Protocol of the Session on January 28, 2016

Ich verfolge immer aufmerksam, was Sie tun.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Die zugespitzte Position der CDU!)

Deswegen wollte ich jetzt noch einmal die folgende Frage stellen. Wir haben in mehreren Bundesländern ein Verfahren, bei dem unter Wahrung des Rechtes der Eltern, über den Bildungsweg ihrer Kinder zu entscheiden, trotzdem auch ein Stück weit an der Leistung des Schülers festgemacht wird, welchen Bildungsweg er einschlägt. Die CDU will explizit keine niedrigere Abiturientenquote. Wir wollen nicht weniger Abiturienten, wir wollen nur weniger Schülerinnen und Schüler, die am Gymnasium scheitern. Diese Idee eint uns hier auch.

Nun hat das grün-regierte Baden-Württemberg eine Schullaufbahnempfehlung, und bei jenen, die diese Empfehlung nicht erhalten - was nicht vom sozialen Hintergrund abhängig ist -, werden, wenn die Eltern trotzdem darauf bestehen, dass das Kind an das Gymnasium gehen soll, zusätzlich vergleichende Arbeiten in den Kernfächern herangezogen. Es gibt also eine Beratungspflicht, eine Empfehlung. Wenn die Eltern von dieser Empfehlung abweichen, werden die vergleichbaren Arbeiten herangezogen. Über diese Idee kann man durchaus offen diskutieren.

Deshalb meine Frage: Ist diese Form der Verbindlichkeit, der verbindlichen Orientierung für die Eltern, damit weniger Schüler am Gymnasium scheitern, wie sie auch der grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg vertritt, Ihrer Meinung nach auch eine ideologisch begründete Einschränkung des Elternwillens? Oder ist es das nur hier, weil es Ihnen gerade passt?

Frau Professor Dalbert, Sie dürfen jetzt antworten. Bitte schön.

Herr Schröder, herzlichen Dank für Ihre Frage. - Wenn wir uns das anschauen, dann stellen wir fest, dass in unseren Schulen, weil es die Schullaufbahnempfehlung gibt - auch wenn sie nicht mehr verbindlich ist -, mit dem Beginn der 3. Klasse eine Sortiermentalität in unseren Grundschulen herrscht. Für die Lehrerinnen und Lehrer ist das eine große Belastung. Sie nehmen das ernst, was sie dort tun. Und sie müssen nach der 4. Klasse über den Lebensweg eines Schülers oder einer Schülerin entscheiden.

(Zuruf von Herrn Scheurell, CDU)

Das genau ist der Grund dafür, dass in den Schulen ein Klima entsteht, das nicht auf Fördern setzt, das nicht darauf setzt, Kinder zu möglichst guten Leistungen zu bringen.

Das schließt doch Fördern gar nicht aus.

Sprechen Sie einmal mit Grundschullehrern, und sprechen Sie auch einmal mit den Leuten, die Grundschullehrer ausbilden. - Wir haben hier ein Problem, dass sich das Klima ab der 3. Klasse in den Grundschulen verändert. Wenn Sie zusätzliche Prüfungen einführen - das ist der Kern Ihres Vorschlages, dass Sie zusätzliche Prüfungen einführen -, dann verstärken Sie das.

Ich habe großes Vertrauen darin, dass unsere Lehrerinnen und Lehrer, wenn sie mit den Eltern

sprechen, ein gutes Beratungsgespräch führen. Dazu brauchen sie keine zusätzlichen Prüfungen. Die Lehrer kennen ihre Kinder. Sie müssen aber mit den Eltern sprechen. Eine Schullaufbahnempfehlung in irgendeiner Weise ersetzt dieses Gespräch nicht, sondern macht es erst schwieriger.

Deshalb ist meine Antwort darauf sehr klar: Wir bleiben bei unserer Position, dass wir ein Beratungsgespräch wollen. Wir wollen nicht, dass dieses Beratungsgespräch durch zusätzliche Prüfungen belastet wird, die Sie einführen wollen, um damit die Hürden für bildungsferne Kinder noch größer zu machen.

Dort, wo Sie mitregieren, ist es anders.

Ja, aber ich möchte in Sachsen-Anhalt regieren und nicht in Baden-Württemberg.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Professor Dalbert. Jetzt regieren wir hier. - Nun hat der Abgeordnete Herr Gallert noch eine Frage an Sie. Diese wollen Sie auch beantworten?

Natürlich. Bitte.

Frau Professor Dalbert, könnte es vielleicht damit zu tun haben, dass wir in Baden-Württemberg tatsächlich eine völlig andere Schultradition haben, die noch viel stärker klassisch, und zwar über alle Generationen hinweg, auf ein ganz scharf getrenntes Schulsystem orientiert ist, und dass dies möglicherweise auf alle Parteien, die dort existieren, durchschlägt und dass sich daraus möglicherweise auch Unterschiede im Herangehen zwischen Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg erklären?

Bitte.

Herr Gallert, das ist eine mögliche Hypothese. Im Chancenspiegel werden Länder bezüglich ihres Schulsystems in Gruppen eingeteilt. Dort sind Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt nicht in

derselben Gruppe, was die Chancen für unsere Schülerinnen und Schüler betrifft. Aber ganz ehrlich: Ich muss mir hier keine Gedanken darüber machen, was die baden-württembergischen Kollegen veranlasst, bestimmte Schritte zu unternehmen, und ich muss nicht bewerten, ob dieser Schritt vor der Folie einer bestimmten historischen bildungspolitischen Entwicklung vielleicht ein Fortschritt für Baden-Württemberg ist, aber ein Rückschritt für Sachsen-Anhalt wäre.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

So ist es nämlich.

Herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen. - Nun erteile ich der Landesregierung das Wort. Herr Minister Dorgerloh, bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir einmal die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Hand nehmen, dann können wir daraus einiges über die - auch gute - Arbeit an unseren Gymnasien ablesen, und wir können sehen, welche Daten wir haben. Wir können aber auch eine ganze Reihe von Dingen feststellen, zu denen wir schlichtweg nichts sagen können, auch wenn sie den einen oder anderen interessieren, weil wir die entsprechenden Daten nicht zur Verfügung haben und sie auch im Augenblick nicht erheben.

Damit ist sozusagen ein Grundkonflikt bereits angelegt; Claudia Dalbert hat selbst darauf hingewiesen: Wir haben jetzt im Schulgesetz mit der CDU gemeinsam verankert, dass wir den KMK-Schülerdatensatz auch in unserem Land einführen. Mit dem Datenschutzbeauftragten ist inzwischen geklärt, wie das so anonymisiert geschieht, dass die Rechte der Schüler gewahrt sind. Aber erst dann kann man diese individuellen Schülerverläufe genau nachvollziehen und kann schauen,

(Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE: Das ist falsch!)

ob jemand, der in der 10. Klasse vom Gymnasium abgeht, anschließend zum Fachgymnasium geht, eine Berufsausbildung macht und das Abitur später macht, ein duales Studium aufnimmt usw. usf. Wo dieser individuelle Bildungsweg letztlich endet, das können wir mit den Summendaten, die wir hier erheben, schlichtweg nicht erfassen.

(Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE: Das ist richtig!)

Deshalb muss man das, wonach gefragt wird, auf der Grundlage der Daten, die wir haben, sehr, sehr

vorsichtig anschauen; denn wir können zwar eine gewisse Summe, also eine gewisse Grundzahl von Schülerinnen und Schülern an einem jeweiligen Stichtag erheben, aber wir können diese internen Verläufe, die uns persönlich ebenfalls sehr interessieren - warum wird beispielsweise in der 11. Klasse wiederholt? Will man sein Abitur verbessern? usw. -, im Augenblick jedenfalls nicht eindeutig belegen.

Wie gesagt, die KMK-Kerndaten werden erhoben, sobald das Schulmanagementsystem läuft. Die Ausschreibungen dafür sind auf dem Weg.

Eines ist klar: Jedes Kind hat seine ganz individuelle Biografie und hat seine ganz individuellen Rahmenbedingungen, was die Familie betrifft, die Situation in der Pubertät, vielleicht auch eine Krankheit. Es gibt nicht das Kind, das nur ein Problem hat, sondern es sind vielschichtige Biografien. Man kann bei diesen Kindern auch nicht einfach nur einen Hebel umlegen, und dann hat es Erfolg, oder auf einen Knopf drücken, und dann hört der Misserfolg auf. Man muss sich das vielmehr insgesamt anschauen, wie sich solche Bildungsbiografien darstellen. Diese kann man auch erst am Ende bewerten. Dabei kann man nicht nur auf die Summendaten schauen, auch wenn sie uns an einigen Stellen - darin liegen wir, glaube ich, nicht auseinander - durchaus den einen oder anderen Hinweis geben. Diese sehen wir als Ministerium auch.

Das heißt also, wir müssen uns ein wenig gedulden, bis die individuellen Daten vorliegen. Wir müssen dann auch mehrere Jahre zum Vergleichen haben. Dann kann man natürlich auch schulkonkret sehen, an welcher Schule die Möglichkeiten genutzt werden, die wir bereits haben, um das Abitur oder einen anderen Bildungsabschluss zu erwerben.

An dieser Stelle möchte ich auf etwas hinweisen, das wir im Lande bereits tun. Den Eindruck zu erwecken - ich unterstelle das nicht -, wir würden am Gymnasium nicht auch individuell fördern und uns die einzelnen Kinder nicht individuell anschauen, dem trete ich ausdrücklich entgegen, sollte er entstanden sein. Denn wir haben eine ganze Reihe von Dingen, die wir schon jetzt im Gymnasium tun. Ich weiß von vielen Schulbesuchen, dass man sich vor Ort dieser Aufgabe annimmt.

Ganz konkret: Die Unterrichtsorganisation an den Gymnasien sieht vor, gerade in den Klassen 5, 7 und 10, in denen erfahrungsgemäß am häufigsten an das Gymnasium gewechselt wird, Förderangebote zum Aufbau von Lerndefiziten einzurichten.

Dabei bilden die Jahrgangsstufen 5 und 6 fast eine Art - so kann man sagen - Erprobungsphase für die Schülerinnen und Schüler, in der sie sich mit neuen Leistungsanforderungen auseinandersetzen und in der ihre Leistungsfähigkeit im Hinblick auf

die schulformspezifischen Anforderungen - sprich: Gymnasium - deutlich wird. Das heißt, in den Klassen 5 und 6 gibt es einen besonderen Wahlpflichtkurs „Lernmethoden“, der die Grundlage für erfolgreiches Lernen sichern soll. Auch für die Förderangebote stehen zusätzliche Lehrerwochenstunden zur Verfügung. Auf der Grundlage der Beobachtung der Lernentwicklung werden Schülerinnen und Schüler ganz individuell auch einmal zur Teilnahme an solchen Angeboten verpflichtet, wenn wir in der Schule sehen, dass es dafür Bedarf gibt.

Zahlen für das Schuljahr 2014/2015 - Sie sehen, wir schauen uns das schon sehr intensiv an -: Wir haben fast 6 000 Schülerinnen und Schüler, die an zusätzlichen Kursen zum Defizitausgleich in der Sekundarstufe I der Gymnasien des Landes teilgenommen haben. Auch hierbei unterstützen wir mit zusätzlichen Lehrerwochenstunden. Es werden also 6 000 Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I am Gymnasium individuell gefördert und mitgenommen.

Beim Auftreten von Schwierigkeiten im Lernen oder auch bei Gefährdung der Versetzung werden die Eltern rechtzeitig informiert, und wir haben die Klassenkonferenzen und die Eltern, die sich ganz besonders dieser Schülerinnen und Schüler annehmen, weil wir die Lernentwicklung intensiv beobachten und begleiten. Dabei helfen uns auch die zentralen Leistungserhebungen und die bundesweiten fachlichen Vergleiche. In den Prozess der Ergebnisableitung und in die abgeleiteten Fördermaßnahmen sind auch die Fachbetreuer und die Schulaufsicht eingebunden.

Sie wissen, wir erarbeiten derzeit neue, kompetenzorientierte Fachlehrpläne für die Gymnasien und die Fachgymnasien, die sich am Bildungsstandard für die allgemeine Hochschulreife orientieren und damit auch neuen Raum für individuelle Unterstützung geben. Das ist gerade mit dem Selbstverständnis des Systems Schule, hier insbesondere der Eigenständigkeit, verbunden.

Die Schulen haben darüber hinaus zur Verwirklichung ihrer Aufgaben regionale Partnernetze aufgebaut. Es gibt vielfältige Aspekte, die dort mit hineinspielen, seien es die außerschulischen Lernorte, Schülerlabore und Schülerakademien, aber auch Kooperationsvereinbarungen mit Unternehmen sowie mit den Hochschulen, um individuell zu fördern.

All dies wird, meine sehr geehrten Damen und Herren, durch die Schulaufsicht im Landesschulamt und durch das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung ganz schulkonkret begleitet.

Ich möchte drei Programme nennen, die wir ebenfalls unterstützend anbieten: erstens „Schulerfolg sichern“, zweitens „Ganztägig lernen“ und drittens das Fortbildungsformat „Abgucken erwünscht", die

wir teilweise mit ESF-Mitteln finanzieren und von Trägern der Jugendhilfe unterstützt wissen.

Neben einer fokussierten Zuwendung für Wiederholer im Unterricht werden diese Schülerinnen und Schüler auch oftmals über zusätzliche Angebote gefördert, wie zum Beispiel spezielle Lernaufträge, Aufgaben für die häusliche Nachbereitung oder auch besonders durch die Förderangebote zum Ausgleich von Lerndefiziten. Gerade bei der Abiturprüfung sind diese Vorbereitungen unterrichtsimmanent. Das heißt, wir bereiten unsere Schülerinnen und Schüler mit ganz speziellen Maßnahmen in den Prüfungsfächern vor, beispielsweise durch die Gestaltung einer Klausur mit den äußeren Rahmenbedingungen einer schriftlichen Abiturprüfung. An dieser Stelle muss man auch sagen: Die individuelle Förderung hat sich auch am Gymnasium als pädagogisches Grundprinzip durchgesetzt.

Sehen wir uns die Versetzungsordnung aus dem Jahr 2014 an. Darin nehmen wir direkt Bezug auf die Versetzung von Schülerinnen und Schülern der weiterführenden Schulformen in der Sekundarstufe I. Hier können wir jetzt auch speziellen Einzelfällen Rechnung tragen, bei denen durch ein Nichterreichen der Leistungsvoraussetzungen in nur einem Fach bisher die Versetzung verhindert wurde. Diese Schülerinnen und Schüler können nun über eine zusätzliche Leistungsfeststellung die Versetzung doch noch erreichen, damit genau dies nicht in dem Maße, wie Sie es vorhin geschildert haben, eintritt.

Wir haben, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Verhältnis von Wechseln aus dem Gymnasium an die Sekundarschule zu Wechseln an das Gymnasium untersucht. Wir können sagen, dass sich das in den vergangenen Jahren bereits wesentlich verbessert hat. Dies ist ein Trend, der uns sehr freut. Gegenüber dem Schuljahr 2010/ 2011, also am Beginn der Legislaturperiode, hat sich die Relation im Schuljahr 2013/2014 halbiert. Während etwa ein Drittel mehr Schülerinnen und Schüler von der Sekundarschule zum Gymnasium wechselte, reduzierte sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die das Gymnasium verließen, um etwa ein Viertel.