Protocol of the Session on October 16, 2020

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Heute vor einer Woche, am letzten Freitag, jährte sich der feige und menschenverachtende Terroranschlag von Halle das erste Mal. Dieser Anschlag war für unsere Gesellschaft ein ganz besonders tief greifender Einschnitt. Die andauernde Betroffenheit, der Schmerz, das Unverständnis, aber auch die Frage danach, wie und warum ein solches Verbrechen möglich war, fand ihren Ausdruck individuell und kollektiv in den Veranstaltungen in Halle vor Ort.

Der Prozess gegen den Attentäter von Halle stellt uns vor neue Herausforderungen, die wir bisher in Sachsen-Anhalt so noch nicht hatten. Im Prozess gegen den Attentäter von Halle wurden 43 Nebenklägerinnen und Nebenkläger zugelassen, welche nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen europäischen Ländern und aus den USA anreisen. Insgesamt sind derzeit 27 Prozesstage bis zum 16. Dezember 2020 angesetzt.

Nach dem gegebenen Recht steht Nebenklägern grundsätzlich kein Anspruch auf den Ersatz von Reisekosten zu, weder nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) des Bundes noch im Rahmen der Prozesskostenhilfe nach § 397a StPO.

Weiter gibt es in Sachsen-Anhalt zwar eine Verwaltungsvorschrift zur Gewährung von Reiseentschädigungen vom Januar 2014, wonach mittellosen Personen, Beschuldigten oder anderen Beteiligten auf Antrag Mittel für die Reise durch das Gericht gewährt werden können. Das kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn die Teilnahme an der Verhandlung auch bei einer nicht mittellosen Person zur verständigen Wahrnehmung ihrer Rechte als notwendig zu erachten wäre. Ein Nebenkläger gehört jedoch nicht zu den Verfahrensbeteiligten, deren Anwesenheit in der Hauptverhandlung gesetzlich gefordert ist.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat deshalb den betroffenen Nebenklägerinnen und Nebenklägern explizit für diesen Prozess eine einmalige Reisekostenbeihilfe bereitgestellt. Die Höhe staffelt sich nach der Entfernung des Wohnortes zum Gericht. Bei entfernten Anreisen aus dem Inland werden bis zu

600 € gezahlt, bei Anreisen aus dem Ausland 1 200 €.

Mit dieser pauschalen Reisekostenbeihilfe erhalten die Nebenklägerinnen und Nebenkläger die Möglichkeit einer Teilnahme an zentralen Terminen des Prozesses, und zwar unabhängig vom Einkommen. Die Länge des Prozesses und die Häufigkeit der Teilnahme am Prozess sind für die Höhe der pauschalen Reisekostenbeihilfe ohne Auswirkung.

Nach Auskunft des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz haben mit Stand 9. Oktober 2020 von den 43 zugelassenen Nebenklägern und Nebenklägerinnen 18 Personen einen Antrag gestellt und eine einmalige Reisekostenbeihilfe erhalten.

Sollte das Land seinerseits den Nebenklägerinnen und Nebenklägern eine Reisekostenerstattung zusprechen, so entfiele die Notwendigkeit für die Bundesbeihilfe. Weiter könnte in diesem Fall die Reisekostenerstattung gegebenenfalls durch den Kostenbeamten des Gerichtes abgerechnet werden.

Ergänzend möchte ich darauf hinweisen, dass nicht nur die Mobile Opferberatung Betroffene des Anschlags von Halle betreut, auch der Weiße Ring e. V. und der OFEK e. V., Beratungsstelle bei antisemitischer Diskriminierung und Gewalt, begleiten seit Monaten sehr engagiert und aufopferungsvoll Betroffene des Anschlages.

Hervorheben möchte ich an dieser Stelle auch die Betreuungsarbeit der Opferberaterinnen und Zeugenbetreuerinnen des Sozialen Dienstes der Justiz. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Ich sehe keine Fragen. Dann danke ich Frau Ministerin Keding für die Stellungnahme der Landesregierung. Für die SPD-Fraktion spricht Frau Schindler. - Frau Schindler, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Gestern haben wir hier über die politische Aufarbeitung des Anschlages von Halle unter dem Titel „Halle mahnt“ diskutiert. Ich glaube, es war auch sehr bedeutend, welche politischen Auffassungen hier vertreten wurden.

Mit dem Prozess ist die juristische Aufarbeitung dieses Attentates jetzt im Gange. Meine Vorredner haben auch darauf hingewiesen, wie bedeutsam dieser Prozess auch für das Land SachsenAnhalt ist und dass dieser auch dazu beitragen kann, den Anschlag mit aufzuarbeiten.

Sie haben in Ihrem Antrag auch darauf hingewiesen, dass die Nebenkläger an allen Prozesstagen teilnehmen möchten, um diesen Anschlag zu verarbeiten und zur Aufarbeitung beizutragen. - Das unterstützen wir ausdrücklich.

Die Ministerin hat aber gerade ausgeführt, dass den Nebenklägern auch derzeit schon verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Unabhängig von der besonderen Bedeutung des Prozesses um den Anschlag in Halle - das ist hier die Besonderheit - gibt es derzeit keine rechtlichen Regelungen, auch für Nebenkläger in anderen Prozessen, über die gesamte Zeitdauer an dem Prozess teilnehmen zu können.

Daher müssten wir uns insgesamt einmal darüber informieren und darüber diskutieren, wie wir damit umgehen,

(Zuruf)

ob es eben jedes Mal ein Sonderfonds sein muss, oder ob man sogar eine gesonderte Bestimmung in der Reisekostenregelung für Nebenkläger entwickelt. Das wäre unser Anliegen, nämlich das Vorhaben einerseits zu unterstützen, aber andererseits auch eine generelle Regelung zu finden. Deshalb wollen wir den Antrag in den Ausschuss überweisen. - Vielen Dank.

(Zustimmung)

Fragen sehe ich nicht. Dann danke ich Frau Schindler für den Redebeitrag. Für die AfD-Fraktion spricht jetzt der Abg. Herr Lehmann. - Herr Lehmann, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Das Landgericht Magdeburg hat - Frau Keding hat es schon erwähnt -, 43 Nebenkläger nach den §§ 395 und 396 StPO zugelassen. Alle Nebenkläger haben nach § 397a StPO einen Anspruch auf Bestellung eines Rechtsanwaltes. Damit wird ihrem Rechtsschutzinteresse vollständig entsprochen. Die Reisekosten und die Spesen des Anwalts werden erstattet.

Die Nebenkläger sind Verfahrensbeteiligte, die nach § 464a Abs. 2 StPO die notwendigen Auslagen nach den Vorschriften für die Entschädigung von Zeugen erhalten können, wenn dies beantragt wird. Das tun sie auch, wie wir gehört haben.

In Betracht kommen danach auch die Erstattungen der Kosten für Fahrten zu Gericht oder zur Staatsanwaltschaft mit dem eigenen Fahrzeug sowie Übernachtungs- und Verpflegungskosten am Gerichtsort während der Teilnahme an der Hauptverhandlung. Das sagen Kleinknecht und Meyer

Goßner in ihrem Kommentar zu § 464a StPO in der Randnummer 15, Auflage 54.

Also, Ihr Antrag hat ein Geschmäckle, liebe LINKE, das eine doppelt zweifelhafte Zielrichtung deutlich macht. Erstens. Zum einen soll das Landgericht Magdeburg durch diesen Antrag wahrscheinlich moralisch unter Druck gesetzt werden, die notwendigen Auslagen sehr weit auszulegen. Zum anderen wird auf die Landesregierung Druck ausgeübt. Denn man bewegt sich immer auf dünnem Eis, im Zusammenhang mit dem Hallenser Attentat und der Verhandlung irgendetwas negativ zu bescheiden.

Zweitens sollen der linkslastige Verein Miteinander, der im Antrag glasklar genannt wird, und auch andere Opferberatungsstellen, wie der Weiße Ring, wie wir gehört haben, als Verwalter eines dubiosen Sonderfonds ins Spiel gebracht werden. Damit wird erfahrungsgemäß immer nur linke Klientelpolitik umgesetzt und finanziert.

Es ist also scheinheilig, dass ausgerechnet die LINKEN den Anschlag von Halle dafür nutzen will, den verstärkten Finanzfluss zu Miteinander e. V. anzukurbeln. Das gilt es hier zu verurteilen.

(Zustimmung)

Das muss auch klar beim Namen genannt werden. Hier wird der Anschlag von Halle glasklar für eine Finanzierung eines linken Vereins missbraucht. Dafür sollten Sie sich schämen.

Solange zum Beispiel die mit Palästinensertüchern geschmückten Linksradikalen Schulter an Schulter mit Arabern am Brandenburger Tor in Berlin bei zurückliegenden Demonstrationen am hellen Tage Israelflaggen verbrennen, sollten Sie sich schämen, mit solchen Anträgen auf dem Rücken der Opfer von Halle finanzielles Kapital für Miteinander e. V. herausschlagen zu wollen.

Das macht die verkommene Doppelmoral deutlich, mit der wir es hier zu tun haben. Dem stellen wir uns entgegen. Ministerin Keding hat alles zur Finanzierung der Nebenklägerschaft dargelegt. - Wir lehnen den Antrag ab.

(Zustimmung)

Ich sehe keine Fragen. Dann danke ich Herrn Lehmann für den Redebeitrag. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht jetzt der Abg. Herr Striegel. - Herr Striegel, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am gestrigen Tage haben wir anlässlich des Jahrestages des antisemitischen und rassistischen Anschlags vom 9. Oktober 2019 in Halle

debattiert, der zwei Menschen das Leben kostete und viel mehr Menschen an Leib und Seele verletzte. Es wurde dabei oft betont, dass wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen dürfen, dass wir Konsequenzen ziehen und eben Taten sprechen lassen müssen.

Darüber hinaus waren sich die demokratischen Fraktionen in diesem Parlament im Wesentlichen darüber einig, dass wir eine Verpflichtung gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen haben. Diese Verpflichtung besteht darin, die an Körper und Seele Verletzen mit ihren Schmerzen und ihren psychischen Folgen dieses grauenhaften Ereignisses eben nicht allein zu lassen.

Oft quält die Überlebenden eines solchen Ereignisses das Gefühl, dass Politik und Gesellschaft keinen Anteil an ihrem Leid nehmen. Ich wünschte mir, dass wir es in diesem Fall besser machen und wirklich empathisch an der Seite der Opfer stehen. Das heißt eben auch zu schauen, ob die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten schon ausreichend sind. Mir scheint, dazu gibt es sowohl mit Blick auf diesen konkreten Fall als auch generell noch eine Ausbaufähigkeit.

Es wäre in diesem Sinne eine meines Erachtens denkbare Geste, den Hinterbliebenen und Opfern, die als Nebenklägerinnen und Nebenkläger am Prozess gegen den Täter teilnehmen, auch finanzielle Unterstützung zu gewähren. Wir sollten diesen Vorschlag deshalb wohlwollend prüfen.

Die Welt hat vor einem Jahr mit Schrecken nach Halle geblickt. Wir alle werden uns fragen lassen müssen, was wir getan haben, und vor allem, wie wir den Opfern geholfen haben. Die regelmäßige Teilnahme am Prozess kann für die Betroffenen ein Schritt bei der Bewältigung ihres Traumas sein.

Wenn wir an dieser Stelle behilflich sein können, dann sollten wir es tun. Es wäre ein Akt praktischer Solidarität, den wir uns meiner Meinung nach und der Meinung der Fraktion nach durchaus leisten können. - Vielen herzlichen Dank.

(Zustimmung)

Fragen sehe ich nicht. Dann danke ich Herrn Striegel für den Redebeitrag. Für die CDU-Fraktion spricht der Abg. Herr Kolze.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE möchte einen Sonderfonds zur Erstattung von Reisekosten für Nebenkläger im Strafverfahren gegen Stephan B. einrichten. Bei der Entscheidung über die Gewährung einer Reisekostenentschädigung handelt es

sich grundsätzlich um einen Akt der unabhängigen Rechtsprechung.

Es ist kein Akt der Justizverwaltung und schon gar nicht Aufgabe von Vereinen. Schon deshalb ist Ihre Forderung, dass der Verein Miteinander e. V. eine Reisekostenerstattung administrativ verwalten und abrechnen soll, rechtlich überhaupt nicht zu realisieren.

Ich bezweifle auch, dass der Verein Miteinander e. V. überhaupt dazu befähigt ist, diese komplizierte Reisekostenerstattung aus dem Landeshaushalt vorzunehmen. Der Verein soll sich doch lieber auf das konzentrieren, wozu er sich verschrieben hat und wozu er umfänglich aus dem Landeshaushalt alimentiert wird, nämlich auf die Förderung einer offenen, pluralen und demokratischen Gesellschaft. Aufgaben der unabhängigen Rechtsprechung werden wir jedenfalls nicht auf den Verein Miteinander e. V. übertragen.

Die von Ihnen beschriebene derzeitige Entschädigungssituation, dass die anwaltlich vertretenen Nebenkläger vom Gericht im Halle-Prozess nur die Reisekosten für die Prozesstage erhalten, an denen sie als Zeuge vor Gericht geladen sind, fußt nun einmal auf geltendem Bundesrecht. So wird auch in allen anderen großen Prozessen bundesweit verfahren.

(Zustimmung)

Um die Reisekostenentschädigung für die Nebenkläger im Halle-Prozess zu verbessern, hat das Bundesministerium für Justiz eine einmalige pauschale Reisekostenbeihilfe ohne Bedürfnisprüfung der Nebenkläger bereitgestellt. Durch diese pauschale Reisekostenbeihilfe haben alle Nebenkläger die Möglichkeit erhalten, an den Prozessterminen teilzunehmen, und zwar ganz unabhängig vom Einkommen und ihrer Zeugenvernehmung.