Protocol of the Session on March 5, 2004

Wir alle wissen, dass die Integration in den Arbeitsmarkt nach einer betrieblichen Ausbildung besser gelingt als nach einer schulischen Ausbildung. Bereits im Jahr 1980 hat das Bundesverfassungsgericht die Bereitstellung eines ausreichenden und auswahlfähigen Angebots von betrieblichen Ausbildungsplätzen als Verpflichtung für die gesamte Wirtschaft definiert.

Die PDS erwartet selbstverständlich, dass sich grundsätzlich alle Betriebe und Unternehmen an der Ausbildung beteiligen; denn die Finanzierung muss auf eine

breitere Basis gestellt werden. Uns geht es um eine gerechte Ausbildungsfinanzierung.

Wir sind der Meinung, dass derzeit nur durch die Einführung einer solidarischen Umlagefinanzierung das System der dualen Berufsausbildung nachhaltig saniert und die Situation für viele jugendliche Schulabgänger verbessert werden kann.

Der Weg zu diesem System der Finanzierung ist jedoch steinig. Die Gegner der Umlage - zu ihnen zählen die Arbeitgeberverbände, die Kammern, leider auch prominente SPD-Ministerpräsidenten - lassen nichts unversucht, um den Gesetzgebungsprozess zu Fall zu bringen oder zumindest eine abspeckte Version zu erreichen, damit das Gesetz nicht zur Anwendung kommt.

Erstaunlich für mich ist es auch, dass die Wirtschaftsverbände, selbst ernannte Superökonomen oder konservative liberale Parteien mit schroffer Ablehnung reagieren.

(Herr El-Khalil, CDU: Das können Sie nicht ver- stehen!)

Erstaunlich ist es deshalb, weil doch gerade Sie radikale Reformen so richtig befürworten. Frau Röder, für diese Reformblockade haben Sie noch nicht einmal neue Argumente.

Anstatt eigene politische Konzepte auf den Tisch zu legen - weder die CDU noch Sie haben das heute getan -, wird auf das Prinzip Hoffnung verwiesen: Eine wieder anspringende wirtschaftliche Konjunktur und mehr Deregulierung, eine geringere Ausbildungsvergütung, weniger Jugendarbeitsschutz, keine Übernahmeverpflichtung nach der Ausbildung und Einfachausbildungen würden den Ausbildungsmarkt automatisch wieder beleben. Doch das ist ein Trugschluss.

(Zuruf von Herrn El-Khalil, CDU)

- Herr El-Khalil, Sie können nachher gerne sprechen, jetzt bin ich dran.

(Zustimmung bei der PDS)

Das Bundesministerium für Berufsausbildung hat Zahlenreihen veröffentlicht - ich stelle sie Ihnen gern zur Verfügung -, die belegen, dass es jenseits des Auf und Ab der Konjunktur bei den betrieblichen Ausbildungsplätzen im Wesentlichen nur eine Richtung gab, und zwar die nach unten.

Meine Damen und Herren! Umlagefinanzierungen haben sich jedoch in anderen Ländern durchaus bewährt. Zum Beispiel sind die Betriebe in Frankreich verpflichtet, 1,5 % ihrer Bruttolohn- und Gehaltssumme für eigene Berufsbildungsmaßnahmen nachzuweisen bzw. diesen Betrag an Fonds zu überweisen. Hinzu kommen das Geld aus der Lehrlingssteuer und eine Umlage für Weiterbildung. Die positive Gesamtwirkung der Umlage wird dort von den Arbeitgebern überhaupt nicht kritisiert.

Anders als das französische Modell ist die dänische Umlagefinanzierung nur auf die Berufsausbildung orientiert. Hierbei werden einzelne Ausbildungsabschnitte von Unternehmen finanziert. Jedes Unternehmen entrichtet pro Beschäftigten derzeit rund 400 dänische Kronen, die zu einem Gesamtvolumen von ca. 3 Milliarden dänische Kronen jährlich führen. In Dänemark funktioniert das seit 25 Jahren ohne großes Geschrei.

Meine Damen und Herren! Wer aber die Umlage ablehnt, der sollte einmal sagen, was er noch für Jugend

liche tun will. Es ist bekannt, dass alle anderen Maßnahmen - Herr Metke hat schon darauf hingewiesen -, freiwillige Verpflichtungen, Appelle, Hinweise, Klinkenputzen und manche kreative Aktion von Politikern, überhaupt nichts genutzt haben. Staatlich finanzierte Ausbildung ist der milliardenteure Notbehelf, wenn Betriebe nicht mehr ausbilden. Das ist in Deutschland schon die Realität; denn in den neuen Ländern steckt in 70 % aller Ausbildungsplätze öffentliches Geld.

Meine Damen und Herren! Die Umlage ist keine Strafsteuer, sondern kommt der Schaffung betrieblicher Ausbildungsplätze zugute. Wer die betriebliche Berufsausbildung - dabei geht es immerhin auch um einen zentralen Standortvorteil für Deutschland - retten will, der muss gründlicher nachdenken, wirksamer handeln, Neues ausprobieren.

Frau Röder, Sie haben das Berufsbild einer DGB-Fachfrau entwickelt. Das finde ich spannend. Darüber können wir reden. Aber ein „Weiter so wie bisher“ führt das System der beruflichen Ausbildung in den Abgrund. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Danke, Frau Ferchland. - Für die FDP-Fraktion hat noch einmal die Abgeordnete Frau Röder das Wort.

Ich werde es wirklich ganz kurz machen. Für mich ist nach dieser Debatte die Frage, wie die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe in den Betrieben im Land tatsächlich mehr betriebliche Ausbildungsplätze schaffen kann, immer noch nicht beantwortet. Da diese Frage nicht beantwortet werden konnte, kann ich mich Ihrer Meinung nach wie vor nicht anschließen und bin gegen eine Ausbildungsplatzabgabe.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Damit ist die Debatte beendet. Wir treten in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 4/1369 und zur Drs. 4/1401 ein. Es wurde eine namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte die Abstimmung vorzunehmen.

(Unruhe)

Wir stimmen zunächst über den Ursprungsantrag der Koalitionsfraktionen ab.

(Namentliche Abstimmung)

Abstimmungsverhalten der Abgeordneten:

Frau von Angern Nein Herr Becker - Herr Bischoff Nein Herr Bönisch Ja Herr Borgwardt Ja Frau Brakebusch Ja Herr Brumme Ja Frau Budde Nein Frau Bull Nein Herr Bullerjahn Nein Herr Czeke Nein Herr Dr. Daehre Ja

Herr Daldrup - Frau Dirlich Nein Herr Doege Nein Herr Dr. Eckert - Herr El-Khalil Ja Herr Ernst - Herr Felke - Frau Ferchland Nein Frau Feußner Ja Herr Dr. Fikentscher Nein Frau Fischer (Naumburg) Nein Frau Fischer (Merseburg) Ja Frau Fischer (Leuna) - Herr Gallert Nein Herr Gärtner Nein Herr Gebhardt - Herr Geisthardt Ja Frau Grimm-Benne Nein Herr Grünert Nein Herr Gurke Ja Herr Gürth Ja Herr Hacke Ja Frau Hajek Nein Herr Hauser Ja Frau Dr. Hein Nein Herr Höhn Nein Herr Dr. Höppner - Frau Dr. Hüskens Ja Frau Jahr - Herr Jantos Ja Frau Kachel Nein Herr Kasten Nein Herr Kehl - Frau Dr. Klein Nein Herr Kley Ja Frau Knöfler Nein Herr Koch Ja Herr Dr. Köck Nein Herr Kolze - Herr Kosmehl Ja Herr Krause Nein Herr Kühn - Frau Dr. Kuppe Nein Herr Kurze Ja Herr Laaß Ja Frau Liebrecht - Herr Lienau Ja Herr Lukowitz - Herr Madl Ja Herr Maertens - Herr Metke Nein Frau Mittendorf Nein Herr Oleikiewitz Nein Herr Prof. Dr. Paqué Ja Frau Dr. Paschke Nein Herr Dr. Polte - Herr Poser -

Herr Dr. Püchel Nein Herr Qual Ja Herr Radke Ja Herr Radschunat Nein Herr Rauls Ja Herr Reck Nein Herr Dr. Rehberger Ja Herr Reichert Ja Frau Röder Ja Frau Rogée Nein Herr Rothe Nein Frau Rotzsch Ja Herr Ruden Ja Herr Sachse Nein Herr Sänger Ja Herr Scharf Ja Herr Dr. Schellenberger - Herr Scheurell Ja Herr Schlaak Ja Frau Schmidt Nein Herr Scholze Ja Herr Schomburg Ja Herr Dr. Schrader Ja Herr Schröder Ja Herr Schulz Ja Herr Schwenke Ja Frau Seifert Ja Frau Dr. Sitte Nein Herr Dr. Sobetzko Ja Herr Prof. Dr. Spotka Ja Herr Stadelmann Ja Herr Stahlknecht Ja Herr Steinecke Ja Frau Theil - Herr Dr. Thiel - Frau Tiedge - Herr Tögel - Herr Tullner Ja Frau Vogel Ja Herr Dr. Volk Ja Frau Dr. Weiher Nein Frau Weiß Ja Frau Wernicke Ja Herr Wolpert Ja Frau Wybrands Ja Herr Zimmer Ja

Ist noch jemand im Raum, der noch seine Stimme abgeben möchte?

(Herr Becker, CDU: Oh!)

- Herr Becker?

Schriftführerin Frau Dr. Klein:

Herr Becker?

(Herr Becker, CDU: Ja!)

Frau Fischer?

(Frau Fischer, Leuna, SPD: Nein!)

Herr Kehl?

(Herr Kehl, FDP: Ja!)

Herr Gurke? - Sie haben schon abgestimmt.

Dann bitte ich darum, die Stimmen auszuzählen.

Ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt. Für den Antrag der Koalitionsfraktionen stimmten 57 Abgeordnete, gegen den Antrag stimmten 39 Abgeordnete. 19 Abgeordnete waren nicht anwesend. Damit ist der Antrag der Koalitionsfraktionen angenommen worden. Eine Abstimmung über den Alternativantrag erübrigt sich. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 19.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung

Ausgleich für die Mehrbelastungen durch die Gesundheitsreform für untere Einkommensgruppen

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/1372

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Bull. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren! Die Gesundheitsreform ist über uns hereingebrochen und ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Ärgernis für alle Beteiligten. Für die Ärztinnen und Ärzte ist es ärgerlich, weil der Verwaltungsaufwand sehr viel größer ist als bisher, und natürlich auch in gesundheitspolitischer Hinsicht, weil die Gefahr groß ist, dass erforderliche Arztbesuche ausbleiben und die Menschen erst dann zum Arzt gehen, wenn das „Kind bereits in den Brunnen gefallen ist“.