Protocol of the Session on March 5, 2004

(Zurufe von der CDU)

Das war nicht allen Ausschussmitgliedern möglich. Bei einer fast zehnstündigen Sitzung ist das vielleicht auch kein Wunder. Aber das sage ich nur am Rande. Aber, Herr Tullner, wir haben nach der Beratung gemeinsam festgestellt, dass es noch eine ganze Reihe von offenen Fragen gibt. Selbst wenn nur ein Teil davon in der nächsten Woche geklärt werden wird -

(Zuruf von der CDU: Alle!)

es gibt dann noch die Anhörung und die abschließende Beratung -, besteht für einen Teil der Ausschussmitglieder keine Möglichkeit mehr, noch einmal Rücksprache mit verschiedenen Experten zu nehmen.

(Herr Tullner, CDU: Dazu machen wir doch die Anhörung!)

- Da werden vier Personen angehört, wenn ich es recht überschaue.

(Herr Schomburg, CDU: Sechs!)

Es gibt bei dieser Rechtsmaterie so viele Einzelheiten zu regeln, dass ich einfach die Sorge habe, dass ähnlich wie beim Sozialgesetzbuch V Fragen auf die Schnelle entschieden werden, bei denen noch gar nicht alle Konsequenzen abgecheckt worden sind. Die Gefahr sehe ich.

(Herr Tullner, CDU, schüttelt den Kopf)

- Sie schütteln mit dem Kopf. Aber Sie müssen zugestehen, dass ich die Gefahr sehe. Ich habe schon im Ausschuss und während der Plenarsitzung gesagt: Ich halte unser Beratungstempo in diesem für mich immer noch vorhandenen Schnelldurchgang für dem Thema einfach nicht angemessen. Das Hochschulgesetz sollte so sein, dass es für die nächsten Jahren wasserdicht ist.

Ich gehe immer noch davon aus, dass wir die Zeit haben, um die Gesetzesberatung bis zur Sommerpause ordentlich, sorgfältig und wirklich nach dem Abchecken aller Pro und Kontra durchzuführen. Sie wollen am 1. April 2004 die Beschlussfassung im Landtag herbeiführen. Dann müssen Sie es so machen. Sie nehmen aber auch das Risiko in Kauf, dass dabei Sachen geregelt werden, die nicht bis zum Ende durchdacht sind.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Tullner, CDU: Wir hatten ein halbes Jahr lang Zeit!)

Wir behandeln jetzt einen Antrag, der die Gesundheitsreform zum Gegenstand hat - nur damit der Abgeordnete Herr Brumme von der CDU-Fraktion nicht den Redebeitrag verwechselt, den er halten muss. - Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich habe fast befürchtet, dass wir irgendetwas durcheinandergebracht haben.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Reform des Gesundheitswesens der gesetzlichen Krankenversicherung - das möchte ich an den Anfang stellen - war dringend erforderlich, um eine weitere Beitragserhöhung in der GKV und damit eine weitere Kostenerhöhung im Bereich des Faktors Arbeit in unserer Volkswirtschaft zu vermeiden. Ich denke, wir stimmen alle darin überein, dass in diesem Bereich dringender Handlungsbedarf bestand.

In der GKV, in der über 86 % der Bevölkerung versichert sind, haben wir durch den medizinischen Fortschritt und durch den zunehmend größer werdenden Anteil der älteren Bevölkerung einerseits ein Kostenproblem.

Andererseits haben wir durch den immer geringer werdenden Anteil von Beitragszahlern ein Einnahmenproblem. Allein in den Jahren 2002 und 2003 fielen per Saldo über 600 000 Arbeitsplätze weg. Damit verringerte sich die Zahl der Einzahler in das System um dieselbe Größe. Dies ist das Resultat - so muss ich das leider sagen - der von der rot-grünen Bundesregierung verfolgten Wirtschaftspolitik und der daraus resultierenden Konjunkturschwäche.

Der Ruf nach einer Bürgerversicherung, wie er auch in diesem Haus noch einmal anklang, ist nicht hilfreich und führt auch nicht einmal im Ansatz zum Ziel der Beseitigung der Strukturprobleme.

Zur Steuerung der Kostenseite war es unter anderem unabdingbar, die Flut von Arztbesuchen einzudämmen. In diesem Bereich sind wir wahrlich Weltmeister.

(Herr Czeke, PDS: Im Eindämmen!)

Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziales hat in einem Jahr 640 Millionen Arztbesuche gezählt. Das heißt, jeder Einwohner Deutschlands ist acht Mal im Jahr zum Arzt gegangen.

(Zuruf von Frau Bull, PDS)

In vergleichbaren Ländern - Frau Bull, Sie haben das so pauschal gesagt - wie in Frankreich oder in der Schweiz sind es vier bis fünf Arztbesuche pro Bürger im Jahr. Ich denke nicht, dass die Leute dort viel gesünder sind, nur weil sie vielleicht ein bisschen mehr Rotwein trinken.

Der fast völlige Wegfall der Zuzahlung nach der bisherigen Chroniker-Regelung aufgrund der sehr großzügigen

Auslegung hat dies in zunehmendem Maße mit begünstigt. Zum Schluss waren weit mehr als 60 % der Versicherten von der Zuzahlungspflicht befreit. Dies ist ein klassisches Beispiel dafür, dass durch Inkonsequenz die Ausnahme zur Regel wurde. Allerdings ist die jetzige Regelung zur Chroniker-Definition aufgrund öffentlichen Druckes noch schwammiger gefasst worden. Ich fürchte deshalb, dass es wieder aus dem Ruder laufen wird.

Wenn es der politische Wille einer breiten Mehrheit ist, grundsätzlich alle Versicherten mithilfe von erhöhten Zuzahlungen an der Finanzierung von Gesundheitsleistungen zu beteiligen, macht es keinen Sinn, im Anschluss sofort über Ausnahmeregelungen zu sprechen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Am Schluss bitte. - Sehr geehrte Damen und Herren! Seit Jahren fordern die betreffenden Verbände, die Sozialhilfeempfänger in die GKV einzubeziehen, was nun seit dem 1. Januar 2004 der Fall ist. Dort müssen sie sich aber nun auch den geltenden Spielregeln unterwerfen. Nun wird von der PDS gerade einmal nach acht Wochen in der gewohnten Aufgeregtheit von einer Überlastung dieser Bürger gesprochen,

(Zuruf von Frau Bull, PDS)

was nicht zutreffend ist.

Wie der Herr Minister bereits ausgeführt hat, ist im GMG eine Belastungsobergrenze für chronisch Erkrankte in Höhe von 1 % und für andere Kranke in Höhe von 2 % festgelegt worden.

Das ist zumutbar und leistbar. Ausgehend von dem derzeit in Sachsen-Anhalt maßgeblichen Eckregelsatz von 285 € liegt die Belastungsgrenze bei Menschen mit geringem Einkommen, wie zum Beispiel bei Sozialhilfeempfängern, monatlich bei - ich habe es einmal genau ausgerechnet - 2,85 € für chronisch Kranke und ansonsten bei 5,70 €.

(Frau Bull, PDS: Das ist doch nicht monatlich!)

- Das ist die durchschnittliche monatliche Belastung.

Partielle Probleme entstehen dadurch, dass es bestimmte Personen gibt, die eine Zuzahlung in Höhe von 34 € bis 68 €, über das Jahr gerechnet, innerhalb weniger Wochen am Anfang des Jahres nicht ohne weiteres verkraften können, aber nicht, weil die Beträge so hoch sind, sondern weil

(Frau Bull, PDS: Weil die Sozialhilfe so niedrig ist!)

sie sich auf diese neuen Zuzahlungen am Anfang des Jahres nicht vorbereiten konnten.

Ein „Anlaufproblem“ der neuen Regelung besteht darin, dass grundsätzlich jeder bis zur Erreichung seiner individuellen Belastungsgrenze zuzahlen muss. Das heißt, es gibt praktisch niemanden, der gleich zu Beginn dieses Jahres befreit war. Die jetzige Regelung für Zuzahlungen stellt grundsätzlich ein hohes Maß an Gleichbehandlung nach dem Motto „Belastung nach Belastbarkeit“ sicher, Frau Bull.

Nach der derzeitigen Erfahrung ist nicht davon auszugehen, dass ein Fehlverhalten von Bevölkerungsgrup

pen mit geringem Einkommen indiziert wird. Damit meine ich die Vermeidung von notwendigen Arztbesuchen aus Zuzahlungsgründen. Es gibt keine belastbare Untersuchung, die das belegt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich stelle noch einmal fest: Die in dem Antrag der PDS-Fraktion behauptete Überlastung von Sozialhilfeempfängern tritt nach den jetzt erfolgten Änderungen nicht ein.

(Zuruf von der PDS: Ha, ha, ha!)

Es bedarf aber bei der notwendigen neuen Berechnung des Gesamtbedarfs der Sozialhilfeempfänger einer sorgfältigen Abschätzung. Deshalb wird die CDU-Fraktion den Antrag der PDS ablehnen.

Am Schluss noch eine Überlegung zu der weiteren Arbeit mit dem GMG. Im Hinblick auf die aktuelle Praxisgebühr ist derzeit leider - so muss ich sagen - primär nicht von einer effektiven Steuerungswirkung, sondern eher von einer reinen Zuzahlungswirkung auszugehen. So ist es ja auch im Gesetz vorgesehen.

(Frau Bull, PDS: Ja!)

Echte Steuerungseffekte erreicht man erst durch Selbstbehalte. Die Erfahrungen in der Schweiz und in Frankreich - das wurde schon genannt - zeigen eindeutig, dass Effekte zu erzielen sind, dass infolge einer Zuzahlung eine Steuerungswirkung hinsichtlich der Abläufe im System im Speziellen und der gesundheitsfördernden Lebensweise der Menschen im Allgemeinen zu erreichen ist. Es muss ein Bonus- und Malussystem geschaffen werden, das dem natürlichen Verhalten der Menschen gerecht wird und dieses widerspiegelt. Bei dem nächsten Schritt des weiteren Ausbaus des GMG ist dies unbedingt konsequent zu bedenken und umzusetzen. Sonst ist das ganze System kostenseitig in der Zukunft nicht mehr zu beherrschen. - Danke.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Herr Bischoff, stellen Sie Ihre Nachfrage.

Herr Brumme, Ihre letzte Bemerkung hat eigentlich Anlass dafür geben, dass wir das noch einmal im Ausschuss bereden. Gerade das Bonus- und Malussystem ist nicht unbedingt gerecht.

Nun zu meiner Frage. Sie haben zu Beginn gesagt, die gegenwärtige Reform würde dazu beitragen - so sehe ich es auch -, dass die Kosten, also die Versicherungsbeiträge und auch die Lohnnebenkosten, nicht steigen.