Protocol of the Session on March 26, 2014

(Beifall bei der LINKEN)

Alles das, was Arbeitgeber den Arbeitnehmern für deren Leistungen nicht zahlen, trägt die Kommune. Das ist bereits jahrelang ein Kalkül. Dadurch sparen die Unternehmer Steuern und die Arbeitnehmer werden durch die Kommunen bezahlt. So kann ein Unternehmen gut funktionieren. Wir werden sehen, wie lange die Kommune oder das Land dieses Vorgehen finanziell aushält. Dafür wird wieder bei den Kindern und bei den Alten sowie bei den Bürgerinnen und Bürgern gespart.

Zu den Arbeitsbedingungen in den Callcentern, zu Sonntags- und Nachtarbeit, Urlaubsansprüchen, Überstunden und Mehrarbeit, hat die Landesregierung keine Kenntnis. - Oh, oh!

Mein Resümee lautet daher, dass die Callcenter als Dienstleistungseinrichtungen, in denen die Beschäftigten schlecht bezahlt werden und schlechte Arbeitsbedingungen haben, eine zu geringe Beachtung durch die Landesregierung finden.

Wir erwarten, dass die Ausreichung von Fördermitteln vertraglich an die Zahl der Beschäftigten, an die Bereitschaft zu Betriebsratswahlen und an existenzsichernde Einkommen, die ohne notwendige Aufstockerleistungen auskommen, gebunden wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Forderung ist nicht neu; ich habe sie schon mehrfach formuliert. Wenn schon Fördermittel vergeben werden, die an Weiterbildungsmaßnahmen für Dauerarbeitsplätze gebunden sind, dann müsste es selbstverständlich sein, dass die Festeinstellungen systematisch geprüft werden.

Zum letzten Fragenkomplex, dem Fragenkomplex VI - Standpunkte der Landesregierung. Eine

Frage lautet: Gab oder gibt es seitens der Landesregierung bzw. der zuständigen statistischen Behörden gemeinsame Aktivitäten mit den anderen Bundesländern, die ungenaue statistische Erfassung der Callcenter-Branche zu verbessern? - „Aktivitäten zur Klärung dieser Situation“ - so die Antwort der Landesregierung - „gab oder gibt es nach Kenntnis der Landesregierung bislang nicht.“

Als ich die gesamten Ausführungen der Landesregierung zu dieser Frage las, kam mir der Gedanke: Die Callcenter sind ein sehr scheues Reh und lassen sich nicht einfangen.

Meine Damen und Herren! Dann müssen eben mit viel Engagement neue Strategien entwickelt werden, um gesicherte Informationen über die Callcenter zu erhalten. Die Gründung eines tariffähigen Arbeitgeberverbandes wäre ein Anfang. Sie wissen, ein solcher Verband war bereits im Entstehen, hat sich dann aber doch wieder zurückgezogen - ich sagte es: ein scheues Reh.

Ich hoffe, dass die Landesregierung diesen Prozess unterstützt und wünsche ihr dabei viel Erfolg.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Thiel-Rogée. - Für die Landesregierung hat nun Minister Herr Bischoff das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass die Antwort der Landesregierung auf die Situation der Callcenter nicht zufriedenstellend ausfällt, hätte ich ahnen können; denn auf viele Fragen konnte tatsächlich keine Antwort gegeben werden. Teilweise ist aber begründet worden, warum keine Antwort gegeben werden kann, und zwar aus Gründen des Datenschutzes. Das hätte Frau ThielRogée auch sagen können.

In der Vorbemerkung zu der Antwort der Landesregierung - Sie haben übrigens aus der Vorbemerkung zu der Großen Anfrage Ihrer Fraktion zitiert und nicht aus der Vorbemerkung zur Antwort der Landesregierung - heißt es wie folgt:

„Die Große Anfrage bezieht sich teilweise auf Inhalte, die dem Datenschutz unterliegen. So können gemäß Abschnitt D Ziffer 7 Teil II des ‚Koordinierungsrahmens der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur ab 2009’ vom 6. August 2009 (GRW) die Angaben über den Empfänger/die Empfängerin der Zuwendung, über das Vorhaben und über die Höhe des Zuschusses nur dann veröffentlicht werden, wenn die Begünstigten den GRWFörderantrag nach dem 1. Juli 2007 gestellt haben.“

Zu Daten, die vor diesem Zeitpunkt liegen, können und dürfen wir aus datenschutzrechtlichen Aspekten nichts sagen.

Zu anderen Punkten, die Sie angesprochen haben, möchte ich anmerken: Natürlich wäre der Aufwand groß, wenn man in jedes Callcenter fahren und dort nachfragen würde: Wie sieht es bei euch aus? Ob man dann die konkreten Angaben bekommen hätte, ist eine offene Frage. Wir hätten auf offener Bühne auch darüber streiten müssen.

Ich habe im Parlament einmal etwas über einen Betrieb in der Nähe von Zeitz gesagt. Anschließend wurde mir mit allerhand gedroht, weil die Zahlen dann doch nicht nachprüfbar waren. Wir werden uns also an die Zahlen halten, die wir bekommen, und an die Erkenntnisse, die uns vorliegen. Fragen zu Sachverhalten, zu denen uns keine Daten vorliegen, werden wir auch nicht beantworten können.

Richtig ist, dass es 95 Callcenter im Land gibt, die einen Umsatz von insgesamt 190 Millionen € erwirtschaften und die 11 000 Personen sozialversicherungspflichtig beschäftigen. Der durchschnittliche Monatslohn - auch darüber kann man jetzt streiten, aber wir halten uns einmal an die Fakten - lag im Jahr 2012 bei 1 571 € und damit oberhalb eines Stundenlohns von 8,50 €. Die Niedriglohnschwelle für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte liegt bei ungefähr 1 445 oder 1 242 €.

Der Anteil von Erwerbsaufstockern, also Personen, die neben ihrem Erwerbseinkommen Arbeitslosengeld II beziehen, beträgt - Frau Thiel-Rogée sagte es - 6 %. Der Anteil in dieser Branche ist damit gleich hoch wie in der übrigen Wirtschaft im Land.

Wenn man jetzt nur die Löhne - dazu habe ich gerade etwas gesagt - und die Lohnentwicklung sieht und akzeptiert, dass das so stimmt, dann könnte man sagen: Es sieht gar nicht so schlimm aus. Das tue ich aber nicht. Die wahren Probleme in dieser Branche - das haben Sie teilweise erwähnt - liegen eher woanders und sind meines Erachtens ein bisschen subtiler.

Von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird für vergleichsweise wenig Geld - sie bekommen nicht exorbitant viel Geld, auch wenn der Stundenlohn etwas über 8,50 € liegt - viel, viel mehr verlangt. Das ist der springende Punkt. Sie müssten eigentlich viel mehr verdienen. Es wird Empathie, Kommunikationsvermögen, Multitaskingfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit, schneller Kopf, Flexibilität im Hinblick auf die Einsatzzeiten, das Erdulden ständiger Überwachung und eine strenge Quotenerfüllung verlangt. Die Mitarbeiter haben viel Stress für wenig Lohn.

(Zustimmung von Frau Tiedge, DIE LINKE)

Das ist die Situation in den Callcentern. Ich kann hierbei ziemlich gut mitreden, weil mein ältester

Sohn dort beschäftigt ist. Er war übrigens vorher im Hotelgewerbe tätig. Er arbeitete in einem namhaften Hotel in Magdeburg, das manche von Ihnen kennen, und hat dort weniger bekommen, als er jetzt bekommt. Deshalb ist er ins Callcenter gegangen.

Die Landesregierung kann auf diesem Gebiet keinen Mindestlohn einführen. Dafür bestehen in der Branche nicht die notwendigen Bedingungen. Die grundlegende Bedingung, ein tariffähiger Arbeitgeberverband, ist nicht gegeben. Darüber habe ich im Vorfeld etliche Gespräche geführt, mit Unternehmen und auch mit Vertretern der Arbeitnehmerschaft, die sich schon wünschten, dass man das Arbeitnehmerentsendegesetz auf diese Branche ausdehnt. Aber dafür müssen bestimmte Bedingungen gegeben sein.

Trotzdem halte ich es für richtig, die Branche bei den Bemühungen zur Einführung fairer Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen zu unterstützen. Fairerweise muss ich auch sagen, dass sich - zumindest in der Zeit, in der ich die Verantwortung habe - auf der Bundesebene, auch im Bundestag, verschiedene Politikerinnen und Politiker stark gemacht haben. Fairerweise muss ich auch sagen, dass die Akteure unterschiedlichen Fraktionen angehören. Sie sind damals aber noch mit wenig Erfolg tätig geworden.

Die Ausdehnung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf alle Branchen wäre eine Lösung; dann herrschten gleiche Bedingungen, erleichterte Bedingungen. Es wäre auch ein zusätzlicher Anreiz für die Callcenter-Branche, sich in tariffähigen Verbänden zu organisieren und tarifliche Regelungen zu angemessener Arbeitszeit und Entlohnungsbedingungen zu vereinbaren.

Das, was jetzt gemacht wird, ist - Sie haben es beschrieben -, alles auf der Grundlage einzelvertraglicher Regelungen zu vereinbaren. Deshalb kann man dazu auch nur schwer Zahlen bekommen. Da die Unternehmen an solche Bedingungen nicht gebunden sind, ist das ein sehr weites Feld.

Nicht zuletzt würden damit auch die Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen in diesem lohnkostenintensiven Bereich verbessert. Es würde eine faire Grundlage geschaffen, um Lohndumping zu verhindern. Lohndumping verhindert eine faire Konkurrenz im Geschäft.

Das Ministerium für Arbeit und Soziales hatte bereits einen Gesetzentwurf für eine entsprechende Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf alle Branchen vorbereitet und dies in der Antwort auf die Große Anfrage dokumentiert. Das entspricht auch dem Beschluss des Landtages vom 6. Oktober 2011. Aber es versprach bei den Koalitionären der 17. Legislaturperiode des Bundestags keinen Erfolg.

Die Bedingungen dafür haben sich jetzt geändert. In der neuen Koalition ist bekanntlich klar - der erste Entwurf liegt seit der letzten Woche vor -, dass sich die neue Bundesregierung die Ausweitung des Entsendegesetzes auf alle Branchen zum Ziel gesetzt hat. Auch der Mindestlohn wird kommen. All das sind wohlbekannte Forderungen und wesentliche Schritte auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit. Ich begrüße das sehr. Davon wird insbesondere die Callcenter-Branche profitieren.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. Herr Minister, der Kollege Dr. Thiel möchte Sie gern etwas fragen.

Das soll er tun.

Ich sehe, dass Sie die Frage beantworten wollen.

Wenn ich das kann.

Herr Minister, eine ganz einfache Rechnung. Sie haben gesagt, die Brache macht einen Umsatz von etwa 190 Millionen € und hat 11 000 Beschäftigte. Wenn man sich die Zahlen anschaut, dann stellt man fest, dass von den 11 000 Beschäftigten 566 in der Kategorie 400 bis 800 € tätig sind. Wenn man das herunterbricht, dann kommt man auf die Summe, die Sie gerade genannt haben: 1 571 € als Durchschnittslohn in diesem Bereich.

Mir ist es ein Rätsel, wie eine Branche erfolgreich sein kann, wenn sie Mittel in Höhe des Umsatzes allein für die Bezahlung der Beschäftigten ausgibt, sodass am Ende nichts übrigbleibt. Über die SVBeiträge habe ich dabei noch gar nicht gesprochen. Wie erklären Sie sich diesen Zusammenhang?

Herr Dr. Thiel, die Erklärung dieses Zusammenhangs würde mich jetzt nicht nur intellektuell überfordern; ich kann ihn auch gar nicht erklären. Denn die Zahlen, die uns vorliegen und die ich eben vorgetragen habe, sind die Zahlen, die wir bekommen haben und die ich auch nachweisen kann. Aber wenn die Umsätze mit den Löhnen vergleichbar sind, dann fällt es mir schwer, dafür eine schlüssige Erklärung zu finden.

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Okay!)

Vielen Dank. - Für die SPD spricht jetzt der Kollege Steppuhn. Bitte, Herr Abgeordneter.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst der Kollegin Thiel-Rogée dafür danken, dass Sie diese Anfrage gestellt hat, weil sie uns die Möglichkeit bietet, uns - basierend auf der Antwort, die wir nun vorliegen haben - mit einer Branche zu beschäftigen, die ansonsten nicht unbedingt im Fokus der Öffentlichkeit steht.

Die Zahlen sind genannt worden. Wenn man die neu eröffneten Callcenter dazurechnet, dann müssten wir eigentlich schon mehr als 12 000 Beschäftigte in dieser Branche mit einem Jahresumsatz von mehr als 200 Millionen € im Land haben.

Herr Dr. Thiel, Ihre Frage ist nicht unberechtigt. Aber es ist unser Problem, dass nicht alle Zahlen so wiedergegeben werden können, wie sie sich tatsächlich darstellen, wenn wir statistische Erhebungen oder Zahlen von der Bundesagentur für Arbeit haben.

Ich gehe davon aus, dass eine Bewertung der Branche ergeben würde, dass insbesondere die Umsätze größer sind. Auch wir würden natürlich lieber auf einer Basis diskutieren, bei der die Zahlen genauer sind. Aber das ist eben nicht der Fall. Deshalb müssen wir damit leben.

Eine sichere Erkenntnis ist jedoch, dass wir fast 100 derartige Unternehmen im Land haben und dass 20 Unternehmen davon zu Organschaften und zu Konzernen gehören, die außerhalb Sachsen-Anhalts angesiedelt sind. Das kann bedeuten, dass die entsprechenden Umsatzzahlen bei den Angaben nicht berücksichtigt worden sind, weil diese Umsätze bei uns im Land gar nicht erfasst werden.

Eine sehr interessante Zahl, wie ich finde, konnte man in der Antwort finden. Daraus geht hervor, dass in den Jahren ab 2007 insgesamt 3 536 Arbeitsplätze in Callcentern gefördert worden sind. Das Land hat also auch mit den Förderinstrumentarien die Gründung von Callcentern, in denen Beschäftigung entstanden ist, gefördert, sodass hier auch Standorte entstanden sind.

Sachsen-Anhalt wird sehr oft auch als das Land der Callcenter bezeichnet. Ich glaube, das ist richtig. Wenn man unsere Zahlen mit denen anderer Bundesländer vergleicht, dann stellt man fest, dass es 12 000 Arbeitsplätze in einer Branche gibt, die erst Mitte der 90er-Jahre entstanden ist. Das ist, denke ich, eine ganze Menge. Deshalb ist es richtig, dass wir uns hier mit dieser Branche beschäftigen und insbesondere mit den 12 000 Arbeitneh