Protocol of the Session on November 16, 2012

Natürlich gibt es eine politische Auseinandersetzung um die Perspektive der sozialen Sicherungssysteme. Es gibt natürlich die Auseinandersetzung darüber, wie ich diese Sicherungssysteme gestalte.

Hierzu sage ich Folgendes ganz deutlich: Die sozialen Sicherungssysteme werden bei uns nicht gut oder schlecht durch Einwanderung. Nein, das Problem bei den sozialen Sicherungssystemen ist,

dass die Frage gestellt wird, wie hoch der Anteil des Unternehmensgewinnes ist, den ich als Arbeitgeberanteil zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme verwende.

Außerdem stellt sich in der Gesellschaft die Frage, ob der Kranke, der Pflegebedürftige, der Arbeitslose oder der Rentner gesellschaftliche Solidarität oder Vereinzelung verdient. Das sind die politischen Fragen, die in den Mittelpunkt gestellt werden.

Jeder, der versucht, dieser Frage auszuweichen und sagt, dies seien die Sozialschmarotzer, die aus dem Ausland kommen und uns ausplündern, der befördert Rassismus, der befördert Ausländerfeindlichkeit und der verdeckt die wirklichen Ursachen des Konflikts, liebe Kolleginnen und Kollegen. Um diese Ursachen geht es; diese Ursachen müssen wir aufdecken.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Drittens geht es um die Wirksamkeit demokratischer Gestaltungsprozesse. Die Menschen, die sagen, sie hätten überhaupt keinen Einfluss auf die Gestaltung ihres Lebens und auf die politischen Entscheidungsprozesse, sind anfällig für Autoritarismus; sie sind anfällig dafür, diese Dinge wegzudrücken; sie sind anfällig für diktatorische Vorstellungen und für Sündenbocktheorien, um die es sich bei Rassismus und Ausländerfeindlichkeit dreht.

Hierzu sagen die Autoren der Studie ganz klar, dass es die Aufgabe der Politik sein muss, demokratische und politische Gestaltungsprozesse in ihrer Wirksamkeit darzustellen. Nichts ist fataler, liebe Kolleginnen und Kollegen, als einer vermeintlichen Sachzwanglogik das Wort zu reden.

Politische und gesellschaftliche Prozess müssen politisch gestaltet werden. Die Autoren sprechen von einer Rückholung des Poltischen. Die Politik muss die gesellschaftlichen Prozesse gestalten und darf nicht anderen Göttern nachlaufen, wie zum Beispiel dem vermeintlichen Vertrauen in die Märkte.

Das ist ein Problem, das wir in den letzten Jahren hatten. Im Deutschen Bundestag wurden innerhalb von wenigen Stunden Hunderte Milliarden Euro freigegeben mit der Begründung, am Montag öffneten die Börsen und wir müssten das Konzept vorher unter Dach und Fach haben. Weil man es nicht so schnell hinbekam, beauftragte man eine Rechtsanwaltsagentur, die normalerweise für Banken gearbeitet hat, das Gesetz auszuarbeiten.

Angesichts dessen verlieren die Leute das Vertrauen in die Demokratie und sie sagen, demokratische Gestaltungsprozesse seien nicht demokratisch. Die Leute suchen sich dann Alternativen und diese sind antidemokratisch und rassistisch und

rechtsextrem. Auch darum geht es, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Jawohl, Herr Präsident, ich komme zum Schluss.

Ich weiß, dass die in der Studie dargelegten Schlussfolgerungen kontrovers diskutiert werden. Das ist in einer Demokratie auch vernünftig und gut so.

Ich bitte nur um eines: Demokratie wird nur dann Bindungswirkung entfalten und die Menschen überzeugen, wenn die Menschen Demokratie als Wert für sich und für die Gesellschaft erkennen. Zumindest dieses gemeinsame Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte uns verbinden. Dieses Ziel ist groß, aber wir dürfen es nicht aus den Augen verlieren. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gallert, Herr Striegel würde Ihnen gern eine Frage stellen.

Sehr geehrter Herr Kollege Gallert, Sie haben zu Recht darauf verwiesen, dass Politikerinnen und Politikern eine große Verantwortung zukommt, wenn es um die Frage geht, wie Grundlagen für Rassismus in der Gesellschaft gelegt werden. Sie haben unter anderem auf ein Zitat von Herrn Seehofer verwiesen.

Geben Sie mir darin Recht, dass es in allen politischen Parteien und in allen politischen Strömungen dieser Republik auch unsere Aufgabe ist, Äußerungen kritisch in den Blick zu nehmen, wie beispielsweise auch die Äußerung, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden würden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeit wegnehmen würden? - Dies ist ein Zitat Ihres ehemaligen Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine.

Geben Sie mir darin Recht, dass es unsere gesellschaftliche Aufgabe in der gesamten Breite ist, gegen solche Äußerungen aktiv zu werden?

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU, und von Frau Grimm-Benne, SPD)

An dieser Stelle haben Sie völlig Recht. Ich hätte das Zitat von einem Kollegen der CDU erwartet. Ich habe es erwartet. Das Zitat stammt von mei

nem ehemaligen Parteivorsitzenden und von dem ehemaligen Parteivorsitzenden der SPD.

Ich sage es ausdrücklich und Sie können es auch nachlesen: Unmittelbar nachdem er das gesagt hat, habe ich darauf ziemlich empört in der Öffentlichkeit reagiert.

Dies macht deutlich, dass wir an dieser Stelle auch untereinander keine Sündenbocktheorien entfalten dürfen.

(Herr Borgwardt, CDU: Sie hätten auch an- dere nennen können!)

- Sie hätten auch andere Beispiele verwenden können. Das Zitat von Herrn Lafontaine stammt aus dem Jahr 2005. Damals war er noch nicht Mitglied meiner Partei. Hierzu gab es kritische Auseinandersetzungen.

Schauen Sie sich bitte einmal die Verteilung von antidemokratischen und rassistischen Einstellungen über die Parteianhängerschaft hinweg an.

(Herr Borgwardt, CDU: Die ist sehr interes- sant! Wir sind ganz unten!)

- Diese Verteilung ist außerordentlich interessant. Herr Borgwardt, schauen Sie sich die Zahlen noch einmal etwas genauer an. Im Osten führt die SPD, hiernach folgen die CDU, die GRÜNEN und dann wir. Im Westen sieht es ein bisschen anders aus.

(Herr Schröder, CDU: Nicht beim Antisemi- tismus!)

Das sind Prozesse, die uns alle betreffen. Die Autoren nehmen eine Gesamtbewertung vor.

Deswegen sage ich ausdrücklich Folgendes: Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dies zu tun. Wir alle haben diese Pflicht. Es gibt einen Unterschied, und zwar die Verteilung bei der SPD und bei den LINKEN. Mich erstaunen die hohen Werte von antidemokratischen Einstellungen bei den Wählern der GRÜNEN auch im Osten.

Wenn man sich einmal anschaut, welche Bevölkerungsschichten besonders anfällig sind, dann stellt man fest, dass dies vor allem Arbeitslose, Langzeitarbeitslose und Leute sind, die sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen. Vor diesem Hintergrund weiß ich, dass es unsere besondere Aufgabe sein wird, sich um diese Menschen zu kümmern und ihnen eine politische Alternative zu diktatorischen und rassistischen Vorstellungen zu geben. Das ist unsere Aufgabe. Das weiß ich sehr wohl.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber es ist unsere gemeinsame Aufgabe, für diese Demokratie in der gesamten Breite der Gesellschaft zu streiten. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Gallert, Herr Striegel würde gern nachfragen.

Herr Gallert, ich bin Ihnen dankbar für diese Worte, dass es unser aller Aufgabe und unser aller Verantwortung ist.

Ich möchte mit Blick auf die Methodik der Studie darauf verweisen, dass ich glaube, sie ist an vielen Stellen sehr gut gelungen. Mit Blick auf die Aufspaltung nach Parteien und die dazu zugetragenen Werte will ich darauf hinweisen, dass die Fallzahlen häufig so gering sind, dass man dies zumindest methodisch kritisch bewerten muss.

Insofern würde ich sagen, dass wir das Richtungsproblem alle miteinander haben. Dies betrifft unser aller Verantwortung. Ich würde in die prozentualen Werte, was deren konkrete Höhe betrifft, allerdings nicht zu viel hineininterpretieren aufgrund des Fallzahlenproblems.

Darauf möchte ich reagieren. Ja, Herr Striegel, das können wir so machen. So können wir bei fast jeder Aussage dieser Studie herangehen. Aber an dieser Stelle sollten wir es einmal stecken lassen. Überlegen wir einmal gemeinsam, ob es nicht vielleicht doch so sein könnte. Ich sage es ausdrücklich: Ich weiß, dass die Fallzahlen angreifbar sind und unter anderem angeführt wird, dass das alles Quatsch sei und von der jungen Generation im Osten viel zu wenige befragt worden seien.

Deswegen habe ich die Geschichte aus Halberstadt vorgelesen. Darin ist von einer 25-jährigen Frau die Rede, die ihre gesellschaftliche Entwicklung nach der Wende genommen hat. Wir sollten uns überlegen, dass wir uns diesem Problem stellen, und nicht an dieser Geschichte herumdoktern.

Für uns ist es keine neue Erkenntnis, dass die Wählerschaft der LINKEN genauso anfällig für diese Themen ist wie die Wählerschaft anderer Parteien. Deswegen, Herr Borgwardt, sollten wir wegen 2 % bei einer Geschichte, bei der die CDU mal darunter liegt, nicht sagen: Ihr seid es und wir sind es nicht.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Borgwardt, CDU : Nicht 2 %!)

Vielen Dank, Herr Gallert. - Nun dürfen wir alle gemeinsam ganz herzlich Schülerinnen und Schüler des Förster-Gymnasiums aus Haldensleben begrüßen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Für die Landesregierung spricht jetzt der Minister für Bildung und Kultur Herr Dorgerloh. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Ergebnisse der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung unter die Überschrift „Die Mitte im Umbruch“ sind schon sehr erschreckend. Man ist versucht zu sagen, sie sind mal wieder erschreckend. Denn seit nunmehr einem Jahrzehnt vermitteln die „Mitte-Studien“ der Friedrich-Ebert-Stiftung alle zwei Jahre, wie groß der Bodensatz rechtsextremer, fremdenfeindlicher und antisemitischer Auffassungen ist, und dass diese Auffassungen in allen Teilen der Bevölkerung vorkommen, eben in der Mitte der Gesellschaft.