Protocol of the Session on September 18, 2003

Danke, Frau Abgeordnete Grimm-Benne. - Für die CDUFraktion hat der Abgeordnete Herr Stahlknecht das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon interessant, dass ein anhängiges Rechtsverfahren in Form einer Verfassungsbeschwerde hier anscheinend dazu benutzt wird, generelle politische Aussagen zu treffen. Es ist eigentlich so, dass man erst einmal feststellen muss, dass Artikel 4 des Ersten Investitionserleichterungsgesetzes zutreffend Aufgaben verlagert - so heroische Aufgaben wie die Entgegennahme der Gewerbeanzeigen, die Erteilung von Reisegewerbekarten, die Entgegennahme der Anzeige und Untersagung eines Wanderlagers und die vorübergehende Gestattung zum Betrieb eines Gaststättengewerbes aus besonderem Anlass. Einige kommen nach meiner kommunalpolitischen Erfahrung allerdings nicht allzu häufig vor.

Darum: Nach hiesiger Auffassung, insbesondere liebe Kolleginnen und Kollegen von den Oppositionsfraktionen - auch im Hinblick auf das von den Verwaltungsgemeinschaften im Rahmen der Verwaltungsreform vorgetragene Argument ihrer uneingeschränkten Leistungsfähigkeit -, führt diese Verlagerung zwar zu einer gesteigerten Anforderung der Aufgabenwahrnehmung, nicht jedoch zu einer finanziellen Mehrbelastung, da die Aufgaben, so denke ich, mit dem vorhandenen Personal durchaus umsetzbar sein dürften.

Nun erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang einen der Leitsätze aus dem jüngsten Urteil des Landesverfassungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 8. Juli 2003 zu zitieren:

„Ein angemessener Ausgleich im Sinne des Artikels 87 Abs. 3 Landesverfassung des Landes Sachsen-Anhalt ist nur dann erforderlich, wenn die Aufgabenwahrnehmung zu einer Mehrbelastung der Kommunen führt. Die Mehrbelastung an sich folgt nicht schon aus den gesteigerten Anforderungen der Aufgabenwahrnehmung, sondern muss sich aus tatsächlich dadurch verursachten erhöhten finanziellen Aufwendungen gerade der Kommunen ergeben.“

Jüngstes Urteil! Ungeachtet dessen haben, wie wir gehört haben, 56 Gemeinden Verfassungsbeschwerde erhoben, im Wesentlichen darauf begründet, dass Artikel 87 - Konnexitätsprinzip - verletzt sei. Die CDU-Fraktion ist - ähnlich wie vom Herrn Minister vorgetragen - der Auffassung, dass eine Verletzung einerseits nicht vorliegt, weil das Konnexitätsprinzip im Verhältnis Landkreis - Gemeinde nicht gilt. Hilfsweise würde ich sagen: Eine gesteigerte Anforderung liegt vor, jedoch nicht eine Mehrbelastung, sodass ein finanzieller Ausgleich schon im Hinblick auf das neuere Urteil gar nicht erforderlich gewesen wäre.

Allerdings möchten wir hier und heute kein eigenes Judiz abgeben - anders als Sie, Frau Kollegin Grimm

Benne -, und das allein, so denke ich, aus ganz vornehmen Gründen:

Erstens. Wir sind als verantwortliche Fraktionen für ein objektives Urteil, wie es ein Gericht zu fällen hat, so denke ich, als befangen anzusehen. Das gilt allerdings aus umgekehrten Gründen auch für die Oppositionsfraktionen.

Zweitens. Im Hinblick auf die Gewaltenteilung, denke ich, sollte die Legislative, die wir sind, nicht bemüht sein, zumindest den Anschein zu erwecken zu versuchen, in einem anhängigen Rechtsverfahren durch öffentliche Meinungsbildung Einfluss zu nehmen auf die Entscheidung der Judikative.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Drittens und abschließend: Wir haben vollstes Vertrauen in eine sachgerechte Entscheidung des höchsten Gerichtes dieses Landes.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Danke, Herr Abgeordneter Stahlknecht. Würden Sie eine Nachfrage beantworten?

Gerne, Herr Püchel.

Bitte schön!

Herr Stahlknecht, Sie sprachen eben von heroischen Aufgaben. Das meinten Sie doch ironisch oder meinten Sie das ernst?

Das haben Sie jetzt so gewertet.

Wie meinten Sie es denn, ernsthaft oder ironisch? Wenn Sie es ironisch gemeint haben, dann stellen Sie einen Teil Ihres Jahrhundertwerks des letzten Jahres infrage.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Nein. Herr Dr. Püchel, wie Sie wissen - Sie haben das Erste Investitionserleichterungsgesetz auch gelesen -, beginnt es nicht mit Artikel 4 und endet nicht mit Artikel 4, sondern es beginnt mit Artikel 1 und hat mehrere Artikel. Das ist ein Ausfluss davon und das ist, so denke ich, dieser Artikel 4 - -

(Frau Budde, SPD: Entweder ist es wichtig oder es ist nicht wichtig!)

- Frau Kollegin Budde, ich bin doch jetzt gefragt worden. - Dieser Artikel 4 hat aus meiner Sicht von dem Hauptwerk eher eine etwas untergeordnete Bedeutung, die sich aber in das Gesamtpuzzle einfügt. Das ganze Ding - das meine ich jetzt nicht ironisch -, das ist schon eine heroische Leistung, heroischer als das, was acht Jahre vorher war.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke, Herr Abgeordneter Stahlknecht. - Für die PDSFraktion wird die Abgeordnete Frau Tiedge sprechen. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir uns in dieser Legislaturperiode an Gepflogenheiten gewöhnen müssen, die bislang keine parlamentarische Praxis waren. Im Ausschuss für Recht und Verfassung wurde einstimmig der Beschluss gefasst, keine Stellungnahme zu dem vor dem Landesverfassungsgericht anhängigen Verfahren LVG 07/03 abzugeben, so wie es in der Vergangenheit überwiegend der Fall war.

(Herr Gürth, CDU: Genau!)

Das heißt, jedes Mitglied des Ausschusses hat für sich entschieden, sich nicht zu dem anhängigen Verfahren zu äußern, zumal es im Ausschuss auch keine inhaltliche Debatte dazu gegeben hat,

(Herr Gürth, CDU: Die Scharfmacher in der SPD- Fraktion, die mussten unbedingt! - Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD)

und ich werde es auch heute nicht tun.

Nun wurde von der SPD-Fraktion trotzdem eine Debatte im Ältestenrat beantragt, was nicht nachzuvollziehen ist und sehr nach Polemik riecht.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich haben wir bei der Diskussion zum Ersten Investitionserleichterungsgesetz die Einhaltung des Konnexitätsprinzips angemahnt. Nicht zuletzt ist die Übertragung kostenträchtiger Aufgaben von Bund und Ländern auf die Kommunen ohne finanziellen Ausgleich eine wichtige Ursache für die finanziellen Schwierigkeiten der Städte, Gemeinden und Kreise mit der Konsequenz, dass freiwillige und zunehmend auch Pflichtaufgaben nicht mehr durchgeführt werden können und die kommunale Selbstverwaltung beeinträchtigt wird. In Sachsen-Anhalt ist in Artikel 87 der Landesverfassung sogar festgeschrieben, dass bei Aufgabenübertragungen an die Kommunen, die zu Mehrbelastungen führen, ein angemessener Ausgleich zu schaffen ist.

Ob nun das Erste Investitionserleichterungsgesetz gegen diese Regelung in der Verfassung verstößt, wird einzig und allein das Landesverfassungsgericht zu entscheiden haben. Das ist auch gut so. Die PDS-Fraktion wird der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verfassung zustimmen.

(Zustimmung bei der PDS und bei der CDU)

Danke, Frau Abgeordnete Tiedge. - Für die FDP-Fraktion wird der Abgeordnete Herr Wolpert sprechen. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die vorliegende Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verfassung an den Landtag, zu dem laufenden Landesverfassungsgerichtsverfahren keine Stellungnahme abzugeben, ist, wie wir gehört haben, in der Sit

zung des Ausschusses für Recht und Verfassung einstimmig beschlossen worden. Allein vor diesem Hintergrund stellt sich schon die Frage, warum seitens der SPD-Fraktion eine parlamentarische Debatte gewünscht wurde.

Sieht man weiterhin der Tatsache ins Auge, dass in der Sitzung des Ausschusses für Recht und Verfassung auch die SPD-Fraktion keinen Diskussionsbeitrag zum Thema abgegeben hat, stimmt es erst recht nachdenklich, dass im Plenum darüber diskutiert werden soll.

Es ist selbstverständlich Ihr gutes Recht, meine Damen und Herren von der SPD. Es mutet aber etwas seltsam an, dass ausgerechnet von Ihnen eine solche Vorgehensweise gewählt wird, obwohl doch Sie oft genug diejenigen sind, die Wächter der parlamentarischen Gepflogenheiten und Benimmregeln sein wollen. Aber ich will gar nicht glauben, dass Sie sich dazu haben hinreißen lassen, mit zweierlei Maß messen zu wollen nach dem Motto „Quod licet Jovi, non licet bovi“.

Unabhängig davon ist aber eine Stellungnahme zu einem Landesverfassungsgerichtsverfahren selten eine gute Vorlage für eine tagespolitische Auseinandersetzung im Parlament - erst recht nicht, wenn gar keine Stellungnahme abgegeben werden soll.

Selbstverständlich ist auch der Landtag nicht verpflichtet zu schweigen, wenn gerade ihm die Möglichkeit der Beteiligung offen gelassen worden ist. Der Landtag dürfte aber immer gut beraten sein, dabei Zurückhaltung in der Debatte zu üben. Das ergibt sich zum einen schon aus der Tatsache, dass der Landtag nicht das entscheidende Gremium ist, und zum anderen daraus, dass es sich um ein laufendes Gerichtsverfahren handelt.

Der Punkt, den Herr Stahlknecht angesprochen hat, dass wir letztendlich sogar befangen sind, weil wir selbst Handelnde gewesen sind, kommt noch hinzu. Gerade das zwingt die Beteiligten zur Vorsicht, könnten sie doch bei der inhaltlichen Debatte leicht in den Verdacht der Richterschelte oder des Versuchs der Beeinflussung des Gerichts über die öffentliche Meinungsbildung geraten.

(Zustimmung von Herrn Stahlknecht, CDU)

Beides wiederum würde weder dem Ansehen des Verfassungsgerichts noch dem des Landtags dienen. Die Stellungnahme zu einem Landesverfassungsgerichtsverfahren taugt nicht zur tagespolitischen Debatte. Darin liegt auch der Grund, warum der Landtag sich in den letzten Jahren fast ausnahmslos eine Stellungnahme und die Diskussion darüber versagt hat.

Da in der Sache wohl die Wahrheitsfindung in einer Plenardebatte nicht abschließend sein kann, dient die heutige Diskussion lediglich dazu, der Opposition die Möglichkeit zu geben, eine erneute Attacke gegen die Regierung zu reiten, die wie immer zu schwach war.

Die Klärung der Frage, ob die klagenden Kommunen tatsächlich in verfassungswidriger Weise Aufgaben übertragen bekommen haben oder nicht, liegt in der Entscheidungsgewalt des Gerichts. Die Frage, ob den Kommunen grundsätzlich mit anderen Finanzstrukturen aus der finanziellen Not geholfen werden kann, ist ein anderes Thema und ist deshalb auch an anderer Stelle zu diskutieren.

Im vorliegenden Verfahren bedarf es keiner Stellungnahme des Landtages. Somit werde ich auch keine ab

geben. Ich befürworte die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verfassung. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Abgeordneter Wolpert. - Damit ist die Debatte beendet. Wir treten ein in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 4/1002. Es geht um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verfassung. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen worden. Wir beenden den Tagesordnungspunkt 9.