Protocol of the Session on March 13, 2003

schoff schon anmerkte. Auch die Qualitätsprüfungen der medizinischen Dienste der Krankenkassen aus dem Jahr 2000 zeigten erhebliche Mängel auf.

Wenn aber beinahe jede Einrichtung Mängel in der Pflegedokumentation und in der Pflegeplanung aufweist, dann liegt der Verdacht nahe, dass die gestellten Anforderungen mit der bestehenden personellen Ausstattung in der Praxis überhaupt nicht bewältigt werden können.

Um eine bessere Pflege und Betreuung pflegebedürftiger Menschen zu sichern, und zwar nicht nur von demenzkranken Menschen, bedürfen die Dienste und Einrichtungen also einer drastischen Erhöhung ihrer personellen Ausstattung. Insofern müsste in der Berichterstattung der Landesregierung - ich unterstreiche das noch einmal -, so sie möglicherweise noch ausgeweitet werden kann, ausführlich auf die personellen Gegebenheiten und Anforderungen eingegangen werden. Dem Antrag selbst geben wir unsere Zustimmung. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Danke, Herr Abgeordneter Dr. Eckert. - Für die CDU-Fraktion spricht nun die Abgeordnete Frau Liebrecht. Zuvor möchte ich aber noch Damen und Herren des Bürgervereins Magdeburg-Olvenstedt herzlich begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wie bereits in der Einführung erwähnt, stellt die Demenzerkrankung nach wie vor eine außerordentliche medizinische und sozialpolitische Herausforderung dar. Deshalb - darauf wurde schon hingewiesen - hat die CDU-Landtagsfraktion in der vergangenen Wahlperiode sich dafür eingesetzt, insbesondere die Hilfen für Demenzkranke zu verbessern.

Der vierte Altenbericht der Bundesregierung verdeutlicht sehr aussagekräftig, welche Mängel sowohl bei der Erkennung als auch bei der Versorgung von Demenzkranken bestehen. Durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Pflegeleistungsergänzungsgesetz gibt es zwar für pflegebedürftige Demenzkranke, die zu Hause betreut werden, gewisse Leistungsverbesserungen, diese sind aber lediglich ein Trostpflaster.

Von den heute 900 000 Menschen in Deutschland, die an einer mittelschweren oder schweren Demenz leiden, werden etwa zwei Drittel - das sind 600 000 Personen - in privaten Haushalten gepflegt. Untersuchungen zeigen, dass mit einer stetigen Zunahme von gerontopsychiatrischen Erkrankungen, insbesondere von Demenzerkrankungen, zu rechnen ist. Darüber hinaus wird durch die immer kleiner werdenden Familienstrukturen die Pflege in den privaten Haushalten rückläufig.

Aufgrund des langen, schweren und meistens in Pflegebedürftigkeit mündenden Krankheitsverlaufs stellen die Demenzkranken eine erhebliche physische und psychische Belastung für die betreuenden und pflegenden Angehörigen dar. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Demenz so zeitig wie möglich erkannt und entsprechend behandelt wird. Leider haben Studien ergeben, dass 70 % der Patienten mit Demenz häufig erst im fortgeschrittenen Stadium einen Nervenarzt aufsuchen, der die Diagnose stellen und eine Behandlung

veranlassen kann. Zum Teil dauert das zwei Jahre und länger.

Im vierten Altenbericht werden die Kosten einer Alzheimerdemenz mit fast 44 000 € pro Patient und Jahr angegeben. Das bedeutet, dass sich die durch Alzheimer bedingten Gesamtkosten in Deutschland bereits auf 26,3 Milliarden € belaufen. Verständlicherweise sind die Patienten im fortgeschrittenen Stadium besonders kostenintensiv, da sie notwendigerweise auch betreuungsintensiv werden.

Mit dem zunehmenden Schweregrad der Erkrankung steigen die jährlichen Kosten auf mehr als das Doppelte, und zwar auf 92 000 € pro Patient. Dabei machen die Aufwendungen der stationären Langzeitbetreuung in Pflegeheimen - mit zunehmendem Schweregrad bis zu 90 % der Gesamtkosten - den höchsten Anteil aus. Dagegen betragen die Aufwendungen für Krankenhausbehandlungen, ärztliche Konsultationen und Arzneimittel weniger als 3 % der Gesamtkosten. Das zeigt, dass sich die Kosten bei Demenzerkrankungen im Wesentlichen im Pflegebereich konzentrieren.

Auch wenn die Alzheimerdemenz nicht heilbar ist - Herr Bischoff hat darauf schon hingewiesen -, so gibt es doch viele Wege, die Lebensqualität der Betroffenen und der Menschen, die sich um sie kümmern, zu verbessern.

Wesentlich ist es festzustellen, dass bei den Demenzpatienten bisher lediglich die pflegerische Seite im Vordergrund steht und die medizinische Seite fast völlig vernachlässigt wird. Mit zunehmendem Schweregrad der Demenz gerät die medizinische Versorgung überdies gänzlich aus dem Blick. Im Hinblick auf die Behandlungs- und Wirtschaftlichkeitspotenziale müsste die medizinische Versorgung der Demenzpatienten aber oberste Priorität genießen. Studien belegen, dass es mittlerweile medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten gibt, die die Selbständigkeit der Patienten über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten, womit gleichzeitig die Pflegekosten in erheblichem Maß reduziert werden könnten.

Leider können sich diese Effekte, auch wenn die Fachwelt schon lange darauf gewartet hat, erst in vollem Umfang durchsetzen, wenn im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungsleistungen die Budgets abgebaut werden und das sektorale Denken zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und Pflegeversicherung überwunden wird. Nur so kann Unter- und Fehlversorgung gerade bei Demenzpatienten beseitigt werden.

In dieser Situation ist es natürlich verständlich, dass der vorliegende Antrag an die Beschlussempfehlung aus der letzten Wahlperiode anknüpft und dass über die konkreten Maßnahmen und Projekte berichtet werden soll, um den notwendigen Sachstand zu erhalten. Ich danke Ihnen, Herr Minister, dass Sie dem vorgegriffen haben. Es ist wichtig, dass in diesem Bereich noch wesentlich mehr Öffentlichkeitsarbeit geleistet wird. Es ist aber auch erforderlich, dass wir uns noch einmal eingehender damit befassen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, Sie können sich sicher sein, uns ist die Tragweite des Themas sehr wohl bewusst, und darauf aufbauend werden wir diese Thematik kontinuierlich und konsequent weiterverfolgen und die entsprechenden Schlüsse daraus ziehen. Wir stimmen dem Antrag zu. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung bei der SPD und bei der PDS)

Danke. - Herr Abgeordneter Bischoff, Sie haben noch einmal das Wort.

Da wir Gelegenheit haben, im Ausschuss darüber zu reden und Nachfragen zu stellen - ja, wir müssen noch einmal Nachfragen stellen -, möchte ich mich an dieser Stelle nur für Ihren Bericht, Herr Minister, und für die Redebeiträge aus den anderen Fraktionen bedanken, die deutlich gemacht haben, dass das Thema wichtig ist. - Danke.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren! Zu diesem Antrag wurde eine Ausschussüberweisung beantragt. Da der Antrag aber im Kern eine Berichterstattung zum Inhalt hat, können wir über diesen Antrag direkt abstimmen. Wir treten damit in das Abstimmungsverfahren zu der Drs. 4/604 ein. Wer dem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen worden und wir können den Tagesordnungspunkt 16 beenden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf, der unser letzter Tagesordnungspunkt am heutigen Tage ist:

Beratung

Entschließung zum Verbot jeglicher Folter

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/612

Änderungsantrag der Fraktionen der FDP und der CDU - Drs. 4/633

Alternativantrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/629

Einbringer für die PDS-Fraktion ist die Abgeordnete Frau Tiedge. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines der schwärzesten Kapitel in der europäischen und deutschen Justizgeschichte bildet die Hexenverfolgung. Ohne das Instrument der strafprozessualen Folter wäre die massenhafte Aburteilung der Opfer von Hexereibeschuldigungen undenkbar gewesen. Daumenschrauben, Streckbank und Scheiterhaufen - die Folterknechte der Inquisition kannten kein Erbarmen. Vermeintliche Ketzer und Hexen wurden im Namen Gottes verfolgt, in den Kerker geworfen und öffentlich verbrannt. Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Frauen haben unter der Folter gestanden, Hexen zu sein. Gesteht nicht jeder unter der Folter alles das, was der Folterknecht hören will, nur damit die Folter aufhört?

(Unruhe)

Frau Abgeordnete Tiedge, warten Sie bitte. - Versuchen Sie doch bitte, sich noch ein bisschen zu konzentrieren. Wir sind gleich am Ende der heutigen Tagesordnung.

Danke, Frau Präsidentin. - Hat nicht Galileo Galilei, von der Inquisition zur Folter geführt, seine Lehre widerrufen? Ich zitiere: „Ich, Galileo Galilei, schwöre ab, was ich gelehrt habe. Ich schwöre ab, verwünsche und verfluche mit redlichem Herzen und nicht erheucheltem Glauben alle diese Irrtümer und Ketzereien.“

Heute basieren viele wissenschaftliche Erkenntnisse auf seinen Forschungen und Experimenten. Was also war sein erpresster Widerruf wert?

Die Verfechter der Möglichkeit, die Folter anzuwenden, gehen immer von der irrigen Annahme aus, dass Aussagen unter der Folter immer richtig sind und der Wahrheit entsprechen; dabei entsprechen sie zumeist nur der Wahrheit, die der Folterer hören will.

Artikel 1 der UN-Konvention gegen Folter beschreibt folgendermaßen, was Folter ist - ich zitiere -:

„Folter ist jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächliche oder mutmaßliche, von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht wurden.“

Vordergründig wird gefoltert, um Geständnisse zu erlangen, zu bestrafen, einzuschüchtern, entweder im Strafverfahren oder zum Zwecke der politischen Verfolgung.

Die Formen der Folter sind vielfältig. Der Einfallsreichtum der Menschen, wie sie andere Menschen quälen können, scheint grenzenlos zu sein. Foltermethoden sind Formen von körperlicher, aber auch von seelischer Gewalt, wie Schlafentzug, Scheinhinrichtungen, Verabreichung von Drogen usw.

Meine Damen und Herren! Folter ist aber leider kein Relikt aus dem Mittelalter. Vor 70 Jahren begannen mit diesem Begriff die Gräueltaten in den Konzentrationslagern. Aus den zunächst als Ausnahmefälle erlaubten Eingriffen auf Körper und Seele von Verfolgten wurde ein Dauerzustand, der es der Gestapo erlaubte, jederzeit „Staatsfeinde“ in Schutzhaft zu nehmen und zu foltern. Ich zitiere den Schriftsteller Günter Schwaberg:

„Deutschland hat sich mehr als nur zeitlich vom Nazifaschismus entfernt, aber es bleibt die eigene deutsche Geschichte, die aufmerksamer machen muss, wenn Menschenrechte relativiert werden. Was veranlasst Bundesjustizministerin Birgit Zypries, bei der Folterdrohung von einem ‚rechtfertigenden Notstand’ zu sprechen? Was veranlasst den Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes Geert Mackenroth, Folter für vorstellbar, und den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, sie für menschlich sehr verständlich zu halten?“

Für uns sind diese Äußerungen ungeheuerlich, auch wenn sie so manchem Stammtischgespräch entgegenkommen. Leider ist auch heute noch Folter in vielen Ländern dieser Welt auf der Tagesordnung.

Es gibt kein höheres Rechtsgut als das menschliche Leben und die Unversehrtheit. Aus diesem Grunde ist das Verbot der Folter ausnahmslos und unmissverständlich festgeschrieben in Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, in Artikel 3 der Menschenrechtskonvention, in Artikel 1 des Grundgesetzes, der als oberstes Gebot mit einer Ewigkeitsgarantie versehen ist, in Artikel 104 des Grundgesetzes, im Strafgesetzbuch und in anderen gesetzlichen Regelungen. Ein Aufweichen würde nicht nur gegen geltendes internationales und nationales Recht verstoßen, sondern wäre für die Demokratie und den Rechtsstaat kreuzgefährlich.

(Beifall bei der PDS)

Es würde an den bislang für unabtastbar gehaltenen Verfassungsprinzipien wie der Würde des Menschen und den darauf fußenden strafprozessualen Grundstandards rütteln, die das Wesen des Rechtsstaates ausmachen.

So schlimm und so grausam einzelne Kapitalverbrechen sind - sie rechtfertigen nicht den Ruf nach einem so genannten übergesetzlichen Notstand, in dem scheinbar der Zweck jedes Mittel heiligt.

Die Wiedereinführung der Folter, und sei es auch nur im Ausnahmefall, wobei hier die Frage gestellt werden muss, wer den Ausnahmefall dann festlegen wird, wäre ein Salto mortale rückwärts ins Mittelalter. Folter ist unkontrollierte staatliche Gewalt. Wenn sich der Staat derselben Mittel bedient wie der Verbrecher, ist er schlimmer als der Verbrecher.

(Beifall bei der PDS)

Ich finde es zutiefst heuchlerisch, wenn die gleichen Politiker, die das verheerende Regime im Irak kritisieren - ich betone: mit Recht -, in dem auch Folter auf der Tagesordnung steht, auch aus diesem Grund die Abschaffung dieses Diktators fordern und dafür sogar einen völkerrechtswidrigen Krieg legitimieren, im gleichen Moment im eigenen Land die Folter nicht mehr ausschließen wollen.

(Beifall bei der PDS - Zurufe von der CDU)