Der nächste Punkt. Dann soll auf das vergangene Lernverhalten der Schüler und Schülerinnen geschaut werden, um aus diesem Verhalten dann weitere Grundlagen für eine Schullaufbahnempfehlung abzuleiten.
Nun ist es durchaus Usus, aus vergangenem Verhalten Schlüsse auf zukünftiges Verhalten zu ziehen. Aber auch hierbei gibt es zwei Dinge, die dies nicht wirklich erlauben. Das eine ist: Neues Verhalten bestimmt sich eben nicht allein nach dem Verhalten in der Vergangenheit - das weiß hoffentlich jeder hier im Hause -, sondern neben Erfahrung natürlich auch aus den Umweltbedingungen, in denen dieses neue Verhalten gezeigt werden soll.
Wenn wir uns dann die Situation anschauen - hier geht es ja um den Übergang von einer Schule in eine andere Schule -, dann stellen wir fest, wir haben hier eine völlige Veränderung des Kontextes. Es ist eine andere Schule. Es sind andere Lehrer und Lehrerinnen. Es sind andere Mitschüler und Mitschülerinnen. All diese Veränderungen der Kontextbedingungen sind natürlich Grundlage für neues Verhalten. Insofern ist es ein Kurzschluss, hier aus altem Verhalten auf neues Verhalten zu schließen und daraus eine so weitreichende Empfehlung zu begründen.
Mehr noch: Was ist denn gute Schule? Gute Schule ist doch eine Schule, die es sich geradezu zur Aufgabe macht, das Verhalten von Schülern und Schülerinnen zu verändern, das heißt, aus faulen Schülern fleißige zu machen, aus solchen mit Konzentrationsproblemen solche, die sich besser konzentrieren können, und vieles mehr. Die Aufgabe guter Schule ist es, einen optimalen Entwicklungskontext bereitzustellen, damit sich das Verhalten von Schülerinnen und Schülern in positiver Weise verändert.
All das lässt mich, lässt uns als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Auffassung kommen, die verbindliche Schullaufbahnempfehlung steht auf tönernen Füßen. Deswegen ist sie ein unzulässiger Eingriff in das Elternwahlrecht. Deswegen haben wir Ihnen eine Veränderung des Schulrechts vorgeschlagen, mit der die verbindliche Schullaufbahnempfehlung durch ein Beratungsgespräch mit dem Klassenlehrer oder der Klassenlehrerin ersetzt wird, in das die Erfahrungen der Lehrer und Lehrerinnen einfließen können.
Wenn ich nun heute hier diesen Vorschlag einbringe, dann nehme ich natürlich sehr positiv zur Kenntnis, dass im Koalitionsvertrag der CDU und der SPD steht, dass sie eben genau dieses vorhaben, die verbindliche Schullaufbahnempfehlung abzuschaffen und durch ein Beratungsgespräch durch die Klassenlehrerin oder den Klassenlehrer zu ersetzen. Dann kann man sich natürlich fragen: Ja, warum kommt denn jetzt die Opposition und bringt so einen Vorschlag ein? Warum lässt sie denn da nicht sozusagen die Regierung ihre Arbeit machen; die werden das dann schon irgendwann vorlegen?
Auf diese Fragen gibt es eine ganz einfache Antwort. Wenn wir doch Einigkeit darin haben, dass es der falsche Weg ist, den Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren mit einer verbindlichen Schullaufbahnempfehlung gegangen ist - auch wenn Sie dies aus anderen Gründen abschaffen wollen, als ich dies hier dargelegt habe -, wenn wir doch diese Einigkeit haben, dann lassen Sie uns gemeinsam ein starkes Signal an die Eltern und die Lehrer geben, damit diese Sicherheit haben und nach der Sommerpause wissen, es gibt diese verbindliche Schullaufbahnempfehlung nicht mehr, wir als Eltern haben wieder das Recht, über die Schullaufbahn unserer Kinder frei zu entscheiden, damit die Lehrer und Lehrerinnen wissen, dass sie nicht mehr in der 3. und in der 4. Klasse Daten sammeln müssen, um eine mehr als fragwürdige Schullaufbahnempfehlung aussprechen zu können.
Also: Insofern werbe ich für unseren Gesetzentwurf und werbe auch dafür, dass wir diesen Punkt rasch abarbeiten, um ein entsprechendes Signal an die Eltern und an die Lehrer und Lehrerinnen zu geben. - Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Frau Professor Dalbert. - Wir treten jetzt in eine Fünfminutendebatte ein. Als erster spricht für die Landesregierung Herr Minister Dorgerloh. Auch er spricht heute das erste Mal in diesem Hohen Hause. Viel Glück!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es Usus ist, dass Oppositionsfraktionen in dieser frühen Phase der Legislaturperiode Zielstellungen aus dem Koalitionsvertrag herausgreifen und zum Gegenstand eigener Gesetzesinitiativen machen.
In diesem Fall freue ich mich über die damit dokumentierte Übereinstimmung mit einem wichtigen bildungspolitischen Ziel der Koalition und gebe der Hoffnung Ausdruck, dass diese Unterstützung bei der Umsetzung des Koalitionsvertrages auch künftig gegeben ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb in einem Artikel zum ausverhandelten Koalitionsvertrag in Sachsen-Anhalt im April, die eigentliche Sensation bestünde darin, dass die Koalitionspartner sich darauf verständigt hätten, die Verbindlichkeit der Schullaufbahnempfehlung aufzuheben. Ich kann Ihnen versichern, es handelt sich dabei nicht um eine Sensation, sondern um das Ergebnis einer pädagogischen Betrachtung der Auswirkungen und Effekte des Verfahrens der Eignungsfeststellung.
In Studien wie Iglu, also der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung, wurde festgestellt, dass sich die Schullaufbahnempfehlungen in jenen getesteten Bundesländern mit einer Verbindlichkeit nur zum Teil an der Leistungsfähigkeit des Kindes ausrichten. Bei gleichen Kompetenzwerten differieren die tatsächlichen Schullaufbahnempfehlungen nicht unerheblich. Vielmehr erlangen soziale Merkmale wie der Status der Eltern für die Empfehlung an Bedeutung. In eine ähnliche Richtung hat ja Frau Professor Dalbert soeben auch argumentiert.
Das bedeutet für die weiterführenden Schulen, dass sie in den Kompetenzen nicht die homogene Schülerschaft erhalten, die vielerorts erwartet wird. Daraus folgt schließlich, dass eine Prognosesicherheit von Schullaufbahnempfehlungen bei Zehnjährigen in den meisten Fällen eben nicht gegeben ist.
Im Wissen um die Bedeutung einer verbindlichen Schullaufbahnempfehlung stehen sowohl Eltern und Schüler als auch die Grundschullehrkräfte über Gebühr unter Druck.
In Sachsen-Anhalt ist die Übergangsquote zum Gymnasium nach der Einführung der Verbindlichkeit der Schullaufbahnempfehlung deutlich gestie
gen. Diese auf den ersten Blick erstaunliche Entwicklung ist möglicherweise auch Ausdruck eines Ausweichverhaltens, weil bei den Eltern und Lehrkräften die Sorge besteht, etwas falsch zu machen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine verbindliche Schullaufbahnempfehlung ist auch aus entwicklungspsychologischer Sicht fragwürdig. Zu einem so frühen Zeitpunkt kann der künftige Bildungsweg von Kindern nicht ausreichend valide vorhergesagt werden.
- Wir haben darüber im Bildungskonvent lange diskutiert, Frau Feußner. - Ein klarer Beleg dafür ist die nicht unerhebliche Rückkehrquote von Schülerinnen und Schülern von Gymnasien an die Sekundarschulen. Sie ist in diesem Schuljahr neunmal höher.
Aus den genannten Gründen hat sich die Koalition in Sachsen-Anhalt darauf verständigt, die Verbindlichkeit der Schullaufbahnempfehlung abzuschaffen und das letztendliche Entscheidungsrecht über den weiteren Bildungsweg der Kinder wieder den Eltern zu übertragen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei aller verständlichen Ungeduld und dem Willen, Missstände so schnell wie möglich zu beheben, muss Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen. Bei etwas mehr Bearbeitungszeit hätte sicherlich auch die einbringende Fraktion bemerkt, dass die Änderung einer Verordnung nicht Sache des Gesetzgebers ist. Man kann also ohne Probleme auf den kompletten § 2 ihres Gesetzentwurfes verzichten.
Mein Haus erarbeitet gegenwärtig auf der Grundlage des Koalitionsvertrages einen Gesetzentwurf, der die Aufhebung der Eignungsfeststellung nach der Klasse 4 zum Ziel hat. Wir wollen die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass bereits im Januar 2012 wieder die Eltern die Übertrittsentscheidung treffen. Vor diesem Hintergrund werden wir den Beratungsaspekt stärken.
Ich sehe schon das rote Licht und komme zum Schluss. - An dieser Stelle muss man klar zwischen dem Zweck einer Schullaufbahnempfehlung und einer Eignungsfeststellung für Schülerinnen und Schüler unterscheiden, bei der die Schullaufbahnempfehlung und der Elternwille differieren. Im Koalitionsvertrag haben sich die Fraktionen der CDU und der SPD darauf verständigt, die Verbindlichkeit der Schullaufbahnempfehlung und somit das Verfahren der Eignungsfeststellung aufzuheben. Eine Schullaufbahnempfehlung soll aber als Orientierung für die letztliche Entscheidung der Eltern weiter erarbeitet werden.
ben. Mit dem Gesetzentwurf der GRÜNEN soll die Schullaufbahnempfehlung dagegen gänzlich abgeschafft werden. Wir werden dieses Gesetz novellieren. Gerade im Bildungsbereich wissen wir aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre, dass eine gründliche Vorbereitung und Abstimmung von Gesetzentwürfen dazu beiträgt, die Umsetzung und die Akzeptanz zu verbessern.
Die Landesregierung befindet sich in diesem Abstimmungsprozess. Sobald dieser abgeschlossen ist, werden wir dem Parlament unseren Gesetzentwurf zuleiten. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Minister. - Für die Fraktion der CDU spricht jetzt der Abgeordnete Herr Weigelt. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tatsache, dass wir heute bereits über die 14. Novelle zum Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt reden, verdanken wir einer wieder in den Landtag eingezogenen Partei, den GRÜNEN. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie sich sogleich an das Regieren machen wollen. Diesen Eindruck gewinnt man, wenn man Ihren Gesetzentwurf liest und ihn mit den Zielen der gerade wieder in Verantwortung gekommenen Regierungskoalition vergleicht.
Ich möchte Ihnen schon bestätigen, dass es durchaus durchdacht und vielleicht auch ein bisschen clever oder raffiniert ist - wie auch immer -, wenn Sie mit Ihrem Entwurf genau das umsetzen wollen, was die CDU und die SPD in ihrer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben haben. Herr Minister Dorgerloh hat eben darauf hingewiesen.
Ganz so einfach wollen wir es Ihnen und können wir es uns natürlich nicht machen; denn die Koalition hat mehr vor als nur eine Neuregelung für den Übergang von der Grundschule zu den weiterführenden Schulen. Zu dieser Schlussfolgerung wird man kommen, wenn man unsere Koalitionsvereinbarung aufmerksam gelesen hat.
Sie haben sich dagegen nur einen kleinen Ausschnitt vorgenommen, der es eigentlich und für sich genommen noch nicht rechtfertigt, einen eigenständigen Gesetzentwurf vorzulegen. Insofern bleiben Sie mit Ihrem Entwurf hinter unseren Erwartungen zurück. Und Schnelligkeit ersetzt nicht
Die Koalition wird in den kommenden Wochen ihrerseits einen Gesetzentwurf erarbeiten - das ist schon gesagt worden -, der mehr als nur eine einzige Neuregelung enthalten wird. Nicht, dass die von Ihnen erhobene Forderung nach einer Beratungspflicht der Eltern darin nicht mit aufgenommen würde. Wir wollen dies auch, und das sicherlich nicht erst ab heute. Insofern werden wir uns zu dieser Einzelfrage - dessen bin ich mir sicher - im Ausschuss sehr schnell einig werden. Die Koalition wird aber weitergehende Änderungen in eine 14. Novelle einbauen, die deutlich über das hinausgehen werden, was Sie mit Ihrem Entwurf intendieren.
Gestatten Sie mir ein Wort in eigener Sache - Herr Minister Dorgerloh war auch so frei. Wer Koalitionsverhandlungen bestreitet, der streitet und weiß, dass am Ende ein mehr oder weniger großer Kompromiss steht, der von beiden Seiten getragen wird. Dies ist konsequenterweise in der aktuellen Koalitionsvereinbarung nicht anders, wenn es darin heißt:
„Eine Pflichtberatung der Eltern durch die Grundschule auf der Grundlage einer Schullaufbahnempfehlung wird künftig die Eignungsfeststellung ersetzen. Dafür erhalten die Grundschulen einen“