Protocol of the Session on March 5, 2004

Ausgehend von der Debatte um die Halbzeitbilanz der Strukturfondsförderperiode und von den Zielen der EU müssten Positionen wie die Nachhaltigkeit der Entwicklung, die Höhe der Arbeitslosigkeit, die Entwicklung der Gleichstellung der Geschlechter, die Industrialisierungsquote, die Entwicklung des Umweltschutzes, die Zahl der Ausbildungsplätze und die Entwicklung von Bildung, Wissenschaft und Forschung einbezogen werden.

Die Debatte um die Halbzeitbilanz hat uns allen die Defizite in der Förderung und in der Förderpolitik aufgezeigt, sowohl die hausgemachten wie auch die der EU-Bürokratie. Inzwischen ist das Prozedere der europäischen Förderung so aufwendig und kompliziert geworden, dass die vorgesehenen und auch bereitgestellten Fördermittel in der Praxis nicht mehr komplett abfließen können.

Allein im Haushaltsjahr 2002 wurden verfügbare Ausgabemittel in Höhe von knapp 9 Milliarden € nicht ausgeschöpft. Der zögerliche Mittelabfluss spielte auch in Sachsen-Anhalt eine nicht unerhebliche Rolle. Hierbei gibt es also enormen Handlungsbedarf.

Sowohl von den Mitglieder des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten wie auch von den Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses - ich habe es vorhin bereits gesagt - wurde kritisch angemerkt, dass der Landtag in die Vorentscheidungen hinsichtlich der inhaltlichen Änderungen nicht einbezogen wurde. Es gab lediglich eine Information. Stellungnahmen konnten nicht ausgearbeitet und nicht berücksichtigt werden. Das darf uns nicht wieder passieren.

Das war eigentlich auch der Punkt, der uns dazu bewogen hat, das Thema auf die Tagesordnung zu bringen. Wir fordern die Landesregierung auf, das Parlament langfristig in die Formulierung der inhaltlichen Schwerpunkte für die kommende Förderperiode einzubeziehen. Wir haben zwei Jahre Zeit. In diesen zwei Jahren kann manches auf den Weg gebracht werden.

Aus unserer Sicht müssen auch die Kriterien der Kofinanzierung der Programme durch den Bund und die Länder langfristig neu diskutiert werden.

Meine Damen und Herren! Der Europäische Rat hat im Jahr 2000 in Lissabon beschlossen, Europa zum dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum zu machen. Hieran sollten wir bei den Kriterien unserer Förderpolitik ansetzen.

Es gibt schließlich auch Beispiele in der Europäischen Union, die zeigen, wie man intelligent fördern kann. Irland hat zum Beispiel nicht auf eine überdimensionierte

Infrastruktur gesetzt. Gut, in Irland braucht man auch nicht so viele Autobahnen wie in Sachsen-Anhalt, damit die Lkw durchrollen können.

Die Iren haben auch nicht auf Großprojekte gesetzt, sondern in Bildung und Weiterbildung investiert. Das hat sich ausgezahlt. Wir können über Eliteuniversitäten und Innovationszentren in den neuen Bundesländern philosophieren. Wenn dies nicht von unten wächst, wenn wir nicht in Forschung und Bildung investieren, dann bleibt alles hohles Gequatsche und diejenigen, die es sich leisten können, verlassen nach wie vor fluchtartig das Land; denn wer nicht gelernt hat zu lernen und wer keine soziale Kompetenz gelernt hat, der wird auch kein Spitzenwissenschaftler. Von einem Europa der Bildung und der Ausbildung sind wir jedenfalls ein ganzes Stückchen weg.

Lassen Sie uns gemeinsam die Bundesregierung auffordern, das Haushaltsrecht so zu ändern, dass Investitionen in die Bildung generell als Investition und nicht als Konsumtion gelten. Herr Paqué hat das in der Haushaltsdebatte sehr anschaulich deutlich gemacht, indem er darauf hingewiesen hat, dass Investitionen in ein Spaßbad Investitionen sind, Investitionen in Bildung hingegen Konsumtion, wenn ich mich richtig erinnere.

Lassen Sie uns die Regelungen so ändern, dass die so genannten weichen Standortfaktoren - Bildungsnetze, Kultur und Kunstangebote, Einrichtungen der Soziokultur, Fragen der Mobilität, der medizinischen Versorgung und des Wohnumfelds - endlich zu harten Standortfaktoren werden. Hier gehen uns die Prioritäten der Landesregierung und das Ergebnis der Halbzeitevaluierung der Förderperiode nicht weit genug.

Diesbezüglich wäre übrigens auch der Entwurf eines deutschen Positionspapiers für den Europäischen Rat in Brüssel am 25. März dieses Jahres kritisch zu hinterfragen. Erstklassige Forschung und Entwicklung sind nur möglich, wenn, wie gesagt, frühzeitig investiert wird, wenn die Kinder schon motiviert in die Schule kommen. Lebenslanges Lernen muss erlernt werden und setzt soziale Kompetenz aller Beteiligten voraus.

An dieser Stelle hat die EU-Förderung ebenso wie die des Bundes und des Landes anzusetzen. Von unseren Antworten wird es mit abhängen, ob es einen wissensbasierten Wirtschaftsraum Sachsen-Anhalt gibt oder ob Sachsen-Anhalt im Zuge der Osterweiterung zum reinen Transitland verkommt.

In diesem Sinne bitte ich Sie, den Antrag zu überweisen - wir könnten auch direkt darüber abstimmen, aber es bietet sich an, erst einmal darüber zu diskutieren -, und zwar in den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten, in den Wirtschaftssausschuss und in den Finanzausschuss. Ich könnte mir auch vorstellen, ihn in den Bildungsausschuss zu überweisen. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Vielen herzlichen Dank, Frau Dr. Klein. - Für den Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP erteile ich nun als Einbringerin der Abgeordneten Frau Wybrands das Wort. Bitte sehr, Frau Wybrands.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen,

sondern möglich machen.“ - Dieses Zitat hat die Europäische Kommission ihren Ausführungen über die politischen Herausforderungen der erweiteten Union für den Zeitraum 2007 bis 2013 vorangestellt.

In seinem Bericht bezeichnet Kommissar Barnier es als erklärtes Ziel, eine gerechte Gesellschaft und eine nachhaltige Entwicklung in Europa zu schaffen. Dabei hat die Kommission natürlich das ganze Haus Europa im Blick. Ihr Ziel ist es, die 25 Zimmer so einzurichten, dass sich alle Bürger darin gleich wohl fühlen.

Unser Job heute ist es, das Zimmer für unsere Bürger einzurichten. Fakt ist, dass der Bericht konkrete Empfehlungen dazu enthält, wie Gelder eingesetzt werden sollen, um das wirtschaftliche Gefälle zwischen den Mitgliedstaaten und den Regionen zu verringern. Er macht Vorschläge, wie schnelles Wachstum und eine nachhaltige Entwicklung erreicht werden können. Der Bericht wird die Grundlage für die Erörterung innerhalb und außerhalb der europäischen Institutionen über die Zukunft dieses wichtigen Politikbereichs bilden.

Auch wir in Sachsen-Anhalt müssen Überlegungen über den sinnvollen Einsatz der europäischen Mittel anstellen und wir müssen es jetzt tun; denn im Mai findet das erste europäische Forum statt, in dem die Kommission noch einmal Anregungen aus den Ländern aufnimmt. Im Juni möchte sie dann die Gesetzesvorschläge annehmen.

Gestatten Sie mir eine kurze Rückblende. Auf die Strukturfonds und den Kohäsionsfonds entfällt etwa ein Drittel des europäischen Haushalts. Das waren im Jahr 2004 rund 36 Milliarden €. Die Mittel werden von den Mitgliedstaaten, den Regionen und der Kommission gemeinsam verwaltet.

Der Bericht zeigt, dass durch die Kohäsionspolitik ein großer Mehrwert geschaffen worden ist. Trotz des im Vergleich zu den nationalen öffentlichen Ausgaben relativ geringen Umfangs spielt die Kohäsionspolitik der Europäischen Union bei der Bekämpfung der Disparitäten eine wichtige Rolle, da ihr Schwerpunkt auf Investitionen und den schwachentwickelten Regionen liegt und somit auf Strukturveränderungen und nicht auf Grundversorgung oder Abfederung individueller sozialer Härten.

Wie aus der Analyse hervorgeht, sind die innerhalb der Europäischen Union bestehenden Disparitäten in Bezug auf Einkommen und Beschäftigung in den letzten zehn Jahren schwächer geworden. Dennoch besteht zwischen den ärmsten Regionen und dem Rest der EU ein gewaltiger Unterschied, zu dessen Abbau langfristige Anstrengungen erforderlich sind.

Die europäischen Programme haben direkt zur Förderung der regionalen Konvergenz und Beschäftigung beigetragen. So bewirkt diese Politik im Zeitraum 2000 bis 2006 eine Erhöhung des Kapitalstocks um 4 % in den neuen deutschen Bundesländern.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir begrüßen es ausdrücklich, dass nach dem Bericht vorgesehen ist, Wachstum und Beschäftigung in den rückständigsten Mitgliedstaaten und Regionen im Zeitraum von 2007 bis 2013 weiterhin besonders zu fördern. Dieses Ziel wird in erster Linie die Regionen betreffen, deren Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt geringer ist als 75 % des Gemeinschaftsdurchschnitts.

In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass - wie aus dem Bericht hervorgeht - alle drei sachsen-anhaltischen Regionen trotz der EU-Erweiterung derzeit deut

lich unter der 75%-Grenze liegen. Nun könnten wir natürlich jubeln. Schließlich sichert uns das Nichtüberschreiten der 75%-Grenze weiterhin Zuweisungen in Milliardenhöhe aus der EU zu, ebenso - das ist genauso wichtig - eine großzügige Beihilferegelung. Aber das kann es dann ja doch wohl nicht sein; denn das Zahlenmaterial beweist, dass zumindest zwei Regionen, Magdeburg und Dessau, zu den ärmsten und rückständigsten Regionen Europas gehören. Das ist 14 Jahre nach Vollendung der deutschen Einheit ein ernüchterndes Ergebnis.

Die Regierungsfraktionen nehmen dies besorgt zur Kenntnis, schlagen im zweiten Teil ihres Antrages aber Maßnahmen vor, die ihnen geeignet erscheinen, in größerem Umfang Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung zu erzeugen. Ich werde im weiteren Verlauf meiner Rede noch einmal darauf zurückkommen.

Zuvor möchte ich auf die Bewertung der Regionen eingehen; denn für Halle ist immerhin anzunehmen, dass diese Region aufgrund der Entwicklung in den letzten Jahren den Sprung über die 75%-Grenze schaffen wird. Damit gibt es einen statistischen Effekt und es kommt zu einer Sonderförderung.

Hierzu wird im Bericht eine befristete Unterstützung vorgeschlagen, die - Frau Dr. Klein hat es schon gesagt - zunächst bei 85 % der bisher ausgereichten Fördermittel und gegen Ende der Förderperiode bei 65 % liegen wird. Diese Kompromisslösung, die zum Teil nicht möglich erschien, ist ein Teilerfolg und sollte von uns allen begrüßt werden.

Sorge bereitet uns allerdings der Umstand, dass die Kommission insoweit von einer befristeten Lösung gesprochen hat. Daher sehen wir an dieser Stelle Verhandlungsbedarf und bitten die Landesregierung, sich weiterhin dafür einzusetzen, dass es keine Befristung geben wird.

Dies ist auch unsystematisch; denn die Kommission hat sich noch niemals auf einen Förderraum für die Zeit nach einer Förderperiode festgelegt. Das macht auch keinen Sinn; denn man weiß nicht, wie Halle im Jahr 2013 dastehen wird. Daher kann man jetzt nicht sagen, dass die Fördermittel dann nicht mehr ausgegeben werden.

Gleiches gilt für die Frage, ob in diesen Regionen die Beihilfeintensität gemäß Artikel 87 Abs. 3 Buchstabe a des EG-Vertrages für eine angemessene Zeit weiter gilt. Die Kommission macht deutlich, dass dies auf Artikel 87 Abs. 3 Buchstabe c heruntergeschraubt wird.

Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Grimm-Benne zu beantworten?

Am Ende.

Am Ende, Frau Grimm-Benne.

3 c, das bedeutet einen inakzeptablen Beihilfewettbewerb zwischen Halle und dem Rest des Landes. Zum Vergleich: Ein kleines oder mittleres Unternehmen, das

neu investieren und sich ansiedeln möchte, könnte in Magdeburg eine Förderung der Investitionskosten von 50 %, in Halle hingegen nur von 15 % erhalten. Einem Großinvestor könnte in Dessau eine Förderung der Kosten in Höhe von 25 % angeboten werden, in Halle hingegen nur von 7 %. An dieser Stelle sehen wir, wie gesagt, noch Handlungsbedarf.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich im zweiten Teil meiner Einbringungsrede auf einige Maßnahmen eingehen, die auf nationaler und regionaler Ebene umgesetzt werden müssten, um die EU-Strukturpolitik weiter zu verbessern.

Wir müssen die Rahmenbedingungen in Sachsen-Anhalt und in der Bundesrepublik so verbessern, dass eine dauerhafte Abhängigkeit von Strukturfondsmitteln vermieden wird. Geld allein, liebe Kolleginnen und Kollegen, macht weder glücklich noch löst es unsere strukturellen Probleme.

Die europäische Förderung muss daher lediglich als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden. Wir müssen uns darauf einstellen, dass die EU-Mittel kontinuierlich weniger werden. Darüber besteht in diesem Haus wohl auch Konsens. Die dauerhafte Unabhängigkeit kann aus der Sicht der CDU und der FDP insbesondere durch Reformen des Arbeitsmarktes, des Steuersystems und des Verwaltungssystems erreicht werden.

Ich möchte im Zusammenhang mit den in Deutschland notwendigen Reformen das Beispiel der Republik Irland anführen, weil dort etwas Außergewöhnliches gelungen ist. Ich mache dies ganz bewusst; denn die Regierungsfraktionen sind der Ansicht, dass Sachsen-Anhalt und Deutschland es schaffen können.

Lassen Sie uns den Menschen die Angst davor nehmen, dass eine Steigerung der wirtschaftlichen Freiheit durch die Öffnung nach außen, zum Beispiel im Rahmen der Osterweiterung, und eine Verringerung der Staatsausgaben und Steuern unsere sozialen und wirtschaftlichen Probleme noch vergrößern. Das Gegenteil ist der Fall: Wohlstand und Wachstum sind nur so erreichbar.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ein kleiner Exkurs nach Irland: In den 80er-Jahren wuchs die irische Wirtschaft unterdurchschnittlich. Im Vergleich zu den restlichen europäischen Ländern hinkte Irland nicht nur wegen seines mangelnden Wohlstandes, sondern auch wegen seiner schwachen Industrialisierung stark hinterher und drohte durch sein marginales Wachstum vollends abzufallen. Man sprach vom Armenhaus Nordwesteuropas. Hinzu kam, dass der irische Staat durch eine fehlgeschlagene Wirtschaftspolitik fast zahlungsunfähig wurde. Dies führte zur Notwendigkeit politischer Reformen.

Die Situation der Iren Mitte der 80er-Jahren ist durchaus vergleichbar mit der Deutschlands heute.

Inzwischen haben sich die Zeiten in Irland stark verbessert. Wachstumsraten weit über denen anderer westlicher Länder haben dazu geführt, dass Irland nicht nur aufschließt, sondern zum Beispiel auch Deutschland und das United Kingdom überholt hat. Für das Jahr 2004 wird eine Wachstumsrate von 5 % geschätzt.

Das Modell Irland war aber auch nur möglich, weil neben nationalen Reformen auch Strukturfondsmittel intelligent genutzt wurden. Lassen Sie uns gemeinsam von unseren europäischen Nachbarn lernen und gemeinsam versuchen, Sachsen-Anhalt wieder nach vorn zu bringen. Die Unterstützung Brüssels ist uns dabei sicher.

Meine Damen und Herren! Sachsen-Anhalt hat aber auch Stärken, die es in Europa unverwechselbar machen. Diese müssen wir ausbauen. Auch dabei hilft uns die Kommission. Der Bericht macht zum Beispiel sehr deutlich, dass unsere jungen Leute mit einem wesentlich höheren Abschluss von der Schule gehen als in anderen europäischen Ländern und damit mehr Möglichkeiten haben, sich den Erfordernissen des Marktes anzupassen. Hierfür tut die Landesregierung bereits einiges. Daran müssen wir weiter arbeiten.

Ein zentrales Thema der zukünftigen Regionalpolitik, so Kommissar Barnier, soll die Mobilisierung unternehmerischer Innovationspotenziale und die Schaffung von Innovationsnetzen insbesondere zugunsten junger Unternehmer sein. Die haben wir. Lassen Sie uns gemeinsam sensibel darauf achten, dass sie uns auch erhalten bleiben.