dann bin ich nicht ängstlich.

Ich denke, wir werden uns dort durchsetzen können, weil wir insgesamt, wenn man Europa in toto und all die Effekte betrachtet, die Sie zutreffend beschrieben haben, in der Handelsbilanz und darüber hinaus, sehr gute Argumente haben.

(Zustimmung von Minister Marco Tullner)

Ich sehe keine weiteren Fragen. Damit danke ich dem Herrn Minister für die Ausführungen. - Für die SPD-Fraktion ist Herr Hövelmann vorgesehen. - Herr Hövelmann verzichtet auf den Redebeitrag. Dann fahren wir fort. Für die AfD-Fraktion spricht der Abg. Herr Raue. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Um es vorwegzunehmen: Wir lehnen diese Anträge ab. Schon allein die Ansicht, die Verringerung von Entwicklungsrückständen sei durch die solidarische EU-Kohäsionspolitik, also Umverteilungspolitik, maßgeblich vorangetragen worden, teilen wir nicht.

Wir weisen darauf hin, dass Solidarität insbesondere von Geberländern innerhalb der EU erbracht wird. Und dies ist eben vor allem Deutschland, das alternativ zur EU-Umverteilungspolitik auch

Bundeszuweisungen und den Länderfinanzausgleich innerhalb Deutschlands stärken könnte, wenn der politische Wille dazu geboren würde.

Das Konzept der Umverteilung in der EU ist ausschließlich erdacht worden, um das Wachstum Deutschlands zu beschränken und von seiner Produktivität zu profitieren.

Mit etwa 13 Milliarden € war Deutschland 2017 bei ca. 23 Milliarden € Gesamtbeitrag wiederum größter Nettozahler innerhalb der EU. Es wäre also genügend Geld für eine verstärkte nationale Finanzverteilung vorhanden. Nachdem mit dieser Umverteilungspolitik aber die Briten schon aus der Union vertrieben wurden und damit ca. 6 bis 10 Milliarden € Nettoeinnahmen jährlich wegfallen, müssen jetzt neue Einnahmen her, um den Einfluss auf die Regionen und die dortige Politik zu sichern. Das Ziel ist es, die Regionen Europas von den Nationalstaaten zu entkoppeln, und dafür braucht man immer mehr Geld. Klar ist inzwischen auch, woher das neue Geld kommen soll - natürlich aus Deutschland. Das, meine Damen und Herren, ist nicht unsere Politik.

(Beifall bei der AfD)

Wir wollen weniger Umverteilung und dafür mehr nationale Souveränität.

Nun will Brüssel finanziell aufrüsten und verstärkt eigene Steuereinnahmen in den Mitgliedstaaten erheben. Schnellstmöglich soll ein EU-Finanzministerium entstehen und die nationale Souveränität der Mitgliedstaaten weiter aushöhlen. Deutschlands Stimmgewicht soll nach dem Austritt der Briten sinken. Zahlreiche andere EUStaaten erhalten zusätzliche Sitze im Parlament. Für Deutschland heißt das konkret: mehr zahlen und weniger mitbestimmen. So geht Solidarität auf Europäisch oder anders gesagt: Der Preis für die europäische Freundschaft steigt.

Eine Fortführung der EU-Umverteilungspolitik, die absehbar mit höheren Nettozahlungen Deutschlands verbunden ist, wird von uns nicht akzeptiert, weil sie eben nicht von Vorteil für uns Deutsche ist. Ebenso wollen wir die Regionen nicht gegen die Nationalstaaten ausspielen und in die Abhängigkeit vom gierigen Brüsseler Machtapparat zwingen. Wir machen Politik für Deutsche und lehnen diese Anträge ab.

(Beifall bei der AfD)

Für eine Aussage, lieber Herr Gallert, will ich mich allerdings noch bedanken - da habe ich fleißig mitgeschrieben -, weil Sie im Prinzip das, was ich gerade gesagt habe, mit Ihren Worten zum Besten gegeben haben, und zwar sagten Sie sinngemäß: Zu glauben, Berlin würde Einsparungen aus Nettozahlungen nach Europa an die Länder

weitergeben, ist ein Irrglaube. So ungefähr haben Sie formuliert.

(Wulf Gallert, DIE LINKE: An die ostdeut- schen Länder!)

- Genau. Das ist ja jetzt egal.

(Wulf Gallert, DIE LINKE: Nein!)

Genau das ist dieses Gegeneinander-Ausspielen der Regionen, Herr Gallert, was ich meinte. Das ist dieses Ausspielen der Regionen gegen die Nationalstaaten. Das suggeriert natürlich den Geiz der Nationalstaaten und die Großzügigkeit der EU. Das ist eine Politik, die wir nicht mittragen. Wir wissen, dass die EU-Mittel, die nach Sachsen-Anhalt fließen

Herr Raue, bitte kommen Sie zum Schluss.

ich komme zum Schluss -, nur Rückflüsse deutscher Zahlungen sind. Das muss Ihnen auch bewusst sein, Herr Gallert. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der AfD)

Herr Raue, Herr Philipp hat eine Frage. - Herr Philipp, Sie haben das Wort.

Es ist keine Nachfrage, eher eine Kurzintervention. - Herr Raue, ich möchte Ihnen gar keine Antwort abringen. Ich will Sie nur darauf hinweisen, dass Deutschland vor allem deswegen in den letzten Jahren so extrem im Export wachsen konnte, weil wir Mitglied der Europäischen Union sind, und ich will Sie darauf hinweisen, dass die Briten deswegen im Binnenmarkt bleiben wollen, weil der Binnenmarkt so interessant ist.

Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass 70 % der Exporte aus Sachsen-Anhalt in die Europäische Union erfolgen. Gerade wir in Sachsen-Anhalt haben ein extremes Interesse daran, dass die Märkte dort entwickelt werden, dass da Nachfrage entwickelt wird, Märkte, in die unsere Unternehmen exportieren können.

Das Geld ist viel nachhaltiger angelegt als dasjenige, das Sie wahrscheinlich irgendwo in der Einszu-eins-Verteilung verpuffen lassen würden, Herr Raue. Das wollte ich Ihnen nur einmal sagen. Ich erwarte keine Antwort, weil ich nicht erwarte, dass Sie das verstehen.

(Beifall bei der CDU)

Darauf muss ich allerdings antworten, Herr Philipp, weil die Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der Rest-EU einerseits und Deutschland und der Euro-Gruppe andererseits zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind. Das wird Ihnen bestimmt bewusst sein. Gucken Sie sich die Target-2-Salden an, die im Euro-Währungsverbund angehäuft sind, bald 1 Billion €. Das sind im Prinzip leere Zahlungsversprechen, leere Leistungsversprechen, die niemals eines dieser Länder gegenüber Deutschland wird einlösen können.

Das wird Ihnen genauso bewusst sein; deswegen ist das, was Sie gerade gesagt haben - -

Hans-Werner Sinn hat sich in Bezug auf Großbritannien geäußert.

Großbritannien hat das eben nicht.

Woher beziehen Sie Ihre Expertise?

Das hat nicht nur einer gesagt. - Natürlich hat das Hans-Werner Sinn gesagt; richtig ist das. Aber das streitet im Prinzip die EZB und das streitet im Prinzip die Bundesbank überhaupt nicht ab. Selbst Jens Weidmann fokussiert sich genau darauf. Selbst die Bundesbank hat schon häufig klargestellt, dass die Kriterien, die dort angelegt werden, überdacht werden müssen. Bloß wollen Sie das nicht zur Kenntnis nehmen.

Für Großbritannien geht das nicht. Klar wollen sie in diesem Binnenmarkt bleiben; aber sie sind ja nun auch nicht in einer Währung mit uns verbunden. Das ist ein Unterschied.

(Zuruf von Florian Philipp, CDU)

Ich danke, Herr Raue, für die Ausführungen. - Wir fahren fort. Für die GRÜNEN spricht die Abg. Frau Frederking. Frau Frederking, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, das Projekt Europäische Union ist auch ein Projekt der Solidarität. Der europäischen Kohäsionspolitik liegt eben genau diese Vision zugrunde, die massiven Unter

schiede im Wohlstand, im Lebensstandard, in der Chance auf Arbeit und Bildung zwischen den Regionen abzubauen und für eine gute Entwicklung zu sorgen. Das Ziel sind wirtschaftlicher, sozialer und räumlicher Zusammenhalt und gute Lebensbedingungen für alle Bürgerinnen und Bürger in Europa.

Wir vertreten die Position, dass alle Regionen, also sowohl die weniger entwickelten Regionen als auch die Übergangsregionen, wozu ja auch Ostdeutschland zählt, sowie die stärker entwickelten Regionen - Leipzig gehört schon dazu - weiterhin Strukturhilfen erhalten sollen. Die bisherige Architektur der Kohäsionspolitik hat sich bewährt. Im Ausschuss der Regionen gibt es auch eine breite Allianz zur Fortführung einer starken Kohäsionspolitik nach dem Jahr 2020.

(Zustimmung von Florian Philipp, CDU)

Staatsminister Herr Dr. Schneider hat bei uns im Ausschuss darüber berichtet. Das bisherige Prinzip, dass dezentral entschieden wird, wo der größte Handlungsbedarf besteht, hat sich bewährt. Nur Sachsen-Anhalt und eben nicht die EU-Kommission kann verlässlich entscheiden, ob eine Dessauer Kita Fördergelder braucht oder eben nicht.

Wir meinen, dass das Instrumentarium der Kohäsionspolitik, nämlich die Struktur- und Investitionsfonds, wie bisher ausfinanziert werden sollte. Eine Reduzierung kommt für uns nicht infrage. Im Gegenteil: Wir fordern den strukturellen Ausbau der Fonds und auch deren Umbau. Vor allen Dingen die Bereiche Kultur und Jugend sollten im ESF eine stärkere Gewichtung erhalten. Wir wissen, in Teilen Sachsen-Anhalts, etwa in Halle, lag der Anteil an Schulabgängerinnen und Schulabgängern ohne Abschluss im Jahr 2016 noch immer bei 12,5 %; das Ziel der Europa-2020Strategie von unter 10 % ist eben noch nicht erreicht.

Wir brauchen einen soliden Finanzrahmen. Dafür brauchen wir einen guten EU-Haushalt. Das Loch, das durch den Brexit gerissen wird, muss gestopft werden, und wir GRÜNEN haben auch Vorschläge unterbreitet, wie das gemacht werden kann, beispielsweise mit der Finanztransaktionssteuer. Auch die Plastiksteuer, so wie sie von EU-Kommissar Oettinger vorgeschlagen wurde, halten wir für überlegenswert. Sie ist gut für die Umwelt und auch den EU-Haushalt.