Ich sage, Migrantinnen und Migranten müssen sich in Sachen Arbeitsmarkt nicht verstecken. Sie finanzieren solidarisch die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung mit. Ohne ihre Beiträge würde das System schnell an seine Grenzen stoßen.
Auch die Wirtschaft selbst profitiert, weil die betreffenden Personen, häufig hochqualifiziert, oft schlecht bezahlte oder für deutsche Arbeitnehmer unattraktive Jobs in Branchen wie der Pflege übernehmen. Zudem helfen Zuwanderer, die sich auftuende Lücke an Fachkräften zu verkleinern.
Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft wird sich die Zahl der Fachkräfte in der Bundesrepublik Deutschland trotz eingerechneter Nettozuwanderung von 100 000 Menschen im Jahr demografiebedingt und umgerechnet in Vollzeit
stellen bis 2030 um 2,4 Millionen verringern. Vor allem in den Gesundheits- und Pflegeberufen sowie bei den Mathematikern, Ingenieuren, Naturwissenschaftlerinnen und Technikerinnen zeichnet sich ein riesiger zusätzlicher Fachkräftebedarf ab. Um diesen Bedarf zu decken und um unsere Sozialsysteme weiter finanzieren zu können, braucht Sachsen-Anhalt, braucht die Bundesrepublik Deutschland eine intensiv verstärkte Zuwanderung.
Diese Zuwanderung schließt innereuropäische Migration ebenso ein wie Zuwanderung von außerhalb der europäischen Union. Michael Hüther, der Direktor des Institutes der Deutschen Wirtschaft, hat zu Recht von einem deutschen Zuwanderungsverhinderungsrecht gesprochen.
Leider zeigt sich die große Koalition von CDU und SPD in Berlin unfähig, diese Barrieren für Zuwanderung endlich einzureißen. Dazu gehört eine vollständige Reform des Asylrechts ebenso wie die stärker zu steuernde Zuwanderung von sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen.
Migration hat viele Ursachen: politische Verfolgung, Flucht vor Krieg und Gewalt, Hunger und anderen Klimafolgen, aber eben auch das Streben nach Glück, der Wunsch nach einem Leben in wirtschaftlich abgesicherten Verhältnissen. Wer sind wir? Wer sind wir hier, dass wir die Fluchtgründe von Menschen kritisieren, die auf der Suche nach einem besseren Leben für sich und ihre Kinder sind.
Ich erinnere daran, dass zwischen 1949 und 1990 knapp 3,9 Millionen Menschen aus dem Gebiet der DDR nach Westdeutschland gingen. Viele davon waren politisch Verfolgte. Andere gingen aus familiären Gründen. Ein großer Teil aber verließ die DDR aus wirtschaftlichen Motiven und weil er sich im Westen Deutschlands ein besseres, ein glücklicheres Leben erhoffte.
Wir kennen uns in unserem eigenen Land mit Wirtschaftsflüchtlingen aus. Wir sollten niemanden auf der Welt dafür verurteilen, dass er diesen Weg für sich geht.
(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN - Herr Kolze, CDU: Es ist ein Skandal, das zu vergleichen!)
- Herr Kollege Kolze, es ist kein Skandal, das zu vergleichen. Es ist ein Verweis auf die Realitäten. Ich rate Ihnen: Fragen Sie die Leute, gucken Sie sich insbesondere das Ende der 80er-Jahre an, wie und warum Leute ausgereist sind. Es gibt genügend Beispiele und es ist überhaupt nicht ehrenrührig, dass Menschen ausgereist sind, weil sie auf der Suche nach einem besseren Leben waren. Ich
Was die innereuropäische Migration angeht, so gilt hierbei gleiches Recht für alle. Selbstverständlich darf auch für Zuwanderer aus Rumänien, Bulgarien und anderen EU-Ländern das Existenzminimum, sagen wir es mit den Worten des Bundesverfassungsgerichtes, „nicht migrationspolitisch relativiert werden“.
EU-Bürgerinnen muss auch in Deutschland grundsätzlich all jene Unterstützung zuteil werden, die auch deutschen Staatsbürgern zukommt. Die Urteile mehrerer Gerichte und die klarstellenden Äußerungen der EU-Kommission zu diesem Thema begrüßen wir deshalb.
Für Sachsen-Anhalt liegt die größte Aufgabe im Bereich von Zuwanderung noch vor uns. Wir müssen unser Bundesland attraktiver für Zuwanderung machen. Die Landesregierung muss hierbei vorangehen und sollte einerseits die Integration der wenigen bereits im Land lebenden Zuwanderer verstärkt begleiten und dabei auch den notwendigen Wandel der Mehrheitsgesellschaft nicht aus dem Blick verlieren.
Andererseits muss sie Anreize für eine verstärkte Zuwanderung nach Sachsen-Anhalt setzen. Dazu gehört, das Lohniveau in unserem Land zum Beispiel mithilfe eines Landesmindestlohngesetzes anzuheben und im Bund den Weg für eine Zuwanderung nach Deutschland frei zu machen.
Vielen Dank, Herr Kollege Striegel. Der Kollege Scheurell würde Ihnen gern eine Frage stellen. Sie wollen sie beantworten. - Bitte schön, Herr Kollege, am Mikro 2.
Sehr geehrter Herr Kollege Striegel, Sie werden mir doch sicherlich Recht geben, wenn ich sage, dass die Flucht eines Deutschen aus DeutschlandOst nach Deutschland-West bis 1989 oder 1990 nicht mit einer Flucht aus irgendeinem Teil der Welt nach Deutschland zu vergleichen ist.
Denn schließlich sind dort die Menschen innerhalb einer Nation, sozusagen von einem Sektor in den anderen geflüchtet.
Herr Kollege Scheurell, ich will Ihre Frage sehr gern beantworten und möchte Sie mit einem Verweis auf den Artikel 1 unseres Grundgesetzes, unserer Verfassung, beantworten. Darin steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dort steht nicht: Die Würde des Deutschen ist unantastbar.
Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen, dass ich anerkenne, dass jeder Mensch auf dieser Welt das Recht hat, so wie es in der amerikanischen Verfassung mit „the pursuit of happiness“ geschrieben steht, dem Streben nach Glück, dem Streben nach einer beruflichen Zukunft nachzugehen. Ich finde es absolut angemessen, dass wir uns damit auseinandersetzen.
Wenn wir als Volk eine Geschichte haben, in der dieses Streben nach Glück, dieses Streben, in Freiheit leben zu können - in beruflicher Freiheit, aber auch in wirtschaftlicher Freiheit -, uns bekannt ist, dann frage ich Sie: Warum wollen Sie sich über all diejenigen erheben, die das in anderen Teilen der Welt für sich verwirklichen wollen und die deshalb zu uns kommen?
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Striegel, ich zitiere einmal: „Nicht über und nicht unter andern Völkern wollen wir sein.“ - Sie kennen das sicherlich noch, die Brecht‘sche Kinderhymne. Aber das ist jetzt nicht mein Thema.
Sie haben meine Frage nicht verstanden. Ich habe mich hier nicht über jemanden erheben wollen oder jemanden niedriger setzen wollen. Dazu habe ich keinen Grund, sehr geehrter Herr Striegel, Sie im Übrigen auch nicht.
Ich habe Sie lediglich gefragt, ob Sie mit mir darin übereinstimmen, dass die Flucht eines Deutschen innerhalb einer Nation nicht damit zu vergleichen ist, dass heute Menschen von irgendwo auf der Welt - aus welchen Beweggründen auch immer - zu uns nach Deutschland kommen.
Das ist nicht vergleichbar, sehr geehrter Herr Striegel. Dabei brauchen Sie mir nicht mir der Würde des Menschen, die unantastbar ist, zu kommen. Das wäre genauso, als wenn ich Ihnen jetzt irgendwelche Glaubensbekenntnisse vorbeten würde. Das ist genauso unangebracht.
Herr Kollege Scheurell, die Frage, die Sie in den Raum stellen, ist, ob der Deutsche sozusagen mehr wert ist als jeder andere Bürger auf der Welt.
Das ist die Frage, auf die es am Ende herunterzubrechen ist. Ich sage sehr deutlich: Die Nation ist für mich an dieser Stelle nicht das entscheidende Kriterium; vielmehr schaue ich auf den einzelnen Menschen und darauf: Was bewegt ihn zu einer Flucht aus seinem Land, was bewegt ihn dazu, diese schwierige Entscheidung zu treffen?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich in den letzten Disput jetzt nicht unbedingt einmischen, weil ich ihn eigentlich vollkommen anders verstanden hatte. Ich komme vielleicht in meinem Debattenbeitrag noch dazu, weil ich das auch nicht gleichsetzen würde.
Die Bundesrepublik Deutschland ist längst Einwanderungsland. Das wissen wir bereits. Im Jahr 2012 sind wesentlich mehr Menschen zu uns gekommen als noch im Jahr 1995. Von den Zugezogenen waren fast 60 % Unionsbürger, die von dem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU Gebrauch gemacht haben.
Gewachsen ist dabei die Zahl der zugewanderten Personen auch aus den Ländern, in denen die Finanz- und Schuldenkrise besonders zugeschlagen hat, wie Spanien, Griechenland, Portugal und
Italien. Das betrifft auch die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien. Demgegenüber ist die Zuwanderung von Personen aus Drittstaaten eher geringer geworden.
Der größte Magnet für die Zugewanderten sind übrigens die Hochschulen. Bundesweit gibt es 282 000 ausländische Studierende. Aufgrund von Erleichterungen im Aufenthaltsrecht haben immer mehr von ihnen die Möglichkeit, nach dem Studium in Deutschland zu arbeiten. Das ist ein großes Potenzial für unsere Wirtschaft.