Protocol of the Session on November 15, 2013

Die Europäische Kommission schlägt in ihrer Mitteilung vom 2. Oktober 2013 die Einführung eines Scoreboards, also eines Analyseinstrumentes für das Monitoring der wichtigsten beschäftigungs- und sozialpolitischen Entwicklungen vor, um im Rahmen des jährlichen wirtschaftspolitischen Zyklus der EU und seiner Koordinierung - das ist das sogenannte europäische Semester - größere Probleme bereits im Ansatz zu identifizieren und besser zu analysieren.

Außerdem umfasst die Mitteilung Vorschläge für die stärkere Einbindung nationaler und europäischer Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen, den besseren Einsatz europäischer und nationaler Haushaltsmittel zur Linderung sozialer Not und die Beseitigung von Hindernissen für die berufliche Mobilität. Sie will der Stärkung des sozialen Dialogs auf EU-Ebene ausdrücklich dienen.

Der Bundesrat hat sich in dieser Woche in den Ausschüssen mit der Angelegenheit befasst und wird am 29. November 2013 die Mitteilung im Plenum behandeln. Über die Ergebnisse können wir uns in den Ausschüssen verständigen, wenn der Antrag - wie ich annehme - in die Ausschüsse überwiesen wird.

Im Lichte der Kompetenzverteilung zwischen der EU, dem Bund und den Ländern, der bereits laufenden Maßnahmen und der jeweiligen Mittel und Möglichkeiten sollten wir in den Ausschüssen auch

darüber beraten, ob es zur Umsetzung der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen eines Pakets konkreter und eigener landesspezifischer Umsetzungsmaßnahmen zur Stärkung der sozialen Dimensionen der Wirtschafts- und Währungsunion bedarf, so wie es der Abgeordnete Herr Czeke soeben begründet hat.

Ich habe den Eindruck, dass wir dabei im Vergleich mit anderen Mitgliedstaaten in der Bundesrepublik Deutschland schon relativ gut aufgestellt sind.

Im Ausschuss der Region wird der Staatssekretär Herr Dr. Schneider gern die Anregung der Antragsteller in Nr. 3 aufgreifend auf die erforderlichen Maßnahmen hinwirken.

In der Fachkommission für Wirtschaft und Sozialpolitik wird derzeit unter Federführung eines französischen Berichterstatters eine Stellungnahme vorbereitet, die im Plenum des Ausschusses der Regionen am 30. und 31. Januar 2014 verabschiedet werden soll. Einzelheiten hierzu können wir gern auch in den Ausschussberatungen behandeln, gern auch unter Einbeziehung des Staatssekretärs. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Für die Fraktion der SPD spricht jetzt Herr Tögel. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ehrlich gesagt, weiß ich nicht so richtig, wie wir mit diesem Antrag umgehen sollen, weil das Kommissionsdokument eigentlich nicht das ist, was ich mir von einem solchen Kommissionsdokument versprochen habe.

Es versucht mit schönen Worten, Europa sozialer zu gestalten. Es fehlen aber konkrete Maßnahmen und konkrete Initiativen, die sich verpflichtend an die Mitgliedstaaten richten, um tatsächlich darauf hinzuwirken, dass die Europäische Union sozialer wird. Es werden Statistiken und mehr Koordination gefordert. Dazu hat der Staatsminister eben etwas gesagt. Die konkreten Maßnahmen fehlen aber.

Auf der einen Seite drängt die Europäische Union die Krisenstaaten mit scharfem Schwert zu Einsparungen und ruft damit soziale Schieflagen hervor, die auf der anderen Seite mit einem Papier und mit schönen Worten wieder ausgeglichen werden sollen. Mir persönlich reicht das nicht.

Wenn Vorschläge kommen, dann solche, wie Sie es schon gesagt haben, Herr Czeke, mit denen die Mobilität der Arbeitnehmer gefördert werden soll.

Das ist zwar gut und schön, wenn die Arbeitnehmer es denn wollen. Es kann aber nicht sein, dass dadurch Arbeitnehmer, die in ihrem Heimatland keine Arbeit finden, sozusagen gezwungen werden, ins Ausland zu gehen, weil ihnen ansonsten unter Umständen die Arbeitslosenunterstützung gestrichen wird. Das kann nicht Sinn und Zweck der Mobilität von Arbeitnehmern sein.

Die SPD fordert seit dem Bestehen der Wirtschafts- und Währungsunion neben anderen Themen, dass wir parallel dazu auch eine Sozialunion brauchen. Das habe ich hier im Parlament in den vergangenen Jahren schon mehrfach betont. Deren Schaffung ist uns allerdings nicht gelungen.

Wir Sozialdemokraten haben bei der Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion ebenso die Forderung gestellt, dass wir die Steuern harmonisieren müssen. Das heißt nicht, dass überall alles gleich sein muss, aber es muss mehr aufeinander zugegangen werden.

Wir brauchen ein gemeinsames Vorgehen bei Umweltfragen und beim Umweltschutz; denn Umweltverschmutzung macht nicht vor den mitgliedstaatlichen Grenzen halt. Vor allem brauchen wir aber eben auch die Angleichung in sozialen Fragen.

Die erste Gelegenheit wäre bei den Maastrichter Verträgen gewesen. Das ist nicht gelungen. Damals wurde mehr Wert auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit gelegt. Das Zeitfenster, das damals offen stand, hat sich mittlerweile geschlossen.

Auch bei der Osterweiterung sind entsprechende Punkte nicht in die Verträge aufgenommen worden, sodass es angesichts der Mehrheits- und Stimmrechtsverhältnisse in der EU nachträglich unheimlich schwer ist, zu einheitlichen Regelungen zu kommen, die für die Mitgliedstaaten tatsächlich auch zwingend sind. Mit der konservativen Mehrheit im Rat und in der Kommission wird das sicherlich auch in Zukunft nicht so schnell gelingen. Ich gebe die Hoffnung aber nicht auf. Wir haben vielleicht die Chance, daran nach den Wahlen zum Europäischen Parlament im nächsten Jahr etwas zu ändern.

Wir brauchen in Europa mehr Zusammenarbeit und weniger Nationalismus und Protektionismus. Es ist völlig klar, dass die Bedeutung Asiens wächst. Wir Europäer werden angesichts der wachsenden Bevölkerung in Asien in absehbarer Zeit nur noch 1 % der Weltbevölkerung stellen. Irgendwann sind wir dann, wenn wir uns nicht auf mehr Gemeinsamkeit und mehr Zusammenarbeit verständigen, weg vom Fenster. Dann bestimmt ein G2-Gipfel, bestehend aus China und den USA, wie es in der Welt weitergeht, und wir gucken in die Röhre.

Wer das noch etwas profunder wissen will, der kann sich die Rede von EU-Kommissar Oettinger

durchlesen, die er am 1. Juli in Berlin vor der Mitgliederversammlung der Europäischen Bewegung gehalten hat. Günther Oettinger ist ja nun tatsächlich kein Sozialdemokrat.

Wie gesagt, wir werden sehen, was nach den Wahlen zum Europäischen Parlament geschieht. Ob die Gipfel wie in dieser Woche zur Jugendarbeitslosigkeit tatsächlich hilfreich sind, scheint mir fraglich zu sein. Das ist aus meiner Sicht eigentlich nur Aktionismus. Die Krisenländer brauchen gerade wegen der hohen Arbeitslosigkeit nicht immer nur Einsparungen, sondern Hilfen für Infrastruktur, Wirtschaft und Bildung. Dabei haben wir im Moment noch einen weiten Weg vor uns.

(Zustimmung bei der SPD)

Die sozialen Ziele in den Mitgliedstaaten der EU umzusetzen, geht nicht mit unverbindlichen Zielvorgaben. Das haben wir schon bei den Zielen der Lissabon-Strategie erlebt. So ist aus dem selbst gesteckten Ziel, für Forschung und Entwicklung 3 % des BIP auszugeben, nichts geworden. Wir liegen EU-weit bei 2 %. Das ist zu wenig.

Gerade in sozialen Fragen müssten verbindliche Ziele formuliert werden. Die können dann innerhalb eines europäischen Semesters überprüft werden - der Staatsminister sagte es -, ob sie eingehalten wurden. Die Nichteinhaltung muss dann aber auch sanktioniert werden.

Ich gehe allerdings nicht so weit wie der Kollege Czeke, der versucht hat, in dieses Papier alles hineinzubringen, was die LINKE schon immer einmal zu Europa sagen wollte.

(Herr Czeke, DIE LINKE: Oh!)

Das gilt zum Beispiel für die Forderung nach einem Mindesteinkommen in Höhe von 60 % des nationalen Durchschnitts. Das geht mir tatsächlich zu weit. Wir müssen überlegen, auch im Ausschuss, was vernünftig ist. Fast alles, was in dem EU-Papier steht, bezieht sich auf EU-Kompetenzen. Das einzige, wobei wir als Land eine Kompetenz haben, ist die Zahl der Schulabbrecher.

Der Kultusminister hat mir heute gesagt, dass wir inzwischen bei weniger als 10 % liegen. Das ist auf einem relativ niedrigen Level ein Schritt nach vorn. An dieser Stelle können wir etwas machen. In den anderen Bereichen sieht es aber eher schlecht aus.

Wir müssen schauen, was in den Koalitionsvertrag auf der Bundesebene hineinformuliert wird. Deswegen bin ich für die Überweisung des Antrags an den Europaausschuss. Ich bin zwar eher pessimistisch hinsichtlich dessen, was im Koalitionsvertrag zu Europa stehen wird. Wir müssen aber erst schauen, was tatsächlich darin stehen wird. Auf dieser Grundlage sollten wir uns dann im Europaausschuss über die Themen weiter unterhalten,

wenn wir die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen kennen.

(Vizepräsident Herr Miesterfeldt räuspert sich)

- Ich komme zum Ende, Herr Präsident. - In Ergänzung dessen, was Staatsminister Robra sagte, werde natürlich auch ich mich im Ausschuss der Regionen bemühen, dass die soziale Dimension in der EU nicht zu kurz kommt. Ich werde das an den Stellen, an denen es mir möglich ist, mit einbringen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Tögel. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Herr Kollege Herbst. Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, auch bei diesem Antrag eint uns im Hause die Einsicht in die Notwendigkeit der Entwicklung einer sozialen Dimension der Europäischen Union. Ich glaube, die europäische Einigung als Projekt hat viel zu lange soziale Fragen ausgeklammert. Das liegt sicherlich auch ein Stück weit daran, dass Sozialpolitik eigentlich ein nationaler Kernbereich ist.

Der Vertrag von Lissabon formuliert aber eben auch Soziales als Querschnittsaufgabe und als solches sollte man sie auch ernst nehmen. Der Vertrag schafft eben auch einen Anspruch auf Soziales für die Bürgerinnen und Bürger der Union.

Ich denke, wie es meine Vorredner schon gesagt haben, gerade die Wirtschafts- und Finanzkrise hat sehr eindringlich die Notwendigkeit der Entwicklung einer sozialen Dimension und eines sozialen Zusammenhalts in der Europäischen Union gezeigt. Auch andere aktuelle Fragen weisen darauf hin, wie die Flüchtlingspolitik in der Europäischen Union, wie die östliche Partnerschaft in der Europäischen Union, die weiterhin ein wichtiges Projekt ist.

Gerade jetzt, unter der litauischen Ratspräsidentschaft, sollte sie vorangetrieben werden. Ich glaube, es ist eine der ganz wichtigen Fragen, wie wir in Zukunft mit den europäischen Partnerländern in Europa umgehen, die nicht Teil der EU sind, nämlich solidarisch, weil wir als EU auch eine Verantwortung haben, ein Zwei-Klassen-Europa zu verhindern.

Wir GRÜNE fordern eine Förderung, ein weiteres Voranbringen des europäischen Integrationsprozesses. Wir wollen ganz klar eine Stärkung der sozialen Dimension der EU erreichen. Wir wollen die Wirtschaftsunion ganz klar um eine soziale Dimen

sion erweitern. Letztlich steht für uns das Ziel im Raum, dass Europa schließlich ein soziales Projekt der Bürgerinnen und Bürger Europas werden muss. Dahin möchten wir die Europäische Union entwickeln.

Uns als Fraktion stellt sich allerdings die Frage, ob dieser Antrag, Herr Kollege Czeke, die geeignete Art und Weise ist, einen sachsen-anhaltischen Beitrag zu diesem Projekt, das uns sicherlich eint, zu leisten. Der Antrag ist an einigen Stellen hinreichend unkonkret, gerade im zweiten und dritten Teil.

Im ersten Teil handelt es sich im Wesentlichen um eine Abschrift aus der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament. Darin stehen viele richtige Dinge, die aber auch hinreichend unkonkret sind. Danach soll sich die Landesregierung im Bundesrat dafür einsetzen, dass dieser gegenüber der EU eine Weiterentwicklung dieser Ziele hin zu einer Europäischen Sozialunion anstrebt. Ich glaube nicht, Herr Czeke, dass das mit diesem Antrag funktioniert. Ich glaube nicht, dass unsere Staatskanzlei die Kraft besitzt, das substanziell voranzubringen.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Das könnte ein Argument sein!)

- Ja, das glaube ich wirklich nicht. Es soll keine Abwertung sein, aber ich glaube, dieser Schuh ist zu groß für uns. Deswegen unterstützen wir das Anliegen, diesen Antrag in den Ausschuss für Bundes-und Europaangelegenheiten sowie Medien zu überweisen. Im Ausschuss können wir uns wirklich einmal darüber unterhalten und vielleicht zusammen bessere Ideen entwickeln, was sinnvolle Beiträge aus Sachsen-Anhalt sein könnten.

Es wurden schon einige Themen angeschnitten, die uns zu einem sozialen Projekt der Europäischen Union führen könnten. Ich möchte die Jugendgarantie der EU ins Spiel bringen. Jeder EUBürger unter 25 Jahren soll innerhalb von vier Monaten nach dem Abschluss einer Ausbildung oder bei Arbeitslosigkeit ein Angebot für eine neue Stelle, eine Weiterbildung oder einen Ausbildungsplatz erhalten. Das würde bei uns in den Ländern einen guten Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten.

Wir fordern besser ausgestattete Sozialfonds für die Mitgliedstaaten, insbesondere für die mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit, damit mehr Mittel für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit bereitgestellt werden können. Wir wollen, dass die Idee einer europäischen Arbeitslosigkeitsversicherung weitergedacht und auch umgesetzt wird. All das sind Dinge, die wir auch aus Sachsen-Anhalt fordern und voranbringen können.

Wir könnten uns zu dem Antrag, weil er eben an vielen Stellen ein großes Feld beackert und hin

reichend unkonkret ist, im Moment nur der Stimme enthalten. Wir wollen das aber gar nicht tun, sondern gern im Ausschuss darüber diskutieren.