Protocol of the Session on June 20, 2013

An dieser Stelle möchte ich Folgendes sagen. Ja, in Fischbeck ist ein alter Deich gebrochen. Das Problem war aber: Wenn nicht dieser alter Deich in Fischbeck gebrochen wäre, dann wäre mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Deich 7 km nördlich davon in Hohengöhren gebrochen. Er war schon seit über einer Woche abgerutscht.

Die Schwierigkeit, die wir mit dieser Situation im Grunde genommen haben, ist - das ist wahr

scheinlich die bittere Erkenntnis -: Das Wasser sucht sich den schwächsten Punkt im System. Diesen schwächsten Punkt können wir mit Investitionen verlagern, aber wenn es keine alten Deiche mehr gibt, wird irgendwann auch ein neuer Deich diesen schwächsten Punkt bilden. Darauf müssen wir uns einstellen. Wir müssen auch darauf schauen, wo die Grenzen des technischen Hochwasserschutzes sind.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Deswegen ist ein gemeinsames Überlegen angesagt. Gegenseitige Vorwürfe helfen uns hierbei nicht. Ich sage auch ganz deutlich: Auch bei uns stand die Ausweitung der Retentionsflächen in den letzten Jahren nicht in dem erforderlichen Maße auf der Agenda. Wenn wir aus dieser Debatte herauskommen und uns der Sache zuwenden, kommen wir vielleicht alle gemeinsam weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Leider fehlt mir die Zeit, noch etwas umfangreicher zur Finanzierung der Hochwasserschäden zu sprechen. Natürlich wissen wir, dass wir einen Fonds brauchen. Wir gehen eher davon aus, dass der Schadensumfang größer geworden ist, dass wir es mit 10 Milliarden € zu tun haben werden, die in dieser Situation insgesamt bundesweit anfallen. Wir sehen jetzt die Verhandlungen. Aus der Sicht der Betroffenen ist es natürlich extrem wichtig, dass die Mittel schnell, unbürokratisch und ordentlich ausgezahlt werden.

Wir wissen auch, dass wir ein besonderes Problem im Bereich der Landwirtschaft haben werden. Hierbei sehen wir übrigens, dass es nicht nur um das Überleben des einzelnen Unternehmens geht. Die Betroffenheit ist derart substanziell, dass der gesamte Zweig betroffen ist und dass dadurch einer der wesentlichen Industriezweige in SachsenAnhalt ebenfalls betroffen werden kann, nämlich der Industriezweig der Ernährungswirtschaft. Das heißt also, wenn wir über Hilfen für die Landwirtschaft reden, reden wir über ein sehr substanzielles strukturelles Problem für Sachsen-Anhalt und für die Ausweitung und Entwicklung der Wirtschaft im Land.

Ein allerletzter Satz dazu. Der Kollege Haseloff hat sich Gedanken über die Refinanzierung gemacht. Er hat vorgeschlagen, auf den Solidarzuschlag ein Prozent draufzulegen. Kurz vor der Wahl hat er dafür bei anderen wenig Begeisterung geweckt. Trotz alledem - das ist sein Problem: wenn ich ihn einmal lobe, ist er nicht da - finde ich es nicht schlecht, dass sich jemand einmal Gedanken über die Refinanzierung gemacht hat. Auch über diesen Vorschlag wäre nachzudenken.

Ich sage allerdings sehr deutlich: Der Finanzminister aus Niedersachsen hat einen besseren Vorschlag gemacht. Er hat vorgeschlagen, über eine

Erhöhung der Körperschaftsteuer zu refinanzieren. Das finde ich ausdrücklich besser und sozial viel gerechter. Darüber könnte man auch bei uns einmal diskutieren.

Leider habe ich von unserem Finanzminister nur den einen alten Satz gehört, den er immer sagt: Wir können das machen, aber ohne Schulden. Das bedeutet aber, es woanders wegzustreichen. Deswegen verlangen wir - das sagen wir ausdrücklich auch in diesem Zusammenhang - einen Nachtragshaushalt. Wir müssen prüfen, woraus diese Ausgaben getätigt werden können und wo wir Mittel umverlagern können. Wir müssen aber auch prüfen, wo wir möglicherweise Schulden aufnehmen müssen, was im Bereich der Naturkatastrophen ausdrücklich auch eine Option wäre. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Danke schön, Herr Kollege Gallert. - Wir fahren in der Debatte fort. Als Nächster spricht für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Zimmer.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die dramatischen Hochwasserereignisse sind noch nicht vorüber, nicht in Fischbeck und nicht an der Goitzsche. Auch wenn die Landtagssitzung aufgrund der prekären Lage in vielen Ortschaften um eine Woche verschoben wurde, wird uns und vor allem die Betroffenen das Ereignis noch lange in Atem halten.

Dennoch, meine Damen und Herren: Ein erster Gesamtblick zeigt, dass die Menschen in SachsenAnhalt zusammengerückt sind und sich gemeinsam dieser Naturkatastrophe gestellt haben. Sie zeigt das hohe Maß an Engagement, Hilfsbereitschaft und Solidarität im Lande. Unsere Gesellschaft hat funktioniert. Das ist ein ganz wichtiges Signal.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Menschen haben gut und effizient, unabhängig von Alter, Beruf oder Herkunft, zusammengearbeitet. Vor allem die jungen Menschen, denen man oft mangelndes Interesse vorwirft, haben Flagge gezeigt, wie man so schön sagt. Ich erinnere mich an den Sandsackfüllplatz in Greppin. Dort waren viele Gesichter zu sehen, die nicht älter als 15 oder 25 Jahre waren. Ich erinnere mich auch an den Sandsackfüllplatz am Bitterfelder Bogen. Dort haben die Helfer eine Stereoanlage mitgebracht, um im Takt der Musik zu schippen. Dies geschah alles in teilweise fröhlicher und gelöster Stimmung. Hierfür sage ich ganz herzlich Dankeschön; denn ihr und wir gemeinsam haben vielen Menschen Haus

und Gut gerettet. Auch mir persönlich wurden Haus und Gut gerettet.

Meine Damen und Herren! Ich bin stolz auf die Helfer. Wir als CDU-Fraktion sind stolz auf die Helfer, auf unser Land und auf seine Menschen. Das ist eine positive Botschaft, die an den Anfang meiner Ausführungen gehört.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Ich danke auch den Wasserwehren und den Feuerwehren, der Bundeswehr, dem Technischen Hilfswerk, der Polizei, den Krisenstäben, dem LHW und der LMBV. Selbst ein Schweizer Autokennzeichen war am Sandsackdamm auszumachen.

Danken möchte ich an dieser Stelle ganz persönlich und auch im Namen vieler Betroffener für den steten und unermüdlichen Einsatz unseres Ministers Dr. Aeikens. Dank auch an unseren Ministerpräsidenten Dr. Reiner Haseloff und an unseren Innenminister Holger Stahlknecht. Beide waren am Abend des 4. Juni vor Ort auf dem Muldedeich am Lober-Leine-Kanal zwischen Pouch und Löbnitz zu später Abendstunde, um gemeinsam mit den verantwortlichen Einsatzkräften und Helfern aus Sachsen und Sachsen-Anhalt im Anblick der Ereignisse das Geschehene auszuwerten, das weitere Vorgehen abzustimmen und - das war ganz wichtig - Mut zuzusprechen nach dem Motto: Ihr schafft das; wir gemeinsam schaffen das! An dieser Stelle, leider nicht an allen Stellen, haben wir es geschafft. Danke dafür!

Trotz Evakuierungen, Deichbrüchen und überspülter Ortschaften muss konstatiert werden: Ja, wir haben auch Glück gehabt. Das liegt, wie gesagt, an den Helfern. Das liegt aber auch an den eingeleiteten Maßnahmen. Ein Betrag von einer halben Milliarde Euro wurde in eine Strecke von 500 Deichkilometern, in Rückhaltebecken und in andere Maßnahmen investiert. Kein anderes Bundesland hat pro Kopf gerechnet so viel Geld in den Hochwasserschutz investiert wie Sachsen-Anhalt.

Ich freue mich, meine Damen und Herren, dass es heute einen großen fraktionsübergreifenden Antrag gibt, dem alle Fraktionen zustimmen können. Es ist ein gemeinsamer Antrag, geprägt von einem Dreiklang aus technischem Hochwasserschutz, natürlichem Rückhalt und Vorsorge. Ich hoffe, dass diese Einigkeit, die wir heute in diesem Hohen Hause haben werden, auch zukünftig bei anderen wichtigen Entscheidungen zum Tragen kommen wird. Denn diese Einigkeit ist ein gutes Zeichen für unser Land und auch für die Betroffenen, meine Damen und Herren.

Das schnelle Agieren und Reagieren unserer Landesregierung hat dazu geführt, dass bereits seit vergangener Woche Soforthilfen an betroffene

Bürger ausgezahlt werden können. Für Eigenheimbesitzer, für Kommunen, für Unternehmen und für die Forstwirtschaft wird dies ebenfalls bald möglich sein. Meine Damen und Herren! Dies ist ein Zeichen dafür, dass wir die Menschen mit den Schäden nicht allein lassen. Dieses Zeichen ist immens wichtig.

Beispielsweise wurde die Gärtnerei Heiber in Jeßnitz von der Flutkatastrophe getroffen. Die Gärtnerei wird von jungen Leuten bewirtschaftet, die im Jahr 2002 den elterlichen Betrieb übernommen haben. Nun sind 90 % der Pflanzen vernichtet, weil das Wasser über den Töpfen stand. Die automatische Beregnungsanlage wurde durch die Wucht des Wassers zerstört. Die Gärtnerei beliefert Großhändler und Endabnehmer mit Pflanzen und Früchten. Die junge Familie ist privat und wirtschaftlich betroffen. Angesichts derartiger Betroffenheiten wissen Sie, wie wichtig schnelle und unbürokratische Hilfe ist.

Meine Damen und Herren! Neben dem Dank an das Ministerium gilt der Dank auch der LMBV und dem LHW. Namentlich seien an dieser Stelle Herr Henning, Herr Dr. Uhlmann und Herr Weilbach stellvertretend für alle Ungenannten erwähnt.

Meine Damen und Herren! Einmalige und spektakuläre Ereignisse fanden bei Fischbeck und Hohengöhren statt. Dies ist bereits erwähnt worden. Auch wenn die Bilder und Schlagzeilen irgendwann in den nächsten Wochen aus den Medien verschwinden, so ist das persönliche Leid damit noch lange nicht vorbei und auch die Erinnerung nicht.

Als Betroffener der Flutkatastrophe von 2002 kann ich berichten: Wenn Sie an einem Abend nach Hause kommen und eine Feuchtigkeit in der Luft liegt, dann haben Sie den Geruch der Jutesandsäcke, die im Jahr 2002 in Größenordnungen verbaut wurden, immer noch in der Nase und im Hinterkopf. Wenn Sie wieder die Sirenen und die Einsatzfahrzeuge hören, dann kommen diese Bilder wieder ins Bewusstsein und Sie wissen, dass es so schnell nicht vorbei ist.

Es ist auch deswegen nicht so schnell vorbei, weil in den Häusern, in denen lange Zeit das Wasser stand, natürlich Trocknungsmaßnahmen und andere Maßnahmen durchgeführt werden müssen. Ich selbst bin nach dem Hochwasser im August 2002 am dritten Advent des Jahres 2002 nach Trocknungsmaßnahmen wieder in mein Haus zurückgezogen, obwohl das Wasser glücklicherweise nur anderthalb Tage im Haus stand und größere Reparaturen nicht nötig gewesen sind.

Meine Damen und Herren! Diese Situation und das Wissen darum soll uns Ansporn sein, heute und auch dann, wenn die Medien nicht mehr so intensiv über das Thema berichten, uns dieses Themas bewusst zu sein und den Betroffenen zu helfen.

Die Erinnerung ist das, was nach der großen Öffentlichkeit kommt und bleibt.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Wir werden alles Geschehene aufarbeiten müssen und ressortübergreifend Hochwasserschutzkonzeptionen hinterfragen müssen. Wir müssen neue Dinge einarbeiten. Das, was angeschoben worden ist - - Ich erwähne hier explizit den Polder Rösa und den Polder Löbnitz als ein großes länderübergreifendes Projekt, das einen Schutz, eine Wegnahme von Oberflächenwasser in bestimmten Bereichen gewährleistet, aber auch - so ehrlich müssen wir auch sein - Betroffenheiten in anderen Ortschaften auslöst. Auch das muss Berücksichtigung finden, meine Damen und Herren.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Dass Wasser und damit der Hochwasserschutz nicht an administrativ festgesetzten Grenzen Halt macht, haben wir gesehen und erlebt. Das, was am Oberlauf passiert, betrifft den Unterlieger, auch wenn er darauf keinen Einfluss hat. Deshalb brauchen wir noch stärker eine flusseinzugsgebietsweise Betrachtung; denn das, was in der Mulde in Bitterfeld, Jeßnitz, Raguhn oder Dessau ankommt, ist vorher eingespeist durch die vielen Zuflüsse.

(Zuruf von Herrn Weihrich, GRÜNE)

Meine Damen und Herren! Die Deiche einfach auf einen HQ 200 auszurichten, wird auch nicht viel helfen; denn damit erhöhen wir die Fließgeschwindigkeit und letztlich auch die Wahrscheinlichkeit des gemeinsamen Eintreffens der Hochwasserscheitel unterschiedlicher Zuflüsse zum selbem Zeitpunkt. Aufgrund dessen müsste eine noch größere Gefahrenlage bekämpft werden.

Wir müssen viel stärker als bisher die Interaktion zwischen Oberflächen- und Grundwasser berücksichtigen. Die Flüsse haben ein Gedächtnis. Nicht nur die Mulde ist nach 2002 wiederholt in ihr altes Bett zurückgekommen bzw. wollte dies. Sie korrespondiert auch mit alten Flussläufen, die längst überbaut und längst vergessen sind. Deswegen, so denke ich, meine Damen und Herren, brauchen auch wir in diesem Hohen Hause eine Fokussierung auf ein ganzheitliches Wassermanagement aus Grund- und Oberflächenwasser. Darüber werden wir uns auch in den nächsten Wochen noch unterhalten müssen.

Ich kann unserem Minister nur beipflichten, wenn er sagt, wir brauchen Verfahrensbeschleunigungen. Ja, ich möchte fast sagen, Herr Minister, wir brauchen einen „Milcherlass“ wie im Jahr 2002, als Ihre Vorgängerin Frau Ministerin Wernicke den Erlass herausgegeben hat, damit die Deichbaumaßnahmen schnell vonstatten gehen können.

Wir brauchen, meine Damen und Herren, einen Vorrang der Gefahrenabwehr. Deichbau und Hoch

wasserschutz sind Gefahrenabwehr zum Schutz von Leib und Leben der Bevölkerung. Wir brauchen in diesem Zusammenhang möglicherweise auch eine Gemeinnützigkeitsklausel, die widerspiegelt, dass alles das, was der Allgemeinheit dient, vor Partikularinteressen steht.

Meine Damen und Herren! Es gibt noch viel zu sagen, aber das können wir durchaus auch in den Ausschüssen und in anderen Runden tun. Mein Fraktionsvorsitzender wird für uns die abschließenden Worte zu diesem Tagesordnungspunkt sprechen. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD)

Herr Kollege Zimmer, es gibt eine Anfrage an Sie. Möchten Sie diese beantworten? - Nein. Dann fahren wir in der Debatte fort. Für die Fraktion der CDU spricht der Fraktionsvorsitzende Schröder.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU-Landtagsfraktion hat sich dazu entschlossen, die Redezeit zu splitten, wie es so schön heißt, damit mit Lars-Jörn Zimmer ein Abgeordnetenkollege das Wort ergreifen kann, der direkt in seinem Wahlkreis und auch persönlich von der Extremsituation des Hochwassers betroffen war. Ich glaube, er hat sehr schön zusammengefasst, worum es in diesen Tagen geht.

Es geht um ein Land, das zusammengerückt ist, das Engagement und Solidarität zeigt. Es geht um eine Gesellschaft, die im Land funktioniert und auf die wir stolz sein können. Deswegen will ich auch für meine Fraktion noch einmal Dank sagen an den Landesbetrieb für Hochwasserschutz, an die Wasserwehren, an die Bundeswehr, an das Technische Hilfswerk, an die freiwilligen Feuerwehren, an die vielen ehrenamtlichen Helfer in diesem Land.

Trotz der immensen Schäden, die zu verzeichnen sind, muss konstatiert werden, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können. Die seit 2002 durchgeführten Hochwasserschutzmaßnahmen waren richtig.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben 2002 gelernt und investiert. Wir werden auch 2013 lernen und investieren. Die in Sachsen-Anhalt eingesetzten 500 Millionen €, die höchsten ProKopf-Ausgaben für den Hochwasserschutz aller Bundesländer, die Sanierung einer Deichstrecke von 500 km und teilweise Deichneubauten, der klassische Deichbau waren und bleiben richtig. Das, was als technischer Hochwasserschutz bezeichnet wird, hat geholfen.

Darüber hinaus brauchen wir die Optimierung der Vorsorge. Die Freihaltung von Überschwemmungsgebieten, entsprechende Linienführungskorrekturen und die Schlussfolgerungen aus dem jetzt erstellten Deichregister - all das bleibt richtig. Aber Deichrückverlegungen allein werden nicht dazu führen, dem Hohwassergeschehen Herr zu werden. An dieser Stelle sollte die Debatte auch mit Blick auf die öffentliche Wahrnehmung nicht verengt werden.