Protocol of the Session on June 5, 2015

Das Thema spielte in den letzten Monaten eine wesentliche Rolle. Auch hierbei gibt es viele unterschiedliche Prozeduren in den Bundesländern. Besonders kritisch ist dabei die Altersfeststellung über das Röntgen der Handknochen. Hierbei herrscht eine Schwankungsbreite von bis zu drei Jahren.

Bei uns im Land ist das Jugendamt Harz für die Altersfeststellung zuständig. Diese erfolgt über eine Inaugenscheinnahme. Bei der Entscheidung wäre es vorteilhaft, die Expertise einer zweiten fachlich erfahrenen Person hinzuziehen zu können.

Dieser Vorschlag stammt nicht von uns, sondern ebenfalls von Fachkräften, die langjährige Erfahrung in diesem Bereich haben und sich für das Vier-Augen-Prinzip aussprechen. Das VierAugen-Prinzip ermöglicht natürlich keine 100-prozentige Sicherheit, ist aber gegenüber der derzeitigen Praxis ein wesentlicher Gewinn.

Eine weitere Forderung unseres Antrages bezieht sich auf das Erlernen der deutschen Sprache. Wir

sprechen uns dafür aus, dass bereits vor dem Beginn der Schulpflicht Maßnahmen zu organisieren sind, die „Deutsch als Fremdsprache“ als verlässliches Angebot für minderjährige Flüchtlinge ermöglichen. Dazu gab es, wie wir gestern gehört haben, den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Damen und Herren! Bereits im Dezember wurde im Landesjugendhilfeausschuss bei der Gesprächsrunde zur Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge sowohl von den Mitarbeiterinnen der Clearingstelle in Magdeburg als auch von dem Vertreter von Refugium e. V. die Schaffung einer zweiten Clearingstelle angeregt. Auch die Landesregierung hat mehrfach die Notwendigkeit einer zweiten Clearingstelle in Sachsen-Anhalt betont.

Diesen Vorschlag halten auch wir für zielführend und haben ihn in unserem Antrag aufgenommen. Als geeigneten Ort empfehlen wir die Stadt Halle, da dort bereits gute Netzwerkstrukturen vorhanden sind.

Nun noch einige Anmerkungen zum Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Schaffung lokaler Kompetenzzentren können wir mittragen. In vielen Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde diese Forderung als eine geeignete Maßnahme für die gelingende Integration von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen von Verbänden favorisiert.

Ebenfalls unterstützen wir die Erstellung von Informationsmaterial für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in altersangemessener Sprache und in Übersetzung in mehrere Sprachen.

Für eine zügige Umsetzung unserer Forderungen im Interesse der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge schlage ich Ihnen vor, über unseren Antrag direkt abstimmen zu lassen. Eine Überweisung in die entsprechenden Ausschüsse würde nur eine Zeitverzögerung zur Folge haben. Wir haben auch von den Ministern gehört, dass wir an dieser Stelle dringend eine Lösung brauchen.

Sollten sich die Fraktionen der CDU und der SPD jedoch einer Direktabstimmung verweigern, tragen wir logischerweise eine Ausschussüberweisung mit. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Frau Kollegin Hohmann, für die Einbringung. - Für die Landesregierung spricht Minister Herr Bischoff.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich verzichte jetzt auf den Beginn meiner letzten Rede,

weil das Anliegen grundsätzlich zu verfolgen ist. Aber es gibt natürlich Aktivitäten, die längst in Gang gesetzt worden sind. Mir stellt sich allerdings die Frage, Frau Hohmann - - Wo sitzt sie denn?

(Frau Hohmann, DIE LINKE, winkt)

Ich suche Sie immer dort hinten.

(Zuruf von Herrn Henke, DIE LINKE)

- Näher nach vorn rücken, das ist gut. - Also: Mir stellt sich die Frage, worum es Ihnen bei dem Antrag geht. Geht es um die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die jetzt in Sachsen-Anhalt sind, oder beziehen Sie sich auf die Situation, wie sie kommen wird? Das hat sich mir bei Ihrer Rede nicht ganz erschlossen.

Die Herausforderungen, die vor uns stehen, werden ganz andere sein als die, die wir jetzt zu bewältigen haben. Ich habe auch die Bemerkung nicht verstanden, dass es bereits Netzwerkerfahrungen gibt. Denn wir haben nur sehr wenige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in SachsenAnhalt. In Magdeburg sind es 30 oder 40; so genau weiß ich das jetzt nicht. Jedenfalls waren es immer sehr wenige. Das wird in Halle nicht anders sein. Im ländlichen Bereich sind es noch viel weniger.

Das liegt daran, dass bisher geregelt war, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in den Ländern bleiben, in denen sie ankommen. Deshalb haben die Städte Hamburg - mit Flugplatz und Hafen -, Frankfurt und München seit dem letzten Jahr, seit dem Beginn der Flüchtlingsbewegung, enorme Schwierigkeiten, die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge unterzubringen.

Von den Hamburger Kollegen wurde gesagt, dass sie nicht nur darüber nachdenken, Container zu nutzen, sondern sogar Zelte aufzubauen. Sie haben nicht mehr genügend Jugendeinrichtungen zur Verfügung. Es fehlen auch Kindergartenplätze, Pflegeeltern und Ähnliches.

Ich habe mich erst in Berlin bei der Stelle, die für Flüchtlinge zuständig ist, kundig machen müssen, weshalb so viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, also Personen unter 18 Jahren, ohne Eltern zu uns kommen. Wer schickt sie eigentlich hierher? Können sie sich selbst ins Flugzeug setzen?

Solche Fragen stellt man sich ja. Es handelt sich um junge Leute, die manchmal gar nicht wissen, ob ihre Eltern überhaupt noch leben, oder deren Eltern auf der Flucht sind. Sie werden zum Teil von anderen einfach mitgenommen, damit sie bei uns in einem sicheren Hafen landen. Es sind Kinder und Jugendliche, die traumatisiert sind und mit dem Leben nicht so gut zurechtkommen.

Ich habe vor mehr als einem Jahr in der Fachministerkonferenz eigenständig den Vorschlag ge

macht, ohne mich mit den Kollegen aus den neuen Ländern abzustimmen, diese Flüchtlinge in den neuen Ländern aufzunehmen, weil sie durchaus die entsprechenden Kapazitäten haben. Wir zahlen derzeit mehr als 17 Millionen € an die Länder, die diese Flüchtlinge aufnehmen, haben aber selbst Kapazitäten, um dies zu tun.

Ich freue mich, dass im letzten Jahr viele Träger, beispielsweise das Deutsche Rote Kreuz, kirchliche Organisationen und das Jugendherbergswerk - ich habe sicherlich viele vergessen -, die ihnen zur Verfügung stehenden Kapazitäten angeboten haben und zugesagt haben, sich um die Flüchtlinge zu kümmern.

Sie haben völlig Recht, wenn Sie sagen, dass diese Angebote gezielt angenommen werden müssen und man auf diese Strukturen zugreifen muss. Deshalb sind meine Mitarbeiter beinahe wöchentlich in den Ländern, in München, in Frankfurt und in Hamburg unterwegs, um Erfahrungen zu sammeln.

Jeder Mensch, aber besonders Kinder haben das Recht, menschenwürdig groß zu werden. Gerade für Kinder, Jugendliche und Heranwachsende, die auf der Flucht sind und die Lebensumstände hinter sich haben, die keine Zukunft versprechen, ist es ungeheuer wichtig, dass wir ihnen die Möglichkeit schenken, gut zu leben.

Diese jungen Menschen werden auch auf Dauer in Deutschland bleiben, weil sie niemanden mehr haben. Sie müssen gut ausgebildet werden und sie müssen gut groß werden, damit sie hier auf Dauer eine Heimat finden und auf Dauer, wenn sie es denn wollen, hier leben können.

Deshalb muss das Kindeswohl an erster Stelle stehen. Es ist auch erforderlich, dass in den Einrichtungen, die wir haben, bzw. in den Pflegefamilien, die sich dazu bereit erklären, familiäre und persönliche Bindungen entstehen, weil sie sie dringend benötigen, um sich entwickeln zu können.

Die Clearingstelle in Magdeburg ist die erste Anlaufstelle. Diese Clearingstelle hat schon entsprechende Erfahrungen und weiß, was gebraucht wird. Diese Stelle macht eine wirklich sehr, sehr gute Arbeit.

Mit Blick auf die Jugendämter wissen wir noch nicht genau, wie die Gerichte entscheiden. Vormünder werden durch das jeweils zuständige Gericht bestellt. Darauf haben wir keinen Einfluss. In Sachsen-Anhalt gibt es den vom Land geförderten Vormundschaftsverein Refugium e. V., der auf das Führen von Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge spezialisiert ist. Die Gerichte folgen nicht in allen Fällen der Empfehlung, die dieser Verein ausspricht.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Vereins Refugium e. V. haben jedoch bei den meisten

unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die in Sachsen-Anhalt untergebracht und betreut werden, die Vormundschaft übernommen.

Die Vormünder des Vereins Refugium e. V. sichern in Zusammenarbeit mit den Jugendämtern über die Jugendhilfe unter anderem die Möglichkeit des Schulbesuchs ab und unterstützen die Jugendlichen auch bei der Suche nach einer Berufsausbildung.

An die Kommunen sind Handreichungen verteilt worden, um den Umgang mit diesen Kindern und Jugendlichen, sofern sie auf die Kommune verteilt würden, zu unterstützen. Die dritte Auflage ist im Jahr 2010 erschienen. Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass wir die Jugendämter und die Kommunen vor Ort rechtzeitig informieren müssen.

Ich wäre dankbar, wenn dieser Antrag an den Ausschuss überwiesen wird und heute nicht direkt darüber abgestimmt wird, weil die darin enthaltenen Vorschläge teilweise bereits überholt sein könnten; denn der Bund plant, eine Änderung im SGB VIII vorzunehmen, um das Bundesprogramm „Willkommen bei Freunden“ gemeinsam mit den Kinder- und Jugendstiftungen umzusetzen.

Die Mitarbeiter von sechs regionalen Servicebüros sollen konkrete Angebote erhalten, die sie vor allem bei der Etablierung lokaler Bündnisse als Behördenverein und der Bildung von Flüchtlingseinrichtungen vor Ort unterstützen.

Als Land haben wir derzeit keinen Einfluss auf dieses Programm und arbeiten daran auch nicht mit. Wir sind gespannt, was der Bund tut, und begrüßen diese Initiative.

Ein schwieriger Punkt - das wird nicht alle interessieren - ist die Finanzierung; denn zurzeit haben die Länder diese Angebote im Nachhinein mit finanziert. Zu Beginn haben wir 4 Millionen € dafür bezahlt; nunmehr sind es 17 Millionen €.

Wenn die Kinder und Jugendlichen künftig nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt werden, dann muss auch die Finanzierung geregelt werden und dann muss auch das, was wir jetzt im Nachhinein zahlen, verrechnet werden. Sonst ist damit eine doppelte Belastung verbunden. Zudem muss sichergestellt werden, in welcher Form die Gelder an die kommunale Ebene ausgereicht werden.

Deshalb bin ich etwas unsicher, ob die Forderung, eine zweite Clearingstelle einzurichten, jetzt sinnvoll ist. Man sollte erst einmal abwarten, was der Bund mit Blick auf die Strukturen vorschlägt. Was dann zu tun ist, sollte man entscheiden, wenn der Gesetzentwurf zum SGB VIII vorliegt.

Wenn dieser Antrag oder ein ähnlicher Antrag noch einmal im November oder Dezember 2015 gestellt werden würde, dann wären wir mit Sicherheit weiter, weil die Verteilung nach dem König

steiner Schlüssel wahrscheinlich ab 1. Januar 2016 praktiziert wird. Bis dahin wird man sich auch über die Finanzierung im Klaren sein.

Im Augenblick arbeiten wir mit allen Beteiligten, also mit den Kommunen und dem Landkreistag, daran, möglichst schon jetzt die Strukturen zu schaffen, damit die Kinder und Jugendlichen dort rechtzeitig und gut ankommen.

Sie haben auf zwei Probleme hingewiesen. Wir benötigen für die Kinder im Kindergartenalter gute Möglichkeiten. Dies ist übrigens nicht ganz so schwierig, weil sie die Sprache am schnellsten lernen - in den Kindertageseinrichtungen meist schon nach einem Vierteljahr. Darüber hinaus müssen wir die Erzieherinnen und Erzieher vorher informieren, weil der Umgang mit dem kulturellen Hintergrund der Eltern im Vordergrund stehen muss.

Für die schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen muss in der Schule Deutschunterricht angeboten werden. Das unterstütze ich. Schwieriger ist es bei denjenigen, die nicht mehr schulpflichtig sind, also den 16,- 17- oder 18-Jährigen.

Diese Jugendlichen müssen wirklich in Ausbildung kommen und sie dürfen auch nicht in den ländlichen Räumen - das ist meine Ansicht - untergebracht werden, wo sie dann nichts zu tun haben. Wenn 16-, 17- oder 18- Jährige, die voller Tatendrang stecken, nichts zu tun haben, dann machen sie Unsinn. Das ist auch die Altersgruppe, die am meisten Schwierigkeiten macht. Man muss sie deshalb in Ausbildung bringen, damit sie jeden Tag etwas zu tun haben. Sie wollen es auch; denn es ist nicht so, dass man sie dort hinbringen müsste. Vielmehr sind sie hochmotiviert. Wir haben an dieser Stelle genügend zu tun.

Ich glaube aber, dass gerade Sachsen-Anhalt mit den vorhandenen Strukturen gut aufgestellt ist und eine echte Zukunftsperspektive für die Betroffenen und auch für unser Land bietet.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)