Protocol of the Session on April 24, 2015

Überlebende Kriegsgefangene aus der Sowjetunion, drei Millionen Angehörige der Sowjetarmee waren in sogenannten Russenlagern interniert, haben bis heute keine Entschädigung erhalten; hier wären wir gefordert.

Auch im Hinblick auf die Länder, die von Deutschen besetzt wurden, hat unser Land noch immer Ausstände. Ich erinnere an die noch strittigen Entschädigungen für Massaker, die Deutsche der griechischen Zivilbevölkerung angetan haben, oder an die nicht zurückgezahlten Zwangsanleihen, die das nationalsozialistische Deutschland den Griechen abpresste.

70 Jahre Kriegsende, 70 Jahre Tag der Befreiung sind auch eine Zäsur. Wir erleben - mit wenigen Ausnahmen - ein letztes Jahrzehnt Gedenken unter Beteiligung der Opfer und der Täter.

Als Landtag haben wir das Sterben der Zeitzeugen gerade unmittelbar selbst betrauern müssen, als mit Buddy Elias der letzte noch lebende Verwandte von Anne Frank starb.

Die kraftvollen, unmittelbaren Erfahrungen, das unmittelbare Erleben und das daraus resultierende authentische Beschreibenkönnen dieser Generation werden uns fehlen.

Will Erinnerung nicht zur hohlen Floskel werden - meine Generation kann sich an den Nationalsozialismus nicht erinnern -, heißt das - um mit den Worten des Historikers Norbert Frei zu sprechen -, Erinnerung aus der bloßen Praktik zu einer Erinnerung als Bewusstseinsinhalt zu entwickeln.

Gerade diese Erinnerung als Bewusstsein lässt mich skeptisch auf den Antrag der LINKEN schauen, den 8. Mai als neuen gesetzlichen Gedenktag zu etablieren. Denn um noch einmal mit den Worten von Norbert Frei zu sprechen - Zitat -:

„Die Thematisierung des Nationalsozialismus als solchem bedeutet zunächst einmal gar nichts. Kritisch wird sie erst, wenn man Kernelemente der NS-Verbrechen wie Demokratieverachtung, Antisemitismus, biologisch-politische oder nationalsozialistisch begründete Überlegenheits- und Machtansprüche für eine nach wie vor bestehende historische Möglichkeit hält.“

Die Ereignisse von Insel, als zwei Menschen von einem Mob vertrieben werden sollten, die rassistischen Demonstrationen der Pegida-Bewegung und ein gesellschaftliches Klima, in dem Angriffe auf Flüchtlinge sowie Brandanschläge und andere Attacken auf entstehende und bereits vorhandene Unterkünfte für Asylbewerberinnen und Asylbewerber wieder möglich sind, lassen uns ahnen, dass der Lack der Zivilisation dünn geworden ist - und vielleicht nie dicker war.

Rassismus und die menschenfeindlichen Ausgrenzungsbestrebungen der Mitte weisen darauf hin, dass es einer praktischen Erinnerung bedarf, die sich nicht so sehr an Gedenktagen, sondern an konkreter politischer Praxis und Zivilcouragiertentum zeigt.

70 Jahre Tag der Befreiung - dieses Datum sollte uns auch gemahnen, dass auch das europäische Friedensprojekt keine Selbstverständlichkeit ist. Man mag die Europäische Union nicht für perfekt halten. Man mag ihre immer noch mangelnde demokratische Komponente, ihr zu schwaches Parlament beklagen. Man mag über einzelne überbordende europäische Regularien lästern: Man muss die menschenfeindliche Abschottungspolitik der europäischen Nationalstaaten nach außen kritisieren und aufs Schärfste bekämpfen.

Nur sollten wir die unglaubliche friedenstiftende Kraft der europäischen Ideen gerade in diesen Tagen nicht aus den Augen verlieren. Wir sind auch und besonders als Deutsche dabei, dieses große Projekt durch nationalstaatliche Arroganz und Egoismus zu beschädigen.

Man hätte, um es mit den Worten von Robert Menasse zu sagen, „es nicht mehr für möglich gehalten, dass in Deutschland so schnell, so wirksam, so fanatisch ein Feindbild produziert werden kann, das vom Industriellen bis zum Hartz-IV-Empfänger nahezu alle in nationalistischem Hass zu einer Volksgemeinschaft vereint, die mit allen Mitteln den fremden Parasiten Griechenland bestrafen will, der am gesunden deutschen Volkskörper schmarotzt.“

Wenn uns die innereuropäische Solidarität verloren geht, wenn Politik auf „Bild“-Zeitungsniveau samt Kampagnen gegen ganze Länder und deren Stigmatisierung wieder möglich werden, dann droht uns auch der Verlust des Friedensprojekts Europa.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Gerade heute, in einer Welt, in der Kriege und internationale Konflikte wieder zunehmen, sind wir aufgerufen, an diesem europäischen Projekt weiter zu bauen und nicht neue Feindbilder in Europa zu produzieren.

Dass Frieden in Europa und in der Nachbarschaft zur Europäischen Union keine Selbstverständlichkeit ist, erfahren wir gerade wieder im Krieg um die Ukraine. Zu vermitteln, zu verhandeln und nach Lösungen zu suchen, ohne die Annexion ukrainischer Gebiete durch Russland einfach hinzunehmen, ist eine schwierige Aufgabe. Sie bedeutet auch, die Gesprächsfäden zur russischen Seite niemals abreißen zu lassen und jede Chance zu nutzen, die eine Rückkehr zum Frieden ermöglicht.

Europa muss Ausgleich und Frieden auch mit Russland suchen. Es darf dies aber kein Friede sein, der zulasten anderer, zum Beispiel zulasten der Ukraine, geht.

Meine Damen und Herren! Der 8. Mai darf als Tag der Befreiung nie zur bloßen Gedenkroutine werden. Seine Bedeutung wird erst spürbar, wenn aus der Erinnerung praktische Verpflichtung für das heutige Handeln wird.

Die Befreiung vom Nationalsozialismus ist als Geschenk, das uns die alliierten Soldatinnen und Soldaten machten, nichts Endgültiges. Heute danken wir für dieses Geschenk, das ein demokratisches Deutschland und ein Europa in Frieden erst ermöglicht hat. Als Generation der Nachgeborenen sind wir uns der Verantwortung bewusst, die das Geschenk der Befreiung vom Nationalsozialismus bedeutet. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der LIN- KEN und von Herrn Miesterfeldt, SPD)

Danke sehr, Kollege Striegel. - Für die CDU-Fraktion spricht der Fraktionsvorsitzende Herr Schröder.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 8. Mai 1945 markierte nicht nur das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Er begründete auch die Chance eines

Neuanfangs am Ende eines unglaublichen Irrwegs in der deutschen Geschichte.

Am 8. Mai 1945 hätte niemand zu träumen gewagt, dass dies auch der Anfang der längsten Friedensperiode in der jüngeren deutschen Geschichte war und dass unser Land heute weltweit wieder Ansehen und Sympathie genießt. Deutschland ist heute in freier Selbstbestimmung und mit der Zustimmung all seiner Nachbarn wiedervereint. Gerade im Rückblick auf die Erfahrungen in der Vergangenheit haben wir, denke ich, allen Grund, dafür dankbar zu sein.

Viele haben zu dem Vertrauen beigetragen, das Deutschland heute wieder entgegengebracht wird. Dazu gehörte vor allem die Generation, die unser Land aus den Trümmern der vergangenen Tragödien wieder aufbaute. Mit Dankbarkeit erinnern wir uns daran, wie ehemalige Kriegsgegner wieder zu Freunden wurden.

Heute ist der 8. Mai für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an das unermessliche, millionenfache Leid der Menschen und zugleich ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte.

Der 8. Mai war ein Tag - die Vorredner haben es gesagt - der Befreiung vom menschenverachtenden System des Nationalsozialismus. Er war ein Tag, der zugleich den Keim für eine bessere Zukunft in sich barg.

Es ist mein Anteil an der heutigen Debatte, auch auf die Wahrheit hinzuweisen, dass in großen Teilen Deutschlands und Europas diese Hoffnung auf neues Recht und neue Freiheit sehr schnell bitter enttäuscht wurde. Unser Vaterland, unser Kontinent wurden geteilt. Freiheit und Demokratie konnten diesseits des früheren Eisernen Vorhangs erst vor 25 Jahren verwirklicht werden.

Zwischen 1945 und 1989 wurden die Staaten in der östlichen Hälfte des Kontinents gewaltsam in sozialistische Gesellschaften verwandelt. Die Niederschlagung des Arbeiteraufstandes in Ostberlin im Jahr 1953, des ungarischen Volksaufstands im Jahr 1956 und das Niederwalzen des Prager Frühlings im Jahr 1968 durch russische Panzer stehen nur symbolhaft für den totalitären Herrschaftsanspruch der von Moskau aus gelenkten kommunistischen Parteien.

Ehemalige Konzentrationslager wurden als sogenannte Speziallager weiter genutzt. Sportvereine, Krankenhäuser, Universitäten, Sammellager, außerschulische Freizeitbeschäftigungen, Museen, Musik, die gesamte Gesellschaft unterstanden über Jahrzehnte hinweg diesem Herrschaftsanspruch einer Staatspartei.

Die Machthaber gingen nicht nur gegen Nazis, einstige Nazis oder Regimegegner vor, sondern gegen alle, die ihrem Anspruch auf diese Herrschaft ge

fährlich werden konnten. Am 31. Juli 1945 verbot zum Beispiel die sowjetische Militäradministration alle nicht registrierten Organisationen. Von diesem Zeitpunkt an mussten alle Gruppen und Vereine in der sogenannten Ostzone eine ausdrückliche Genehmigung für ihre Existenz erhalten.

Archivfunde und Forschungsarbeiten belegen, wie wichtig die Verfolgung bürgerlicher Aktivitäten für die damaligen Kommunisten war. Es handelte sich nicht nur um Massengewalt, sondern auch um selektive Gewalt, die sorgsam auf die Elite abzielte, ob Intellektuelle, Geschäftsmänner, Geistliche oder Polizisten. Vor allem zielte die Gewalt auf jene, die in der Lage waren, sich zu organisieren. Folglich waren auch Pfadfinder, Freimaurer und kirchliche Jugendgruppen frühe Opfer des damaligen Regimes.

Ich will an dieser Stelle sagen, dass es Bestrebungen einzelner Bundesländer gibt, den 17. Juni zu einem allgemeinen Gedenktag für die Opfer der SED-Diktatur zu machen. Ich begrüße diesen Vorstoß ausdrücklich.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist eine verbundene Debatte. Die Fraktion DIE LINKE fordert, dass für die Bürgerinnen und Bürger Sachsen-Anhalts der 8. Mai eines jeden Jahres als Tag der Befreiung vom Faschismus ein staatlich anerkannter Feiertag werden muss, an dem die allgemeine Arbeitsruhe gilt. Warum man an diesem Tag, der in ganz Deutschland ein Gedenktag ist, regional, allein für Sachsen-Anhalt Arbeitsruhe verordnen will, bleibt der Antrag schuldig.

In der DDR wurde der 8. Mai nur bis zum Jahr 1966 und dann einmalig im Jahr 1985 als Feiertag begangen, ansonsten nicht.

Ich weiß, dass wir uns in der täglichen Auseinandersetzung oft im Rollenspiel hier im Parlament vor Augen führen, wer für die Entwicklung des Landes die besseren Rezepte hat. Bei der Nominierung des Spitzenkandidaten Herrn Gallert war ein Schwerpunkt die Wirtschaftsentwicklung im Land. Sie ist positiv, hätte aber vielleicht noch positiver sein können und müssen. Die Antwort auf diesen Parteitag ist dieser Antrag heute, der ganz unbestritten eine Absenkung des Bruttoinlandsprodukts nach sich ziehen und die Wirtschaftskraft im Land schwächen würde.

(Unruhe bei der LINKEN)

Ich denke, dass man mit diesem Antrag hier dem Anliegen des politischen Gedenkens eigentlich einen politischen Bärendienst erweist. Sie sind mit diesem Antrag in diesem Hohen Haus isoliert, und das ist gut so.

(Zustimmung bei der CDU - Frau Bull, DIE LINKE: Sie sind mit Ihrer Rede isoliert!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 8. Mai 1945 ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Ohne dass es eines gesetzlichen Feiertags bedarf, finden an den Jahrestagen der Befreiung von Bund und Land mitfinanzierte Gedenkveranstaltungen statt. Dies bezieht selbstverständlich auch die KZ-Gedenkstätten mit ein.

Ich möchte heute eine Gruppe nennen, die in den Reden noch gar nicht genannt worden ist, die ich aber gern mit einbeziehen möchte. Ich empfinde es auch heute noch als eine besondere historische Leistung, dass sich die Heimatvertriebenen früh zu einem Gewaltverzicht bekannt haben.

(Frau Tiedge, DIE LINKE: Was?)

Aus der erzwungenen Wanderschaft von Millionen Deutschen sollte kein neues Unrecht erwachsen - ein frühes Bekenntnis, dass auch ein wieder zu Kräften kommendes Deutschland an diesem Gewaltverzicht festhält, dass Menschen dort, wo sie das Schicksal nach dem 8. Mai 1945 hingetrieben hat, Sicherheit für ihre Zukunft haben.

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Wechseln wir das Thema!)

Das ist aus meiner Sicht auch heute noch ein großer menschlicher Beitrag der Heimatvertriebenen zur europäischen Friedensordnung von heute.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Mi- nisterpräsident Herrn Dr. Haseloff)

Nie gab es auf deutschem Boden einen besseren Schutz der Freiheitsrechte als heute. Ein dichtes soziales Netz sichert die menschenwürdige Existenz. Viele Länder auf dieser Welt beneiden uns darum.

Der 8. Mai führt uns besonders eindringlich vor Augen, dass ein Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand keine Selbstverständlichkeit ist. Eine entscheidende Lektion aus den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, das so viel Leid und Elend gesehen hat, ist die uneingeschränkte Achtung der persönlichen Menschenrechte und einer auf das Völkerrecht gegründeten Friedensordnung in Europa. Oder, wie es der verstorbene Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Jahr 1985 in seiner historischen Rede treffend gesagt habe - ich zitiere- :