Protocol of the Session on March 26, 2014

Meine Damen und Herren! Heute werden aus unserem Bundesland weltweite Service- und Wartungsleistungen erbracht. Das Dienstleistungsspektrum über Telefon und Internet ist riesig und damit natürlich auch die Herausforderungen für die dort arbeitenden Menschen. Das erfordert eine ständige Qualifizierung und ein ständiges SichAnpassen der Beschäftigten an das Anforderungsprofil.

Ich möchte Ihnen, liebe Kollegen von den LINKEN, nichts unterstellen. Aber ein bisschen schwingt in der Großen Anfrage schon mit, dass Sie die Callcenter-Branche als Schmuddelwirtschaftszweig hinstellen. Ich glaube, das hat sie nicht verdient.

Ich denke schon - das zeigen die Zahlen, die wir der Antwort der Landesregierung entnehmen können -, dass diese Branche mit prekärer Beschäftigung, Billigarbeit, Auslagerungsjobs oder Aufstockertätigkeit eben nicht in dem Maße zu tun hat, wie das einige im Saal vielleicht denken. Deswegen sage ich auch im Namen meiner Fraktion: Ich möchte mich dagegen verwahren, der Callcenter-Branche ein Schmuddelimage aufzudrücken.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Auch das haben wir schon gehört: Wenn Sie sich mit Leuten unterhalten, die dort arbeiten, dann erfahren Sie: Es ist nicht nur so, dass dort jemand anruft und einen Tipp haben möchte. Für manche ist dieses Telefon ein regelrechtes Kummertelefon, ein Sorgentelefon. Da wird nicht nur nach der nächsten Bahnverbindung gefragt. Es wird auch viel Privates erzählt. Das müssen die Callcenter-Mitarbeiter aushalten. Sie müssen damit umgehen können, dass dort Leute anrufen, die - -

(Herr Dr. Thiel, DIE LINKE: Ruf mich an! 0190-Nummer! - Zuruf von Frau Zoschke, DIE LINKE)

- Ja, Kollege Thiel, es rufen tatsächlich Leute an, die es nicht so gut haben wie Sie heute hier, die einsam sind und die froh über jeden sozialen Kontakt sind. Das macht die Mitarbeiter in den Callcentern seelisch auch betroffen. Sie müssen lernen, damit umzugehen. Dafür brauchen sie eine professionelle Ausbildung. Ich denke, deswegen sollten wir diese Arbeit anerkennen.

Und: Neben der Konzentration auf immer komplexere Sachverhalte und individualisierte Produkte müssen die Callcenter in der Lage sein, jegliche Kommunikationswege, sei es E-Mail, Telefon, Fax, Chat oder zum Beispiel Social Media, abzubilden und zu erfassen.

Während für uns vielleicht einfachste Sachverhalte vollständig durch Applikationen und Selfservices bearbeitet werden können, steigen die Erwartungen an den Kundenservice dieser Callcenter, der eben nicht mit Apps oder Selfservices oder mit

Menschen, die das nicht können oder nicht wollen, abgedeckt werden kann.

Meine Damen und Herren! Daher qualifiziert die Branche ständig ihre Mitarbeiter. Sie sorgt für den eigenen Nachwuchs. Dafür muss sie auch sorgen; denn sonst hat sie morgen keine Fachkräfte mehr. Wir alle, die in der Wirtschaft unterwegs sind, wissen, was das bedeutet.

Aber - auch das gehört zur Wahrheit - bei den Callcentern ist der Konkurrenzkampf hart. Es gibt viele Anbieter. Es gibt viele Rufnummern. Dementsprechend ist es für die Unternehmen schwierig zu überleben.

Ein aktuelles Beispiel ist die Firma Walter Services. Das Unternehmen beschäftigt nach eigenen Angaben in Deutschland noch 6 000 Mitarbeiter und im Ausland noch 2 400 Mitarbeiter. Es sollen vor Jahren knapp 10 000 Beschäftigte gewesen sein. Die Walter Services hat in der Vergangenheit stark expandiert und hatte Callcenter-Standorte der Deutschen Telekom, von Karstadt-Quelle und von dem Kabelnetzbetreiber Unitymedia gekauft. Die jetzigen Schwierigkeiten liegen also weder in der Größe des Unternehmens Walter Services, sondern an den drastisch rückläufigen Auftragsvolumina. Es sind Aufträge in Größenordnungen weggebrochen. Das ist für eine so große Firma schwer aufzufangen.

Insgesamt kann man sagen - wie das in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation allgemein zu konstatieren ist -: Natürlich machen auch dieser Branche steigende Kosten zu schaffen, die sie nicht einfach an die Kunden weitergeben können.

Ich bewundere immer unsere ausgebildeten Betriebwirte und Geschäftsführer, die uns hier immer erklären, was so eine Firma bezahlen müsste oder sollte, die uns aber wenig darüber erzählen, wie diese Firma dieses Geld überhaupt verdienen soll, und die uns wenig darüber erzählen, wie solche Einnahmen akquiriert werden sollen.

Es gibt andere Branchen, die davon genauso betroffen sind. Ich nenne einmal die Tourismusbranche. Es ist eben nicht so, dass man eine Suppe oder ein Schnitzel einfach um 1 € oder 2 € teurer machen kann und die Kunden das gern bezahlen. Auch hier ist der Wettbewerb hart, nicht nur beim Callcenter.

Es kann sich jeder die Frage stellen, wann er das letzte Mal bei einem Callcenter angerufen hat und ob er dabei nicht heimlich auf die Uhr geguckt hat, damit das Telefonat nicht zu lange dauerte und nicht zu teuer wurde. Deswegen möchte ich mich nachdrücklich dafür aussprechen, dass wir uns nicht nur über Löhne austauschen, sondern auch darüber, wie schwer es ist, dieses Geld zu verdienen.

Meine Damen und Herren! Deswegen ist es natürlich immer ein Balanceakt, hier blumig Mindestlöhne zu fordern - in welcher Höhe auch immer - und zu erwarten, dass die Branchen diese Mindestlöhne dann von heute auf morgen umsetzen können.

(Frau Hampel, SPD: Das machen wir doch gar nicht!)

Wir haben aktuell ein Problem. Ich bin den Kollegen von der SPD sehr dankbar dafür, dass man auch dort erkennt, dass in Bezug auf den in Berlin verabredeten Mindestlohn von 8,50 € Ausnahmen zugelassen werden müssen; denn es ist beispielsweise einem Jugendlichen nur schwer zu erklären, warum er für ein Callcenter eine Ausbildung machen soll, wenn er ohne Ausbildung den gleichen Stundenlohn bekommt. Wenn die 8,50 € für jeden gelten, gibt es keine Motivation mehr für eine Ausbildung. Deswegen ist es richtig, dass man hier Ausnahmen schafft, um die Motivationswirkung zu erhalten.

Natürlich ist die Callcenter-Branche auch ein schöner Indikator, um zu zeigen, welche Umstrukturierungsprozesse in unserem Land in den letzten Jahren vonstatten gegangen sind. Deutschland war früher ein klassisches Bergbauland. Wir haben von Kohle und auch von Erzen gelebt. All das gibt es nicht mehr. Wir müssen umstrukturieren.

Wir werden zu einem Land der Dienstleister. Wir sind ein Land, in dem es darum geht, Produkte zu veredeln. Darauf müssen wir uns einstellen. Wir stellen uns aber schlecht darauf ein, wenn wir uns hier die notwendige Flexibilität nehmen, und vor allen Dingen, wenn wir anfangen, immer mehr Hürden und Belastungen für ganze Wirtschaftszweige aufzubauen. Ich bin gespannt darauf, welchen Wirtschaftszweig in Sachsen-Anhalt die nächste Große Anfrage der LINKEN betreffen wird.

(Frau Tiedge, DIE LINKE: Lassen Sie sich überraschen!)

Ich denke nicht, dass die Callcenter-Branche ein Alleinstellungsmerkmal hat. Ich weiß auch nicht, ob es uns wirklich weiterhilft, wenn wir uns hier im Landtag über Wirtschaftszweige unterhalten und sie vielleicht noch zusätzlich belasten.

Ich bin dem Minister für Arbeit und Soziales, Herrn Norbert Bischoff, sehr dankbar für seine Ausführungen, in deren Rahmen er auch das schwierige Spannungsfeld zwischen dem erklärt hat, was man politisch möchte, und dem, was man politisch wirklich erreichen kann.

Jawohl, Kollege Steppuhn, es ist richtig, wir brauchen starke Tarifverbände. Wir brauchen einen guten Tariflohn. Aber die Leute sollen sich selber finden. Deswegen ist es besser, sie dabei zu unterstützen, als ihnen von vornherein Eckwerte vorzu

schreiben. Das, denke ich, ist nicht der richtige Weg.

(Zustimmung bei der CDU)

Deswegen stehen wir als CDU für eine Lohnstruktur mit Augenmaß. Wir sollten nicht immer nur die eine Seite, sondern die ganze Sache in ihrer Allgemeinheit sehen.

Ich möchte am Ende meiner Rede noch einmal auf Folgendes hinweisen: Es liegen die Beschäftigtenzahlen vor, die zeigen, dass der Anteil der Minijobber unter den 11 000 Beschäftigten sehr gering ausfällt. Es ist doch klar, auch ein Callcenter muss mit flexiblen Arbeitszeiten operieren. Wenn man ein Problem hat, dann wartet man damit ja auch nicht bis Montagfrüh um neun, sondern dann erwartet man, dass man auch am Sonntag um 16 Uhr freundlich am Telefon bedient wird. Das muss möglich sein.

Deswegen möchte ich abschließend für meine Fraktion den Callcentern weiterhin viel Erfolg wünschen, vor allen Dingen gute Geschäfte und den Angestellten eine Arbeit, von der sie leben können - das sollen sie - und mit der sie seelisch und von der sonstigen Belastung her klarkommen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und von Minister Herrn Bischoff)

Vielen Dank, Herr Kollege Thomas. - Es gibt zwei potenzielle Fragesteller. Wollen Sie antworten?

Ja, gerne.

Das ist sehr schön. - Als Erster hat Herr Hövelmann das Wort.

Vielen Dank. - Herr Kollege Thomas, ich habe zwei Fragen. Die eine bezieht sich auf Ihre Anmerkung zu der Lohnhöhe und den zu erwartenden Nachteilen für junge Menschen, die noch in der Ausbildung sind, in der Weise, dass sie auf die Ausbildung verzichten, weil sie anderweitig ein besseres Einkommen erzielen können, wenn sie den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 € erhalten. Ich will Ihnen einmal ein paar Zahlen nennen und möchte Sie dann fragen, ob Sie meiner Einschätzung beitreten, dass diese Befürchtung jedenfalls nicht auf einer qualifizierten Grundlage beruht.

Der Ausbildungsstundenlohn im Bereich Bau beträgt 3,90 €. Der Stundenlohn für unqualifizierte Arbeit auf dem Bau beläuft sich auf 11 €. In der

chemischen Industrie erhalten Auszubildende 5 € pro Stunde, während für unqualifizierte Arbeit 14 € pro Stunde gezahlt werden. Selbst im Einzelhandel beträgt das Verhältnis 4,30 € zu 8,90 € und im Kfz-Handwerk 3,50 € zu 11,30 €. Sogar im Friseurgewerbe ist das Verhältnis beim Stundenlohn 2,40 € zu 7,50 €.

Würde das Argument stimmen - meine Frage ist, ob Sie tatsächlich dieser Auffassung sind -, dann dürfte es in all diesen Bereichen keine Auszubildenden mehr geben, weil sie mit der unqualifizierten Arbeit ohne Ausbildung mehr verdienen als als Auszubildende.

(Zustimmung von Frau Thiel-Rogée, DIE LINKE)

Meine zweite Frage bezieht sich auf Ihre Bemerkung zum Image der Callcenter-Branche. Sie sprachen vom Schmuddelimage, das Sie zu Recht zurückgewiesen haben. Meine Frage ist: Sind Sie mit mir der Auffassung, dass die Branche selbst viel zur Imageverbesserung beitragen könnte, wenn sie die deutschen Regeln des Betriebsverfassungsgesetzes stärker anwenden würde?

(Zustimmung bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich beginne einmal mit der Antwort auf Ihre zweite Frage, Kollege Hövelmann. Es ist wie in allen übrigen Branchen auch: Es gibt Firmen, die sich ordentlich präsentieren, die ein ordentliches Arbeitsklima schaffen und dafür sorgen, dass ihre Beschäftigten sich wohlfühlen. Genauso gibt es natürlich schwarze Schafe. Deswegen meine ich, pauschal kann man das so nicht sagen. Es gibt ja auch viele Leute, die sehr lange in gut geführten Callcentern arbeiten. Deswegen, denke ich, haben Sie punktuell Recht. Aber pauschal würde ich Ihnen nicht zustimmen.

Zu Ihrer ersten Frage. Ja, es gibt den 23- oder 24jährigen Jugendlichen, der es vielleicht nicht so einfach hatte und der ab 2016 womöglich in eine Dienstleistungseinrichtung geht - etwa in ein Hotel -, in der er für 8,50 € arbeitet, weil er das Geld kriegen muss. Worin liegt für ihn dann der Anreiz, sich in diesem Alter noch einer dreijährigen Ausbildung zu unterwerfen, um im Anschluss daran mehr Geld zu verdienen?

Die Auffassung, dass das keine Motivationsbremse ist, teile ich so nicht. Ich sehe es eher so, dass sich viele Leute fragen werden: Warum soll ich noch drei Jahre lang lernen, wenn ich doch gleich für 8,50 € arbeiten kann? Wir wissen ja alle, dass die 8,50 € nur der Einstieg sind. Das wird ja nicht das letzte Wort sein.

(Frau Hampel, SPD: Dann stimmen Sie erst einmal diesen zu!)

Also, die Sorgen haben wir ausdrücklich. Ich lasse mich in zwei, drei Jahren gerne eines Besseren belehren - das mache ich sehr gerne -, wenn das so nicht zutreffen sollte. Heute habe ich diese Sorge sehr wohl.

Dann kann jetzt der Kollege Steppuhn seine Frage stellen. Herr Dr. Thiel hat sich noch gemeldet.

Sehr geehrter Herr Kollege Thomas, ich habe zunächst noch eine Frage zum Thema Mindestlohn; denn Sie haben in Ihren Ausführungen suggeriert, die SPD sei an der einen oder anderen Stelle durchaus für Ausnahmen. Ich würde Sie bitten, diese Ausnahmen einmal zu nennen. Ich kenne nämlich keine. Ferner möchte ich Sie fragen, welche Ausnahmen Sie sich denn beim gesetzlichen Mindestlohn vorstellen könnten, wenn Sie das allein zu entscheiden hätten.

Zweite Frage. Wir haben ja die Situation, dass es für die Callcenter-Branche weder auf Bundes- noch auf Landesebene einen Flächentarifvertrag gibt. Jetzt sind die Gewerkschaften mehrfach auf die Branchenverbände zugegangen und haben verlangt, dass es Satzungsänderungen gibt, die eine Tariffähigkeit vorsehen. Sie haben gesagt, die müssten sich zusammenfinden; das würde dann irgendwann funktionieren. Wie bewerten Sie es, wenn Arbeitgeberverbände sich bis heute weigern, tariffähig zu sein, Tarifverträge abzuschließen und Sozialpartner zu sein? Wie bewerten Sie das politisch?

Kollege Steppuhn, zunächst bedanke ich mich bei Ihnen ausdrücklich für das Vertrauen, das Sie mir dadurch ausgesprochen haben, dass Sie gesagt haben: wenn ich es allein zu entscheiden hätte.