Protocol of the Session on March 5, 2004

Sehen Sie es auch so, dass zurzeit nur die Kranken und niemand anders zahlen? Ist das gerecht? - Das ist meine erste Frage.

Zur zweiten Frage. Sehen Sie es auch so, dass unsere Krankenversicherung keine Risikoversicherung, sondern eine solidarische Versicherung ist? Wie wollen Sie das in Zukunft gewährleisten, wenn Sie sagen: Die Bürger

versicherung macht das nicht wett? Wie sieht Ihre solidarische Finanzierung aus?

Bisher haben nur die Beitragszahler in das System eingezahlt und die Leistungsnehmer, sprich die Patienten, haben bisher nichts dazu gezahlt

(Zuruf von Frau Bull, PDS)

bzw. gab es seit geraumer Zeit eine Zuzahlung im Medikamentenbereich, aber in diesem Fall nicht. Genau dies führte zu einer Überlastung der Praxen. Wir kennen das alles; ich nenne das Stichwort: Arzthopping.

Es wurden von Patienten - das hat sich am Anfang des Jahres gezeigt - sieben, acht Überweisungen abgefordert, von denen der Hausarzt zum großen Teil nichts wusste. Hierbei wurde in größerem Umfang teilweise Missbrauch betrieben bzw. die Patienten meinten, sie müssten zu jeder Facharztgruppe, die es irgendwo gibt, gehen. Das ist ein verhängnisvoller Vorgang. Daher müssen diese Patienten so weit finanziell belastet werden, dass sie sich überlegen, ob sie dorthin gehen.

(Frau Bull, PDS: Das hat keine Steuerungsfunk- tion, haben Sie vorhin gesagt!)

- Das muss eine Steuerungsfunktion haben. Wir brauchen an dieser Stelle eine Steuerungsfunktion. Das ist ein Grundsatz.

Zum anderen ist es unserer Meinung nach gerecht und richtig, dass sich auch diejenigen, die eine Leistung in Anspruch nehmen, anteilig mit 1 bzw. 2 % beteiligen. In diesem Zusammenhang muss ein Kostenbewusstsein bei den Verbrauchern bzw. denjenigen, die die Leistung in Anspruch nehmen, erzeugt werden. Dafür müssen grundsätzlich die Weichen gestellt werden.

Zu der anderen Frage zu dem Solidarsystem. Das Solidarsystem muss unbedingt erhalten bleiben. Das ist Grundsatz und Konsens. Ich glaube, davon gibt es keine großen, wesentlichen Abweichungen. Abweichungen gibt es allerdings im Detail. Über diese Detailfragen könnten wir im Ausschuss reden. Das ist richtig. Das sollten wir auch tun, aber nicht auf der Basis dieses Antrags; denn dieser Antrag geht vollkommen an der Realität vorbei. Aus diesem Grunde werden wir ihn ablehnen.

Ich bin dafür, dass wir uns im Ausschuss ausführlich über die Frage des Bonus- und Malussystems und dergleichen verständigen; denn es gibt von den Kassen Vorstellungen - ich habe in Vorbereitung der heutigen Debatte mit verschiedenen Kassen gesprochen -, die durchaus zielführend sind und die das System hinsichtlich Steuerung und Wechselwirkung auf ein qualitativ hohes Niveau bringen. - Danke schön.

(Zustimmung von Frau Brakebusch, CDU)

Frau Bull verzichtet auf eine Erwiderung. Damit kommen wir zum Abstimmungsverfahren.

Es ist die Überweisung des Antrages in der Drs. 4/1372 in den Ausschuss beantragt worden. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist die Überweisung abgelehnt worden.

Wir stimmen jetzt direkt über den Antrag ab. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist die PDS-Fraktion. Wer ist dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? - Das ist die SPD-Fraktion. Damit ist der Antrag abgelehnt worden und der Tagesordnungspunkt 20 ist beendet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kommen jetzt zur Beratung über den Tagesordnungspunkt 21. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass im Zeitplan eine falsche Zeit vermerkt ist. Wir werden es unter diesem Tagesordnungspunkt mit einer Zehnminutendebatte zu tun haben. Insgesamt wird diese Debatte mit Einbringung und Beteiligung der Landesregierung maximal 80 min betragen. Das ist im Zeitplan noch nicht vermerkt worden.

Ich darf Sie auch darauf aufmerksam machen, dass wir eine Verzögerung von etwa zwei Stunden haben, sodass ich vielleicht an Sie appellieren darf, die Gesamtzeit, die Ihnen zur Verfügung steht, eventuell nicht auszuschöpfen.

Wir treten in die Beratung über den Tagesordnungspunkt 21 ein:

Erste Beratung

a) Perspektiven für die EU-Förderpolitik 2007 bis 2013

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/1373

b) Zukunft der EU-Strukturpolitik

Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 4/1374

Zunächst erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Klein als Einbringerin des ersten Antrages das Wort. Bitte sehr, Frau Dr. Klein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man fühlt sich nach den Worten des Präsidenten zur Ankündigung des Themas fast geneigt, sich dafür zu entschuldigen, dass man wieder einmal ein EU-Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat. Eigentlich hätten wir mit dem Thema auch noch etwas Zeit; denn die Entscheidungen über die Förderperiode nach 2006 werden erst getroffen.

Aber die Erfahrungen im Umgang mit der Evaluierung der Strukturfonds im vergangenen Jahr und die damit verbundenen Änderungen der operationellen Programme haben gezeigt, dass wir, wenn wir als Parlament wollen, dass unsere Vorstellung zumindest gehört werden - von „erhört“ will ich gar nicht reden -, jetzt die Diskussion eröffnen müssen. Denn sonst erhalten wir wieder die Antwort: In drei Wochen muss alles fertig sein, wir haben keine Zeit, Änderungen aufzunehmen.

Außerdem haben wir jetzt in der Debatte zur Förderperiode nach 2007 eine neue Stufe erreicht. Die finanzielle Vorschau für die Jahre 2007 bis 2013 und der dritte Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt „Eine neue Partnerschaft für die Kohäsion“ liegen vor.

Der für Regionalpolitik zuständige Kommissar Barnier hat eine Zukunftsvision für eine europäische Politik zum Abbau von Entwicklungsunterschieden und zur Förderung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts der Gemeinschaft, die ab 1. Mai 2004 25 Staaten und ab 2007 möglicherweise 27 Staaten umfasst, vorgelegt. Diese Vision basiert auf einer Analyse des bisher erreichten Standes der Struktur- und Kohäsionspolitik und berücksichtigt sowohl die positiven Ergebnisse als auch die vor der Gemeinschaft stehenden Aufgaben und die wirtschaftlichen und vor allen Dingen auch die sozialen Herausforderungen der nächsten Jahre.

Barnier will auch künftig am Solidarprinzip der Gemeinschaft festhalten und hat allen Forderungen nach einer Renationalisierung der Unterstützung für rückständige Regionen eine Absage erteilt. Er macht Vorschläge für eine großzügige Übergangsregelung für die Regionen, die vom statistischen Effekt betroffen sein könnten. Es ist von 85 % der bisherigen Fördersumme für die bisherigen Ziel-1-Regionen die Rede, zumindest für die ersten zwei Jahre der kommenden Förderperiode. Dies wäre ein Lichtblick für die bisherigen Ziel-1-Gebiete, zu denen gegenwärtig noch Sachsen-Anhalt komplett gehört.

Doch die endgültige Entscheidung wird erst in zwei Jahren getroffen. Die Entscheidungsgrundlage werden dann die Regionaldaten der Jahre 2001 bis 2003 sein.

Die bereits vorliegenden Bewertungen gehen davon aus, dass die ostdeutschen Regionen im EU-Vergleich tendenziell noch weiter zurückfallen werden, sodass auch nach dem Beitritt die Mehrheit der ostdeutschen Regionen unter der 75%-Grenze bleiben würde. Angesichts der Entwicklung in Sachsen-Anhalt würde uns also der statistische Effekt erhalten bleiben. Aber so toll ist das eigentlich auch nicht.

Die Vorschläge der Kommission berücksichtigen zumindest ansatzweise die Herausforderungen, vor denen die europäische Gemeinschaft in den kommenden Jahren steht. Größere Sorgen bereitet uns, der PDS-Fraktion, die gegenwärtige Haltung der Bundesregierung zu diesen Herausforderungen.

Wir wissen, dass die Erweiterung finanziert werden muss. Wir kennen die Zustände der Landes- und der Kommunalhaushalte. Wir wissen, dass auch der Bundeshaushalt nicht beliebig aufgebläht werden kann. Wir wissen auch, dass es einen Wachstums- und Stabilitätspakt gibt, zu dessen Einhaltung sich die Bundesregierung irgendwann einmal verpflichtet hat.

(Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Dennoch halten wir es für notwendig, dass wir im Interesse unseres Landes alles dafür tun, dass die Bundesregierung von ihren jetzigen Überlegungen, den EUHaushalt auf dem gegenwärtigen Stand einzufrieren, abgebracht wird.

Die Feststellung der EU-Kommissarin Schreyer, dass ein solches Einfrieren auf Kosten der Regionalpolitik und damit auch und zuerst zulasten der ostdeutschen Regionen gehen würde, ist nur zu verständlich. Aber - hierin liegt das Problem - die Tatsache ist doch nicht neu. Die Diskussionen um die EU-Strukturfonds und die Beiträge zum EU-Haushalt zeigen nicht nur, dass die Verteilung von Geld eine schwierige Angelegenheit ist; sie führen uns vielmehr mit aller Macht vor Augen, dass die Europäische Union nicht auf die bevorstehende Erweiterung vorbereitet ist.

Der Beitritt von zehn zum Teil sehr armen Ländern ist nicht zum Nulltarif zu haben. Das war und ist nicht erst seit heute bekannt. Jede bisherige Erweiterung ging mit einer Aufstockung der Haushaltsmittel einher; denn das Solidarprinzip wurde einst fast heilig gesprochen. Auch in dem EU-Verfassungsentwurf, den wir in diesem Hohen Hause begrüßt haben, ist das erneut bekräftigt worden.

Eine Ausnahme gab es bisher nur bei der Erweiterung der Bundesrepublik Deutschland durch den Beitritt der DDR. Aber den wollte man ja auch aus der Portokasse bezahlen. Der Osten war und ist nicht Chefsache, also kann er auch dem gegenwärtigen bundesdeutschen Haushaltsdebakel geopfert werden. Wer glaubt, dass die nicht an Brüssel gezahlten Mittel in der Bundesrepublik umverteilt und in die neuen Bundesländer fließen könnten, der muss mehr als ein Träumer sein.

Aus diesem Grund unterstützen wir die Position der EUKommission, die im Jahr 1999 von allen Mitgliedstaaten in der Berliner Agenda vereinbarte Obergrenze von 1,24 % des Bruttoinlandsprodukts im EU-Haushalt auch in der Förderperiode ab 2007 einzufordern. Gegenwärtig liegen wir bei lediglich 0,98 %; die Obergrenze ist also bei weitem noch nicht erreicht.

Wenn diese Vereinbarung infrage gestellt wird, dann ist auch die Frage offen, wie der Angleichungsprozess zwischen den alten und den neuen Bundesländern bzw. zwischen strukturschwachen und strukturstarken Regionen der Bundesrepublik im Sinne des Grundgesetzes nach dem Ende der laufenden Förderperiode finanziert wird.

Der Kanzler hat diese Frage schon im Dezember 2003 auf seine Art beantwortet, indem er gemeinsam mit den Regierungs- bzw. Staatschefs Frankreichs, Großbritanniens, Schwedens, Österreichs und der Niederlande jenen Brief an den Präsidenten der Europäischen Kommission sandte, in dem die Forderung, die Obergrenze auf 1 % des Bruttoinlandsprodukts der Mitgliedstaaten festzulegen, aufgeschrieben wurde.

Mit der „Chefsache Ost“ ist es also wie mit den „blühenden Landschaften“ - Versprechungen sind leicht gemacht.

Das wird durch die in dem Brief der sechs Regierungschefs benannten Schlüsselaufgaben noch unterstützt. Darin ist nichts zu finden von den Herausforderungen der Erweiterung, von den so oft beschworenen Angleichungen der wirtschaftlichen und der sozialen Entwicklungen in den unterschiedlichen Regionen Europas oder von dem sozialen Zusammenhalt. Dazu findet man nichts in diesem Brief, wohl aber in den Unterlagen der EU-Kommission.

Eine solche Begrenzung des Haushalts ist nicht notwendig; denn die Osterweiterung ist nicht nur ein Verlustgeschäft, wie es manche gern hinstellen möchten. Die Bundesrepublik und Österreich werden am meisten von der Erweiterung profitieren. Großunternehmer und Banker sind schon längst in den Beitrittsländern zu Hause und warten nur darauf, ihre Spielwiesen zu erweitern.

Schlecker will in diesem Jahr zum Beispiel in Polen, Ungarn, Slowenien und der Slowakei Drogeriemärkte eröffnen. Dort wird er bestimmt Produkte verkaufen, die auch in der Bundesrepublik hergestellt werden. Andere Handelsketten sind schon längst in den Beitrittsländern.

Es gilt also darüber nachzudenken, worüber wir heute früh debattiert haben: eben auch über die Einnahmenseite in diesem Bundeshaushalt. Man kann nicht immer nur Steuern senken, Steuern senken...

Gut, das wird nichts an der Tatsache ändern, dass es noch ein Weilchen dauern wird, bis wir es in den neuen Ländern zu einem sich selbst tragenden wirtschaftlichen Aufschwung schaffen werden; denn die ostdeutschen kleinen und mittleren Unternehmen haben schlechtere Bedingungen für die EU-Osterweiterung.

Insofern haben wir durchaus ernsthafte Kritik am gegenwärtigen Verfahren der Verteilung von Fördermitteln. Das oft bemängelte Gießkannenprinzip ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass die Förderwürdigkeit einer Region allein vom Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung abhängig gemacht wird.

Ausgehend von der Debatte um die Halbzeitbilanz der Strukturfondsförderperiode und von den Zielen der EU müssten Positionen wie die Nachhaltigkeit der Entwicklung, die Höhe der Arbeitslosigkeit, die Entwicklung der Gleichstellung der Geschlechter, die Industrialisierungsquote, die Entwicklung des Umweltschutzes, die Zahl der Ausbildungsplätze und die Entwicklung von Bildung, Wissenschaft und Forschung einbezogen werden.