Protocol of the Session on March 2, 2017

Herr Raue, bitte.

Frau Frederking, ergeben sich aus dem heutigen Antrag für die Landesregierung irgendein neuer Auftrag oder neue Kompetenzen? Wenn das nicht so sein sollte, wie begründen Sie dann, dass das hier heute kein Schaufensterantrag war?

(Zustimmung bei der AfD)

Frau Frederking, bitte.

Das Neue ist die Dynamik, die wir haben. Dass jetzt alle Bundesländer Anträge einbringen. Das sind nicht nur Schleswig-Holstein und Thüringen, die etwas gemacht haben. So habe ich vorhin erwähnt. Hessen wird etwas machen. Bayern wird etwas einbringen. Die Sachsen werden etwas einbringen. Frau Schindler hat es ausgeführt. Wir müssen als Land Sachsen-Anhalt dafür sorgen, dass ein Schulterschluss zwischen den Bundesländern hergestellt wird.

Es gibt diese aktuellen Ereignisse, wie ich ausgeführt habe, dass die Bundesregierung von ihren eigenen Zusagen abgerückt ist. Deshalb brauchen wir jetzt verstärkt auf allen Ebenen zwischen allen Bundesländern die Aktivitäten, die Abstim

mungen. Wir wollen der ganzen Sache Nachdruck verleihen.

(Unruhe)

Noch eine Nachfrage?

Nein, eigentlich nur eine Info. Diese Handlungskompetenz hat die Landesregierung bislang natürlich auch. Ich glaube, sie nimmt sie auch wahr. So habe ich es auch in der Beschlussrealisierung gelesen. Es ist heute eigentlich unnötig gewesen, Frau Frederking.

Na ja, ich habe geguckt, wer auf der Besuchertribüne sitzt. Dort sitzen zum Beispiel Leute aus Rheinland-Pfalz. Die nehmen diese Botschaft mit, die wir heute im Landtag besprechen. Sie sagen ihren Leuten natürlich auch, wie wichtig das gerade für Ostdeutschland ist, für die Wettbewerbsfähigkeit, für ein solidarisches Handeln zwischen den Bundesländern, damit wir hier den Schulterschluss hinbekommen.

(Unruhe)

Vielen Dank, Frau Frederking. Sie merken, wenn Sie ankündigen, dass alle zum Essen gehen können, dass die Kollegen noch unruhiger werden.

(Heiterkeit)

Deswegen lassen Sie uns jetzt noch einmal einen kleinen Moment konzentrieren, damit wir über diesen Antrag abstimmen können. Ich habe nicht vernommen, dass dieser Antrag an einen Ausschuss überwiesen werden soll. Deswegen stimmen wir direkt über diesen Antrag in Drs. 7/1050 ab.

Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um sein Kartenzeichen. - Ich sehe übergreifende Zustimmung. Das sind die Koalitions- und die Oppositionsfraktionen. Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen worden.

Wir treten in die Mittagspause ein. Wir fangen um 15:10 Uhr wieder an.

Unterbrechung: 14:13 Uhr.

Wiederbeginn: 15:11 Uhr.

Es scheint mein Schicksal zu sein, nach der Mittagspause vor relativ leerem Hause die Sitzung beginnen zu müssen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Wir sind ja da!)

- Ich weiß. Die Aussage „vor relativ leerem Haus“ war eine rein quantitative und keine qualitative Aussage. Insofern würde ich trotzdem versuchen, in die Tagesordnung einzusteigen, und dies vor allem deshalb, weil wir wissen, wir jetzt ohnehin schon ein Stück weit über dem Zeitplan sind. Mein persönlicher Ehrgeiz wäre, wenn ich von meinem Platz wieder aufstehe, dass wir dann wieder im Zeitplan wären.

Wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 6

Beratung

Weniger Bürokratie und mehr Liquidität für Mittelstand und Handwerk - Rücknahme der Vorfristigkeit der Sozialversicherungspflicht

Antrag Fraktionen CDU, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Drs. 7/1049

Einbringer ist der Abg. Herr Thomas. Herr Thomas, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen haben heute einen Antrag zur Rücknahme der Vorveranlagung der Sozialversicherungspflicht in den Landtag eingebracht. Für jene Abgeordnete, die dem Landtag schon in der letzten Legislaturperiode angehörten, ist dieses Thema nicht neu, so wie einigen anderen hier in diesem Saal.

Es war im April des Jahres 2013 - daran möchte ich erinnern -, als wir hier im Hohen Hause eine ähnliche Debatte dazu geführt haben. Unsere Intention seinerzeit bestand in der Bitte an die Landesregierung, über eine Bundesratsinitiative, zumindest bei Meldeverfahren, eine Rücknahme auf den alten Stand vor dem 1. Januar 2006 zu erwirken.

Meine Damen und Herren! Trotz intensiver Bemühungen mussten wir seinerzeit mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, dass es auf Länderebene kaum möglich war, Verbündete und damit eine Mehrheit im Bundesrat zu finden. Die Gründe dafür waren vielschichtig. Sowohl der Bund als auch einzelne Länder hatten Angst oder Sorge, dass mit einer Rücknahme des Meldeverfahrens auf den alten Stand auch die vorveranlagten Beitragszahlungen zurückgezahlt werden müssten.

Die deutsche Wirtschaft hat die klammen Sozialkassen mit 20 Milliarden € quasi vorfinanziert. Ein Argument der Länder war unter anderem die Angst vor steigenden Lohnnebenkosten oder ein befürchtetes Abschmelzen des Finanzpuffers in der Sozialversicherungskasse.

Meine Damen und Herren! Ich kann mich noch gut an die Debatte damals im Plenum erinnern. Wir hatten seinerzeit keinen Konsens im Detail, waren uns aber einig, was den bürokratischen Aufwuchs im Hinblick auf die Umsetzung der Neuregelung anging.

Die Koalitionsfraktionen haben sich den Abbau von Bürokratie zur Daueraufgabe auch in dieser Legislaturperiode gemacht. Erst im November haben wir gemeinsam einen diesbezüglichen Antrag mit dem Titel „Weniger Bürokratie für Sachsen-Anhalt - Wirtschaft und Bürger entlasten“ eingebracht. Und wir haben diesen auch hier im Hohen Hause beschlossen.

Dort haben wir viele Dinge beauftragt, die aus unserer Sicht verbesserungswürdig sind. Ich nenne beispielhaft einige Aufgabenfelder: Übergang vom Antrags- zum Anzeigeverfahren, ein zentraler Ansprechpartner für Bürokratieabbau, zeitliche Befristung von Gesetzen und Regelungen, Onein-one-out-Regelungen sowie Digitalisierung der wichtigsten Verwaltungsabläufe oder feste Fristen zur Bescheidung von Anträgen.

Meine Damen und Herren! Wir haben die Landesregierung gebeten, uns bis zum Jahresende ein diesbezügliches Konzept vorzulegen. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Das ist das, was wir hier im Land tun können. Wenn wir es mit dem Bürokratieabbau ernst meinen, dann kommen wir um die Kompetenzen des Bundes nicht herum.

Plötzlich sind wir wieder bei der Vorveranlagung der Sozialversicherungspflicht. Vieles ist darüber in den zurückliegenden Jahren abgehandelt worden. Kammern, Verbände und Unternehmen fordern seit Jahren eine Rückkehr zur alten Regelung.

In meiner Einbringungsrede hatte ich seinerzeit von einer Umfrage der Handwerkskammer in Niedersachsen berichtet. Damals fragte man die schlimmsten Belastungen für Mittelstand und Handwerk ab. Platz drei entfiel auf die GEMA, Platz zwei belegte die GEZ und auf Platz eins wurde durch die Mitgliedsunternehmen die Vorfristigkeit der Sozialversicherungsbeiträge gewählt.

Ich darf Sie hier alle beruhigen. Auch nach fast vier Jahren belegt die Vorfristigkeit der Sozialversicherungsbeiträge in allen späteren Umfragen nach wie vor Spitzenplätze, was den Bürokratieaufwand angeht. Daher, meine Damen und Herren, ist es der Mühen Schweiß wert, sich erneut mit diesem Thema zu befassen, da dies bundesweit eine hohe Belastung vor allem für Mittelstand und Handwerk darstellt. Denn kleine Unternehmen, Familienunternehmen insbesondere können sich keine Buchhaltung leisten. Das macht oft der Inhaber selbst oder seine Frau.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle noch einmal etwas zu den Hintergründen des deutschen Sozialversicherungssystems und zur Genese der Umstellung des Abrechnungssystems zu sagen. Vor über 100 Jahren hat kein anderer als Otto von Bismarck den Grundstein für unseren heutigen Sozialstaat gelegt. Deutschland wurde so zum weltweiten Vorreiter in der Sozialpolitik. Aus dem Nichts wurden ohne moderne Datenverarbeitung lokale Versicherungen geschaffen.

Meine Damen und Herren! In Windeseile wurde ein System etabliert, das auch deswegen so erfolgreich war, weil es nachvollziehbar und einfach ausgelegt wurde. Viele Länder der Welt haben dann in der Folgezeit dieses System übernommen oder haben sich zumindest daran orientiert.

Dann kam die Zeit nach der Jahrtausendwende. In der deutschen Wirtschaft lief es damals nicht rund. Im Jahr 2004 hatte Deutschland erstmals nach drei vorangegangenen Jahren der Stagnation ein Wirtschaftswachstum von knapp 1,7 %. Das war im europäischen Maßstab nicht besonders viel.

Der Arbeitsmarkt litt unter dieser Entwicklung. Im Jahr 2004 gab es deutschlandweit knapp 4,4 Millionen Arbeitslose. Die Zahl stieg im Jahr 2005 sogar auf knapp 4,7 Millionen Arbeitslose an. Drei Jahre Rezession und fast fünf Millionen Arbeitslose ließen die deutschen Sozialsysteme regelrecht kollabieren. Erst Anfang 2003 war der durchschnittliche Beitragssatz aller Krankenkassen auf den Rekordwert von 14,4 % gestiegen. Anfang 2002 hatte der Beitragssatz noch bei 14 % und Anfang 2001 bei knapp 13,6 % gelegen.

Die damalige Regierung hatte auch den Rentenbeitrag zum 1. Januar 2003 von 19,1 auf 19,5 % anheben müssen. Die gesamten Sozialbeiträge summierten sich damit nun auf den Wert von 42,1 %. Das alles half nichts. Trotz Beitragssteigerungen drohte ein milliardenschweres Loch bei den Sozialkassen.

Meine Damen und Herren! Allein die Rentenversicherer gingen seinerzeit von einer Deckungslücke in Höhe von 750 Millionen € aus. Die damalige Bundessozialministerin Ulla Schmidt sprach gar von einer Unterdeckung in Höhe von 5,5 Milliarden €. Der Druck war so groß, dass man zwischenzeitlich sogar eine erneute Steigerung des Rentenbeitrages von 19,5 auf 19,9 % ins Auge fasste. Dies wurde aber Gott sei Dank aufgrund der Bundestagswahlen und auch um den beginnenden wirtschaftlichen Aufschwung zu beschleunigen, nicht umgesetzt.

Stattdessen kam man auf die Idee, die Wirtschaft durch ein Vorziehen der Sozialbeiträge um einen Monat ins Obligo zu nehmen. Dieser Vorschlag wurde schließlich am 3. August 2005 mit Wirkung zum 1. Januar 2006 beschlossen. Seitdem sind

die fälligen Sozialbeiträge nicht mehr zum 15. des Monats abzuführen, sondern am drittletzten Bankarbeitstag für den Folgemonat. Zugleich wurde ein 13. Beitrag fällig, den die Unternehmen abzuführen hatten. - So viel, meine Damen und Herren, zur Entstehungsgeschichte des Verfahrens.

Aus heutiger Sicht hat die Vorfristigkeit der Beitragszahlungen den damals gewünschten Effekt der Liquiditätssicherung der Sozialversicherungskassen erreicht. Aber ich frage uns alle ernsthaft, zu welchem Preis? Die Belastungen der Regelungen bestehen deutschlandweit bis heute. Deswegen fordern wir als Koalitionsfraktionen unmissverständlich eine schnellstmögliche Rückkehr zu dem alten System, so wie es vor dem Januar 2006 gültig war.

Viele Unternehmen berichten mir, dass sie wenig Verständnis dafür aufbringen, warum man ein bekanntes und bewährtes System verschlimmbessert hat. Trotz Umstellung der EDV und aller damit verbundenen Kosten der Vergangenheit wollen die Unternehmen ein schlankes Verfahren. Zusätzliche Bürokratie kostet Liquidität. Sie bindet wichtige Ressourcen in den Unternehmen. Es verhindert in der Folge wichtige Innovationen und damit unternehmerischen Erfolg.