Protocol of the Session on June 1, 2016

Nun, Herr Gürth, erhalten Sie einige Beispiele, nach denen Sie gefragt hatten.

Beispiel Gesundheitsschutz. In der EU sind 1 378 Inhaltsstoffe in Kosmetikartikeln verboten; in den USA sind es gerade einmal elf.

Beispiel Verbraucherschutz. Die EU-Bürgerinnen haben und wollen keine Gentechnik auf dem Teller. Doch die USA wollen ihre gentechnisch veränderten Lebensmittel verkaufen.

Beispiel Sozialstandards. Dazu hat Herr Gallert schon ausgeführt. Ich will nur sagen, wenn wir Produkte konsumieren oder Waren erhalten, die in der Konsequenz mit niedrigeren Sozialstandards produziert wurden, dann lehnen viele Menschen das ab, und wir auch.

TTIP will nicht nur auf der europäischen Seite Standards absenken, sondern es gibt Indizien, dass auch Europa Standards absenken will, zum Beispiel die strengeren amerikanischen Finanzmarktregularien. Auf beiden Seiten sollen also Marktinteressen durchgesetzt und geschützt werden.

Ich habe tatsächlich Dokumente gelesen, unter anderem einen Brief, den die Mitglieder des USSenats - es war ein Unterausschuss, ein Landwirtschaftsausschuss - an den amerikanischen Chefverhandler geschrieben haben. Darin machen sie Druck, Agrarprodukte auf den EU-Markt zu bringen.

So besteht die Gefahr, dass die USA uns mit billigem Fleisch aus industriellen Tierhaltungsanlagen

ohne jegliche Tierschutzstandards überschwemmen. Das Fleisch wird noch billiger sein, als es bei uns ist. Man weiß, wie hoch die Produktionskosten sind. Wir in Deutschland und in Europa haben jetzt schon ruinöse Erzeugerpreise. Das wäre also ein Nachteil für uns.

Dass wir leckeren Käse in die USA verkaufen könnten, ist ein Trugschluss. Warum? - Wenn die Amerikanerinnen und Amerikaner diese Produkte in großem Umfang - ich rede jetzt nicht von Spezialitäten in Spezialitätengeschäften, sondern von einer Versorgung der Bevölkerung in großem Umfang - gut fänden, dann hätten sie längst unsere Rezepturen übernommen, so wie es Russland macht. Das heißt, auch hierbei gibt es wieder keinen Vorteil für uns.

(Zuruf von Detlef Gürth, CDU)

In dem Brief wird weiterhin gefordert, dass die EU den Schutz regionaler Produkte aufhebt. Dazu gehören Produkte mit geschützten geografischen Angaben; der Salzwedler Baumkuchen und die Halberstädter Würstchen könnten dann also überall produziert werden. Die Regionalmarke „typisch Harz“ wäre bedroht.

Hier vor Ort verankerte Traditionsunternehmen würden krachen gehen. TTIP konterkariert unsere Bemühungen für mehr Regionalität und mehr regionale Wertschöpfung. Klimaschutz durch kurze Wege bleibt so auf der Strecke.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es gibt also unzählige Gründe, TTIP zu stoppen. Wir GRÜNEN sprechen uns für einen Stopp aus. Dieses TTIP mit einer Paralleljustiz über private Schiedsgerichte lehnen wir ab. Wir lehnen auch ein vorläufiges sowie das endgültige Inkrafttreten von CETA aus inhaltlichen Gründen ab.

Herr Gallert hat einiges ausgeführt, warum das ein Angriff auf die Demokratie ist, weil es eben nicht demokratisch legitimiert ist. Auch dieses vorläufige Abkommen würde ohne Zustimmung durch Bundestag und Bundesrat in Kraft gesetzt.

Das Land Baden-Württemberg hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, das sich mit den Auswirkungen von CETA auf den Gestaltungsspielraum von Ländern und Kommunen befasst. Das Gutachten kommt zu dem Fazit, dass dieser Spielraum verringert wird.

Frau Frederking, kommen Sie bitte langsam zum Ende.

Ich bräuchte noch 30 Sekunden. - Die öffentliche Daseinsvorsorge ist demnach ebenso von CETA

betroffen wie die Möglichkeit von Ländern und Kommunen, Regulierungen vorzunehmen. Beispielsweise die Beschaffungsrichtlinien, die viele Kommunen haben. Diese könnten sie dann gar nicht mehr durchsetzen.

Außerdem können Länder und Kommunen bei Schadenersatzzahlungen mit in die Verantwortung genommen werden, nachdem Investoren vor Schiedsgerichten erfolgreich gegen den Staat geklagt haben. Deshalb haben sich ja auch viele Kommunen in Sachsen-Anhalt gegen TTIP und Co. ausgesprochen, Magdeburg, Halle, Sangerhausen usw.

Die Koalition hat sich ja dafür ausgesprochen, bei europapolitischen Vorhaben auch Anhörungen durchzuführen. Darauf zielen Sie auch mit Ihrem Antrag ab.

Frau Frederking, die 30 Sekunden sind gleich zu Ende.

Dann schlage ich vor, dass wir uns im Ausschuss über die Modalitäten verständigen, unter denen man eine solche Anhörung durchführen kann. - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Zustimmung bei der SPD)

Zum Schluss möchte ich Herrn Gallert noch einmal das Wort erteilen. Bitte schön.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sehen das offensichtlich ausgesprochen differenzierte - um nicht zu sagen: kritisch distanzierte - Bild in der Bevölkerung in Europa. Es ist nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland so, dass inzwischen 70 bis 80 % ausdrücklich dagegen sind, sondern auch in den USA ist inzwischen eine deutliche Bevölkerungsmehrheit gegen diesen Vertrag. Dies hat zumindest das Parlament nicht unberührt gelassen - so vorsichtig möchte ich es formulieren. Ich glaube, da dürfte jetzt allgemeines Kopfnicken erfolgen. - Schade.

(Heiterkeit bei der CDU)

Das Problem, vor dem wir jetzt stehen, ist, dass gesagt wird: Na ja, da wird verhandelt und wir müssen dann die Ergebnisse bewerten, und nicht irgendwelche Positionen oder Verhandlungsstände - die es angeblich gar nicht gibt; das ist schon interessant: Nach sechs Jahren gibt es - wenn ich Herrn Gürth richtig verstanden habe - offenbar keinen Verhandlungsstand, da gibt es nur Positionen - und dann schauen wir mal.

Die Sache ist doch die: Man kann auf ein gutes Ergebnis nur dann hoffen, wenn irgendeine der beteiligten Seiten gute Elemente und gute Rahmenbedingungen für dieses Endergebnis einfordert. Doch das, was wir jetzt nach den 240 Seiten wissen, ist, dass die Dinge, die in einem solchen Abkommen wirklich wichtig wären, weder von der einen noch von der anderen Seite eingebracht worden sind. Das ist das Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Wo stehen die ILO-Kernarbeitsnormen? Wo steht die globale Verantwortung für das Weltklima, für die Weltwirtschaft und für den fairen Handel mit der Dritten Welt? - Das finden wir maximal in ganz diffusen, nicht einklagbaren Begrifflichkeiten, die sich in jeder Art und Weise interpretieren lassen.

Deswegen haben wir damit ein Problem. Wir sehen, dass die wichtigen Dinge überhaupt nicht zur Debatte stehen, dagegen aber all diejenigen Dinge, die die Handlungsfähigkeit von Politik radikal einschränken.

Wir sind bei Weitem nicht die Einzigen, die sich dieses Urteil gebildet haben. Ich möchte gar nicht vom DGB reden. Das überzeugt Sie, Herr Gürth, nicht; das weiß ich auch.

(Zuruf von Detlef Gürth, CDU)

Aber es gab vor Kurzem eine Pressekonferenz des BVMW - der dürfte Ihnen eigentlich relativ nahe stehen; das ist immerhin der Bundesverband mittelständische Wirtschaft - zusammen mit der Schöpflin-Stiftung. Ich zitiere aus der Pressekonferenz:

„Wir dürfen nicht zulassen, dass durch TTIP und CETA, die allein der Gewinnmaximierung großer Konzerne dienen,“

- so der Bundesverband mittelständische Wirtschaft, also nicht ich -

„kleinere Unternehmen in ganz Europa unter Druck geraten.“

Das ist offensichtlich deren Bewertung der Informationen, die sie haben. Dazu sage ich: Dabei steht DIE LINKE fest an der Seite der mittelständischen Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte ganz kurz noch zwei Dinge ansprechen: Erstens kritisieren wir, dass die Europäische Union Verhandlungspartner ist? - Nein, das kritisieren wir ausdrücklich nicht, und zwar deshalb nicht, weil in einem solchen Verhandlungsmechanismus natürlich binationale Verhandlungen zwischen den USA auf der einen Seite und Portugal auf der anderen Seite tatsächlich ein solches Ungleichgewicht auflegen würden, dass die Europäische Union als Verhandlungspartner

an dieser Stelle extrem wichtig ist. Ansonsten würden binationale Handelsabkommen mit Mitgliedern der Europäischen Union letztlich die Europäische Union gänzlich infrage stellen und hätten wirklich das Problem der extremen Ungleichgewichtung.

Deswegen sagen wir: sehr wohl Europäische Union. Das ist der entsprechende Verhandlungspartner, aber die Europäische Union mit dem Europäischen Parlament, das übrigens gegenüber dem Europäischen Rat hierbei eine viel geringere Bedeutung auch im Ablauf hat.

Dann möchte ich eines noch einmal klar sagen: Nein, unsere Kritik ist nicht, dass sich die amerikanischen Interessen in dieser Art und Weise durchsetzen würden. Das Problem ist auf beiden Seiten vorhanden. Glauben Sie denn nicht, dass der VW-Konzern, der bei der Zulassung sämtlicher Dieselfahrzeuge in Europa eigenartigerweise überhaupt keine Probleme hatte, nicht endlich diese blöden amerikanischen Umweltbehörden loswerden möchte? Natürlich ist es so, dass es europäische Unternehmen sind, die genau das gleiche Interesse daran haben, diese Standards zu unterlaufen.

Frau Frederking hat völlig richtig gesagt: Einer der größten Interessenten an solchen Angleichungen und Nivellierungen nach unten ist zum Beispiel die Deutsche Bank. Es war nämlich nicht die europäische, es war nicht die deutsche Bankenaufsicht, die die massiven kriminellen Manipulationen der Deutschen Bank aufgedeckt hat. Nein, es war die amerikanische Bankenaufsicht.

Natürlich ist es auch so, dass die europäischen Unternehmen versuchen, mit ihrem Einfluss auf die Verhandlungspartner die entsprechenden Dinge nach unten zu nivellieren. Deswegen ist es ein Problem von oben und unten, und nicht ein Problem der EU gegen die USA. Deswegen sagen wir ausdrücklich: Wir lehnen dies ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gallert, ich danke Ihnen.

Herr Präsident, ich danke Ihnen auch und sage mit einem kurzen letzten Satz: Demokratische Prinzipien wie Transparenz und öffentliche Gerichtsbarkeit müssen von Demokraten verteidigt werden. Deswegen ist es auch eine Frage der Demokratie, Herr Hövelmann. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gallert, Herr Gürth hat noch eine Frage. - Bitte.