Protocol of the Session on March 22, 2013

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

Demokratie und Toleranz brauchen ausdauerndes und langfristiges Wirken. Eine wirksame Zurückdrängung von rechtsradikalem Gedankengut erfordert eine kontinuierliche Arbeit, erfordert Angebote für junge Leute auch und besonders in den ärmsten Gegenden unseres Landes, damit sie sich gar nicht erst zu den Rechten hingezogen fühlen, sich aber auch gegen die Neonazis wehren und Zivilcourage erlernen.

Insofern ist es gut und richtig, dass es das Landesprogramm für Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit gibt. Die Fraktion DIE LINKE hatte seine Erarbeitung ausdrücklich begrüßt. Das Programm allein reicht allerdings nicht. Es ist notwendig, dass mit diesem Programm auch im Land gearbeitet wird, dass es bekannt ist, dass Vereine und Verbände, aber auch Kommunen und Bürgerinnen und Bürger darauf Zugriff haben.

Ich weiß, dass es gerade angesichts des angedrohten Sparhaushaltes schwer wird, die notwendigen finanziellen Mittel aufzubringen. Wir haben dafür 150 000 € in den Landeshaushalt eingestellt. Ausschließlich mit dem Ehrenamt ist das Programm aber nicht umzusetzen.

Ich denke dabei beispielsweise an die Lokalen Aktionspläne. Sie sind eine gute Sache und kommen vor Ort an. Es passiert allerdings auch, dass Projekte gestrichen werden müssen, weil das Geld, das der Landkreis bekommt, nicht ausreicht. Das ist die Realität. Dabei geht es manchmal nur um 200 €; denn gerade in den Flächenkreisen müssen die Leute einfach nur von A nach B befördert wer

den und das Geld für den Bus ist manchmal nicht vorhanden.

DIE LINKE fordert diesbezüglich die Landesregierung auf, beim Bund aktiv zu werden. Vom Bund geförderte Projekte gegen Rechts sind maximal noch bis April 2014 finanziell abgesichert. Dabei handelt es sich um Restgelder. Eine Planung für die Projekte darüber hinaus ist noch nicht vorhanden. Das heißt, ich mache das Licht aus und Projekte brechen weg. Was einmal weg ist, wieder aufzubauen, ist schwierig.

Damit wird die Demokratie nicht gestärkt. Der Kampf gegen Intoleranz, Rassismus und Rechtsextremismus benötigt vor allem drei Dinge: Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt und Diskriminierung, das entschlossene, solidarische und zugleich vielgestaltige Agieren der demokratischen Zivilgesellschaft und die stetige und ausreichende Förderung der professionellen Beratungsstrukturen und -projekte.

An dieser Stelle sind die Landesregierung in der Pflicht und wir, die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, in der Verantwortung. Nur wenn wir in diesem Sinne handeln, hat die heutige Debatte ihr Ziel erreicht. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Bevor wir in der Aktuellen Debatte fortfahren, dürfen wir weitere Gäste im Haus begrüßen. Begrüßen Sie Schülerinnen und Schüler des Bildungszentrums für das Hotel- und Gaststättengewerbe Magdeburg. Willkommen im Haus!

(Beifall im ganzen Hause)

Als nächster Redner spricht für die CDU Herr Fraktionsvorsitzender Schröder.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich zementierte am 23. März 1933 die nationalsozialistische Diktatur. Vor 80 Jahren beschloss damit ein deutsches Parlament seine Selbstaufgabe.

Die Ermächtigung hatte nur fünf Artikel: Gesetze können auch durch die Reichsregierung direkt beschlossen werden. Diese Gesetze können von der Verfassung abweichen. Reichsgesetze fertigt und verkündet ausschließlich der Reichskanzler. Verträge mit fremden Staaten bedurften keiner Zustimmung des Reichstages mehr. Der fünfte Artikel regelte lediglich das Inkrafttreten. Kurz und bündig.

Weder die breite Öffentlichkeit noch die meisten Vertreter von Parteien und Verbänden hatten die ganze Dimension dieses Gesetzes erkannt. Es war

sogar geplant, dass dieses Gesetz im Jahr 1937 wieder außer Kraft tritt.

Die Ermächtigungen übertrafen aber an Tragweite alles, was ein Parlament jemals einer Regierung zugebilligt hatte. Es gab weder parlamentarische Kontrolle noch rechtliche Schranken mehr.

Noch unmittelbar vor der Abstimmung selbst kam es zu einer unglaublichen Herablassung, indem Adolf Hitler meinte, er behalte sich auch für die Zukunft vor, den Reichstag von Zeit zu Zeit über Maßnahmen zu unterrichten oder aus bestimmten Gründen, wenn zweckmäßig, auch seine Zustimmung einzuholen - so sein Zitat.

Das Protokoll dieser Reichstagssitzung ist noch heute ein abschreckendes Beispiel für die mutwillige Zerstörung einer Demokratie. Staatshörigkeit, vage Versprechungen, politische Einschüchterung, ja auch brutale Bedrohung brachten die notwendige Zweidrittelmehrheit zustande.

Im bürgerlichen Lager war das Ermächtigungsgesetz das Ergebnis von Erpressung, Täuschung, aber auch von Selbsttäuschung. Der Historiker Heinrich August Winkler - er ist heute bereits zitiert worden - sprach pointiert:

„Der Schein der Legalität förderte den Schein der Legitimität und sicherte dem Regime die Loyalität …“

Bei der Reichstagsabstimmung fehlten bereits 107 Abgeordnete. Neben der KPD saßen auch 26 Sozialdemokraten bereits in Haft bzw. waren auf der Flucht, nahmen an der Abstimmung nicht teil. Es ist - das sage ich heute an dieser Stelle auch - der Verdienst der 94 verbliebenen Parlamentarier, sich geweigert zu haben, den Umsturz hinter einer parlamentarischen Fassade zu verstecken. Sie wurden zu stillen Helden der Demokratie.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der LINKEN)

Ja, die Zeit des NS-Regimes hat am 30. Januar 1933 begonnen, aber die Auflösung der Weimarer Republik zweifellos früher. Bis in die Spitze der Verfassungsorgane hinein fehlte es an überzeugenden und überzeugten Demokraten. Der Zweifel an der Parlamentsdemokratie war weit verbreitet. Es herrschte Misstrauen, ja sogar Unverständnis für die Notwendigkeit von Kompromissen.

Schließlich haben die Parteien das Scheitern der Regierung eher in Kauf genommen als den Konflikt mit der eigenen Klientel. Es kam zu einer beispiellosen Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung. Die Parlamentsverachtung breiter Bevölkerungsschichten wuchs.

Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch das gehört zur Wahrheit: Der Anspruch auf politische Teilhabe des Volkes wurde seit 1930 unterlaufen - also vor der Machtergreifung Hitlers -;

denn mit den Präsidialregierungen wurde das Parlament weitgehend ausgeschaltet. Die präsidialen Notverordnungen hatten immer häufiger die klassische Gesetzgebung unter parlamentarischer Kontrolle verdrängt. Nach den Juli-Wahlen tagte der Reichstag ganze zwei Mal - Reichstagspräsident war inzwischen Hermann Göring - und nach den November-Wahlen ganze drei Mal.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Damals lebten 1 583 Parlamentarier, die entweder früher Mitglieder des Reichstags gewesen waren oder zum damaligen Zeitpunkt Mitglieder waren. Von diesen 1 583 Abgeordneten mussten über 300 Vermögen und Berufsausübung aufgeben, 416 Mandatsträger wurden von der Justiz verurteilt und inhaftiert, mindestens 73 kamen während der Haft ums Leben, nicht weniger als 167 ehemalige Parlamentarier waren ab 1933 zur Ausreise gezwungen, sechs Abgeordnete verübten Selbstmord.

Am 2. Mai 1933, unmittelbar nach dem Tag der Arbeit, wurden überall in Deutschland die Gewerkschaftshäuser gestürmt. Am 22. Juli 1933 wurde die SPD verboten. Die anderen Parteien lösten sich von selbst auf - scheinbar freiwillig. Schon Mitte des Jahres war die NSDAP die einzige verbliebene selbständige Organisation.

Und auch das gehört zur Wahrheit: Bereits im Jahr 1933 hatte die NSDAP mehr Mitglieder als heute alle demokratischen Parteien zusammen.

Die unbegreifliche Entwicklung geht auch auf einen erschreckenden Mangel an Einsicht und Zivilcourage in allen Teilen der Gesellschaft zurück. Ich meine damit nicht nur die Politik. Ich meine auch Wirtschaft, Medien, Kirchen, Universitäten. Es gab viel zu wenig kritische Stimmen wie die des lutherischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der noch im April 1945 im KZ starb. Er rief damals aus: „Führer und Amt, die sich selbst vergotten, spotten Gottes“, und er musste für diesen Ausspruch teuer bezahlen.

Wir verneigen uns heute vor allen Opfern der Diktatur. Unser dankbarer Respekt gilt all denjenigen, die während und nach der brutalen Zerstörung der ersten deutschen Demokratie den politischen, sozialen und moralischen Wiederaufbau Deutschlands möglich gemacht haben.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass Berlin nicht Weimar ist und Bonn nie Weimar wurde, zeigt den großen Konsens, den wir im Parlament haben, wenn wir auf das Jahr 1933 und seine Folgen zurückblicken. Die parlamentarische Demokratie - seien wir ehrlich - ist bis heute nicht unangefochten, und vielleicht ist sie auch nicht so selbstbewusst, wie sie manch einer gerne hätte. Aber sie ist doch robuster und vitaler als gemeinhin vermutet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wo gab es sowohl im internationalen als auch im historischen Vergleich jemals ähnlich viel Einfluss auf Regierung und Gesetzgebung wie in Deutschland heute durch ein Parlament? Aus der Doppelerfahrung des Scheiterns von Weimar und der Diktatur begründete sich der Geist des Grundgesetzes - Minister Dorgerloh hat darauf hingewiesen -: Schutz der Freiheit, Mitwirkung des Bürgers und Verhinderung einer sich verselbständigenden Staatsgewalt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Sachsen-Anhalt-Monitor 2012 belegt, dass die Idee der Demokratie in Sachsen-Anhalt lebendig ist. Für 61 % der Sachsen-Anhalter ist die Demokratie die beste aller Staatsideen. Entschiedene Demokratieverweigerer stellen mit 3 % eine Randgröße dar. Auch die Akzeptanz für ein diktatorisches Notstandsregime ist im Land auf dem Rückzug. Noch 6 % glauben, dass in Zeiten der Not eine Diktatur besser als eine Demokratie mit den Problemen fertig wird.

Wir haben uns in der Koalition auf ein NPD-Verbotsverfahren im Bundesrat geeinigt. Ich bin dem Innenminister Holger Stahlknecht dankbar, dass er das, seitdem er das Amt begleitet, mit voller Kraft auf Bundesebene und auch bei seinen Kollegen vorantreibt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nie wieder darf sich Staatsgewalt verselbständigen, weder durch rechte noch durch linke Ideologien oder durch religiöse Gründe. Das ist die Botschaft.

Und: Der Begriff „Parlament“ leitet sich aus dem französischen Wort für „reden“ ab. Unterredung sichert den Austausch und ermöglicht Ausgleich, letztlich auch Gemeinwohlorientierung. Wer nicht glaubt, in den Besitz einer absoluten Wahrheit gelangen zu können, der sollte sich in der Kunst des Möglichen üben. Dafür bleibt das Parlament der beste Ort. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD - Zu- stimmung bei der LINKEN)

Danke schön, Herr Kollege Schröder. - Als Nächster spricht Herr Abgeordneter Striegel für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die Verabschiedung des sogenannten Ermächtigungsgesetzes war der letzte, aber nicht der entscheidende Schritt hin zum nationalsozialistischen Terrorregime. Mit den am 23. März 1933 in der Berliner Kroll-Oper zur Abstimmung stehenden Paragrafen wurden Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sichtbar für

alle zur Disposition gestellt. Die Weimarer Reichsverfassung war de facto außer Kraft gesetzt. Grundrechtsschutz gab es nicht einmal mehr auf dem Papier. Der Weg in den Unrechtsstaat des Nationalsozialismus war gebahnt.

Die deutsche Sozialdemokratie kann und darf für sich in Anspruch nehmen, dass sie im Moment dieser Selbstaufgabe der parlamentarischen Demokratie auf deutschem Boden standhaft geblieben ist. Ihre Abgeordneten, unter ihnen auch der ehemalige Magdeburger Oberbürgermeister Ernst Reuter, haben gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt.

Sie stimmten mit Nein trotz der unverhohlenen Bedrohung und der realen Lebensgefahr für sie, ihre Familien und Freunde. Sie stimmten mit Nein als überzeugte Gegnerinnen und Gegner des Nationalsozialismus, die in den vergangenen Wochen und Monaten bereits am eigenen Leib den nationalsozialistischen Terror erfahren hatten. Sie stimmten mit Nein, weil sie auch mit Blick auf die bereits aus dem Reichstag unrechtmäßig entfernten KPD-Abgeordneten wissen mussten, wer als nächster von den Nationalsozialisten, von Polizei und Administration entrechtet, verfolgt und ermordet werden würde.

Zum Tag der Abstimmung saßen bereits zehn der 120 SPD-Abgeordneten in Haft; 16 waren vor den Nationalsozialisten ins Ausland geflohen. Man wird Otto Wels‘ Ausruf, der sich eben nicht nur an die „sozialdemokratischen Freunde“ im Reich richtete, sondern „alle Verfolgten und Bedrängten“ grüßte, auch als symbolischen Akt der Verbrüderung mit den ansonsten strikt verfeindeten Kommunisten lesen können. Eine winzige Geste, die nicht über das historische Unvermögen hinwegtäuschen kann, keine gemeinsamen Bündnisse zwischen Kommunisten, Sozialdemokraten, Anhängern des Zentrums und Konservativen gegen die Abschaffung der Demokratie geschmiedet zu haben.

Die Weimarer Republik wurde nicht zwischen Rechten und Linken zerrieben. Sie ging am unbedingten Vernichtungswillen der Nationalsozialisten, an der Lieb- und Achtlosigkeit der wenigen überzeugten Demokratinnen und Demokraten und am Unwillen der gesellschaftlichen Eliten zu ihrer Verteidigung zugrunde. Es gab keine plötzliche nationalsozialistische Machtergreifung, sondern einen Prozess teils freiwilliger, teils unfreiwilliger Machtübergabe an und häufig gewaltsamer, fast immer illegaler Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Ihr Erfolg war kein Produkt der Fügung, kein unabänderliches Schicksal. Es hätte Gelegenheiten zur Rettung der Demokratie und für politische Alternativen gegeben.

Der 80. Jahrestag der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes verweist auf die Verantwortung, die alle Teile der Gesellschaft für Demokra

tie, Menschenrechte und die Aufrechterhaltung des Rechtsstaats haben.

Spätestens mit der nach dem 30. Januar 1933 von der Hitler-Regierung erzwungenen Notverordnung und der vom Reichspräsidenten illegal verfügten Auflösung des Reichstages am 1. Februar 1933 hätte sich zum Beispiel für den deutschen Juristenstand genügend Gelegenheit geboten, die vielfachen Gesetzes- und Verfassungsbrüche zu diagnostizieren und zu beanstanden. Auch alle weiteren im Februar 1933 erlassenen Notverordnungen brachen geltendes Recht. Entsprechende Klagen wurden aber zum Beispiel durch das Reichsgericht nicht angenommen und entschieden.