Protocol of the Session on April 24, 2015

Der 8. Mai führt uns besonders eindringlich vor Augen, dass ein Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand keine Selbstverständlichkeit ist. Eine entscheidende Lektion aus den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, das so viel Leid und Elend gesehen hat, ist die uneingeschränkte Achtung der persönlichen Menschenrechte und einer auf das Völkerrecht gegründeten Friedensordnung in Europa. Oder, wie es der verstorbene Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Jahr 1985 in seiner historischen Rede treffend gesagt habe - ich zitiere- :

„Es gibt keine endgültig errungene moralische Vollkommenheit, für niemanden und für kein Land. Wir haben … gelernt, wir bleiben als Menschen gefährdet. Aber wir haben die Kraft, Gefährdungen immer von Neuem zu überwinden.

Lassen Sie auch uns als demokratisch gewählte Politiker dies beherzigen und ein Beispiel geben. Ehren wir die Freiheit. Arbei

ten wir für den Frieden. Halten wir uns an das Recht. Dienen wir unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit.“

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Schröder, es gibt zwei Nachfragen. - Herr Gallert, wollten Sie als Fraktionsvorsitzender sprechen oder eine Nachfrage stellen?

(Herr Gallert, DIE LINKE: Eine Nachfrage!)

- Gut. Bitte sehr.

Herr Schröder, wir haben an verschiedenen Stellen differente und sich widersprechende Auffassungen. Das ist aber nicht mein Problem. Ich möchte gern noch einmal Ihre Position erfragen. Sie haben die Situation nach dem 8. Mai 1945 im Osten Deutschlands und in Osteuropa geschildert. Wenn ich mir Ihre Schilderung in Erinnerung rufe, die Sie eben gebracht haben, bedeutet es dann, dass Sie sagen, dieser Teil ist nicht befreit worden, weil das, was danach kam, wesensgleich mit dem war, was es vorher gab?

(Herr Borgwardt, CDU: „Wesensgleich“ hat er nicht gesagt!)

Herr Kollege Gallert, danke für die Möglichkeit, das noch einmal klarzustellen. Ich bin allerdings der Ansicht, dass ich das ziemlich klar gesagt habe. Der 8. Mai 1945 markiert nicht nur das Ende des Zweiten Weltkriegs, sondern auch eine Befreiung vom Terrorregime, von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Daran ändert nichts, dass die Hoffnungen vieler auf neue Freiheit in Teilen Europas und auch Deutschlands abermals enttäuscht worden sind.

(Herr Scheurell, CDU: Leider!)

Das ist keine Gleichsetzung; das will ich auch an dieser Stelle noch einmal deutlich sagen. Es markiert die Aufgabe, dass man neben dem Gedenken und dem Zurückschauen auch die Aufgabe sieht, die wir jetzt haben, das Arbeiten an Frieden und Wohlstand und das Festhalten an den Grundaussagen von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.

(Beifall bei der CDU - Herr Schröder, CDU, verlässt das Rednerpult)

Kollege Schröder, es waren zwei Nachfragen. - Kollegin Bull, bitte.

Herr Kollege Schröder, stellen Sie sich vor, ich wäre Ihnen bei der Debatte über den 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, mit wirtschaftspolitischen Erwägungen gekommen. Sie hätten mich der Kleingeistigkeit bezichtigt und, ich denke, Sie hätten Recht gehabt.

(Beifall bei der LINKEN)

Der 8. Mai, bei aller Wertschätzung der deutschen Einheit, hat mindestens die gleiche historische Dimension. Im Übrigen will ich Ihnen sagen: Politik heißt nicht gleich Wirtschaftsförderung und ist nicht darauf zu reduzieren. Ihre Äußerungen, ihre Abwägungen aus dieser Perspektive stehen für Kleingeistigkeit und offenbaren einen Tunnelblick.

(Beifall bei der LINKEN - Frau Brakebusch, CDU: Das war keine Frage!)

Liebe Kollegin Frau Bull, ich habe mich in dieser Rede noch sehr zurückgehalten.

(Heiterkeit bei der CDU - Herr Striegel, GRÜ- NE: Stimmt! Gestern war's schlimmer!)

Das ist ja Ihr Thema gewesen zu sagen: Diese Landespolitik, diese Koalition kann keine Wirtschaft. Die Arbeitslosenquote ist zwar zurückgegangen, die Wirtschaft ist gewachsen, die Bruttolöhne auch, aber es hätte alles viel mehr sein können. Dann bringen Sie wenige Tage später diesen Antrag ein. Ich glaube, das war ursprünglich auch einmal eine Forderung der Linksjugend in Sachsen-Anhalt; ich habe das zumindest auf einer Homepage gelesen. Die haben noch viel weitergehende Forderungen, die möchte ich jetzt nicht erwähnen.

Mir fiel nur dieser widersprüchliche Populismus auf, den Sie da haben:

(Beifall bei der CDU - Herr Borgwardt, CDU: Richtig!)

Eine zusätzliche Arbeitsruhe verordnen, regional, nur für Sachsen-Anhalt, am Tag eines Gedenkens - darin sind wir uns ja einig -, den wir als deutschlandweiten Gedenktag brauchen und für richtig halten, eine Insellösung für Sachsen-Anhalt, hier zusätzliche Arbeitsruhe zu verordnen,

(Zuruf von Frau Bull, DIE LINKE)

aber gleichzeitig die angeblich zu geringe Wirtschaftskraft dieses Landes zu kritisieren, darauf wollte ich, mit Verlaub, nur noch einmal hinweisen, dass das natürlich nicht sein kann. Sie mögen es als kleingeistig empfinden, dass wir Ihre Widersprüche gelegentlich auch einmal ansprechen.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

Sie erweisen dem deutschlandweiten Gedenktag einen schlechten Dienst, wenn Sie das miteinander verbinden.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Gallert als Fraktionsvorsitzender? - Bitte sehr.

Herr Schröder, der Vorwurf ging ja offensichtlich auch ein Stück weit an mich persönlich, deshalb habe ich mich noch einmal gemeldet.

Erstens. Was wir mit diesem Antrag machen wollen, ist, eine gesellschaftliche Debatte über die Bedeutung des 8. Mai anzustoßen. Ich sage noch einmal ganz deutlich: Wir sehen einen substanziellen Unterschied zwischen dem 8. Mai und dem 27. Januar. Natürlich war auch der 27. Januar ein Tag der Befreiung; denn er ist im Grunde genommen ein symbolisches Datum für den Schock der gesamten Zivilisation des 20. Jahrhunderts, nämlich der Offenbarung eines industriellen Massenmordes, und er kann kein Feiertag im engeren Sinne sein. - Punkt 1.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zweitens. Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er war zumindest ein Tag des Sieges und des Jubels derjenigen, die durch den Nationalsozialismus an den Rand gedrängt wurden, physisch und psychisch bedrängt wurden, und es war ein Tag der Befreiung für die wenigen, die diesen Terror überlebt haben. Daran wollen wir erinnern. Das ist ein Tag der Befreiung, deshalb ist es auch ein Feiertag und nicht nur ein Gedenktag. Darin besteht der Unterschied.

Drittens. Natürlich kann man bei Feiertagen immer über solche Dinge wie die diskutieren, welche wirtschaftlichen Auswirkungen sie haben. Aber - das hat auch Frau Bull gerade sehr deutlich gesagt - das Argument kommt doch immer dann, wenn derjenige, der es bringt, meint, der Anlass sei es nicht wert. Darin, so stellen wir fest, unterscheiden wir uns, Herr Schröder.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Herr Gallert, es gibt eine Nachfrage. - Herr Gürth.

Kollege Gallert, ich habe nur zu einem speziellen Begriff eine Nachfrage - ich möchte das auch nicht volkswirtschaftlich diskutieren -, zur Frage der Feiertage im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. Der Antrag auf die Aktuelle Debatte und auch der Wunsch, das Sonn- und Feiertags

gesetz zu ändern, werden mit dem Begriff „Befreiung vom Faschismus“ begründet.

Nun habe ich darüber sehr viel gelesen, und bei all dem, was ich an wissenschaftlichen Stellungnahmen zu dieser so schlimmen Zeit in der Zivilisation im 20. Jahrhundert erfahren musste: Das Wort „Faschismus“ allein, so sagen viele Wissenschaftler, verkürzt die historischen Tatsachen, indem es den Holocaust und dessen Singularität unter den Tisch fallen lässt. Es relativiert so den Nationalsozialismus, indem es ihn in eine Reihe mit anderen faschistischen Regimen stellt.

Es gibt sehr viel Literatur, die das ebenso sieht. Dort wird dies mit mehreren Aspekten begründet, aber einer ist ganz besonders hervorzuheben, weil er auch die Schwere der Schuld der Deutschen und vor allem die Verantwortung für diese Schuld, die wir von unseren Vorfahren übernommen haben, klarer beschreibt, nämlich: Der Nationalsozialismus, von dem Europa befreit wurde, hatte diesen Wahnwitz an biologisch-rassistischer Ideologie, der so im Faschismus nicht ausgeprägt und schon gar nicht begründet war.

Weil dies unglaublich oft auch von vielen Wissenschaftlern beschrieben wurde, stellt sich mir und vielen anderen die Frage, warum, wenn man dieses Anliegen hat, „Faschismus“ und nicht „Nationalsozialismus“ als Begriff verwendet wird.

Gut, Herr Präsident. Genau über solche Fragen kann man tatsächlich diskutieren. Es gibt ganz verschiedene Ansätze. Zum Ersten ist es natürlich so, dass diese größte zivilisatorische Katastrophe des 20. Jahrhunderts nicht auf Deutschland isoliert geblieben ist. Auch der Nationalsozialismus in Deutschland war im 20. Jahrhundert nur möglich, weil er sich insgesamt in eine Entwicklung der hochentwickelten kapitalistischen Industrienationen eingliederte, die sich zu autoritären Diktaturen mit rassistischen Positionen entwickelt haben.

Sie haben völlig Recht, man kann über eine Ausnahme diskutieren: die rassistische Position der japanischen Faschisten gegenüber China bei der Besetzung Chinas. Aber ansonsten gab es in keinem anderen faschistischen System diese Ausprägung von Rassismus und industriellem Massenmord.

Aber - auch das können Ihnen Historiker sicherlich belegen - es hätte diese Entwicklung isoliert in Deutschland so nicht geben können, wenn sie nicht durch eine Reihe von Entwicklungen flankiert wäre, nicht nur, aber vor allem auch in hochentwickelten europäischen Industrienationen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Deswegen muss man überlegen, ob der Zweite Weltkrieg, bei dem es ja nicht nur um Deutschland

ging, sondern auch um andere - allerdings zu einem anderen Zeitpunkt beendet - - Es ging natürlich auch um faschistische Staaten.

Zum Zweiten gibt es natürlich dieses Abgrenzungsproblem. Darüber kann man wirklich diskutieren. Man könnte zum Beispiel den Begriff des deutschen Faschismus definieren, der die besondere Rolle Deutschlands an dieser Stelle noch einmal erwähnt und abgrenzt. Dann haben Sie das Begriffsproblem immer noch nicht vollständig gelöst, weil Sie sagen: Okay, es war der deutsche Faschismus. Aber Sie haben in diesem Begriff nicht explizit die spezifische Ausformung.

„Hitler-Faschismus“ geht nicht, das hat Frau Bull vorhin gesagt; denn das personifiziert das System auf eine Person - was in den letzten 70 Jahren fast überall eine ganz bequeme Entlastung gewesen ist.