Protocol of the Session on November 15, 2012

(Zustimmung bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Wichtig ist, in diesem Zusammenhang auch einmal hervorzuheben, dass bei der Gästebefragung - das habe ich gerade gesagt - 12 % aller Befragten angaben, dass ihnen die Barrierefreiheit sehr wichtig sei. 29 % gaben an, dass sie ihnen wichtig sei, und 14 % gaben an, dass sie ihnen teils wichtig sei. Das heißt, 41 % unserer Gäste erwarten, dass unsere touristischen Angebote barrierefrei sind, und das sind eben nicht nur die über 60-Jährigen, die mit dem Rollstuhl anreisen, die sich Barrierefreiheit wünschen, sondern es sind zunehmend mehr junge Gäste, die mit dieser Erwartungshaltung in unser Reiseland Sachsen-Anhalt kommen.

Für SPD und CDU ist die Stärkung des barrierefreien Tourismus ein zentrales politisches Ziel. Ich sagte es schon: Es ist auch ein Zukunftsthema, weshalb dazu im Koalitionsvertrag eine klare Formulierung zu finden ist.

Wir wollen das Thema „Barrierefreier Tourismus in Sachsen-Anhalt“ mit unserem heutigen Antrag neu anstoßen und dazu beitragen, dass sich auch der politische Raum diesem Thema wieder verstärkt zuwendet. Sachsen-Anhalt ist ein gastfreundliches Reiseland, in dem wir auch Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe am Urlaub ermöglichen wollen. Bereits im Handbuch „Barrierefreier Tourismus in Sachsen-Anhalt“ aus dem Jahr 2002 ist festgeschrieben, dass der barrierefreie Tourismus erklärtes tourismuspolitisches Ziel des Landes Sachsen-Anhalt ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist ein hoher Anspruch, denn das heißt nichts anderes, als dass auch Menschen mit Behinderungen

sämtliche touristischen Angebote ohne Einschränkungen nutzen können. Barrierefreiheit ist deutlich mehr als eine Rollstuhlrampe am Hotel oder an der Gaststätte. Das muss man auch sagen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, bis dahin ist es noch ein langer Weg. Das hat neben dem gestrigen Tourismustag auch das 7. Behindertenpolitische Forum, das am 15. Oktober 2012 in Halberstadt stattfand, widergespiegelt, wo das Thema „Barrierefreier Tourismus“ in den Mittelpunkt gerückt wurde.

Die Betroffenen mit Behinderungen - ob gehörlos, mobilitätseingeschränkt, blind oder geistig behindert - haben ihre ganz persönlichen Erfahrungen bei der Planung der Reise, bei der Anreise, bei der Unterkunft, bei Essen und Kultur geschildert und aufgezeigt, dass in vielen dieser Teilbereiche, die alle zu einer Reise gehören, auf die spezifischen Bedürfnisse und Anforderungen von Menschen mit Behinderungen an die Infrastruktur, an die Dienstleistung und an den Service vor Ort noch lange nicht gleich gut eingegangen wird.

Barrierefreiheit im Tourismus zu organisieren ist in der Tat ein schwieriger Prozess, da es ein enges Zusammenwirken von öffentlicher Hand, privaten Unternehmen, Betroffenenverbänden und der Tourismuswirtschaft erfordert. Alle gemeinsam sind in die Pflicht genommen, unsere Lebensumwelt vorausschauend und nachhaltig so zu gestalten, dass auch mobilitätseingeschränkte Urlauber möglichst ohne Hindernisse reisen können. Genau an diesem Zusammenwirken aller setzt unser Antrag an.

Nun kann nicht sofort und flächendeckend im Land Barrierefreiheit im Tourismus hergestellt werden. Das ist ein schöner Traum, aber nicht die Realität. Umso mehr bedarf es verstärkter Anstrengungen. Es bedarf aus unserer Sicht des politischen Willens hierzu, und es bedarf einer Steuerungsgruppe, wie wir das unter Punkt 1 formuliert und beschrieben haben. Diese Steuerungsgruppe besteht aus Vertretern der Ministerien, Dehoga, Touristikern, Verkehrsunternehmen, Kommunen, Interessenverbänden und dem Behindertenbeauftragten - ich hoffe, dass ich nicht so viele vergessen habe.

All diese Personen sollten nach unserer Vorstellung gemeinsam an einer zukunftsweisenden Leitlinie zur Stärkung des barrierefreien Tourismus arbeiten. Eine Leitlinie soll sensibilisieren und interessieren. Sie soll Anregung und Hilfestellung für Regionen, für Orte und Betriebe sein, die sich mit dem Thema des barrierefreien Reisens nachhaltig beschäftigen wollen, und sie gibt auch Hinweise für strategische Entscheidungen.

Wir haben bereits einiges vorzuweisen, nämlich das Handbuch „Barrierefreier Tourismus in Sachsen-Anhalt“ aus dem Jahr 2002 und der im Jahr 2006 veröffentlichte Ratgeber „Barrierefrei in Sach

sen-Anhalt“, der von der Qualitätsoffensive für den Tourismus in Sachsen-Anhalt herausgegeben wurde. Diese bilden eine gute Grundlage, aber Sie merken schon an den Jahreszahlen: Es ist alles ein Weilchen her, und es bedarf jetzt auch einer kritischen Überarbeitung des Ganzen.

Der Tourismus in Sachsen-Anhalt ist gut aufgestellt. Das haben wir gestern erfahren. Wir Touristiker freuen uns auch über die guten Übernachtungs- und Gästezahlen. Wir haben wieder in Folge ein Plus um die 5 % - ich nenne die Zahlen jetzt nicht so genau - zu verzeichnen. Das ist gut so. Deshalb sind wir insgesamt auch auf einem guten Weg, obwohl sich Sachsen-Anhalt im Vergleich mit anderen Bundesländern - aber wir sind auch kein typisches Reiseland wie Baden-Württemberg mit dem Schwarzwald, Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern - noch im unteren Feld befindet. Dennoch sind die Übernachtungszahlen Motivation für alle, engagiert in diesem Bereich zu arbeiten.

Trotz der guten Ergebnisse bleibt festzustellen, dass der barrierefreie Tourismus in Sachsen-Anhalt einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit leistet. Und - das gehört zur Wahrheit immer dazu - Barrierefreiheit ist ein wichtiger Wachstumsmarkt mit hohen Einnahmemöglichkeiten. Das hat mehrere Gründe. Zum einen steigt die Anzahl der Gäste, die aufgrund ihres Alters oder einer Behinderung auf Barrierefreiheit angewiesen sind. Zum anderen wünschen mehr und mehr Gäste komfortable und hochwertige Urlaubserlebnisse mit ganz individuellem Service.

Eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2003 zu den ökonomischen Impulsen eines barrierefreien Tourismus für alle belegt, dass allein durch behinderte Gäste touristische Umsätze in Deutschland in Höhe von 2,5 Milliarden € pro Jahr generiert werden.

Wenn man aber konsequent barrierefreie Angebote anbieten würde, dann könnte dies einen zusätzlichen Wachstumsimpuls von 4,8 Milliarden € schaffen, was einem Äquivalent von 90 000 Vollzeitarbeitsplätzen in Deutschland entspricht. Doch diese Potenziale bleiben bislang leider ungenutzt. Das heißt, eine erfolgreiche Kundenansprache und die damit verbundene Abschöpfung des Potenzials sollte in unser aller Interesse sein und ist es sicherlich auch. Aber dafür bedarf es neuer barrierefreier Produkte und Angebote. Dafür muss sich die gesamte Servicekette verbessern.

So ist die Information des Gastes über die Zugänglichkeit und Erlebbarkeit von Angeboten eine Grundvoraussetzung für den Erfolg des barrierefreien Tourismus. Die Kommunikationsmedien, die hierfür genutzt werden - wir haben gestern erfahren, dass an erster Stelle das Internet genutzt wird und die Touristeninfos ganz schön weit abgeschlagen sind -, dürfen nicht neue Barrieren darstellen.

Ich nenne hier nur den Begriff barrierefreies Internet. Ich habe vorhin schon erwähnt, dass das im Harz ein Leuchtturmprojekt für das Land ist.

Weiterhin ist festzustellen, dass die Barrierefreiheit ein Qualitätsmerkmal ist, das von den Gästen jeden Alters geschätzt und auch eingefordert wird. Die Barrierefreiheit ist somit zur gesellschaftlichen Basisanforderung geworden. Es sollte daher bei allen Angeboten und Themen wie Radfahren, Wandern und dem Gesundheitstourismus, um hier nur einige zu nennen, gewährleistet werden.

Die barrierefreien Angebote sind aber auch ein wichtiger Beitrag für die Profilierung von Orten und Regionen sowie Betrieben im Qualitätstourismus. Sie schaffen einen deutlichen Imagegewinn, der von den Gästen wahrgenommen und sehr geschätzt wird. Familien mit kleinen Kindern und Kinderwagen profitieren von einer ebenerdigen und großzügigen Dusche oder einer Abstellmöglichkeit für den Kinderwagen genauso wie die Rollstuhlfahrer oder ein älterer Gast mit Rollator.

Aus der Sicht des Gastes ist es wichtig, dass komplette Reiseerlebnisse entlang der touristischen Reisekette vorgehalten werden. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und behaupte, dass dieser durch die Barrierefreiheit zuteil gewordene Imagegewinn zu einer Verbesserung des gesamten Images unseres Bundeslandes Sachsen-Anhalt führen könnte.

(Beifall bei der SPD)

Durch die BMWi-Studie aus dem 2003, also die des Bundeswirtschaftsministeriums, ist es damals gelungen, das öffentliche Interesse für dieses Thema deutlich zu erhöhen. Sie war eine Initialzündung, in deren Folge vermehrt Leistungs- und Entscheidungsträger und ganze Urlaubsregionen die Entwicklung und den Ausbau des barrierefreien Tourismus aktiv vorangetrieben haben.

Auf Sachsen-Anhalt bezogen lässt sich rückblickend sagen, dass wir schon recht frühzeitig die Chancen, die im barrierefreien Tourismus für unsere Tourismuswirtschaft insgesamt liegen, erkannt haben und - ich habe schon Beispiele genannt - auch schon gute Angebote vorweisen können.

Es ist aber an der Zeit, meine sehr geehrten Damen und Herren, eine neue Initialzündung mit der Vision zu starten, dass behinderte Menschen in Sachsen-Anhalt zukünftig ohne Barrieren aus unserem reichhaltigen Angebot touristische Erlebnisse schöpfen und diese vor Ort ohne Einschränkungen und eigenständig genießen können. Das ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch Zukunftsmusik und eine Zukunftsvision. Es ist aber eine, die erreichbar ist.

Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung für unseren Antrag. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Kollegin Hampel. - Wir begrüßen jetzt ganz herzlich gemeinsam Schülerinnen und Schüler des Hauptmann-Gymnasiums in Wernigerode.

(Beifall im ganzen Hause)

Für die Landesregierung bekommt jetzt Frau Ministerin Professor Dr. Wolff das Wort. Bitte schön, Frau Ministerin.

Danke schön, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass die Regierungsfraktionen mit dem vorliegenden Antrag die Arbeit des Wirtschaftsministeriums am neuen Tourismuskonzept unterstützen und flankieren.

Die Barrierefreiheit spielt bei der Erarbeitung dieses Konzeptes in der Tat eine wesentliche Rolle. Diese Rolle rührt natürlich zunächst aus der konkreten Bedeutung für Menschen mit Behinderungen. Im Zeichen der Inklusion sollen alle Menschen die Möglichkeit haben, möglichst ohne fremde Hilfe zu reisen und sich an fremden Orten zurecht zu finden.

Im Tourismus gewinnt die Barrierefreiheit zudem an Relevanz, weil nicht nur Menschen mit Behinderungen profitieren, sondern weil Maßnahmen zur Schaffung der Barrierefreiheit auch die Lebensqualität zum Beispiel für ältere Menschen steigern, die eine wachsende Zielgruppe auch für den Tourismus sind. Auch andere touristische Zielgruppen profitieren. Frau Hampel erwähnte das. Klare Leitsysteme, die zum Beispiel Menschen mit Sehschwäche mehr Orientierung geben, helfen auch anderen Ortsunkundigen. Oder die Barrierefreiheit, die für die Rollstuhlfahrer geschaffen wird, erleichtert genauso jungen Müttern und Vätern das Leben.

Es ist also kein Wunder, dass die Barrierefreiheit europaweit an Bedeutung gewinnt, in unserem täglichen Leben und für den Tourismus. Die Wettbewerbsfähigkeit der verschiedenen Reiseziele wird in Zukunft auch davon abhängen, inwieweit es den Verantwortlichen gelingt, das touristische Angebot an Menschen mit Mobilitätseinschränkungen anzupassen. Es liegt also im ureigenen Interesse der Touristiker, auf die Bedarfe dieser Personengruppen einzugehen.

Das zeigt sich beispielsweise auch an den diesbezüglichen Aktivitäten der Stadt Wernigerode, die beim gestrigen Tourismustag in Köthen sogar für den Tourismuspreis des Landes nominiert wurde. Also auch hinsichtlich dieser touristischen Aktivitäten ist Wernigerode durchaus ein Vorreiter.

(Zustimmung von Frau Gorr, CDU)

Das Land unterstützt diese Initiativen und dieses Interesse an der Barrierefreiheit auch dadurch,

dass die Barrierefreiheit im neuen Masterplan Tourismus 2020 ein besonders wichtiger Bestandteil wird und dass sie als Untersuchungsthema ausdrücklich gefordert und dargestellt ist.

Dabei werden vor allem auch die Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Gliedern der touristischen Wertschöpfungskette berücksichtigt werden; denn die Barrierefreiheit einer Urlaubsreise ist erst dann sichergestellt, wenn ein barrierefreier Zugang von der Buchung bis zur Rückreise möglich ist, also während des gesamten touristischen Leistungsprozesses. Die Abhängigkeit vom gewissermaßen schwächsten Glied der Kette, eben dem mit der geringsten Barrierefreiheit, scheint einer der Hauptgründe dafür zu sein, dass die Barrierefreiheit im Tourismus noch lange nicht selbstverständlich ist.

Lohnt sich die eigene Investition? Können Menschen mit Behinderungen dann auch wirklich auf mein Angebot zurückgreifen? - Das sind Fragen, die so manchen Hotelier noch vor den erforderlichen Investitionen zurückschrecken lassen. Es ist das Anliegen und die Aufgabe unserer Arbeit und auch des Tourismusmasterplans, die Hoteliers zu den zum Teil wirklich erheblichen notwendigen Investitionen zu ermutigen.

Der vorliegende Antrag bietet eine gute Grundlage für die Unterstützung unserer Arbeit am Tourismuskonzept. Wichtig ist es auch, daran zu denken, dass es häufig nicht nur um monetäre Investitionen geht, sondern einfach auch um Bewusstsein und Aufmerksamkeit. Auch das sollten wir nicht unterschätzen. Ich empfehle dem Landtag, den Antrag anzunehmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Wir treten jetzt in die vereinbarte Fünfminutendebatte ein. Zuerst spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Czeke. Bitte schön, Herr Kollege Czeke.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich darf vorweg sagen - weil es heute Vormittag schon einmal eine Rolle spielte, die Gemeinsamkeiten gleich zu benennen -, dass wir den Antrag genauso wie die Einbringer annehmen und uns auf eine möglichst fruchtbringende Debatte in den Ausschüssen freuen.

Aber ich kann nicht ohne Kritik auskommen. „Alle Jahre wieder“ wäre falsch. Ich sage einmal, dass sich die Zeiträume über zweieinhalb bis drei Jahre erstrecken. Ich lasse einmal Revue passieren, dass wir uns zu Recht seit dem Jahr 2000 mit dem Thema Barrierefreiheit hier im Hohen Haus mehr

fach auseinandersetzen. Aber außer dass darüber geredet wird, passiert leider nicht viel.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erinnere an den letzten Änderungsantrag, den ich für meine Fraktion am 12. Juli 2007 vorstellen durfte. Durch die gleiche Koalition war ein Antrag zur Stärkung des Kultur- und Geschichtstourismus eingebracht worden. Schon damals baten wir darum, eine Analyse zur Barrierefreiheit mit vorzulegen und zu bewerten. Dann endete allerdings die Legislaturperiode. Dadurch gab es eine Beerdigung zweiter Klasse unseres Antrags.

Ich konnte gestern - ich sage das nicht als Entschuldigung - dem Tourismustag in Köthen nicht beiwohnen, weil ich an dem dritten Workshop in Tangermünde zu den EU-OPs teilgenommen habe. Ich habe dort sehr viel lernen können, was zum Beispiel auch die Barrierefreiheit angeht. Der Sozialminister war so freundlich und hat dort das eine oder andere Beispiel aus dem menschlichen Leben erklärt.