Protocol of the Session on March 26, 2014

Sachsen-Anhalt wird sehr oft auch als das Land der Callcenter bezeichnet. Ich glaube, das ist richtig. Wenn man unsere Zahlen mit denen anderer Bundesländer vergleicht, dann stellt man fest, dass es 12 000 Arbeitsplätze in einer Branche gibt, die erst Mitte der 90er-Jahre entstanden ist. Das ist, denke ich, eine ganze Menge. Deshalb ist es richtig, dass wir uns hier mit dieser Branche beschäftigen und insbesondere mit den 12 000 Arbeitneh

merinnen und Arbeitnehmern, die sich dahinter verbergen.

Was mir viel mehr Sorge macht ist die Tatsache - das ist angesprochen worden -, dass wir es hierbei mit einer Branche zu tun haben, die nicht unbedingt die besten Arbeitsbedingungen bietet. Wer schon einmal ein Callcenter besichtigt hat, der wird festgestellt haben, dass das eigentlich keine Traumarbeitsplätze sind und dass die Arbeitsbedingungen dort nicht unbedingt den Arbeitsbedingungen entsprechen, die wir in anderen Dienstleistungsbreichen oder auch in industriellen Bereichen finden.

Immer, wenn ich dort durchgehe, muss ich sagen: Ich habe einen hohen Respekt vor den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die dort tätig sind, denn es ist harte Arbeit. Auch wenn man das vielleicht nicht persönlich kennt: Wenn jemand den ganzen Tag über am Telefon sitzen muss, ist es sehr schwer, diesen Arbeitsplatz acht Stunden lang auszufüllen. Daher kommt es nicht von ungefähr, dass es in diesem Bereich eine sehr hohe Krankheitsquote gibt.

Was mich noch mehr bewegt, ist - auch das ist angesprochen worden -: Es gibt in dieser Branche keinen Flächentarifvertrag. Es gibt meines Wissens drei Unternehmen von rund 100 im Land Sachsen-Anhalt, die überhaupt einen Tarifvertrag haben, sprich einen Haustarifvertrag. Das berühmteste Beispiel war und ist S Direkt in Halle, wo die Kolleginnen und Kollegen 117 Tage lang gestreikt haben, um einen Mindestlohn von 8,50 € zu erhalten. Ich glaube, das ist ein Zustand, den wir im Land Sachsen-Anhalt, wo wir gute Arbeit wollen, auf Dauer nicht akzeptieren können.

Deshalb brauchen wir in dieser Branche einen Flächentarifvertrag. Ich kann nur alle Beteiligten aufrufen - die Gewerkschaften sicherlich nicht, die wollen das -, insbesondere die Unternehmen, die im Land Sachsen-Anhalt tätig sind: Setzen Sie sich zusammen, gründen Sie einen tariffähigen Arbeitgeberverband und verhandeln Sie Tarifverträge! Das ist das, was man von Sozialpartnern erwarten kann. Ich glaube, das muss in dieser Branche geschehen.

(Zustimmung bei der SPD und von Minister Herrn Bischoff)

Im Übrigen, meine Damen und Herren, ist die Callcenter-Branche ein Paradebeispiel dafür, warum die Diskussion um den gesetzlichen Mindestlohn im Land so notwendig gewesen ist. Denn dort, wo es keinen tariffähigen Arbeitgeberverband gibt, wo es in der Folge auch keine Tarifverträge gibt, ist es nur möglich, zu tariflichen Bedingungen und zu einer Lohnuntergrenze zu kommen, indem der Gesetzgeber einen Mindestlohn vorgibt.

Deshalb werden insbesondere die Beschäftigen der Callcenter-Branche, für die es vorher keine Ta

rifverträge gab, zu denjenigen gehören, die am 1. Januar 2015, wenn das, was jetzt im Gesetzentwurf steht, Wirklichkeit wird, von diesem Mindestlohn profitieren. Von daher, glaube ich, ist auch das ein gutes Signal, dass wir gehandelt haben, dass es einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 € geben wird. Nicht alle dieser 12 000 Beschäftigten hatten einen Stundenlohn von unter 8,50 €, aber eine ganze Menge. Deshalb wird dieser Bereich davon profitieren. Ich glaube, das Signal sollte man von hier aus noch einmal aussenden.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Trotzdem, meine Damen und Herren, sollten wir die Branche nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, zu einem Tarifvertrag zu kommen. Ich habe vor einigen Wochen eine Pressemitteilung vom Callcenter-Verband Deutschland in die Hände bekommen, einem der beiden großen Arbeitgeberverbände, wenn man sie so nennen will. Eigentlich sind es keine Arbeitgeberverbände, weil sie keine Tarifverträge im eigentlichen Sinne schließen.

In dieser Pressemitteilung steht: Wir nehmen von den Überlegungen, einen tariffähigen Arbeitgeberverband zu gründen, Abstand, denn es wird demnächst den gesetzlichen Mindestlohn geben. - Dazu kann ich nur sagen: Meine Damen und Herren von dem Verband, so war das nicht gedacht, als der Gesetzgeber einen gesetzlichen Mindestlohn gemeint hat. Vielmehr sind wir nach wie vor für die Tarifautonomie in Deutschland und dafür, dass sich Unternehmen zusammentun, einen Arbeitgeberverband gründen und dann mit den Gewerkschaften Tarifverträge aushandeln, wie sich das gehört. Das ist der Weg, den wir in Deutschland favorisieren, und den werden wir nicht aufgeben.

Meine Damen und Herren! Ich will noch eines an dieser Stelle loswerden. Ich habe vernommen, dass - er ist ja da - Sie, Herr Ministerpräsident, im April die Callcenter-Branche in die Staatskanzlei einladen werden, um mit dieser über Sozialstandards, über soziale Bedingungen zu reden.

Ich halte das für eine gute Sache. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei dem Bemühen, auf die Branche zuzugehen, und ich hoffe, dass am Ende dieser Gespräche auch diese Verbände, die es gibt, oder diese Unternehmen erkennen, dass gute Arbeit wichtig dafür ist, zukünftig Fachkräfte auch bei uns im Land zu bekommen und dass vielleicht am Ende dieser Gespräche die Anfänge für Tarifverträge stehen. Von daher, glaube ich, ist das ein gutes Signal, das die Landesregierung, das der Ministerpräsident aussendet. Vielen Dank dafür! - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD und von Minister Herrn Bischoff)

Vielen Dank, Kollege Steppuhn. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht jetzt die Kollegin Frau Latta. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Große Anfrage zur Situation der Callcenter in Sachsen-Anhalt von der Linksfraktion ist notwendig und zeigt Folgendes auf:

Erstens. Die Branche der Callcenter ist nach dem Stand vom 31. Mai 2013 in Sachsen-Anhalt gewachsen, und es sind insgesamt 95 Callcenter verzeichnet. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs hat sich fast verdreifacht, von ca. 3 900 auf ca. 11 300 Jobs im Zeitraum von 2003 bis 2012. Der Umsatz der Branche ist von 109 Millionen € im Jahr 2006 auf 190 Millionen € im Jahr 2010 gewachsen.

Zweitens. Die Landesregierung besitzt über die Callcenter-Branche kaum Informationen. Das wurde vonseiten der Linksfraktion schon eingehend ausgeführt. Auf viele Fragen hat die Landesregierung keine Antwort. Beispielsweise zur Anzahl der Beschäftigten mit befristeten Verträgen, mit Werkverträgen und mit Leiharbeitnehmerverträgen gibt es keine Angaben. Auch Fragen zu den Arbeitsbedingungen werden nicht beantwortet - mit Verweis auf die Zuständigkeit der Tarifpartner. Ansonsten wird auf Bundesrecht verwiesen. Angeführt wird nur - Zitat -: „Studien belegen allerdings, dass über 70 % der Callcenter-Agents im Zeitraum zwischen 6 Uhr und 22 Uhr arbeiten.“

Angaben zu Überstunden und deren Ausgleich liegen der Landesregierung nicht vor. Dabei spielen der Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenschutz und auch die damit einhergehenden Arbeitszeitmodelle eine wichtige Rolle in der CallcenterBranche. Es existiert kein Branchen- bzw. Flächentarifvertrag, da es keinen tariffähigen Arbeitgeberverband gibt. Welche Regelungen in Anlehnung an bestehende Tarifverträge in der Callcenter-Branche vorliegen, ist der Landesregierung nicht bekannt, und auch die Gehälter sind nicht bekannt. Es wird seitens der Landesregierung nur ausgeführt - Zitat -:

„Im Verantwortungsbereich von Ver.di gibt es zurzeit einen Firmentarifvertrag von der Walter Services GmbH, in dem 8,50 € in zwei Stufen ab dem 1. Oktober 2014 tarifiert sind. Bereits ab dem 1. Dezember 2012 wurde von der S Direkt-Marketing GmbH & Co. KG ein Haustarifvertrag mit einem Stundenlohn von 8,50 € abgeschlossen.“

Die Quote der ALG-II-Empfängerinnen und Empfänger unter den Callcenter-Beschäftigten liegt im Jahr 2012 bei 6,1 %. Sie ist damit deutlich über der

Quote in der Gesamtwirtschaft in Sachsen-Anhalt. Diese liegt nämlich bei ca. 4,5 %.

Drittens zeigt die Antwort der Landesregierung, dass wir endlich den gesetzlichen Mindestlohn auf Landes- wie auch auf Bundesebene brauchen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Callcenter-Branche würden davon besonders profitieren. Nach den Ausführungen des Kollegen Steppuhn wird der gesetzliche Mindestlohn auf Bundesebene ab dem Jahr 2015 gerade in dieser Branche eine sehr wichtige Rolle spielen.

Neben dem Mindestlohn ist aber vor allen Dingen die Frage nach der Entwicklung des monatlichen Durchschnittseinkommens interessant. Das durchschnittliche Monatseinkommen stieg im Zeitraum von 2004 bis 2010 von 1 369 € auf 1 406 €. Angesichts der Inflationsrate und der gestiegenen Lebenshaltungskosten ist das ein sehr kritikwürdiger Einkommensverlust, der bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verzeichnen ist.

Auch die bereits erwähnten Arbeitszeitmodelle und die Arbeitsbedingungen spielen eine sehr wichtige Rolle in der Callcenter-Branche. Wenn man sich zu diesem Sachverhalt das Verhältnis der Zahl der Beschäftigen in der Branche zum Branchenumsatz ansieht, fällt auf, dass statistisch pro Beschäftigten im Jahr 2005 15 000 € Umsatz erzielt worden sind und im Jahr 2010 18 400 € Umsatz. Diese Entwicklung zeigt, dass es der Callcenter-Branche gut geht. Aber das Einkommen nimmt in Bezug auf die Kaufkraft eher ab.

Um das Bild zur Lage in der Branche besser erfassen zu können, wäre es gut gewesen, auch die Anzahl der Callcenter für die einzelnen Jahre zu erfragen und nicht nur für das Jahr 2013. Ebenso wäre es gut gewesen, die Anzahl der Konkurse zu nennen.

Die Frage 4 in Abschnitt 6 zielt darauf ab, in Erfahrung zu bringen, welche Maßnahmen im Rahmen der Förderpolitik des Landes vorgesehen sind, um gute Arbeit zu unterstützen. Die Förderpolitik des Landes gemäß der Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen sieht eine erhöhte Förderung vor, wenn Unternehmen tarifgebunden sind, wenn Unternehmen eine Ausbildungsquote von 5 v. H. haben und 50 % ihrer Azubis übernommen werden.

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ja. Eine kurze Ausführung noch. - Zu dem Punkt Leiharbeit fordern wir GRÜNE weitergehende Regelungen. Gerade in Sachsen-Anhalt arbeiten sehr viele Menschen im Niedriglohnbereich. Das heißt, sie verdienen weniger als 8,50 € in der Stunde.

Das trifft vor allen Dingen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Bereich der Leiharbeit.

Wir fordern also, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer die gleichen Rechte in Unternehmen eingeräumt bekommen, wie sie der Stammbelegschaft eingeräumt werden. Das bedeutet konkret: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, weil Beschäftigte in Leiharbeit große Flexibilität beweisen, wenn sie von einem Arbeitsverhältnis in ein folgendes Arbeitsverhältnis vermittelt werden.

Ich bin auch sehr flexibel. Aber jetzt kommen Sie bitte zum Schluss.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Latta. - Jetzt spricht für die CDU-Fraktion Herr Thomas. Bitte schön, Herr Kollege.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über die CallcenterBranche, die ja, wenn man ihren Lebenslauf betrachtet, eine recht junge Branche ist. Sie ist am Ende der 90er-Jahre entstanden.

Ich habe noch genaue Erinnerungen an die Zeit. Es war die Zeit des ersten Handys. Es war die Zeit der ersten Internetseiten. Es war auch die Zeit neuer Begriffe, mit denen sich einige heute noch etwas schwer tun: „New Media“, „New Economy“, „Neuer Markt“ an der Börse - all das waren Schlagworte. Ich möchte daran erinnern, dass wir damals bei diesen neuen Branchen aus dem IT-Bereich einen regelrechten Boom hatten.

Wer sich Internetseiten von damals weltweit agierenden Firmen anschaut, der sieht, dass diese Seiten ziemlich zurechtgeschustert waren. Man hatte den Eindruck, dass Studenten nebenbei solche Internetseiten kreiert und entwickelt haben.

Auf alle Fälle - das war auch das Ergebnis dieser neuen Möglichkeit der Nutzung des Internets - waren die Möglichkeiten gegeben, Computer, Telefon und, wie gesagt, auch die Internetwirtschaft vollkommen neu zu entwickeln. Es entstanden neue Wirtschaftszweige. Diese entwickelten sich.

Viele Firmen schossen aus dem Boden. Ich hatte den Neuen Markt an der Börse schon erwähnt. Es gab Börsen-Rallyes, die unglaublich waren. Irgendwann zerplatzte diese Blase. Viele Firmen gibt es nicht mehr. Die Callcenter haben es über

lebt. Sie haben es geschafft, sich nach dieser Anfangsphase weiterzuentwickeln.

Um noch ein Beispiel zu nennen: Die Freunde der T-Aktie - vielleicht haben sie noch einige unter Ihnen - wissen, wie die Aktie damals beworben wurde und welchen Wert sie heute noch verkörpert. Das zeigt: Nicht alles, was damals entstand, was auch ein bisschen politisch gewollt war, hat sich im Nachhinein als gut erwiesen.

Meine Damen und Herren! Wie sah es in SachsenAnhalt aus? Das Land hatte immer noch mit dem Wechsel von der sozialistischen Planwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft zu kämpfen. Wir hatten hier eine Arbeitslosigkeit über 20 %, in manchen Regionen sogar über 30 %. Natürlich war jede Investition in Sachsen-Anhalt willkommen - das ist auch heute noch der Fall -, die dafür sorgt, dass wir hier Beschäftigung schaffen und dass neue Arbeitsplätze entstehen.

Ich möchte nur daran erinnern, dass damals auch unter einer SPD-geführten Landesregierung die ersten Callcenter in Magdeburg entstanden und diese Ansiedlung auch zu Recht als Erfolg verkündet wurde; denn es entstanden neue Arbeitsplätze. Die Callcenter-Branche - die Zahlen haben wir alle schon gehört - hat sich seitdem sehr gut entwickelt. Wenn man die Arbeitsplatzzahlen hört, 11 000, 12 000 wurden heute genannt; das macht uns Mut und zeigt die rasante Entwicklung dieser Branche.

Meine Damen und Herren! Natürlich kamen mit den neuen Möglichkeiten neue Nachfragen. Es entstand ein Nachfragemarkt, der nach Angeboten förmlich gierte. Dementsprechend siedelten sich natürlich zahlreiche Unternehmen an, die diese Nachfrage befriedigen wollten.

Es reichte nicht mehr aus, ein Band zu schalten, das die Geschäftszeiten verkündete, wie wir das noch in den 80er-Jahren hatten. Es wurden vielmehr Fragen nach Dienstleistungen und nach Produkten gestellt.

Ich erinnere nur an eine uns allen bekannte Werbung mit einem Heimwerker, der es nicht schaffte, den Nagel in die Wand zu bekommen, und dann kam der Spot: Wenn Sie mal nicht weiterwissen, schauen Sie in die Gelben Seiten! - Genauso ist es mit den Callcentern. Dort rufen wir heute an und versuchen uns Hilfe zu organisieren.

Meine Damen und Herren! Die Branche beschäftigt mittlerweile mehr als 11 000 Menschen. Namhafte Firmen wie Dell, Bosch, T-Systems oder Walter Services haben ihren Sitz in SachsenAnhalt. Wie gesagt, das Wichtigste war: Obwohl die Internetblase als solche platzte, die Callcenter überlebten. Sie sind seitdem in ihrem Service und in ihren Dienstleistungen sehr innovativ gewesen.

Meine Damen und Herren! Heute werden aus unserem Bundesland weltweite Service- und Wartungsleistungen erbracht. Das Dienstleistungsspektrum über Telefon und Internet ist riesig und damit natürlich auch die Herausforderungen für die dort arbeitenden Menschen. Das erfordert eine ständige Qualifizierung und ein ständiges SichAnpassen der Beschäftigten an das Anforderungsprofil.