Protocol of the Session on June 5, 2015

Dass Flüchtlinge seit November schon nach drei Monaten arbeiten und eine Ausbildung beginnen dürfen - vorausgesetzt, sie finden einen Betrieb, der sie einstellen will - ist gut. Dass die Vorrangprüfung nur noch für die ersten 15 Monate vorgeschrieben ist, ist ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Für Fachkräfte wird sie komplett gestrichen.

In der Vergangenheit wurden die Potenziale der jungen Flüchtlinge oft nicht ausreichend für den Arbeitsmarkt genutzt. Es ist unabdingbar, die Unternehmen bei ihren Integrationsvorhaben vollkommen zu unterstützen. Ein Hindernis von Geflüchteten bei der Integration in die Unternehmen sind oft die rechtliche Unsicherheit und eine mangelnd interkulturelle Erfahrung der Betriebe.

Meine Damen und Herren! Nun sind viele junge Menschen bei uns vor Ort und es werden mehr werden. Die Gründe für ihre Flucht sind furchtbar. Aber zur gelebten Teilhabe und zu einer schnellen und vor allem gelungenen Integration gehört auch, ihnen die Möglichkeit zu geben, eine Arbeit aufzunehmen oder eine Ausbildung zu beginnen. Nach der Opulenz der letzten 20 Jahre leiden einige Branchen bereits jetzt unter einem erheblichen Fachkräftemangel und viele Unternehmen finden nicht mehr genügend Auszubildende.

So unternimmt beispielsweise die Industrie- und Handelskammer Magdeburg viele Anstrengungen, um junge Spanier von einer Ausbildung in Sachsen-Anhalt zu überzeugen. Man bedenke: Allein im Land Sachsen-Anhalt blieben im Jahr 2014 fast 700 Lehrstellen unbesetzt, obwohl mehr Unternehmen ausgebildet haben und die Übernahmequote gestiegen ist.

Jetzt kommen immer mehr Leute ins Land. Sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist sowohl integrationspolitisch als auch wirtschaftspolitisch mehr als sinnvoll. Wir sehen: Wir müssen Arbeits- und Ausbildungsintegration für beide Seiten als Gewinn verstehen. Die Rahmenbedingungen müssen daher weiter optimiert werden.

Es stellt sich wiederum die Frage: Was können wir tun, um die Integration von Asylbewerbern und Geduldeten in Ausbildung und Beschäftigung auszubauen?

Erstens ist die Deutsch-Förderung sicherzustellen. Verschiedentlich bieten Länder ebenfalls Orientierungs- und Deutschkurse für Erwachsene an, die als Basis für eine weitere Arbeitsmarktförderung dienen können. Beispielsweise führt die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen im Grenzdurchgangslager Friedland den Kurs „Wegweiser für Deutschland“ durch, ist in Baden-Württemberg im Rahmen der vorläufigen Unterbringung sicherzustellen, dass unentgeltlich Grundkenntnisse der deutschen Sprache erworben werden können und

gibt es in Hessen sprachliche Intensivförderung für junge Flüchtlinge.

Zweitens. Wir müssen den Zugang zu integrationsfördernden Leistungen erleichtern.

Drittens sind gleiche Chancen für Flüchtlinge in Schule und Ausbildung zu schaffen. Ein gesicherter Aufenthalt sollte bundesweit während der gesamten Ausbildung und nach erfolgreichem Abschluss auch unmittelbar nach dem Abschluss über die Ausbildung hinaus rechtssicher, transparent und einheitlich garantiert werden.

Meine Damen und Herren! Die Kollegen der Fraktion DIE LINKE weisen in Ihrem Antrag darauf hin, dass, nachdem die Zugangsfristen zum Arbeitsmarkt und zur Ausbildung reduziert worden sind, auch die Mittel und Instrumentarien der Arbeitsmarkt- und Ausbildungsförderung angeglichen werden müssen. Das stimmt, springt aber vielleicht doch etwas zu kurz.

Monetäre Aspekte, wie BAföG und Ausbildungshilfe, sind ein Aspekt, der betrachtet werden muss. In erster Linie aber müssen wir den Kontakt zwischen den jungen Menschen und den Unternehmen aufbauen. Dazu braucht es nicht unbedingt direkter Geldleistungen. Dazu braucht es Koordinierung, fachkundige Betreuer, dazu braucht es das Wissen um die Ausbildung und die Fähigkeiten der jungen Menschen, damit Angebot und Nachfrage zusammengebracht werden können.

Darüber würden wir gern noch weiter vertieft mit Ihnen ins Gespräch gekommen. Wir bitten daher um Überweisung des Antrages zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales und zur Mitberatung in den Ausschuss für Wissenschaft und Wirtschaft. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Es gibt an Nachfrage von Kollegin Dirlich. Möchten Sie diese beantworten?

Ja, gern.

Kollegin Dirlich, bitte.

Herr Mormann, Frau Kollegin Görke hat hier ein Beispiel genannt. In diesem Beispiel hatte der junge Mann einen sehr guten Kontakt zu dem Unternehmen; er hat dort ein Praktikum gemacht. Er hatte sehr gute Kontakte überallhin, also alles das, was Sie gerade eben gefordert haben.

Gescheitert ist er daran, dass das Geld nicht ausgereicht hat. Gescheitert ist er daran, dass er keine ausbildungsbegleitende Beihilfe bekommen hat, die ihn unterstützt. Gescheitert ist er daran, dass er keinen Stützunterricht bekommen konnte und weil die Fristen einfach noch nicht abgelaufen waren. Daran ist er gescheitert, nicht an fehlenden Kontakten zum Unternehmen, nicht an fehlendem Willen und nicht daran, dass das Unternehmen daran gezweifelt hätte, dass er die Ausbildung schaffen könne.

Ich habe jetzt Ihre Frage nicht erkannt.

(Frau von Angern, DIE LINKE: Sie war em- pört!)

- Ach so, dazu diene ich gern. - Danke schön.

Danke sehr, Herr Mormann. - Wir können an dieser Stelle Damen und Herren des Sozialverbandes Deutschland aus Salzwedel begrüßen. Seien Sie recht herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Görke, Sie haben die Möglichkeit zu erwidern. - Frau Görke verzichtet. Dann treten wir jetzt in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 6/4057 ein. Es wurde beantragt, den Antrag zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales - ich sehe Nicken - und zur Mitberatung in den Ausschuss für Wissenschaft und Wirtschaft zu überweisen. Ist das richtig? - Dann lasse ich darüber gemeinsam abstimmen.

Wer der Ausschussüberweisung zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind alle Fraktionen. Damit ist der Antrag in die genannten Ausschüsse überwiesen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 15.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Erste Beratung

Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge verbessern

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/4058

Änderungsantrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/4114

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Hohmann. Bevor Frau Hohmann den Antrag einbringt, können wir Damen und Herren des Soziokulturellen Frauenzentrums Dessau begrüßen. Seien auch Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Hohmann, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

„Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“

Dieser in § 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes verankerte Grundsatz muss auch uneingeschränkt für Flüchtlingskinder gelten, unabhängig davon, ob sie in Begleitung der Eltern, anderer Personen oder unbegleitet in unser Land eingereist sind.

Immer mehr Minderjährige sind ohne Eltern auf der Flucht. Allein in Deutschland waren es im vorigen Jahr 4 399 Kinder und Jugendliche, die hier Zuflucht suchten. In Sachsen-Anhalt hat sich deren Zahl von 2013 bis 2014 auf 106 Personen mehr als verdoppelt.

Laut Informationen aus dem Landesjugendhilfeausschuss und der Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Kollegin Henriette Quade ist von weiteren Steigerungen bei den UMF-Fallzahlen auszugehen. UMF bedeutet „unbegleitete minderjähriger Flüchtlinge“.

Warum erhöhen sich die Zahlen so stark? - Einige kinderspezifische Fluchtgründe sind zum Beispiel die Rekrutierung in den Armeedienst, die sogenannten Kindersoldaten, aber auch die Zwangsverheiratung oder eine geschlechtsspezifische Verfolgung, Flucht vor sexueller Gewalt und vieles mehr. Auf den Internetseiten vom Bundesfachverband unbegleitete minderjähriger Flüchtlinge e. V. und Refugium e. V. sind weitere Gründe nachzulesen, weshalb Kinder und Jugendliche aus ihren Heimatländern flüchten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Auf Initiative des Bundesrates plant die Bundesregierung ein Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher. Die auf Bundesebene angedachte Neuregelung der Verteilung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge wird die Herausforderungen auch für die Kommunen in Sachsen-Anhalt noch erhöhen.

Bereits im Anhörungsverfahren zum Gesetzentwurf gab es viele Stellungnahmen von Verbänden und Vereinen. Dabei war die Rede davon, Aufnahmekonzepte zu erarbeiten und Gelder zu verteilen, statt Kinder umherzuschieben. Es gab auch die Forderung nach dem Aufbau von kompetenten Strukturen vor Ort. Ebenfalls hat sich die Kinderkommission des Bundestages mit einem eigenen Positionspapier eingebracht.

Unter der Überschrift „Bei allen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge betreffenden Entschei

dungen muss in jedem Falle das Kindeswohl als Maßstab dienen“ stellte die Kommission 13 Forderungen auf. Einige davon sind auch in unserem Antrag zu finden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ebenfalls ausschlaggebend für unseren Antrag waren die vielen Gespräche, die wir vor Ort mit Verantwortlichen in Einrichtungen und Institutionen führten. Dabei wurde sehr deutlich, wo in unserem Land noch der Schuh drückt. Diese Informationen fanden ebenfalls Eingang in unseren Antrag. An dieser Stelle möchte ich auch im Namen meiner Fraktion den Gesprächspartnerinnen noch einmal Dank sagen, auch für die offenen und kritischen Worte.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Nun zum Antrag selbst. Einen Schwerpunkt bildet der Dialog mit den verantwortlichen Landkreisen. Wir sind der Auffassung, dass eine gelingende Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen

Flüchtlingen die Schaffung von Netzwerken voraussetzt. Gute Erfahrungen haben gezeigt, dass die Kooperation verschiedener Akteure, ein vor Ort passendes Aufnahmekonzept und erfolgreiche Strukturen für die Kinder und Jugendlichen von großer Bedeutung sind.

Die Jugendhilfe erhält in diesem Netzwerk die Aufgabe der Koordinierung. Dabei zielen wir darauf ab, dass beim Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen stets das Kindeswohl Vorrang hat und die Unterbringung in Einrichtungen erfolgt, die in Kommunen mit guter öffentlicher Infrastruktur und bedarfsgerechten medizinischen, sozialen sowie therapeutischen Angeboten gelegen sind.

Eine weitere unbefriedigende Situation ist die Handhabung des Altersfeststellungsverfahrens.

Das Thema spielte in den letzten Monaten eine wesentliche Rolle. Auch hierbei gibt es viele unterschiedliche Prozeduren in den Bundesländern. Besonders kritisch ist dabei die Altersfeststellung über das Röntgen der Handknochen. Hierbei herrscht eine Schwankungsbreite von bis zu drei Jahren.