Herr Erben, eine kurze Vorbemerkung. Um die Differenzen zwischen den Koalitionspartnern oder zwischen der SPD-Fraktion und der Landesregierung aufzudecken, hätten wir diese Aktuelle Debatte nicht beantragen müssen. Das machen Sie ganz allein. Dazu brauchen Sie uns nicht.
Ich möchte eine fachliche Frage stellen, und zwar gehen auch Sie offensichtlich von den Zahlen 5 770 und 5 600 für die Jahre 2016 und 2019 aus und meinen, diese auf 6 000 aufzufüllen mit frei
willig Längerdienenden werde wohl nicht gelingen. So habe ich Sie verstanden. Diesbezüglich teile ich übrigens Ihre Meinung.
Ich möchte Sie aber mit folgender Rechnung konfrontieren. Wir glauben nämlich, selbst die 5 770 und die 5 600 sind viel zu optimistisch, einmal abgesehen davon, dass Sie gesagt haben, durch die Aufstockung in der Ausbildung um 50 pro Jahrgang über sechs Jahre gibt es nachher 700 Polizisten mehr als vorher im PEK. Das funktioniert so nicht. Aber das können Sie selbst aufklären.
Mein Problem ist ein ganz anderes: Wir haben mit dem Haushaltsbegleitgesetz gesagt, es gibt die Altersteilzeit für Polizisten. Diese Rechnung geht nur auf, wenn es nicht eine einzige Altersteilzeit für Polizisten mehr gibt, also wenn wir über aktive Dienste reden. Damit haben wir schon einmal das erste Risiko; denn die Altersteilzeit kann eingeklagt werden; wir haben nämlich mit dem Gesetz beschlossen, dass es diese Möglichkeit gibt.
Zweitens. Diese Zahl geht davon aus, dass jeder, der die Ausbildung in Aschersleben beginnt, nachher auch in den Polizeidienst kommt. Wir wissen, dass das nicht funktioniert.
Weiterhin geht diese Zahl davon aus, dass die Fluktuation im Bereich der Polizei deutlich unter dem Niveau liegt, das wir in den letzten Jahren hatten. Da sagen wir: Wenn es keine Altersteilzeit mehr gibt, dann seht euch bitte einmal um, wie die Fluktuation ansteigen wird.
Wir glauben ausdrücklich, dass diese Zahlen von 5 770 und 5 600 zwar auf dem Papier stehen, aber selbst mit 200 beginnenden Ausbildungen pro Jahr in Aschersleben nie erreicht werden.
Aufgrund der Beantwortung Ihrer Fragen verlängert sich meine Redezeit enorm. Ich will erst einmal zu den Zahlen etwas sagen. Wenn ich jetzt von Ihnen die Zahl 5 777 höre, dann reden Sie wahrscheinlich über das PEK - Vollzug plus Polizei -, darüber, was darin als Zielzahl formuliert ist. Das sind nämlich rund 5 000, eigentlich 4 919.
- Also ich kenne nur die Zahl 5 777. - Die Zahl 5 600 rechnet sich wie folgt - - Gerade in der Fraktion DIE LINKE werden die Personalstandsberichte sehr intensiv gelesen.
Meines Wissens wird sowohl von den LINKEN als auch vom Landesrechnungshof immer thematisiert: Das mit den Zielzahlen, die ihr da aufschreibt, ist alles ganz nett; aber seht euch einmal die wirkliche Entwicklung an, aus der könnt ihr erkennen, dass man bei den 4 919 oder 5 000 nie ankommen wird.
Das heißt, im Jahr 2019 werden deutlich mehr Polizeivollzugsbeamte im aktiven Dienst sein, als es die Zielzahl des PEK aussagt. Die Landesregierung räumt das auch offen ein. Sie schreibt das in ihren Personalstandsberichten.
Wenn Sie das zugrunde legen, was sich sowieso ergibt, nämlich diejenigen, die heute schon da sind, plus die erhöhten Neueinstellungszahlen ab 2017 - die Anwärterzahlen im Jahr 2014 sind ja der Einstellungskorridor im Jahr 2017 -, dann kommen Sie am 31. Dezember 2019 bei etwa 5 600 heraus, allein durch diese Maßnahme. Dabei wird unterstellt, dass, wenn ich es richtig im Gedächtnis habe, jährlich 30 Polizeibeamte aus unterschiedlichsten Gründen aus dem Dienst ausscheiden, die nicht bis zum 2020 sowieso den Dienst verlassen würden. Das sind mannigfaltige Gründe. Aber Sie können immer etwa von 30 ausgehen.
Zur Altersteilzeit. Ich weiß, das wird jetzt nicht auf wahnsinnig viel Zustimmung auch bei den Gewerkschaften stoßen, aber es ist natürlich so: Wenn wir die Polizisten brauchen, dann können sie nicht zu Hause bleiben. Das gilt im Übrigen auch für Lehrer.
(Frau Budde, SPD: Ja! - Herr Gallert, DIE LINKE: Dann hätten wir das Gesetz nicht beschließen dürfen!)
Wenn wir als Land auf der einen Seite beklagen, dass wir die Leute nicht haben, dann muss bis zur gesetzlichen Altersgrenze gearbeitet werden.
Wir werden nicht alles hinbekommen können. Wir können nicht mehr Leute ausbilden, einen höheren Personalbestand anstreben und dann auch noch die Altersteilzeitregelungen von 2005 oder 1999 aufrechterhalten.
Danke schön. Weitere Nachfragen gibt es nicht. - Wir fahren in der Aussprache fort. Als Nächster spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Abgeordneter Striegel.
„Es ist vornehmste Aufgabe des Staates, die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger, ja, aller Einwohnerinnen und Einwohner des Landes zu garantieren. Es ist Aufgabe des Staates, Daseinsvorsorge zu leisten. Es ist staatliche Pflicht, für die vorgenannten Auf
gaben die notwendigen Finanzmittel bereitzustellen und die öffentlichen Haushalte so nachhaltig zu finanzieren, dass noch morgen und übermorgen die Menschen gern und auch sicher in Sachsen-Anhalt leben wollen.“
Meine Rede vom September 2013, aus der ich hier zitiere, könnte ich heute noch einmal halten. Sie ist trotz der inzwischen mehr als zwei Jahre andauernden Diskussion um eine Polizeistrukturreform weiterhin aktuell. Denn: Diverse Kabinettsvorlagen, Krisengespräche, Pressekonferenzen, dokumentiert in Hunderten Presseartikeln und kommentiert in einer Vielzahl von Leserbriefen, können nicht darüber hinwegtäuschen: Wir sind im Land in Sachen einer echten Reform der Polizeistruktur faktisch nicht wirklich weitergekommen.
Dabei gäbe es durchaus Handlungsbedarf; denn die aktuelle Polizeistruktur, absehbare Personalveränderungen und das von der Landesregierung beschlossene Personalentwicklungskonzept sind einfach nicht übereinanderzubringen. Das ist hier, glaube ich, von allen Vorrednern deutlich gemacht worden.
Die missglückte und nun zu einer Fortentwicklung der Polizeistruktur eingedampfte Polizeireform krankt an vielem, und sie steht symptomatisch für das Handeln dieser Regierung. Sachsen-Anhalts Polizei wird sich mit oder ohne Personalentwicklungskonzept in den kommenden Jahren rasant verändern, und das gefährdet am Ende die Handlungsfähigkeit dieser Polizei.
Hunderte Polizistinnen und Polizisten scheiden altersbedingt aus. Diese Abgänge können schon zahlenmäßig nicht durch Neueinstellungen ersetzt werden. So viele Polizistinnen und Polizisten könnten wir in Aschersleben gar nicht ausbilden, das ist klar.
Zudem macht das Personalentwicklungskonzept dieser Landesregierung Vorgaben zum Stellenabbau. Diese sind unrealistisch, weil sich mit 5 000 Polizeivollzugsbeamten, wie vom PEK für das Jahr 2019 gefordert, in einem Land von der Größe und der Struktur Sachsen-Anhalts eben kein Staat machen lässt. Da hilft es auch nicht, wenn auf dem Papier zwar weiterhin Polizeidienststellen in allen Teilen des Landes bestehen, hinter den Türschildern aber keine Beamtinnen und Beamten mehr sitzen, die zum Einsatz ausrücken können; der Kollege Erben hat darauf verwiesen.
Es ist ein Verdienst des Innenministers, dass er diesen Widerspruch zwischen Realität und Personalentwicklungskonzept erkannt hat und schon jetzt gegensteuern wollte. Ich bedauere, dass die Reformüberlegungen der Koalition zerrieben wurden und von den ursprünglichen Plänen zur Ver
Über die vom Innenminister Anfang 2013 vorgelegten unterschiedlichen Organisationsmodelle ließ sich trefflich streiten. Meine Fraktion hat hier ihre grundsätzliche Präferenz für eine schlanke Struktur mit einer Polizeidirektion deutlich gemacht.
Zentral aber wäre gewesen, dass diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen zunächst eine Verständigung über die Ziele einer Polizeistrukturreform gesucht hätten; auch darauf hat der Kollege Erben verwiesen. Das ist unterblieben, und aus meiner Sicht liegt hierin der Kardinalfehler.
Wer Strukturen reformieren will, der muss zunächst bestimmen können, welche Qualität von Polizeiarbeit er erreichen will und welche Aufgaben Polizei erledigen soll.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagen: Sachsen-Anhalts Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf eine Polizei, die im Alltag in allen Landesteilen präsent ist und die bei Gefahr für Leib und Leben innerhalb von 20 Minuten vor Ort sein und helfen kann. Wir brauchen eine Polizei, die als Schutzpolizei auf der Straße für Sicherheit sorgt und die durch die Kriminalpolizei in ausreichender Zahl gut ausgebildete Ermittler Straftaten aufklären lässt. Wir brauchen Polizistinnen und Polizisten, die auch im Alltag genügend Zeit für Fortbildungen haben, um den wachsenden Ansprüchen an eine bürgerrechtsorientierte Polizeiarbeit gerecht zu werden. Wir brauchen eine Polizei, in der ausreichend trainiert werden kann, um zum Beispiel das Verletzungsrisiko bei Angriffen auf Beamte zu senken.
Es wäre Aufgabe des Landtags, für diese und andere Bereiche Qualitätskriterien für die Polizeiarbeit vorzugeben, entsprechende Haushaltsvorsorge zu treffen und die Landesregierung mit der Umsetzung dafür notwendiger Strukturveränderungen zu beauftragen. Das ist bis heute unterblieben, und das ist die Schuld der gesamten Koalition aus CDU und SPD.
Es wird, Herr Innenminister, leider auch dann nicht besser, wenn die Landesregierung nun durch eine Arbeitsgruppe herausbekommt, was mit den nun verbliebenen Beamten denn vielleicht noch an Aufgaben erledigt werden kann, und dann den Mangel feststellt, dass das nicht funktionieren wird. Ich glaube, das Ganze hätte vorher einsetzen müssen. Wir hätten vorher definieren müssen, was wir von Sachsen-Anhalts Polizei erwarten, und dann die entsprechenden Strukturen schneidern müssen.
Sachsen-Anhalt befindet sich, weil das so ist, seit Monaten in Geiselhaft der Koalition. Es geht bei diesem Thema doch schon lange nicht mehr um Sachfragen, sondern vor allem um persönliche Befindlichkeiten, Machtbalancen und das Fehlen von Führungsverantwortung.
Statt im Innenausschuss über eine angemessene Ausstattung für Streifenwagen zu diskutieren - Herr Gallert hat die fachlichen Probleme angetippt, dass man da unterschiedlichster Meinung bezüglich der Streifenkreise sein kann -, dürfen wir an jedem Morgen erneut in der Zeitung lesen, dass die SPD an dieser Reform nicht mitwirken will und wird, weil sie die Streifenkreise für ein unverantwortliches Großexperiment hält und weil sie glaubt, dass die Sicherheit in diesem Land an Polizeidienststellen hängt, die schon heute kaum ausreichend besetzt sind.
Diese Sicht kann man haben. Ich sage ja gar nicht, dass man sie nicht in die Debatte einführen kann. Man sollte sie aber begründen, und wenn die SPDMinisterinnen und Minister im Kabinett keine fachlichen Bedenken vorbringen und der Vorlage zur Fortentwicklung der Polizeistruktur dort zustimmen, dann frage ich mich gemeinsam mit den Wählerinnen und Wählern schon, was ich von solchen Ansagen halten soll.
Wenn die SPD, Herr Kollege Erben, so grundsätzliche Zweifel an der Reform hat, wie sie diese immer wieder öffentlich artikuliert, dann stoppen Sie das Projekt oder verlassen Sie als SPD endlich die Koalition