Aufenthaltsregelungen zum Zwecke der Ausbildung ausschöpfen - Rechtssicherheit für Auszubildende und Ausbildungsbetriebe herstellen
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Integration ist in aller Munde. Die ehemalige Integrationsbeauftragte, jetzige Staatssekretärin des Landes, Susi Möbbeck, sagte berechtigt, das Jahr 2016 solle zum Jahr der Integration werden. So weit, so gut.
Integration wird jedoch selten definiert, oft aber umso vehementer eingefordert, als ob anhand feststehender Faktoren kontrollierbar wäre, ob sich jemand denn auch wirklich integriert hat, als ob dieser Prozess in irgendeiner Weise abschließbar wäre, als ob die Verantwortung einzig und allein bei denjenigen läge, an die die Aufforderung, sich zu integrieren, gerichtet wird.
Tatsächlich ist es eben nicht nur politisch, sondern auch soziologisch, meinetwegen auch philosophisch eine nicht einfach zu beantwortende Frage, was genau Integration eigentlich sein soll und ob tatsächlich Integration oder - wenn man das Gesellschaftsideal einer freien und gleichberechtigten Gesellschaft zugrunde liegt - nicht eher Inklusion die richtige Zielformulierung wäre.
Die Auffassungen zu diesen Fragen hier umfassend auszutauschen, würde an dieser Stelle sicherlich zu weit führen. Eines will ich jedoch ausdrücklich sagen: Wenn wir als Linke von Inte
gration oder Inklusion sprechen, heißt das ausdrücklich nicht, dass die Zielstellung dahinter steht, dass Muslimas kein Kopftuch mehr tragen, heißt das ausdrücklich nicht, dass die Forderung dahinter steht, zu Hause ausschließlich Deutsch zu sprechen, und heißt es ausdrücklich nicht, dass die Zielformulierung dahinter steht, dass alle gefälligst Schweinefleisch, Sauerkraut und Kartoffelbrei als Inbegriff von Gemütlichkeit und Genuss zu verstehen haben.
Gute Voraussetzungen für Ankommen und Orientieren und gleiche Bedingungen für Teilhabe - das muss aus unserer Sicht im Zentrum von Zuwanderungs- und Integrationspolitik stehen.
Drei wesentliche Handlungsfelder sehen wir da, und hierin dürften wir uns von CDU bis LINKE weitgehend einig sein: Sprache, Wohnen und Arbeit.
Mit dem Integrationsgesetz auf Bundesebene sollen Voraussetzungen für Integration geschaffen werden. Es liegen dazu Eckpunkte und Vereinbarungen zwischen den Koalitionspartnern auf Bundesebene vor. Ein Eckpunkt dieser Vereinbarung ist es, dass künftig, wer einen Ausbildungsplatz hat, vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen geschützt werden soll, indem rechtlich gesichert wird, dass während dieser Zeit keine Abschiebung stattfindet. Das ist prinzipiell zu begrüßen. Es ist im Interesse der Betroffenen, es ist im Interesse der Ausbildungsbetriebe und es ist im Interesse des Landes.
Was aber fehlt, ist eine Ausweitung auf die auch von den Handwerkskammern geforderten zwei Jahre nach der Ausbildungszeit. Was fehlt, ist die Gültigkeit auch für Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten. Was fehlt, ist ein eigenständiger Aufenthaltstitel für Migrantinnen und Migranten, die Auszubildende sind, und das schon in einer Zeit, bevor der Ausbildungsplatz tatsächlich angetreten werden kann, sofern eine Ausbildungsplatzzusage vorliegt.
Das sind nicht nur Punkte, die in unseren Augen fehlen. Das entspricht auch den Forderungen zahlreicher Expertinnen und Experten und Verbände, die in der Anhörung des Bundestages vorgetragen wurden. Genau für diese Punkte soll sich nach unserem Antrag die Landesregierung im Bundesrat und in den Bund-Länder-Abstimmungen einsetzen.
Für Kinder und Jugendliche, die als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland leben, sind richtigerweise besondere Schutzinstrumente vorgesehen und werden besondere Unterstützungsmaßnahmen gewährt. So sind die Klärung,
ob es Verwandte gibt, ob Traumatisierungen vorliegen, das Finden geeigneter Vormünder, die Unterstützung und Orientierung im Rechtssystem und in der Gesellschaft, die Begleitung der schulischen Ausbildung, das Suchen von Praktika und auch von Ausbildungsplätzen und vieles mehr das tägliche Brot von Clearingstellen, Vormundschaftsvereinen und Jugendämtern.
In Sachsen-Anhalt leben mit Stand Ende Mai 1 093 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, für die mit viel Aufwand und mit viel ehrenamtlichem Engagement diese Unterstützung organisiert wird. Das ist gut, und dafür ist den Engagierten sehr zu danken.
Genau dieses Engagement wird ebenso wie die Leistung der jungen Menschen selbst aber ad absurdum geführt und die erreichten Ergebnisse werden konterkariert, wenn die Leute 18 Jahre alt werden und aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommen; denn dann hat das gewöhnliche Aufenthaltsrecht das Prä vor sämtlichen zuvor eingeforderten, mühsam erarbeiteten und nicht selten hart erkämpften Integrationsschritten.
Der Fall des 18-jährigen Albaners Xhino G. zeigt die Unsinnigkeiten der bestehenden Rechtspraxis deutlich auf. Er besuchte mit großem Erfolg eine berufsbildende Schule in Schönebeck, brachte dort gute Leistungen, engagierte sich in einem Berufspraktikum. Aufgrund dessen wurde ihm eine Ausbildung zum IT-Kaufmann angeboten, die am 1. August dieses Jahres starten sollte. Dazu wird es nicht kommen. Was hat Herr G. nun falsch gemacht?
Herr G. kam aus Albanien, und er wurde 18 Jahre alt. Albanien gilt seit Oktober 2015 als sogenanntes sicheres Herkunftsland. Damit sind sämtliche Integrationsleistungen und Perspektiven, die er sich erarbeitet hat, bei denen er Unterstützung erhielt, bei der im Übrigen auch Investitionen des Landes erfolgten, in den Augen der Rechtsprechung und offenbar auch in den Augen des Innenministers nichts mehr wert. Obwohl sich sein Anwalt am 26. April dieses Jahres an den Landtag und den Minister wandte, wurde Herr G. am 28. April abgeschoben.
Genau hier zeigt sich die Widersprüchlichkeit deutscher Integrations- und Bleiberechtspolitik. Einerseits werden Integrationsleistungen verlangt und sanktionsbewehrt gemacht. Andererseits werden sie ignoriert, wenn das Aufenthaltsrecht eine Ausweisung möglich macht. Das ist ungerecht. Das ist von menschlicher Härte gekennzeichnet, und es ist absurd.
Einmal ganz von der persönlichen Härte für Herrn G. abgesehen, von einer Bildungskarriere mit der Perspektive, sich ein eigenständiges, unabhängiges und selbst finanziertes Leben aufzubauen, hinein ins Nichts zu kommen - wie wird sich diese Erfahrung wohl für den Arbeitgeber, der den Ausbildungsplatz angeboten hat und froh war, einen Azubi gefunden zu haben, auswirken? Wird er wieder einen Ausbildungsplatz für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling zur Verfügung stellen?
Welches Signal geht mit dieser Entscheidung an diejenigen, die sich für Herrn G. eingesetzt haben, die sich für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge einsetzen und die an so vielen Stellen Menschen helfen, die Anforderungen, die staatlicherseits an sie gestellt werden, zu erfüllen? Welches Signal geht an diejenigen, die die Willkommenskultur täglich leben, die wir einfordern - mit Ausnahme derer, die nicht viel mehr haben, als deutsch zu sein?
Es ist das Signal, dass ihr Engagement eben nicht wertgeschätzt wird. Es ist das Signal, dass es ins Leere läuft, und es ist das Signal, dass Integration in vielen Fällen nicht belohnt wird, sondern überhaupt nichts nützt.
Es ist in einer Einwanderungsgesellschaft das absurde Signal, dass Integration am Ende eben doch nicht gewollt ist. So kann Integrationspolitik nicht funktionieren. Integration braucht Bleiberecht. Es ist die Aufgabe des Staates, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Unser Antrag schlägt für einen Teilbereich konkrete Lösungen vor, und ich werbe um Ihre Zustimmung.
Ich würde gern wissen, ob Ihnen bekannt ist, aus welchem Grund dieser Herr G. Albanien verlassen hat und auf welchem Weg er nach Deutschland eingereist ist.
(Beifall bei der LINKEN - Robert Farle, AfD, zeigt der Abgeordneten den „Scheiben- wischer“ - Zurufe von der AfD)
Für mich zählt der Punkt, dass Herr G. hier in Sachsen-Anhalt gelebt, sich eine Perspektive aufgebaut hat, ein dringend benötigter Azubi gewesen wäre und ihm seine Perspektiven geraubt wurden. Das ist der Punkt, um den es mir geht.
Danke schön. Es gibt noch eine Frage von Herrn Raue. Frau Quade, würden Sie noch einmal bitte eine Frage beantworten?
Ist Ihnen eigentlich bewusst, wie viel Steuergelder die Sachsen-Anhalter jedes Jahr erarbeiten müssen, um sich hier unberechtigt aufhaltende Flüchtlinge, die Sie Flüchtlinge nennen, die eigentlich nur Migranten sind, zu finanzieren? Ist Ihnen das bewusst?
Wo sind Sie denn eigentlich wirklich sozial? Das Geld für die Sozialkassen, die dadurch geplündert werden,